Samstag , 7 Dezember 2024
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Jugendmedienschutz – Die Zensur über die Hintertür!

fsk_18_logoIn den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland vielerlei Entwicklungen durchgemacht, insbesondere durch schockierende Amokläufe wie jene in Erfurt, Emsdetten und zuletzt im baden-württembergischen Winnenden. Die sozialen Hintergründe hat niemand in Frage gestellt, wohl aber, welche Medien Einfluss auf einen Jugendlichen nehmen „könnten“, um sich zu solchen Taten hinreißen zu lassen. Für die, zumeist konservativ angehauchte, Politik auf Länderebene war es also der willkommene Anstoß dafür, um unsere Medien so zu manipulieren, als wäre es selbstverständlich, dass wir nur noch das zu sehen bekämen, was unsere Jugendlichen nicht schädigt. Es soll der Eindruck erweckt werden, dass wir etwas zu beschützen haben – unseren Nachwuchs. In Wirklichkeit geht es aber um Realitätsentzug durch Verharmlosung und um Manipulation der Medien durch Zensur.

Bevor wir uns jedoch mit dem „Jugendschutz der Neuzeit“ beschäftigen, wagen wir doch einen kleinen historischen Bogen zurück in die Weimarer Republik, der heute noch nachgesagt wird, sie sei die „einzig wahre deutsche Demokratie“ gewesen. Schon damals, in der Zeit zwischen 1926 bis ins Dritte Reich hinein im Jahre 1935, gab es so genannte Schmutz- und Schundgesetze, die die deutsche Jugend vor Schundliteratur schützen sollte. An bewegte Bilder war zu diesem Zeitpunkt – abgesehen von den Wochenschauen in deutschen Kinos – ja noch nicht zu denken. Fernsehen, ja sogar Videospiele waren zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt, aber im Grunde genommen hatte eine zentrale Prüfstelle für Schund- und Schmutzschriften (die tatsächlich so hieß) dieselbe Aufgabe, die heute die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wahrnimmt: „Jugendgefährdende“ Medien zu indizieren und bei Bedarf entsprechend aus dem Verkehr zu ziehen.

Jugendschutz hat also schon eine lange Tradition in Deutschland. Denn bereits im Kaiserreich – also vor Gründung der Weimarer Republik – gab es politischen Zündstoff darüber, inwieweit der Staat Einfluss auf die Medien nehmen dürfe in Bezug darauf, welche Schriften, Bilder, Filme und Theaterstücke der allgemeinen Bevölkerung und auch der Jugend zugänglich sein dürfen. Während sich die SPD und die Deutsche Demokratische Partei (DDP) neben weiter links stehenden Parteien wie der USPD (später KPD) gegen staatliche Eingriffe in das Mediengeschehen aussprachen, waren es – wie heute (wen wundert es) – die konservativen Parteien wie die ZENTRUM, DNVP und die nationalliberale DVP, die in der Weimarer Republik die staatliche Zensurschere forderten.

Was hat das mit heute zu tun?

Wieso holt er historisch gesehen so weit aus, werden sich jetzt viele Fragen. Heute steht die konservative Politik in Deutschland, angeführt durch die CDU, vor denselben Fragestellungen wie die Parteien der Weimarer Republik damals: Neue Medien haben zwischenzeitlich die Medienlandschaft verändert. Computer- und Videospiele erlauben es dem Konsumenten, das Geschehen – verbunden mit realitätsnaher Grafik – aktiv zu beeinflussen und selbst zu entscheiden, wie die Geschichte zu Ende gehen kann. Die Neuen Medien sind dabei zumeist Felder, in denen die Konservativen wenig entgegenzusetzen haben, da es Themen sind, mit denen sie sich traditionell nicht auskennen. Überspitzt ausgedrückt verstehen konservative Parteien unter dem Begriff Jugendschutz folgendes Schema:

1. Angst vor Neuem, Folge: Neues muss weg. 2. Aber wie? Antwort: Jugendschutz. 3. Neues = unbekannt, ergo Neues = potenziell schädigend, was zu dem Zeitpunkt niemand glaubwürdig widerlegen kann. Also ist Jugendschutz die ideale Methode, um neue Medien auszuhebeln und alte Medien im Würgegriff zu halten.

