Samstag , 20 April 2024
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Methadonpraxis in Deutschland: Mit Suchtkranken Kasse machen

heroinDrogenersatzprogramme, z.B. mit Methadon/Polamidon, sind auf der einen Seite Lebensretter für viele Heroin-Abhängige in Deutschland, auf der anderen aber auch skrupelloses Ausschlachten der Situation von chronisch kranken Menschen, mit einer ungeheuren Verdienstspanne. The Intelligence hatte die Möglichkeit den Tagesablauf eines 50-jährigen, substituierten Mannes im Methadonprogramm mit zu erleben.

Aus ersichtlichen Gründen, vor allem aber zum Schutz der authentischen Personen, haben wir die Namen und die Orte verändert, oder deren Erwähnung einfach vermieden. Handlung und Ereignisse entsprechen aber der Wahrheit, wobei wir für die Aussagen der Protagonisten natürlich keine Gewähr übernehmen können.

Die Aussagen unserer Kontaktperson sind kursiv gehalten.

Junkies sind Frühaufsteher, denke ich immer, wenn ich die zwei Blöcke vom Bahnhof zur Vergabestelle laufe und froh bin, dass ich um diese Uhrzeit überhaupt die Augen aufhalten kann. Überall in den Eingängen der noch geschlossenen Geschäfte, an Straßenecken und vor allem vor einer der unzähligen „Trinkhallen“, oder „Büdchen“, stehen Grüppchen von Leuten, denen man ansieht, dass sie vom Tag nicht mehr viel zu erwarten haben, außer vielleicht einen trockenen Schlafplatz zu finden.

Obwohl es eigentlich so aussieht, ist dies hier aber nicht wirklich die Drogenszene, sondern all diese Leute kommen, oder gehen gerade zur Methadonvergabestelle, der Außenstelle einer Gemeinschaftspraxis eines Allgemeinarztes und eines Psychotherapeuten.

In unserem Fall, in dieser Stadt, gibt es etwa um die 15 niedergelassene Ärzte und die Vergabestelle des Gesundheitsamtes, die eine sogenannte suchtmedizinische Grundversorgung, also Drogenersatzprogramme für abhängig Erkrankte anbieten. Neben der Behandlung mit Methadon/Polamidon gibt es auch noch andere Medikamente wie Subutex, oder Suboxone, die sich durch ihre leicht differenzierten Wirkungen auf den Stoffwechsel des Patienten, bzw., durch ihre Nebenwirkungen unterscheiden. In Deutschland am verbreitetsten ist aber die Behandlung mit Methadon.

In der Woche von 8-9 Uhr, am Wochenende von 10-11 Uhr – und keine Sekunde früher oder später – werden hier in der Vergabestelle, die von außen nur sehr neutral und unauffällig, als zwei Glastüren mit Sichtschutz wahrzunehmen ist, etwa 200 Drogenabhängige mit ihrer Ersatzdroge versorgt. Die Dicke mit der VoKuHiLa Frisur und die Große, die immer schon auf 10 Meter Entfernung nach Alkohol stinkt, stehen an der Ecke Haupt- und Bahnhofstraße und ich höre im Vorbeigehen, wie sie rum jammert: “Ey, nur eine verdammte Diazepam haben die mir im Krankenhaus gegeben. Da hab ich gesagt, ihr könnt mich mal und bin abgehauen. Also verstehste, ich brauch unbedingt was …“

Beikonsum, also zu dem Methadon noch Alkohol, Haschisch, Tabletten (z.B. Benzodiazepine), oder Heroin zu nehmen, ist bei Substituierten nicht selten. Zwar finden, in unserem Fall, etwa alle zwei Wochen Urinkontrollen statt, doch geschieht dies hinter verschlossener Tür und die Urinprobe wird danach nicht im Labor untersucht, sondern lediglich durch einen Kontrollstreifen, ähnlich einem Schwangerschaftstest, auf Opiate überprüft. Beikonsum mit anderen Drogen wird also entweder nicht angezeigt oder sogar einfach nicht beachtet. Und wer sich einigermaßen „schlau“ anstellt, der bringt seinen „sauberen“ Urin einfach von zu Hause mit und stellt diesen zur Kontrolle bereit.

