Freitag , 29 März 2024
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Notaufnahme – Der kleine Roman

wellmanns wilde wochenDass es manchmal leider nicht zu vermeiden ist, ein Krankenhaus, in dem es vor Schulmedizinern und ihren Handlangern ja nur so wimmelt, von innen zu sehen, ist schon schlimm genug, wenn man nur zu Besuch ist. Als (Kassen)-Patient jedoch hat mal schon mal, gelinde gesagt, schlechte Karten, was dann im Grunde nur noch mit dem wahrhaft Schwarzen Peter gekrönt werden kann, nämlich als (Kassen)-Patient in der Notaufnahme. Ein Sternchen drauf gibt’s sogar noch, wenn man die Dreistigkeit besessen hat, in der Vertikale und auf eigenen Füßen zu kommen.

Voraussetzung für diese abgedrehte Mutprobe ist natürlich, dass man vorher, durch Zahlung von 10 Euro Schmiergeld und erfolgreicher Legitimation durch seine „Krank-sein-Berechtigungschipkarte“, am Türsteher vorbei gekommen ist. So weit voran geschritten sollte man sofort den Prozess des sich Abfindens einleiten und in eine Art Autogenes Training Modus verfallen, wobei man sich, immer im richtigen Atemrhythmus, unaufhörlich sagt: „Du bist ein menschliches Wesen und keine wertlose Sache, du bist ein menschliches Wesen und keine wertlose Sache …“

Die Notaufnahme als Solches hat ja zwei äußerst unvorteilhafte Eigenschaften. Also wirklich, äußerst unvorteilhaft:

Zum einen ist es relativ egal, wie sehr man sich selbst in einer Notlage glaubt, es gibt immer einen, oder mehrere, deren Glaube weitaus stärker ausgeprägt ist und die dazu dieser Tatsache noch ununterbrochen und lautstark Präsenz verleihen müssen. Daran schließt sich übergangslos die zweite, äußerst unvorteilhafte Eigenschaft an, nämlich das man diesen Leuten nur schwer entkommen kann.

„Haaaaaalllooooooooooo, ist der Arzt jetzt bald mal fertig mit der Kaffeepause? Ich bin verletzt und der wird schließlich von meinen Steuern bezahlt!“ Der Mann beugte sich zu mir runter und hielt mir seinen, notdürftig verbundenen und eindeutig stark blutenden Arm vor´s Gesicht. „Ich meine schauen sie sich das mal an, das fängt doch an zu eitern und vielleicht habe ich Tollwut. Wer weiß, wo diese Dreckstöle mit seiner dreckigen Schnauze vorher drin war?!“

„So jetzt reicht’s aber langsam, sie Heini!“, meldete sich ein anderer Mann, der auf der anderen Seite neben mir saß, zu Wort. „Meine Daisy ist keine Dreckstöle ja, sondern ein Westhighland Yorshire Eastwood Moorhuhn Terrier mit einem Stammbaum, wo ihnen aber die Ohren schlackern würden tun. Aber wahrscheinlich können sie nicht mal lesen. Und wenn sie meine Daisy nicht provoziert hätten, dann wäre auch gar nichts passiert.“

Ich versuchte mir vorzustellen, wie ein Hund der gerade mal groß genug war, um von zwei Eichhörnchen gerissen zu werden, einen erwachsenen Mann so in den Arm beißen konnte, dass es eine solche Wunde hinterlässt, und war mir sicher, die Geschichte hat noch etwas mehr zu bieten, was ich in den nächsten Stunden auch noch erfahren sollte.

