So philosophisch diese Fragestellung auch klingen mag, in ihr steckt ein Konzept, das sich auch auf viele andere Bereiche anwenden lässt. Oder, wie Einstein in einem Interview einst erklärte, kindliche Neugier findet immer wieder eine neue Frage, eines neues Warum, bis jedes weitere Erforschen von der unbefriedigenden Antwort: „Weil es eben so ist!“, abgewürgt wird. Lassen wir uns nicht immer wieder mit Teilantworten abfinden? Überlassen wir das Denken nicht all zu oft Anderen? Basiert unser Weltbild, unser Verstehen, unsere Einstellung zu Ereignissen auf Überzeugung oder auf Resignation?
Der einleitenden Frage hat Martin Heidegger ein mehr als 400 Seiten umfassendes Buch gewidmet: „Sein und Zeit“. Der vorliegende Artikel setzt sich jedoch nicht mit der Frage des Seins oder des Seienden auseinander, sondern damit, dass Menschen sich all zu leicht mit Teilantworten zufriedengeben.
Fassen wir die Schöpfungsgeschichte, wie sie heute als akzeptiert gilt, mit wenigen Sätzen zusammen: Aus einer kosmischen Brühe entstand, von einem „Big Bang“, einem gewaltigen Knall begleitet, ein Universum. Myriaden von Himmelskörpern füllten infolge den Raum. Entwicklungen, die dem Zufallsprinzip unterlagen, schafften auf einzelnen Planeten, wie etwa der Erde, die Voraussetzungen für Leben. Wobei nicht nur die Frage nach dessen Sinn von minderer Bedeutung zu sein scheint, sondern auch die nach dem Ursprung. Aus den ersten Zellen entstand im Laufe der Jahrmilliarden, wiederum vom Zufallsprinzip geleitet, höheres Leben – bis hin zur menschlichen Intelligenz.
Warum? Warum ist der Mensch mit Bewusstsein und Denkfähigkeit ausgestattet? Warum fand dieser Urknall überhaupt statt? Warum gibt es Sein? – „Weil es eben so ist“?
Heere von Wissenschaftlern verbringen ihr Leben damit, Teilbereiche der Existenz zu erforschen. Ich will die Bedeutung ihrer Arbeit nicht herabwürdigen. Im Gegenteil. Vielleicht fehlt es bloß an der notwendigen Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen, um einer Antwort auf die eigentliche Frage näherzukommen. Die Frage nach dem Warum.
Vielleicht bedarf es aber auch mehr Offenheit. Gibt es wirklich nur Materie und keinen Geist? Oder ignorieren wir die Möglichkeit einer geistigen Komponente des Seins nur deswegen, weil uns keine Geräte zur Verfügung stehen, um Messungen anzustellen?
Vieles widerspricht den allgemein anerkannten Thesen. Beim sogenannten Doppelspaltexperiment verhält sich ein Photon einmal als Teilchen, doch dann wiederum als Welle – je nach Betrachtungsweise. Wie „weiß“ das Photon, auf welche Art es beobachtet wird? Die Möglichkeit telepathischer Informationsübermittlung wird zwar von der Wissenschaft ausgeschlossen, doch verfügt fast jeder über seine eigenen diesbezüglichen Erfahrungen. Alles nur Zufall? Nachdem sich die Wissenschaft dogmatisch von jeglicher Forschung im Bereich von „Intelligent Design“ distanziert, steht dieses durchaus interessante Gebiet leider unter dem Einfluss nicht minder dogmatischer Evangelikaler. Wie ist es den Ägyptern zur Zeit der vierten Dynastie – also kurz nach Ende der sogenannten Steinzeit – gelungen, gigantische Pyramidenbauten zu errichten? Moderne Architekten, die von Ägyptologen allerdings eher selten befragt werden, drücken ihre Zweifel aus, dass sie selbst mit Hilfe moderner Technik zu ähnlichen Leistungen fähig wären. Aus welchem Grund errichteten angebliche Steinzeitjäger vor rund 11.000 Jahren eine Tempelanlage – ebenfalls aus gewaltigen Steinquadern – in Südostanatolien? Und warum wurde die Anlage zu einem späteren Zeitpunkt wieder vergraben?
Sind solche und viele andere Fragen nicht von ausreichender Bedeutung, dass sich der Mensch mit ihnen auseinandersetzt? Und damit meine ich nicht nur Wissenschaftler, die ihren Lebensunterhalt durch ihre Forschungen verdienen. Ich meine den Menschen im allgemeinen. Sie und mich! Haben wir unsere kindliche Neugier, unsere Fähigkeit zum Staunen, tatsächlich restlos eingebüßt?
Der folgende Themensprung mag gewaltig erscheinen, doch unterliegen wir nicht auch in jenen Bereichen einer unverzeihlichen Ignoranz, die Einfluss auf unser tägliches Leben ausüben?
Seit Beginn der Wirtschafts- und Schuldenkrise hören wir immer wieder von notwendigen Sparmaßnahmen. Wir wissen, dass die Realeinkommen regelmäßig absinken. Bei jedem Besuch im Supermarkt werden wir daran erinnert. Gleichzeitig lässt sich aber auch jederzeit nachlesen, dass die bekannten Vermögen der Finanzelite ebenso regelmäßig ansteigen. Warum?
