Für viele Menschen in Deutschland lassen Arbeitslosigkeit und Armut, Obdachlosigkeit und Einsamkeit, freundliche Weihnachtsmarktstimmung wie blanke Ironie erscheinen. Die winterliche Adventszeit, besonders die Weihnachtsfeiertage, sind für sie oft nur schwer zu ertragen. Das Schenken und Beschenktwerden an Heiligabend entfällt meist. Dafür fehlt es weniger am Sinn für diese Tradition als im Geldbeutel. Weihnachtsgeld gibt’s eben keines und der Regelsatz reicht im Normalfall schon nicht bis zum Monatsende.
In den letzten Jahren wurde die Gefühlswelt von Millionen armutsbetroffenen Mitbürger zusätzlich bis auf das Äußerste belastet, wie etwa durch den „sozialen Kälteeinbruch“ im Dezember 2007, oder durch die Forderung einer Regelsatzkürzung um fast ein Drittel (!) – drei Tage vor Weihnachten 2009.
In diesem Jahr tritt nun eine Initiative – ganz bewusst unmittelbar vor Weihnachten – an die Öffentlichkeit, die mit ihrer Projektidee ‚Soziales Dorf‘ ein Zeichen der Hoffnung setzen will, dass es in Deutschland auch anders gehen kann – anders vor allem für die Verlierer falsch verstandener sozialer Marktwirtschaft. Denn Wirtschaft, Arbeitswelt und Gemeinwesen müssen für die Menschen da sein, meinen die sozial Engagierten, und zwar für alle Menschen ohne Ausnahme und zitieren eine junge ökosoziale Unternehmerin aus Augsburg: „Wir müssen Menschen nehmen wie sie sind. Es gibt keine anderen.“
Nachbarschaftswohnprojekt in ländlicher Region
Die Grundidee für das ‚Soziale Dorf im Mühlenkreis‚ ist einen großflächigen Bauerhof im Kreis Minden-Lübbecke (NRW) zu erwerben, die Landwirtschaft auf Ökoanbau umzustellen und das Anwesen zu einem modernen ländlichen Gemeinschaftswohnprojekt umzubauen. Eine Ökokantine wird den Bewohnern gesunde Biogerichte zu allen Tageszeiten und ein Hofladen, Lebensmittel und Erzeugnisse aus eigenem Anbau oder bevorzugt aus der Region, anbieten.
Für die sozialen und kulturellen Bedürfnisse soll ein großzügiges Dorfzentrum Räumlichkeiten und verschiedenste Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung bereitstellen. Nach den bisherigen Überlegungen werden das in jedem Fall eine Cafeteria mit Außenbereich, Gemeinschaftsräume für geselliges Beisammensein, Filmvorführungen oder Fernsehen, eine Bibliothek sowie Bastel- und Werkräume sein. Weitere Anregungen für Gestaltungsdetails sind sehr willkommen.
Eigenständiges Wohnen, Sozialpreise und Mobilität
Es soll eine Wohlfühlatmosphäre in ländlicher Umgebung entstehen, eine Lebenssituation, die schon aus sich selbst heraus gesundheitsfördernd wirkt. Denn Gesundheitsvorsorge für sozial benachteiligte Menschen auf positiven ganzheitlichen Wegen ist zentrales Anliegen der Projektidee. So richtet sich das Angebot Gemeinschaftswohnen, Leben und ggf. Arbeiten im späteren Sozialen Dorf an Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit, Armut und chronischer Erkrankung. Bei den Überlegungen für das Wohnen war von Anfang an eine Lebensraumsituation in nachbarschaftlicher Nähe das Ziel – ausdrücklich keine eher einengenden Wohngemeinschaften. Die spätere bauliche Umsetzung soll eigenständiges selbstbestimmtes Wohnen in einer dorfähnlichen Gemeinschaft verwirklichen.