Man darf auch keinesfalls vergessen, im Laufe dieser zwei bis sechs Stunden, dass es schon seinen Grund hatte, hergekommen zu sein. In diesem Fall waren es beängstigend heftige Schmerzen im Brustkorb. Es ist eigentlich nur die stetige Hoffnung doch irgendwann seinen Namen zu hören, die einen nicht in die Bewusstlosigkeit abdriften lässt, obwohl diese Hoffnung mit jeder Stunde mehr schwindet. Vielleicht ist es auch nur dieser, leicht unzurechnungsfähige Zustand, der mich schließlich zu der wahnwitzigen Tat treibt, eine vorbeilaufende Ärztin, mit dem, gerade noch machbaren „Letzte Kraft Lächeln“ zu fragen, ob man mich eventuell vergessen haben könnte.

Den Blick zu beschreiben, der mich jetzt traf, will ich mal aus Gründen des Jugendschutzes lassen. Dass ich die nächsten Sekunden überlebte, ist wohl auch nur der Tatsache geschuldet, dass man mich wirklich vergessen hatte, worauf ich zumindest aus dem Warteraum schon mal auf eine Trage im Flur „befördert“ wurde, nicht ohne mir noch ein obligatorisches „Kollege kommt gleich…“ da zu lassen. Irgendwie ist man, nachdem man schon die halbe Nacht dort verbracht hat, so dankbar dafür, dass man der Ärztin gerne alles glauben würde.

Aus dem Warteraum waren weiterhin der protestierende Hundebesitzer und sein Opfer zu hören …

„Na also ich glaub mein …, na …, Dings schweift …, pfeift mein ich. Wieso bitte kommt der Simulant noch vor uns dran. Der sucht doch bestimmt sowieso nur ´n Übernachtungsplatz!“ schrie das Herrchen von Daisy, das …, also den man auch durchaus treffend so beschreiben hätte können. „Herrchen von Daisy“ oder HvD… oder …, nein ich schweife auch … also ab.

„Ganz genau!“ mischte sich nun auch wieder der andere Mann ein, der sich immer noch als das arme Opfer eines Hundeangriffes darstellte und dies wiederum lautstark zum Besten gab. Was die Reihenfolge betraf, hatten sie ja recht, nicht allerdings, was das simulieren anging, denn inzwischen hatten sich meine Schmerzen von in Schüben kommenden Krämpfen zu einem anhaltenden Stechen gewandelt, welches mir so die Luft nahm, dass ich nur mit größter Konzentration bei Bewusstsein bleiben konnte und deshalb heilfroh war, über den vermeintlichen Fehler in der Reihenfolge.

Ich schaffte es gerade noch den Vorhang zwischen mich und die nächste Trage zu ziehen, auf der ein älterer Herr lag und laut schnarchte, was bei mir den Verdacht aufkommen ließ, dass der auch schon eine Weile wartete. Ich war aber froh ihn schnarchen zu hören, denn so war ich mir wenigstens sicher, dass er noch am Leben war.

In diesem Moment kam ein Mann auf mich zu, der verzweifelt suchend um sich schaute und deutlich nervös war. „Entschuldigen sie“, entfuhr es ihm, wobei ein lispelnder Sprachfehler nicht zu überhören war. „Ist das hier der Kreißsaal?“

Ich musste kurz warten, bis ich innerhalb meines konzentrierten Atemrhythmus´ einen passenden Zeitpunkt fand, meine Stimme finden. „Nein …, Notaufnahme …“, bekam ich heraus. „Ach!?“ keifte mich der Mann, jetzt noch nervöser an. „Notaufnahme …, wo ist denn nur dieser verdammte Kreißsaal?!“ Zu meiner Schande konnte ich mir, ob der häufigen „S-Laute“ in dem Satz, ein innerliches Grinsen nicht verkneifen, was mir allerdings schnell wieder verging, denn nun legte der nervöse Mann mit dem Sprachfehler erst richtig los.

