Samstag , 7 Dezember 2024
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„So retten wir unseren Planeten“

Interview mit Peter Sutter, Autor des Buches „Zeit für eine andere Welt – Warum der Kapitalismus keine Zukunft hat“ – Peter Sutter, Jahrgang 1950, ist als Oberstufenlehrer tätig. Er war acht Jahre lang als Gemeinderat und im Kanton St. Gallen zwei Jahre lang als Kantonsrat aktiv. Im September 2011 hat er das genannte Buch veröffentlicht, in dem er das kapitalistische Wirtschaftssystem kritisch durchleuchtet und zu dem Schluss kommt, dass, um die anstehenden weltweiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen, der Aufbau einer neuen, nichtkapitalistischen, auf Frieden und soziale Gerechtigkeit ausgerichtete Wirtschaftsordnung unerlässlich ist.

T. W.: Was sind nach Ihrer Sicht die Grundprobleme einer Erziehung zum Kapitalismus? Sind es Probleme wie das permanente Ablenken von den eigenen Übeltaten? Indem man mit dem Finger auf andere, scheinbar noch schlimmere Übeltäter hinweist? Oder hängen die Grundprobleme eher mit der Art zusammen, wie Einzelereignisse in wahlloser Folge aneinandergereiht werden?

P. S.: Mit der Erziehung wird das herrschende kapitalistische System sozusagen immer wieder aufs Neue der nächsten Generation „übergestülpt“. Bestehende Denkmuster, auch wenn sie noch so irrational sind, werden ungefragt und unwidersprochen weitervermittelt. Dann sagt man: Der Mensch ist zu nichts anderem fähig als zur Ausbeutung anderer und seiner selbst. Wie absurd! Der Mensch ist nicht so. Er wird zu dem, was er ist, gemacht. Dazu gehört eben auch die Strategie der Ablenkung durch Problemverlagerung. Da das „System“ – vergleichbar mit einer Religion – nicht schlecht sein kann, wird die Schuld an all den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Missständen und Problemen, mit denen wir konfrontiert sind, auf andere umgelenkt. Es sind dann einzelne „schlechte“ oder „böse“ Einzelpersonen oder Personengruppen wie z.B. Politiker oder Ausländer usw. Auf sie wird dann mit den Fingern gezeigt. Doch das bringt uns nicht weiter. Das treibt den Teufelskreis, in dem wir uns bewegen, nur immer weiter vorwärts. Dazu gehört auch die Art, wie die Medien über Ereignisse berichten. So, als handle es sich um Zufälligkeiten und nicht um ganz logische, miteinander verknüpfte und sich gegenseitig beeinflussende Auswirkungen eines gemeinsamen Grundübels. Nämlich um endlose und immer absurdere Formen eines kapitalistischen Profitmaximierungszwangs.

T. W.: Treibt der auf die Spitze getriebene Konkurrenzkampf aller gegen alle inzwischen nicht immer absurdere Blüten? Wohin führt das Prinzip „Immer mehr Leistung zu immer tieferen Kosten mit immer weniger Personal“?

P. S.: Es kann, einfach gesagt, nicht aufgehen. Es muss am Ende scheitern. Erstens menschlich nicht, da die Menschen durch den zunehmenden Konkurrenzdruck immer größeren seelischen und körperlichen Belastungen ausgesetzt werden. Oder aber – wenn sie ihre Arbeit verlieren – aus der Gesellschaft gekippt werden, sich unnötig und überflüssig fühlen und dadurch alle sinnvollen Lebensperspektiven verlieren. Es geht auch ökonomisch nicht auf. Wenn immer weniger Menschen immer größere Mengen an Waren herstellen, während ein großer Teil der Bevölkerung zunehmend verarmt: Wer soll dann am Ende all die Produkte des endlos wachsenden Warenbergs noch kaufen können?