Wir hören von Arbeitskräftemangel, zumindest in bestimmten Fachgebieten, und trotzdem sind keine Lohnsteigerungen zu erkennen? Führt Mangel ansonsten nicht immer zu Preissteigerung?
Wir zahlen Einkommensteuer und vom versteuerten Geld Umsatzsteuer. Wie Wenige haben jemals Informationen darüber eingeholt, dass Einkommensteuer, in der Form wie wir sie heute kennen, erst im 19. Jahrhundert eingeführt wurde? Und noch dazu, zu Zeiten der „Ausbeutung durch die Feudalherren“, mit deutlich niedrigeren Sätzen.
Welches Argument zur Rechtfertigung von Steuern kommt den meisten von uns als Erstes in den Sinn? Zwar weiß ich nicht, ob Sie meine Erfahrung teilen, doch ich höre immer wieder, dass Straßen errichtet und erhalten werden müssen. Doch dafür gibt es die, nicht gerade niedrige, Energiesteuer auf Treibstoff. Auch der Besitz eines Fahrzeuges bringt Abgaben mit sich, so wie die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung besteuert wird. Warum hinterfragen wir nicht, was mit den vielen Milliarden, die der Staat von uns einsammelt, letztendlich geschieht?
Auch hier ließen sich noch viele Punkte anführen. Auch die Frage, warum, trotz aller technischen Errungenschaften und der Automatisierung von Produktionsprozessen, in einer Familie zwei Menschen einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können – zumindest bei durchschnittlichem Einkommensniveau. Wer profitiert vom Fortschritt?
Jeder von uns ist überzeugt, dass Kinder besonderen Schutzes bedürfen. Und trotzdem protestiert kaum jemand dagegen, dass der Geist heranwachsender Menschen, die voll von Neugier alle Informationen, die auf sie einströmen, gierig in sich aufsaugen, durch gezielte und manipulative Werbung vergiftet wird. Jeder, der jemals mit Kleinkindern zu tun hatte, weiß von der notwendigen Nähe zur Mutter – und trotzdem protestiert niemand gegen die der Natur widersprechenden Aufbewahrungsstätten. Warum sind es so Wenige, die sich um die Zukunft sorgen, wenn eine ganze Generation das Leben mehr von Bildschirmen als durch die direkte Umgebung zu verstehen lernt?
Im Verkehrsstau steckend oder beim Besuch von Einkaufszentren werden wir selten daran erinnert, wie wunderschön, wie harmonisch, wie lebenswert unser Planet Erde ist. Wir wissen, welcher Raubbau mit diesem einzigen Planeten, der uns zur Verfügung steht, betrieben wird. Wälder werden hemmungslos abgeholzt. Flüsse, Seen und die Meere werden vergiftet. Die Umwelt wird mit Chemikalien ebenso verseucht wie mit regelmäßig ansteigender nuklearer Belastung. Doch nicht, weil das Überleben für die Menschheit keine Alternative vorsieht, sondern weil Profit und Geldwirtschaft über alles herrscht. Wenn Menschen in bescheidenen Regionen des Hungertodes sterben, weil in der City von London oder an der Wallstreet die Preise von Grundnahrungsmitteln durch Spekulationen in die Höhe getrieben werden, handelt es sich dabei etwa nicht um Massenmord?
Warum hinterfragen wir all diese Dinge nicht? Warum nehmen wir es immer und immer wieder hin, dass es „einfach so ist“? Heutzutage ist eben alles anders. Heutzutage brauchen wir keine Natur mehr. Heutzutage dürfen wir uns krank arbeiten, dürfen in Depressionen verfallen, dürfen den Sinn im Leben beim Einkaufsbummel suchen, wo wir billigen chinesischen Ramsch erstehen. Heutzutage brauchen wir keinen Gott mehr und keine Seele. Denn heutzutage sind wir endlich frei!
Wir haben nicht die geringste Ahnung, was in anderen Teilen des Weltalls vor sich geht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der Erde nicht um den einzigen bewohnten Planeten. Doch diese Art des Lebens, die wir hier und jetzt erfahren, ist die einzige, mit der wir vertraut sind. Und wenn wir darüber nachdenken, wozu der Mensch seine Intelligenz, seinen Geist, seine Fantasie, seine Schöpfungskraft, sein erhabenes Bewusstsein nutzt, und wenn wir den Wissenschaftlern Glauben schenken, dass es sich dabei um den Höhepunkt einer Entwicklung handelt, die vor rund 15 Milliarden Jahren mit einem Big Bang begonnen hatte, dann scheint es wirklich einfacher zu sein, den Sinn all dessen nicht zu hinterfragen.
Um die dadurch entstehende Leere zu füllen, gibt es ja schließlich eine ganze Menge sinnloser Beschäftigungen und Ereignisse, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken dürfen. Das Staunen, so heißt es, ist der Anfang jeglicher Philosophie. Bei Philosophie wiederum handelt sich nicht um abstrakte Spekulationen zu Fragen der Existenz, sondern um die „Liebe zur Weisheit“.
„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“, gab Arthur Schopenhauer einst von sich. Sollte die geistige Gesundheit in diesem Zitat nicht eingeschlossen sein?