„Wissen Sie, ich werd´ nämlich zum ersten Mal Vater. Und sie glauben ja gar nicht, wie lange wir das schon versucht haben, ja … Die Ärzte sagen ja, dass es an mir liegt, aber ich bin mir da nun wirklich nicht so sicher. Aber na ja, also wir haben´s versucht und versucht und versucht, wenn sie wissen was ich meine.“ Dabei machte er ein Gesicht und hatte den Tonfall drauf, der mich unweigerlich an Eric Idle und die Monthy Pythons erinnerte.

„Ja, aber es hat nicht geklappt, ne, also bis vor Kurzem ne …, aber auch nur mit Hilfe von Professor Dings …, also mit Hilfe des Instituts ne, also verstehen sie …?“ Ich überlegte, ob dies eine rein rhetorische Frage war, oder ob ich mich auf´s antworten vorbereiten sollte, wurde aber der Entscheidung sofort enthoben.

„Ja also wir sind denn da hin, zu diesem Institut, ne und zu dem Professor Dings hier ne und da konnte man sich dann so richtig aussuchen, konnte man sich da ne, also wer jetzt der Vater sein sollte von dem Kind ne …, und ich sag Ihnen, da gab´s alles, ne …, alles gabs da. Und da konnte man sich denn sozusagen sein ganz eigenes Menu zusammenstellen ne, also verstehen sie, also bis hin zum IQ konnte man da alles im Voraus …, ne. Ja und eins fix drei …, war meine Frau auch schon schwanger ne. Und ich sag Ihnen, so ´ne Schwangerschaft, die muss man ja erst mal mitgemacht haben, ne …, ich sag Ihnen dick iss die geworden …, dick iss die …, und gegessen hat sie, wie eine …, also ich hab gedacht, meine Güte was soll denn raus kommen, ne Mischung aus Hella von Sinnen und Rainer Calmund, oder was…?“

„Und dann diese Launen …, ich kann ihnen sagen …, diese Launen …“, fuhr der Mann fort und ich fragte mich, ob er zwischendurch auch überhaupt mal atmete. Mehr als erwartungsvoll schaute ich die Schwester an, die in diesem Moment auf mich zu kam.

„So Herr Schnepke“, säuselte die Schwester, mit einer leicht piepsigen Stimme, die irgendwie an amerikanische Sitcom Darstellerinnen erinnerte und auch den werdenden Vater kurzzeitig verstummen ließ. „Gleich kümmern wir uns um ihr Bein. Haben sie mal jetzt nicht so ´ne Angst, vielleicht muss es ja gar nicht abgenommen werden.“

„Abgeno …, ähh mein Name ist …, also wahrscheinlich verwechseln sie mich jetzt mit dem Herrn da drüben, weil ich bin ja auch wegen der Schmerzen im Brustkorb …“ „Na das ist ja mal wieder typisch!“, keifte sie mich, nun gar nicht mehr säuselnd, dafür um so piepsiger an.

„Wie ich das immer leiden kann. Die Herren Experten ja?! Was meinen sie was ich hier den ganzen Tag mache, Herr Schnepke, häh …, was meinen sie denn?! Popeln, oder was?! Ich weiß ja nicht was sie so machen, aber ich kenn´ mich aus in meinem Job, für den ich, wie sie wahrscheinlich schon mal gehört haben, immer noch total unterbezahlt werde. Aber ich mach den trotzdem, also ich meine ich mach den trotzdem gut und muss mir hier von ihnen nicht erzählen lassen, wie ich den zu machen habe ja!“ Inzwischen war sie relativ stark rot angelaufen.