T. W.: Beschreiben Sie doch bitte einmal für uns die allgegenwärtigen Kontrollsysteme, in denen wir derzeit leben.

P. S.: Das effizienteste Kontrollsystem ist das in unseren eigenen Köpfen. Man hat uns eingetrichtert, es gäbe zum Kapitalismus keine Alternative. Die einzige Alternative, die versucht worden sei, der Kommunismus, sei ja gescheitert. In meinen Augen ist das eine Lüge. Eine Lüge, die nur im Interesse jener Minderheit liegen kann, die vom heutigen System noch profitiert. Dieser Lüge folgen auch jene, die Tag für Tag ausgebeutet werden. Eine Veränderung kann es nur geben, wenn diese Lüge aufgedeckt wird und in den Köpfen etwas Neues entsteht. Es ist absurd, dass es zu einem Wirtschaftssystem, das in seiner letzten Konsequenz die Zerstörung der Natur und damit auch die Vernichtung der Menschheit zur Folge hat, keine Alternative geben soll. Kürzlich sagte jemand zu mir: „Was redest du ständig vom Kapitalismus? Wir leben doch gar nicht im Kapitalismus.“ Diese Aussage zeigt, dass diese ganz besondere Art der Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft, in der wir leben, von den meisten Menschen offensichtlich ganz einfach als „normal“, als „selbstverständlich“ gesehen und empfunden wird. Als die „einzig mögliche und vorstellbare Welt“, als Schicksal oder als etwas von Gott Gegebenes und nicht als etwas von Menschen Gemachtes und von Menschen Veränderbares. Man ist offensichtlich so verblendet, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht.

T. W.: Wie zeigt sich der Zusammenhang im Rahmen des gegenwärtigen Wirtschaftssystems: Zwischen den wachsenden Profitraten auf der einen Seite und Elend und Zerstörung auf der anderen Seite?

P. S.: Dieser Zusammenhang besteht ganz offensichtlich und hat mit der Wachstumsideologie des kapitalistischen Geldsystems zu tun. Will ein Unternehmen wachsen – und jedes Unternehmen ist im gegenseitigen Überlebenskampf auf dem globalen Markt dazu gezwungen – dann muss es seine Produkte möglichst billig herstellen und möglichst teuer verkaufen, so einfach ist das. So billig wie möglich heißt konkret: zu möglichst geringen Löhnen, bei möglichst langen Arbeitszeiten und zu möglichst geringen Kosten. Und wenn das nicht geht, wird die Produktion dorthin ausgelagert, wo diese Voraussetzungen erfüllt sind. So stehen die Profitraten auf der einen Seite und das Elend und die Zerstörung auf der anderen Seite in einem direkten Zusammenhang. Es sind die beiden Kehrseiten der kapitalistischen Münze. Je mehr Reichtum am einen Ort entsteht, umso mehr Armut, Elend und Zerstörung am anderen. Deshalb genügt es auch nicht, wie so oft gefordert wird, die Armut zu bekämpfen. Wirksam kann man die Armut nur bekämpfen, indem man gleichzeitig den Reichtum bekämpft, der diese Armut ja gerade verursacht.

T. W.: Werfen wir einen Blick auf die Pharmaindustrie, wo Novartis und Roche, zwei Schweizer Konzerne, zu den weltweiten Spitzenreitern ihrer Branche gehören. Was ist das hauptsächliche Ziel dieser Konzerne? Wie wirkt es sich auf die weltweite Gesundheitsversorgung auf?

P. S.: Was für alle kapitalistischen Unternehmen zutrifft, trifft auch für Novartis und Roche zu. Das Ziel des kapitalistischen Unternehmens ist ja nicht, etwas zu produzieren, was den dringendsten Bedürfnissen der Menschen entspricht. Vielmehr geht es darum, etwas herzustellen, was sich mit möglichst guten Profitraten verkaufen lässt. In der kapitalgetriebenen Wirtschaft fließen die Güter nicht dorthin, wo sie gebraucht werden, sondern dorthin, wo genug Geld ist, um sie kaufen zu können. So wird immer mehr Geld investiert, um noch kostspieligere Gesundheitsmittel zu erfinden für jene reiche Minderheit der Weltbevölkerung. Eben jene, die sich diese leisten können, während in den armen Ländern des Südens nach wie vor unzählige Menschen sterben. Ja, so hart es klingt, sterben. Und zwar deshalb, weil einfache, billige Medikamente, die einen Bruchteil dessen kosten würden, was die Luxusmedizin in den reichen Ländern des Nordens Tag für Tag verschlingt, fehlen. Es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Pharmaunternehmen wie Novartis und Roche sind in hohem Maße doppelte Komplizen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Erstens durch die monetären Profite, die sie erzielen, vor allem auf den Chefetagen und bei den Aktionären. Zweitens aber auch dadurch, dass die von ihnen hergestellten Medikamente dazu dienen, durch Symptombekämpfung das kapitalistische System am Leben zu erhalten: Schlafmittel und Beruhigungsmittel für gestresste Manager, Vitamine und Aufputschmittel für ausgelaugte, müde, abgearbeitete Arbeiterinnen und Arbeiter, Antidepressiva für all jene, die in ihrer täglichen Arbeit oder in ihrer Lebenssituation keinen Sinn mehr sehen, Ritalin für Kinder und Jugendliche, die in der Schule nicht richtig „funktionieren“. Vielleicht wäre das kapitalistische System schon zusammengebrochen oder hätte es Aufstände und Unruhen gegeben, wenn es Novartis und Roche und all die anderen, die Mittel zur Symptombekämpfung herstellen, nicht gäbe …