Heute könnte es mal wieder soweit sein und bei uns ist UK (Urinkontrolle) angesagt. Schon eine Straße entfernt höre ich bei einem Grüppchen: „Der Achim kommt gleich, der muss noch abpissen!“ Abpissen, oder Abschlucken sind so Ausdrücke, die ich gar nicht leiden kann. Ich bin entspannt, denn ich habe heute nichts zu befürchten, was ich wahrscheinlich sowieso nicht hätte, denn was sollte bei einer positiven UK schon groß passieren. Klar, die können auf stur machen und mich in ´ne Klinik zum Entzug schicken, aber das wäre dann auch schon das Schlimmste.

Oder sagen wir das Anstrengendste. Aber ich hab ja die Tage nichts genommen, also keine Shore (Heroin). Und wegen rauchen (in diesem Fall Marihuana) haben die noch nie was gesagt. Ich meine, ´n Bisschen was muss einem ja auch bleiben. Trotzdem ist es immer wieder ein gutes Gefühl und mir fällt ein Stein vom Herzen, wenn die doofe Schwester mit ihrer russischen Arroganz sagt, dass bei mir alles ok ist.

Ich wünschte mir, dass ich wenigstens am Wochenende meine Dosis mal mit nach Hause nehmen könnte und nicht jeden Tag in der Woche so früh aufstehen müsste, aber „Take Home“, was mich immer an Latte Macciato erinnert, gibt’s, wenn überhaupt, erst nach sechs Monaten und dann auch nur in Ausnahmefällen.

In anderen Praxen gibt’s Tabletten, deren verschiedene Farben die Milligramm anzeigen. Bei uns gibt’s das Methadon in Partyplastikbechern und wird aus einem Gerät gezapft, das aussieht wie eine Industriekaffeemaschine und computergesteuert die jeweilig zugeordnete Menge für den Patienten, aus 2-Liter Flaschen abfüllt, die wiederum aussehen wie amerikanische Milchflaschen. Die Flüssigkeit hat die Farbe von Urin, und wenn man sie unverdünnt einnimmt, hat man den ganzen Tag noch den bitteren Nachgeschmack im Hals.

Das Methadon den „Suchtdruck“, also den starken Drang Drogen zu nehmen wollen, beseitigt ist auch so ein Märchen. Es ist schon so, dass etwa ab 60 mg pro Tag die erwünschte Wirkung des Heroins abgeschwächt wird, aber ansonsten unterdrückt Methadon lediglich die Entzugserscheinungen, was ja schon mal ´ne ganze Menge ist, denn wer schon mal einen Heroinentzug durchgemacht hat, weiß, welche Hölle das ist. Aber weder ist man von Methadon berauscht, noch nimmt es dir die Gier nach Drogen.

Methadon hat derartig viele Nebenwirkungen, dass ich damit eigentlich genug zu tun habe. Atemnot, Schwindel, Übelkeit, oder Dauermüdigkeit sind nur einige davon. Eigentlich ist die Einnahme von Methadon, über die 3-4 Tage des tatsächlichen Heroinentzugs hinaus, im Grunde Blödsinn und hat, denke ich, da mehr die psychologische Wirkung. Denn Suchtdruck hat man, wie gesagt, auch mit Methadon.

Wenn unsere Informationen stimmen, dann kostet ein mg Methadon, oder Polamidon, je nach Qualität zwischen einem und sieben Euro. Im Falle unseres Gesprächspartners, der eine tägliche Einmalgabe von 80 mg erhält und ausgehend von dem Mittelwert von 4,00 Euro bedeutet das also einen Tagesumsatz von 320 Euro. Wie viel davon der „Konsilliararzt“, also der von der Kassenärztlichen Vereinigung des jeweiligen Bundeslandes, mit der Methadonvergabe beauftragte Arzt, in seine eigene Tasche stecken kann, können wir zu diesem Zeitpunkt der Recherche noch nicht mit Sicherheit sagen, aber es wird sicherlich keine unbedeutende Summe sein. Zumal sich diese Summe ja dann auch noch vervielfacht.