„Ich wollte auch keinesfalls was gegen ihre Arbeitsmoral …, ich bin nur nicht Herr Schnepke und …“ „Also das muss ich nun wohl mal besser wissen …, Herr Schnepke …, ich …“ Der Herr neben mir, der der Situation bis jetzt noch staunend zusah, ließ sich nun nicht mehr abhalten. „Schwester, sie können mir doch dann sicher sagen, wie ich zum Kreißsaal komme, oder?“

„Natürlich kann ich das!“ fuhr sie jetzt den Mann in gleicher Lautstärke an und ich hatte das Gefühl, das ihre Stimme noch ein wenig piepsiger wurde, wenn so was überhaupt ging. „Sie glauben wohl auch, nur weil ich blond bin, bin ich zu doof als Beifahrerin eine Karte zu lesen was?! So wie mein Freund, dieses dumme Schwein …“ „Ähm, nein, also…,“ lispelte der Herr einigermaßen verlegen. „Wissen sie, ich werde nämlich zum ersten Mal Vater und …“

„Ja, ja, ja, nu´quatschen sie mal keine Opern hier“, unterbrach sie ihn wieder. „Also zum Kreißsaal gehen sie einfach jetzt da vorne rechts zum Bereich B1. Können sie nicht verfehlen, der ist durch die gelben Streifen gekennzeichnet. Da gehen sie denn bis zu der grünen Glastür, wo Geriatrie draufsteht, aber lassen sie sich davon nicht verwirren. Ich mein, so alt sind sie ja auch noch nicht ne, hehehehe …“

Sie lachte, als hätte sie den Brüller des Jahrhunderts gelandet und ich fühlte mich an eine in Panik geratene, psychopathische Bergziege kurz vor der Schlachtung erinnert, wie auch immer ich gerade darauf kam. Der Herr „Kreißsaalsucher“ hatte dem Witz des Ganzen wohl auch nicht recht folgen können, was man daraus schließen konnte, dass er außer einem schwächlichen „Also …“ nichts erwiderte. So langsam kriegte sich unsere Hobby-Comedienne auch wieder ein und setzte ihre Wegbeschreibung fort.

„Also, wie gesagt, bis zur grünen Glastür, wo Geriatrie draufsteht. Aber da gehen sie dann nicht durch, sondern rechts daneben ins Treppenhaus, wo sie zwei Stockwerke höher denn in Bereich G3 ankommen. Und da müssen sie dann nur noch an die Tür klopfen und Bescheid sagen, dass sie zum Kreißsaal wollen, die sagen ihnen denn, wie es weiter geht. Also wenn jemand da ist. Wenn nicht vergessen sie alles was ich gesagt hab, ab der grünen Tür…, pfhhrrrrrmmm.“, sie musste sich höchst anstrengen, um nicht wieder einen Lachanfall zu bekommen.

„Denn, wenn da keiner ist, dann gehen sie von Bereich B1 einfach durch die Caféteria und an der Inneren vorbei. Dann kommen sie auch hin. So …“, sie wandte sich wieder an mich. „Wir sind dann gleich da, Herr Schnepke…“

Damit drehte sie sich um und ließ uns beide sprachlos zurück. Der Mann sah mich etwas hilfesuchend an, während ich angestrengt darüber nachdachte, wie ich aus dieser Situation entkommen konnte. Ich war kurz davor einfach aufzustehen und mich auf den Weg zum Ausgang zu machen, als ein weiterer heftiger Stich in meinem Brustkorb mich wiederum daran erinnerte, warum ich eigentlich da war.

Ich hatte Schmerzen und konnte kaum noch normal atmen. Ich brauchte Hilfe, fragte mich aber noch angestrengter, wie ich ausgerechnet in einem Krankenhaus darauf hoffen konnte.

Der Mann mit dem Sprachfehler und dem Orientierungsproblem machte sich nun also auf den Weg, den Kreißsaal und seine gebärende Frau zu finden. Im Stillen gab ich ihm nicht all zu viele Chancen dies vor der Niederkunft auch wirklich noch zu schaffen. Vielleicht war ich sogar etwas neidisch, denn ich hätte jetzt einiges dafür gegeben, mich auch auf den Weg machen zu können.