Allerdings hat dieses Schema bis jetzt so gut wie niemand gewagt zu entschlüsseln oder gar für die Allgemeinheit verständlich zu machen. Denn schließlich ist es doch ein gut gemeintes Ziel, unsere Kinder und Jugendlichen vor dem Einfluss „jugendgefährdender“ Medien zu schützen. Erstmalig hinterfragt hat den Sinn und Zweck des Jugendmedienschutzes der AK Zensur als gegen Ende das Jahres 2009 eine Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) ins Spiel kam. Der AK setzt sich dafür ein, dass zumindest die Neufassung des Staatsvertrags vom Tisch kommt. Warum? Weil erstmalig auch das Internet mit einschneidenden Maßnahmen in das Regelwerk aufgenommen werden soll.

Dabei ist es schon lange Tradition, dass beispielsweise die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) und auch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) keine freiwilligen Hürden mehr sind, sondern verbindliche Prüfstellen zur Altersfreigabe, damit beispielsweise Filme und Videospiele überhaupt einen Anschluss an den deutschen Markt finden. Die Unterhaltungsindustrie ist zumeist gezwungen, sich einer „Selbstzensur“ zu unterziehen, die Filme und Videospiele also für den deutschen Markt „jugendtauglich“ zu machen. Andernfalls kommen sie nicht durch die Altersprüfung.

In Videospielen sieht das dann so aus, dass man sich beispielsweise im Extremfall nicht mehr mit Menschen in einem Gefecht entgegen gestellt sieht, sondern Robotern, oder gar Menschen, denen bei der Anwendung von Gewalt keine Schäden anzusehen sind, nicht einmal Blut (eine Verharmlosung von Gewaltanwendung). Die Frage ist also, worin der Sinn besteht, der deutschen Jugend – sofern ein Spiel altersgerecht gespielt wird – die Wirklichkeit vorzuenthalten, dass bei einem Schuss in die Brust nun mal rotes Blut fließt und kein Grünes. Ist es nicht mindestens genauso schlimm den Menschen die Grausamkeiten dieser Welt vorzuenthalten? Es gibt nicht diese eine Welt, in der grüne Landschaften und stets gepflegte Vorgärten das Dasein dominieren – das hätte die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zwar gerne, aber das Familienleben in Deutschland ist alles andere als vergleichsweise so idyllisch wie bei Deutschlands Super-Mutti mit sieben Kindern. Es ist nicht damit getan, unschöne Flecken des Lebens zu verstecken und nur die schönen Dinge des Lebens darzustellen.

In der Allgemeinheit besteht indes die Einstellung, dass der Jugendschutz ein hinnehmbares Übel ist, um den Nachwuchs besser zu schützen. Dabei wird auch der Medienalltag maßgeblich durch diese Maßnahmen beeinflusst. So sind deutsche Erwachsene gezwungen, Medien aus dem europäischen – oder gar aus dem außereuropäischen – Ausland zu importieren, um diese unzensiert konsumieren zu können. Jugendschutz in Deutschland bedeutet aber auch, dass ganze Branchen in der Entwicklung behindert werden. So gibt es beispielsweise kein deutsches Entwicklungsstudio von Computer- und Videospielen, das annähernd den gleichen Umsatz zu verzeichnen hätte als ausländische Unternehmen, die in ihrem Handeln nicht eingeschränkt sind.

Und all das akzeptieren wir, obwohl uns die konservative Politik in Deutschland immer noch den Beweis schuldig ist, inwieweit gewaltbeinhaltende Medien wirklich einen Einfluss auf unser soziales Verhalten haben. Stattdessen lassen wir uns von der Springer-Presse mit Fotomontagen aufstacheln, die Amokläufer zeigen, die anscheinend in Kampfausrüstung deutsche Schulen stürmen (siehe falsche Berichterstattung der „Bild“ über den Amoklauf von Winnenden).

Die Forderung, auch des AK Zensur, muss also sein: Weg mit den Zensurwerkzeugen und nicht nur weg mit dem neuen JMStV! Denn andere europäische Länder, wie auch unser Nachbar Österreich, machen es uns vor: in Staaten, wo es keine einheitlichen Jugend(medien)schutz-Standards gibt – wie bei uns -, ist noch nicht die Anarchie ausgebrochen. Auch ist kein deutlicher Anstieg von Amokläufen an österreichischen Schulen zu verzeichnen, weshalb auch Deutschland – Volk und Politik – endlich begreifen muss, dass nicht die Medien unsere Jugend verderben, sondern unsere Ellenbogengesellschaft, die dazu neigt, bestimmte Personengruppen auszugrenzen.

Es geht der Politik nicht um den Schutz der Kinder oder der Jugendlichen, es geht ihnen rein um die Beibehaltung alter Muster, weil man vor dem Neuen Angst hat.

 

Ein Gastbeitrag von Lars Haise

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