Im Falle eines, vor Kurzem erschienen Berichts, über den einzigen „Methadonarzt“ in Heilbronn zum Beispiel, sind das 250 Patienten/innen am Tag. Hier ist die Lage auch nochmal besonders prekär, denn in Heilbronn waren im Jahre 2011, bei der Suchtberatungsstelle exakt 788 Klienten gemeldet, das heißt, hier ist der Bedarf noch viel, viel höher, was dadurch zustande kommt, dass sich die meisten Ärzte nicht mit Drogenabhängigen Patienten „belasten“ wollen. Doch dies ist ein anderes Thema, auf das wir an anderer Stelle noch ausführlicher eingehen wollen.

Ich hab mir die 80 mg ja im Grunde selbst zurecht dosiert. Und wenn ich dran denke, wie alles angefangen hat …, da hätte eigentlich jeder kommen können. Als ich zum ersten Mal in die Praxis kam, erklärte mir die arrogante russische Arzthelferin, es wären noch Plätze frei und ich könnte morgen anfangen.

Wenn ich nicht drauf bestanden hätte, hätte ich an diesem Tag den Arzt nicht mal gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen. Ich musste nur einen schlecht kopierten Fragebogen ausfüllen, wo ich mir alles gut zurechtlegen und lügen konnte, denn da an diesem Tag auch keine Urinkontrolle stattfand, konnten die auf keinen Fall wissen, wie viel Heroin ich zu der Zeit am Tag nahm.

Ein paar Tage später wurde mir dann mal Blut abgenommen, aber auch darüber habe ich kein Wort mehr gehört. Aber ich denke, wenn ich HIV infiziert wäre, oder Hepatitis, oder so was hätte, dann hätten die schon was gesagt, hoffe ich jedenfalls. Das Ganze kam mir also, besonders nach dem kurzen Gespräch mit dem Arzt, irgendwie vor als hätte ich nur den Dealer gewechselt, mit dem Vorteil, dass der Jetzige wirklich jeden Tag zur vereinbarten Uhrzeit da war und auch „Stoff“ hatte.

„Du machst mir keinen Ärger, dann geb´ ich dir jeden Tag dein Methadon!“, so war die Vereinbarung mit dem Mediziner.

Angefangen haben wir dann mit 30 mg am Tag, was viel zu wenig war und so war ich, ohne jeden Widerspruch innerhalb von einer Woche auf 70 mg, später dann auf 80 mg am Tag.

Im Laufe der Interviews und Gespräche und je tiefer wir uns mit diesem Thema befassen, wird unsere Position immer zwiegespaltener. Auf der einen Seite empört es uns, wie hier mit menschlichem Leben und Leid umgegangen wird, wie Profit aus einer unheilbaren Krankheit geschlagen wird und auf der anderen Seite erleben wir sehr traurige Schicksale und müssen uns eingestehen, dass es für viele hier die letzte Rettung ist, weil irgendwie alles besser ist, als „drauf“ zu sein. Und auch besser als sich den ganzen Tag entweder mit der notwendigen Beschaffungskriminalität zu beschäftigen, oder die unbeschreiblichen Zustände und die Schmerzen des Entzugs zu ertragen.

Doch so sehen wir junge Mütter, die sich mit Hilfe der Substitutionsbehandlung um ihre Kinder kümmern können und andere, die zumindest einen halbwegs geregelten Tagesablauf haben, was auch der sogenannten PsB, der Psychosozialen Betreuung, durch die Sozialpädagogen der zuständigen Drogenberatungsstellen, zu verdanken ist.

Etwa einmal im Monat muss ich zur PsB. Oder was heißt muss, ich geh da ganz gerne hin. Denn erstens kann mir der Sozialarbeiter bei vielen Dingen, was Ämter betrifft oder so, wirklich helfen und zweitens kann man mal mit jemandem quatschen der nicht entweder selbst betroffen, oder dicht ist und man muss sich da nicht mit Vorurteilen, oder sogar Vorhaltungen abgeben. Die haben auch alle Adressen von Stellen, wo man Hilfe bekommt, oder wo es Frühstück für Hartz IV Empfänger gibt, oder wo man billig Klamotten bekommt. Da ist halt jemand der genau weiß, in welcher Situation du bist, irgendwie ein Verbündeter im gesunden Sinne kann man sagen. Natürlich kann man das nicht mit Therapie vergleichen, aber die ist bei mir sowieso durch. Zwei hab ich schon gemacht. Beide eigentlich sehr erfolgreich und einige Zeit danach hab ich auch ein recht „normales“ Leben geführt, aber irgendwann, irgendwie, irgendwo war dann doch wieder die Gelegenheit da. Der erste Joint, der erste Smack.