Ich weiß nicht genau, wie lange ich dort gelegen habe, in diesem dämmrigen Halbschlafzustand, aber auf einmal bewegte sich etwas. Genaugenommen bewegte sich alles um mich herum und ich brauchte eine ganze Weile, um zu registrieren, dass ich es war. Die Schwester mit der piepsigen Stimme schob mich auf meiner Trage in den „Untersuchungsraum III“, wie auf einem kleinen Schild zu lesen war. Ein Pfleger kam hinzu und zusammen hievten sie mich ohne Worte, von der Trage auf den in der Mitte des Raumes stehenden Untersuchungstisch. Bevor sie den Raum genauso Wortlos verließen, drehte sich die Schwester noch einmal zu mir und sagte: „So, Herr Schnepke, Kollege kommt gleich.“

Sie schloss die Tür hinter sich und hinterließ mich, immer noch in leichtem Dämmerzustand, allein in der Stille des Untersuchungsraumes. Ich sah mich um und erwischte mich dabei, wie ich „abcheckte“ ob ich irgendetwas gebrauchen konnte. Aber bis auf eine große Rolle Papier, die auf dem Untersuchungstisch als Fußablage diente und ein paar von diesen Holzspateln, mit dem ein Arzt gewöhnlich in den Hals schaute, gab es nichts Interessantes zu sehen.

Wieder vergingen mindestens 45 Minuten, in denen nichts passierte und ich auch nichts von draußen mitbekam. Mir kam der unweigerliche Gedanke, dass ich hier wahrscheinlich bis zum St. Nimmerleinstag ´rum liegen würde, bis vielleicht durch den Gestank der Verwesung mal jemand drauf kommen könnte, dass hier noch einer war. Ich war schon kurz davor, alle Kraft und jeden Mut zusammenzunehmen und aufzustehen, als die Tür, mit lautem Geschepper aufflog.

Ein Mann, oder sagen wir besser ein „Männchen“, welches sowohl vom Aussehen, als auch von der Stimme her unweigerlich an Rumpelstilzchen erinnerte, trat ein und ließ die Tür mit genauso lautem Geschepper wieder zu fallen. Er sah sich gehetzt um, überlegte angestrengt etwas und kam dann mit breitem Grinsen auf mich zu. „Na du Eimer Scheiße!“ rumpelstilzte er grinsend und unterstützte dies noch mit einem langgezogenen Kichern.

Das ist ganz sicher ein Traum, sagte ich zu mir selbst. Da ich mir aber nicht wirklich sicher war, versuchte ich zumindest halbwegs zu reagieren, bekam aber außer einem perplexen „Ähh, bitte was…?!“, nichts heraus.

„Hast du was an den Horchlöffeln?“, keifte mich das Männchen nun ziemlich laut an. „Ich sagte: Na du Eimer Scheiße!“ und wieder von einem Kichern begleitet fuhr er fort: „Na was haben wir denn hier?“ Mit dieser mehr an sich selbst gestellten Frage begann er meinen Rucksack, der am Fußende des Untersuchungstisches lag zu durchsuchen. Ich war mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich nicht doch träumte, versuchte mich aber aufzurichten und dem Treiben mit einem, recht schüchternen „Moment mal…!“ Einhalt zu gebieten.

„Du hältst mal jetzt schön die Füße still, Eimer Scheiße, klar?! Sonst schneid´ ich dir die Eier ab!“ Und wie um den letzten Satz nochmal deutlich zu unterstreichen, holte er unter seiner Jacke eine Machete hervor, die groß genug war, um die kompletten Tropen damit zu durchqueren.