T. W.: Wohin führt uns gerade die Informationsökonomie? Nach Frank Schirrmacher leben wir in einem Konflikt: Auf der einen Seite protestieren wir politisch gegen den neoliberalen Marktfetischismus. Auf der anderen Seite befördern wir eine Praxis, die ihn zum Naturgesetz der sozialen Physik macht.

P. S.: Dass über Internet weltweit heute jegliche beliebige Information an jedem beliebigen Ort jederzeit zur Verfügung steht, sehe ich grundsätzlich als etwas Positives an. Und mithilfe der sozialen Medien kann das vorhandene Wissen blitzschnell zu breiten politischen Bewegungen anwachsen. Allerdings genügt aus meiner Sicht das bloße Vorhandensein der Informationen noch nicht. Es braucht den zwischenmenschlichen Austausch, öffentliche Auseinandersetzungen, die Begegnung der Menschen vor Ort. Es braucht den Dialog nicht nur virtuell, sondern auch ganz real, von Mensch zu Mensch. Hier, denke ich, besteht im Moment ein großer Nachholbedarf. Der Übergang, die Transformation in ein neues, nachkapitalistisches Zeitalter kann nicht im Internet allein stattfinden. Austausch und Diskussion in sozialen Medien sind wichtig, aber es braucht den konkreten Bezug zum Handeln, zu konkreten Maßnahmen, die etwas bewirken.

T. W.: Sie schreiben in Ihrem neuesten Buch auch darüber, dass selbst Kunst, Theater und Literatur im Dienst der kapitalistischen Machterhaltung stehen. Könnten Sie das bitte etwas erläutern.

P. S.: Wie alles im Kapitalismus, so sind auch Kunstwerke, Theaterstücke und Bücher Produkte, zu deren Herstellung es eine gewisse Menge Geld braucht und die bei ihrem Verkauf wieder eine gewisse Menge Geld abwerfen. Was sich nicht verkaufen lässt, wird schon gar nicht produziert. Das führt dazu, dass das, was eigentlich ein Transportmittel für gesellschaftliche Veränderungen sein könnte, zum reinen Konsumgut verkommt. Es bleibt denen vorbehalten, die sich das leisten können. So sitzen dann die Angehörigen der Oberschicht, die kaum ein Interesse an einer Revolution und der Überwindung des Kapitalismus haben, im Stadttheater und schauen sich kapitalismuskritische Schauspiele an. Während die Menschen, die größtes Interesse an einer Erneuerung der gesellschaftlichen Verhältnisse haben müssten, krank gearbeitet zu Hause vor dem Fernseher sitzen und sich mit irgendwelchen Liebesfilmen oder Glücksspielshows abspeisen lassen. So widerspiegelt sich die gesellschaftliche Segmentierung auch im Bereich dessen, was man „Kultur“ nennt. Es muss allerdings erwähnt werden, dass es nebst dieser „etablierten“ Kultur immer auch nicht-profitorientierte Formen kulturellen Schaffens und Austauschens gegeben hat und weiterhin gibt, die zweifellos einen wesentlichen Beitrag zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen leisten können.

T. W.: Um unsere Gesellschaft zu verwandeln, müssten wir mit dem Bildungssystem anfangen. Sie haben schon im Jahr 2000 ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Wie müsste Schule aussehen, um uns vom Konkurrenzprinzip zu befreien und zur Kooperation zu befähigen. Wie können wir Schulen an die tatsächlichen Lern- und Lebensbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen anpassen? Wie vermittelt man miteinander zu arbeiten statt gegeneinander? Wie kann jedes Kind seine spezifischen Talente entdecken?