Wenn du aufhören willst, dann bekommst du hier auch echt viel Hilfe. Du musst sie dir schon holen, also keiner kommt zu dir und nimmt dich auf den Arm. Aber wenn du dich kümmerst, dann gibt’s auch genug an Angeboten. Keiner muss wirklich auf der Straße leben, wenn er es nicht will.

Eine dritte Seite der Medaille, wenn man so will, stellt dann der Personenkreis dar, die das System für ihre Zwecke angepasst haben. Die es also irgendwie schaffen das Methadon doch raus zu schmuggeln und ein paar Meter weiter, auf der „Scene“ zu verkaufen, um sich dann selbst wieder Heroin oder andere Drogen davon zu kaufen. Ein wahrhafter Teufelskreis, der an den verschiedensten Stellen seine Verdienstmöglichkeiten bietet.

Substitution bietet aber natürlich auch die Möglichkeit der Kontrolle, denn als Patient in einem Substitutionsprogramm ist man fein säuberlich registriert, den Behörden schon mal bekannt und potenziell verdächtig. Nicht zu bestreiten ist die Eindämmung der Beschaffungskriminalität. In welchem Maße diese Eindämmung nun wirklich zutage tritt, wäre vielleicht an anderer Stelle auch noch mal zu untersuchen. Ob und in welchem Maß wir das tun, ob wir das Thema Sucht noch ausweiten, hängt wohl auch vom Interesse unserer Leser ab. Lassen wir, zum Schluss dieses Artikels, unseren Gesprächspartner nochmal zu Wort kommen.

Wenn ich könnte, also wenn ich wüsste, es ist immer was da und ich bräuchte nie Angst haben vor dem Entzug, dann würde ich wohl ohne Frage weiter Heroin nehmen. In meinem Fall hat das auch noch mal einen ganz anderen Hintergrund. Ich bin, wie man sagt polytoxikoman, also ich bin, außer vom Heroin noch von anderen, eigentlich kann man sagen von allen Drogen abhängig, denn es geht bei mir weniger darum, welche Droge ich nehme, sondern es ist der Rausch und das damit verbundene Körpergefühl, das ich haben will. Was ich brauche um nicht irre zu werden. Aber Heroin ist nun mal mit keiner anderen Droge vergleichbar, denn so hinterhältig und tückisch das auch ist, hat der Heroin Rausch für mich persönlich alles, deckt alles ab. Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben könnte.

Ich meine, was will ich denn auch noch machen? Die zwei Therapien waren gut und für mich lebenswichtig, haben aber letztendlich nur die Erkenntnis gebracht, dass ich unheilbar suchtkrank bin und die einzige Möglichkeit für mich ist, ein halbwegs normales, erträgliches Leben um diese Krankheit herum zu bauen. Mal abgesehen von dem ganzen anderen Scheiß, den Magengeschwüren, der chronischen Bronchitis und was nicht noch alles.

Was will ich denn noch groß machen, mit 50 Jahren, mit der körperlichen Fitness eines 90-Jährigen, nach einem schweren Verkehrsunfall. Mit mehr Schulden als Griechenland und nur´n Dach über´m Kopf, weil der alte Freund mich in dem Zimmer wohnen lässt. Was willste denn da groß machen? Schadensbegrenzung und zusehen, wie du einigermaßen über den Tag kommst, sonst machste da erst mal nix mehr.

Ob Methadon gut ist für Heroinanbhängige? Ich weiß nicht, aber ich lebe noch.

Sicherlich konnten wir hier nicht auf alles eingehen, was zu diesen Thema wichtig gewesen wäre. So zum Beispiel auch nicht auf die Unterschiede zwischen Methadon und L-Polamidon. Wir bitten Sie deshalb, bei Interesse selbst um Recherche. Sollten Sie selbst betroffen sein und vielleicht nicht wissen, wie sie den ersten Schritt machen sollen, um sich Hilfe zu suchen, so schreiben Sie uns bitte, gerne anonym. Vielleicht können wir Ihnen, mit Adressen oder Ansprechpartnern in ihrem Umfeld dabei helfen.

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