Na ja, dachte ich noch, wenigstens passiert mal was…

Während Rumpelstilzchen sich weiter an meinem Rucksack zu schaffen machte, überlegte ich, ob es irgendetwas darin gab, was es wert gewesen wäre mich mit einem, eindeutig sich nicht ganz bei sich befindlichen „Macheten-Zwerg“ anzulegen, als ein Krankenpfleger den Kopf zur Tür rein steckte, kurz nickte und den Kopf wieder raus zog, um in den Gang zu schreien: „Ich hab ihn!“

Dann wandte er sich Rumpelstilzchen zu: „Herr Eberding, Herr Eberding…, wie haben sie´s denn heute schon wieder geschafft aus der Station raus zu kommen. Wenn sie nicht artig sind, dann müssen wir sie wieder festbinden …, den ganzen Tag …, wollen wir das wirklich?!“

Er sprach weiter und schaute mich mit einem erwartungsvollen Blick an: „Nein, das wollen wir nicht, oder …?“ Nicht ganz sicher, ob ich wirklich antworten sollte, brachte ich mal wieder nur ein: „… ähmmm, nein wollen wir nich …,“ hervor und bemerkte dabei, dass es sich bei der Machete wohl doch nur um ein Utensil eines Faschingskostüms handelte.

Völlig überraschend schlug der Krankenpfleger nämlich eben diese dem Herrn Rumpelstil …, Eberding, aus der Hand, brachte sich mit einer halben Drehung hinter ihn, trat ihm in die Kniekehle, so das dieser zu Boden ging. Ein Faustschlag ins Genick streckte den kleinen Mann, der mich kurz zuvor noch mit einer Kunststoffmachete angegriffen hatte, gänzlich nieder. Mit dem Knie auf seinem Rücken und begleitet von so etwas wie einem Triumphschrei zog er eine riesige Spritze aus der Kitteltasche und schickte sich an die seinem Opfer in den Hals zu rammen, als wieder die Tür aufging und ein weiterer Krankenpfleger den Kopf zur Tür rein steckte und wiederum nach draußen rief: „Ich hab sie!“

Er hielt den Arm von Krankenpfleger 1 am Handgelenk fest, nahm die Spritze an sich und schüttelte den Kopf. „Ts, ts, ts, ts …, meine Herren!“, richtete er streng das Wort an die Beiden und unterstrich das Ganze mit einem erhobenen Zeigefinger. „Es war die Rede davon, eine halbe Stunde im Garten spazieren zu gehen und dann vielleicht am Kiosk ein Eis essen zu gehen und nicht Schwester Hildegard mit ihren Trombosestrümpfen an eine Bank zu fesseln und das halbe Haus in Aufruhr zu versetzen. Das gibt auf jeden Fall mal drei Tage keinen Nachtisch, das sage ich ihnen gleich, meine Herren!“

„Och nöööööööö …“, meldete sich auf einmal Herr Rumpelstilzchen Eberding, der immer noch unter dem Knie von Krankenpfleger 1 lag. „Nicht den Nachtisch. Morgen gibt’s Erdbeeren mit Schlagsahne …“

„Na das hätten wir uns wohl mal etwas früher überlegen müssen Herr Eberding“, erwiderte Krankenpfleger 2, bei dem es sich nun hoffentlich auch um einen echten handelte, wie ich inständig hoffte. „Wir werden das nachher in der Gruppe nochmal besprechen. Jetzt aber husch zurück auf die Station, bevor ich noch ernsthaft böse werde.“

Damit trollten sich die Angesprochenen, mit hängenden Köpfen, aus dem Untersuchungsraum, während Pfleger 2 sich noch kurz zu mir umdrehte und mit einem „Kollege kommt gleich“ auch verschwand. Dass ich bei der ganzen Sache vielleicht einen Schrecken abbekommen hatte, schien niemanden zu interessieren. Es war wieder so still im Raum wie vorher und ich konnte mich, auch aufgrund der nicht mehr gegebenen Ablenkung wieder ganz meinen Schmerzen hingeben, die jetzt, so hatte ich das Gefühl noch mal etwas heftiger wurden.

Die Faschingsmachete und die riesige Spritze lagen noch neben der Trage auf dem Boden und irgendetwas, weiß der Himmel was, trieb mich dazu, mich seitwärts von der Trage zu rollen und die Spritze vom Boden aufzuheben. Ich sollte die Idee ganz schnell wieder bereuen.

