Freitag , 29 März 2024
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Zahl der Arbeitslosen sinkt – Gedanken an der Supermarktkasse

supermarkt_regale„Einen schönen Tag noch!“ Freundlich lächelt mich die Kassiererin an, während sie mir den Kassenbon entgegenhält. „Danke, Ihnen auch!“, erwidere ich den Gruß, und nehme der Frau den weißen Abschnitt aus der Hand. Bedingt durch meinen regelmäßigen Einkauf hier, sind wir uns bekannt – bekannt in Gänsefüßchen. Wenn die Situation es zulässt, dann wechseln wir ein paar Worte miteinander. Heute passt es nicht. Der Andrang ist relativ groß. Frau Brammer, der Name steht auf einem Schildchen, das an ihrem Kittel klemmt, hat alle Hände voll zu tun. Ohne ein Zögern und ohne aufzublicken verlasse ich den Kassen-Fließband-Bereich in Richtung Ausgang.

„Kassiererin in einem Supermarkt – eine harte Arbeit“, höre ich mich denken, „und eine ziemlich schlecht bezahlte obendrein.“ Frau Brammer ist allerdings froh, dass sie die Anstellung hat. Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, ist es für sie kontinuierlich ein besonders mühseliger Kampf, die Versorgung für die Familie zu gewährleisten. Da zählt tatsächlich jeder Cent. Eigentlich ist Frau Brammer Augenoptikerin, zweifellos ein qualifizierter Beruf, aber da sie es nach rundweg 100 erfolglosen Bewerbungen letztlich aufgegeben hat, gemäß ihrer Ausbildung eine Stelle zu finden, hat sie sich dann für diesen Kassenjob entschieden. „Ist doch besser als vom Arbeitslosengeld Hartz IV leben zu müssen“, betont sie stets, „da landet man heutzutage überaus schnell.“ Irgendwie bewundere ich diesen Menschen, das gebe ich zu. In dieser Situation, und mit diesen Aussichten, da wäre ich längst verzweifelt.

Frau Brammers Kinder werden es vermutlich später ebenfalls nicht leicht haben. Die Tochter ist zurzeit in der Lehre. Zahnarzthelferin – oder sagt man Zahnmedizinische Fachangestellte? – will sie werden. Will sie werden? Naja, ohne Abitur war eben nicht das zu bekommen, was ihren Wunschvorstellungen entsprach. Allein mit der Mittleren Reife als Basis, ist es heutzutage alles andere als einfach, einen der sogenannten Traumberufe zu ergreifen. Da spielt die Berufung eine untergeordnete Rolle, eher gar keine. Das zu erwartende Zahnarzthelferinnen-Gehalt ist niedrig angesetzt, äußerst niedrig sogar, Es ist fraglich, ob sich mittels der geringen Entlohnung je eine Eigenständigkeit aufbauen lässt. Was den Sohn betrifft, so ist selbst das Erreichen des mittleren Bildungsabschlusses gefährdet, ergo an einen Abschluss mit Abitur keinesfalls zu denken. Für ihn wird das Angebot der beruflichen Möglichkeiten verschwindend klein ausfallen.

So ist das zurzeit in unserer wunderbaren Republik, und in der Tat wundere ich mich: Immer mehr Menschen haben immer weniger die Möglichkeit, allein mit dem ihren Lebensunterhalt zu verdienen, was der Arbeitsmarkt noch zu fordern bereit ist, bzw. an Arbeit anbietet. Das heißt, wundern sollte es mich nicht, jedenfalls nicht im wahrsten Sinne des Wortes. Nein, auch hier greift die Gesetzmäßigkeit, die eine jede Ursache mit einer Wirkung verbindet. Wir haben alles getan, um in gewissen Bereichen die Arbeit kompromisslos zu vernichten, und nun sollten wir uns bitte nicht darüber wundern, dass sie dort so gut wie nicht mehr existent ist. Es gibt sie eben real immer weniger, die Tätigkeiten, die einerseits nicht die ganz große Schulbildung voraussetzen, und andererseits Familien ernähren können, nein, und das, was der heutige Arbeitsmarkt auf vergleichbarer Ebene bereithält, ja das wird von ihm nicht mehr gerecht entlohnt.