P. S.: Unsere heutige – kapitalistische – Schule ist nicht eine Lernschule, sondern eine Selektionsschule. Entgegen der landläufigen Meinung, in der Schule gehe es ums Lernen, geht es in Tat und Wahrheit um das Verteilen der zukünftigen Lebenschancen auf der kapitalistischen Machtpyramide. Das kann nur so lange funktionieren, als es gelingt, die Lüge, es gäbe „gescheite“ und „dumme“ Menschen, aufrechtzuerhalten. Die Machtverteilung im Kapitalismus beruht auf dieser Lüge: Den „gescheiten“ Menschen gibt man die sogenannten „verantwortungsvollen“, gutbezahlten Jobs, den „dummen“ Menschen das, was übrigbleibt. In Tat und Wahrheit aber ist es immer die herrschende Elite, welche bestimmt, was man unter Intelligenz versteht. Bezieht man sämtliche mögliche Begabungen, die Menschen haben können, mit ein, dann kommt man zum Schluss, dass es nicht „gescheite“ und „dumme“ Menschen gibt, sondern jeder Mensch auf seine eigene Weise unverwechselbar, unvergleichbar und einzigartig intelligent ist. Eine wirkliche Lernschule hätte zum Ziel, die Voraussetzungen zu schaffen, dass jeder Mensch seine Begabungen optimal entfalten könnte. Einst sagte der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi: „Vergleiche nie ein Kind mit dem andern, sondern jedes nur mit sich selber.“ Diese Forderung ist heute aktueller denn je zuvor. Demgegenüber gleicht die heutige kapitalistische Selektionsschule einer Treppe, die von den „Erfolgreichen“ bewältigt wird und an denen die „Erfolglosen“ früher oder später scheitern. Die Schule, die wir brauchen, sollte ein Lernzentrum sein. Dieses Lernzentrum gleicht, wie ich in meinem Buch beschrieben habe, einem Garten, in dem es für jedes Kind und für jeden Jugendlichen je einen anderen, aber immer erfolgreichen Weg gibt.

T. W.: Wie könnte durch Lernzentren auch eine andere Verteilung der lebenslangen Erwerbsarbeit erreicht werden? Wie könnten sie zur Überwindung der heutigen gesellschaftlichen Spaltung in „Arbeitbesitzende“ und „Arbeitslose“ beitragen?

Das Lernzentrum allein würde dafür wohl kaum genügen. Aber es wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. In einem Lernzentrum, wie ich es mir vorstelle, würde jeder Mensch seine Einzigartigkeit und „Wichtigkeit“ erleben. Er würde sich dann wohl nicht mehr so einfach unterdrücken, entwerten und ausbeuten lassen, wie das in der heutigen kapitalistischen Arbeitswelt der Fall ist. Meine Vision geht aber noch weiter: Erstens müsste ein Einheitslohn für jegliche Art von Arbeit eingeführt werden, denn es gibt keinen stichhaltigen Grund dafür, dass zum Beispiel ein Gärtner weniger verdienen soll als ein Rechtsanwalt oder ein Arzt mehr als eine Krankenpflegerin. Zweitens müsste jede Person über gleich viel Zeit verfügen – zum Beispiel drei Tage pro Woche –, um jener beruflichen Tätigkeit nachgehen zu können, die ihren Begabungen und Interessen am besten entspricht. Während der anderen zwei Tage pro Woche würde sie in einer Art obligatorischem „Zivildienst“ ihren Beitrag an jenen Arbeiten leisten, die die Gesellschaft braucht. Es sind dies Arbeiten wie Kehrichtabfuhr, Altenpflege, Gemüseanbau, Straßenreinigung, usw. Arbeiten also, die geleistet werden müssen, damit die Gesellschaft als Ganzes funktionieren kann. Viertens müsste die vorhandene Arbeit so gerecht und gleichmäßig auf alle verteilt werden, dass es weder Überbeanspruchung und Überlastung bei den Einen noch „Arbeitslosigkeit“ und Überflüssigsein bei den Anderen gäbe.