Ein, nicht zu übersehen, sehr gestresster Arzt und eine Krankenschwester, deren Blick ich nun auch nicht gerade als glücklich bezeichnen kann, betraten den Raum. Sie sahen kurz mich, auf der Trage, mit der Spritze in der Hand, an, dann sich gegenseitig, was sie mit einem, mimisch eher angewiderten, Kopfschütteln beendeten und sich der Arzt, ohne mich dabei anzusehen, mir zuwandte.
„Also wenn sie es nur warm und trocken für ihren nächsten Schuss haben wollten, da haben wir wirklich Besseres zu tun!“ Ich war spontan versucht ihm schnell, hart und laut zu antworten: „Das kann ich mir vorstellen du Vollheini!“, brachte aber wiederum nur ein überraschtes „Ähhh, wie …, nein die lag hier auf dem Boden …“
„Kleiner Scherz!“, unterbrach er mich und kicherte in sich hinein, während die Krankenschwester erst kurz mit einstimmte, um mir dann die Spritze aus der Hand zu nehmen und mir eine Nadel, samt Schlauch zu einem Tropf mit Kochsalzlösung, in die Hand zu stoßen, was ein paar Sekunden von dem Schmerz in der Brust ablenkte.

Ich wartete auf einen, in diesen Momenten üblichen, Gott in Weiß gleichen Arroganzausstoß: „Na was haben wir denn für ein Problem?“ und schwankte schon zwischen einer „Mainstream-Antwort“ á la, „Na was Sie für´n Problem haben kann ich nich´ sagen, aber …“ und der Notwendigkeit alles nochmal zu schildern, was man schon bei der Anmeldung erzählt hat. Oder eben dem Sitznachbarn in der Anmeldung.

Meine Erwartung wurde aber jäh enttäuscht, als dieser Fatzke die Kauleiste bewegte: „So Herr Schnepke…“ „Zum allerletzten Mal …!“ schrie ich ihn an und wurde, glaube ich mich jedenfalls zu erinnern, einigermaßen rot im Gesicht. „Ich bin nicht Herr Schnepke und ich hab das heute schon 180 Mal gesagt. Spreche ick Dialekt, oder wat?!“

„Nu schreien sie mich doch nicht so an, Herr Schnep … also Herr …“ „Wellmann!“ schrie ich. „Wellmann! Und ich schreie nicht“, schrie ich noch lauter. „Wenn ich schreien würde, dann würde dit sich anders anhör´n, verstehste?!“ Nun sprach ich wirklich Dialekt.

Also ich will Sie jetzt mal nicht weiter mit den Kleinigkeiten langweilen und fasse zusammen: Mir wurde an ungefähr acht verschiedenen stellen des Körpers, einschließlich der Leiste, Blut abgenommen. Mir wurde ein Schlauch durch den Mund bis in die tiefsten Eingeweide gejagt und an den Füßen leichte Elektroschocks verabreicht.

Als der Typ in seinem „Ich bin unschuldig – Kittel“ aber mit einem Teil ankam, das aussah wie ein überdimensionaler Schaschlik-Spieß und mir das Ding, „um mal was zu überprüfen“ in einen Wadenmuskel stechen wollte, hab ich dankend abgelehnt und hab mich, nun meinerseits recht angewidert kopfschüttelnd, auf den Weg nach Hause gemacht.

Vielleicht, sagen Sie jetzt, ist das ja eine ganz lustige Geschichte gewesen, aber sicherlich wird einem das in der Realität niemals passieren. Und ich sage: „Gut …, wenn sie das glauben wollen“ und verabschiede mich mit der Moral von der Geschicht‘:

Trau dem weißen Kittel nicht!

ENDE

www.oliver-wellmann.de – der eXtremkabarett-blog

„Die Zukunft ist Jetzt!“ – Das Buch

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