Eingedenk dieser Tatsache entbehrt es nicht einer gewissen, schneidenden Ironie, wie ich meine, dass die dafür verantwortliche Politik sich mit der sinkenden Arbeitslosenzahl rühmt. Jedenfalls nutzen unsere verantwortlichen Politiker jede sich bietende Gelegenheit, um einer tieftraurigen Arbeitsmarktsituation, den gütigen Mantel der Ermunterung umzuhängen. Doch von welcher Seite man es auch betrachten mag, es bleibt bei einer geschminkten Realität, bleibt bei einer wackeligen Kulisse. Klar, jene, die die Bereitschaft aufbringen, für ausgesprochen wenig Geld ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, die erscheinen nicht auf den Listen der Arbeitsämter (Agentur für Arbeit mag ich nicht sagen), und ebenso klar ist es, dass die Bereitschaft zu diesem unseligen Kompromiss ständig wächst, aber hieraus nun den Schluss zu ziehen, dass unsere Welt nunmehr ein Stück weit mehr in Ordnung gebracht worden ist, das ist der Sarkasmus pur.

Wenn ich es mir so überlege, was sich unsere Verantwortlichen bislang alles haben einfallen lassen, um an dieser Stelle möglichst die Spuren zu verwischen, beziehungsweise die Zahl der Arbeitslosen zu schönen. Da wurden Langzeitarbeitslose reihenweise zu Gabelstaplerfahrern umgeschult, folglich während dieser Maßnahme zeitgleich aus der offiziellen Arbeitslosenstatistik des Staates gestrichen, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Gegenden gab, in denen letztlich und unterm Strich jeder Zehnte mit einem Gabelstapler-Führerschein in der Tasche zum Arbeitsamt rannte. Das – was die Augenwischerei anbelangt – die Quelle des Ideenreichtums längst noch nicht versiegt ist, das unterstreicht einmal mehr das Brimborium rund um den sogenannten „1-Euro-Job“. Was diesbezüglich an morbider Frustration gesät, gezüchtet und gepflegt wurde, und das allein um Langzeitarbeitslose „irgendwie“zu beschäftigen, das ist doch kaum noch zu ertragen.

In unserer Republik werden die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer, und nicht zuletzt ist es die organisiert provozierte Erpressbarkeit der Arbeitnehmer, die das Fundament für diesen Zusammenhang festigt. Ich habe den Eindruck, dass wir anstelle der Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen bekämpfen, und dass es einer derart orientierten Wirtschaft – ich spreche das jetzt mal so aus – indes nur recht sein kann, wenn die Schreie nach Arbeit das Flüstern der Angebote übertönen, ja dass sich so manch ein Arbeitgeber sogar auf eine gewisse Arbeitslosigkeit angewiesen sieht. Das Spiel sollten wir schleunigst beenden, oder zumindest die Spielregeln der mit Recht geforderten Menschlichkeit anpassen. Der erste Schritt in diese Richtung wäre bereits getan, wenn wir die Verlogenheit nicht länger gewähren ließen, die Verlogenheit, die es zulässt, dass wir gegenwärtig die sinkende Zahl der Arbeitslosen beklatschen, ohne auch die Kehrseite der Medaille zu erwähnen.

So meine Gedanken. Direkt gegenüber dem Ein- und Ausgangsbereich des Marktes, steht eines der Depots für die Einkaufswagen, rasselnd fügt sich der meinige in das Ende einer längeren Reihe. Wenn ich mich hier so umsehe: Der Selbstbedienungsmarkt gehört zu eine Warenhauskette, die sich zumeist in unmittelbarer Nähe einer Autobahnanschlussstelle befindet, in der Regel zusammen mit der Filiale eines Baumarktunternehmens, einer Tankstelle, so wie diversen kleineren Geschäften, die den täglichen Bedarf an Service abdecken können. Und von den vielen Menschen, die hier am Platze tagtäglich einer recht stressigen Arbeit nachgehen, sind mir mittlerweile einige bekannt, die zwischen 5,00 – 7,50 € in der Stunde verdienen. Abgesehen von Frau Brammer, denke ich hier an den Herren vom Getränkemarkt, an die Frau, die im Imbisswagen steht, an die Dame von der Reinigung, an die Verkäuferin in der Gartenabteilung des Baumarktes, an …

© Peter Oebel

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