T. W.: Sie beschreiben 6 Schritte hin zu einer Politik der Liebe, wie sehen diese aus?

P. S.: Der erste Schritt ist der Schritt zu mir selber bzw. zu dem Kind, das ich einmal war. Ich muss mich sozusagen zurückversetzen in den Zustand, in dem ich mich befand, bevor meine Erziehung zum Kapitalismus begann. Kinder sehen die Welt noch rein und unverdorben. Ich muss lernen, die Welt wieder so zu sehen wie ein Kind. Dann werden mir all die Widersprüche und Absurditäten der sogenannten „Normalität“ erst bewusst. Der zweite Schritt ist die Erkenntnis, dass, wenn ich wieder das Kind in mir entdecke, dadurch gleichzeitig auch meine Verbundenheit mit allen anderen Kindern der Welt wiederentdecke. Auf geheimnisvolle Weise nämlich gibt es eine weltweite Verbundenheit aller Kinder im Augenblick ihrer Geburt, bevor sie an die Lebensumstände des Ortes, wo sie die Welt betraten, angepasst wurden. Dieses Gemeinsame ist die Sehnsucht danach, geliebt zu werden und zu lieben, es ist die Sehnsucht nach Frieden und nach Gerechtigkeit. Vielleicht könnte man es auch als die gemeinsame Erinnerung aller Kinder an jene Welt bezeichnen, aus der sie gekommen sind und die man als das sehen könnte, was sich eigentlich alle Menschen unter dem „Paradies“ vorstellen. Der dritte Schritt ist das Wiederentdecken des Widerstandes, der Rebellion: Wieder so widerspenstig, hartnäckig und unbequem werden, wie man als Kind einmal war. Das kann jeder Mensch, nur haben es die meisten durch das Erwachsenwerden verlernt bzw. ist es ihnen ausgetrieben worden. Es ist der eigene, unverfälschte Wille, den wir mit auf die Welt bringen. Ohne ihn, ohne die Zurückweisung und Ablehnung des kranken zerstörerischen Bestehenden, können wir es nicht verändern. Rebellion und Widerspenstigkeit sind daher die wichtigsten Instrumente auf dem Weg zur Formulierung eines Willens zu einer gesellschaftlichen Erneuerung. Der vierte Schritt ist die Überwindung all der Spaltungen, denen wir uns unterworfen haben, um in der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt leben zu können. Diese Spaltungen zeigen sich insbesondere in der Lügenhaftigkeit jener Politiker, die uns immer noch vorzugaukeln versuchen, alles werde gut, obwohl wir uns immer mehr dem Abgrund nähern. Lügen sind zu Wahrheiten geworden und umgekehrt. Nur wenn wir unsere inneren Spaltungen und Widersprüche überwinden lernen, gewinnen wir unsere Ganzheit, unsere Ehrlichkeit, unsere Authentizität zurück, die wir als Kinder einmal hatten. Der fünfte Schritt ist das Bewusstsein, dass jeder Einzelne Teil eines Ganzen ist, mit dem er unauflöslich verbunden ist. Denken wir zurück an unsere Geburt. Woher kamen wir, wohin gehen wir? Alles ist mit allem verbunden. Individuelle Gesundheit und individuellen Wohlstand, der wirklich glücklich macht, kann es für einen Einzelnen nicht geben, solange unzählige andere keinen Anteil daran haben oder sogar mit dem Verlust ihrer eigenen Gesundheit für die Gesundheit anderer bezahlen müssen. Entweder sind alle gesund – Menschen, Tiere, Pflanzen, die Natur weltweit – oder es sind alle krank. Gesundheit Einzelner auf Kosten Anderer kann höchstens etwas Vorübergehendes sein, nie aber ein Endzustand im Gleichgewicht. Der sechste Schritt ist der Schritt wieder zurück in die Politik. Nun aber auf der Basis der Liebe, des Bewusstseins meines Eingebundenseins in ein großes Ganzes und alle damit verbundene Mitverantwortung. Damit es mir selber gutgehen kann, muss es auch allen anderen gutgehen. Wenn ich ganz tief in mir, in meinem „Kind“ angelangt bin, dann ist mein Mitgefühl für andere wieder voll erwacht. Man kann sich nichts vorstellen, was eine noch stärkere revolutionäre Sprengkraft entwickeln könnte als eine solche aus dem Individuellen ins Politische transformierte Form von Liebe. Und deshalb erscheint mir der Anfang einer neuen Zeit auch gar nicht so kompliziert und gar nicht so schwierig, wie oft gesagt wird. Wir müssen nur wieder das werden, als was wir einmal gedacht waren.

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sutter buchcoverZEIT für eine ANDERE WELT –
Warum der Kapitalismus keine Zukunft hat

von Peter Sutter

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