Damit ein Umziehen und dauerhaftes Wohnen und Leben im späteren Dorfprojekt für Menschen im Regelsatzbezug tatsächlich machbar ist, werden die Mietkosten für Wohnraum für alle Betroffenen an die geltenden sog. ‚Kosten für Unterkunft‘ (KdU) des Sozialgesetzbuches angepasst. In Dorfkantine, Hofladen und ggf. anderen „Bezahlbereichen“ gelten für sie Sozialpreise.
Um die Mobilität der Bewohner sicherzustellen, werden dorfeigene Kraftfahrzeuge angeschafft, die im Carsharing-Verfahren genutzt werden können. Dabei wird es sich um moderne umweltfreundliche Fahrzeuge handeln, entsprechend dem ökologischen Anspruch der Landprojektidee, und Fahrräder werden selbstverständlich auch nicht fehlen.
Entwicklungsgeschichte der Idee
Die Projektidee ist bereits im Herbst 2005 im Zuge der Einführung des Arbeitslosengeld II. entstanden und hat sich seither kontinuierlich zu einem umfassenden ökosozialen und nachhaltigen Konzept weiterentwickelt. Durch die in Deutschland allgemein vorherrschende Stimmung von „faulen Arbeitslosen“, gestaltete sich das anfängliche öffentliche Interesse etwas verhalten. Dies hielt den Ideengeber Detlef Müller jedoch nicht davon ab, das sozial, ökologisch und ökonomisch ausgerichtete Dorfkonzept im Februar dieses Jahres mit Hilfe der Sozialen Medien, schwerpunktmäßig via Twitter, auch überregional in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Die zunehmend positive Resonanz führte dazu, dass seit März 2010 aus dem „Ein-Mann-Projekt“ nunmehr eine Initiative engagierter Köpfe entstanden ist, die sich zusehends an weiteren interessierten Unterstützern auf bundesweiter Ebene, erfreut.
Interessen und Aktivitäten unterstützen – Gesundheit fördern
Längere Zeit ohne sinnvolle Beschäftigung leben zu müssen, bewirkt bei vielen Betroffenen sicherlich, dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Keine Arbeit zu haben bedeutet heutzutage jedoch nicht „nur“ soziale Ausgrenzung, sondern zieht für die Betroffenen neben weitreichenden finanziellen auch gesundheitliche Probleme nach sich. Langzeitarbeitslose und chronisch Kranke können „ein Lied davon singen“. Denn als Dauerzustand führen das Nichtgebrauchtwerden und die fehlenden sozialen Kontakte, erwiesenermaßen bei vielen der Betroffenen zu psychischen Störungen und Depressionen.
Die eigenen Interessen zu unterstützen und neue Aktivitäten der Dorfbewohner zu fördern, ist ein wichtiger Ansatz im Dorfkonzept, um den vorgenannten Problemen entgegenzuwirken. Das Angebot soll breitgefächert, insbesondere auch speziell nach den Wünschen und Anregungen der Dorfbewohner gestaltet werden. Neben sog. soziokultureller Animation, sind praktische Workshops wie mediterranes Kochen, Ökogartenbau oder andere Themen, eine Internetlernwerkstatt, ein mögliches überregionales Medienprojekt ‚Das Soziale Dorf im Netz‘ und vieles mehr, vorstellbar.
Laut jetzigem Planungsstand sollen auf Grund der bisherigen Gestaltungsvorschläge ca. 60 Arbeitsplätze entstehen. Der vorgesehene Biobauernhof, der angegliederte Hofladen sowie die Ökokantine bieten nachhaltige Beschäftigungsmöglichkeiten. Weitere angedachte Arbeitsplätze in der Landherberge, der Werkstatt, als Hausmeister, im Verwaltungs- und Organisationsbereich, für Webarbeiten sowie die heutzutage ganz wichtige Öffentlichkeitsarbeit, runden das Beschäftigungsangebot im späteren Sozialen Dorf ab.
Überwinterung für Menschen ohne Wohnung
Ein neueres Projektanliegen ist durch eine aktuelle Meldung über Obdachlose im Winter aufgekommen. In dem Artikel wurde daran erinnert, dass bei starker Kälte für Menschen ohne feste Bleibe ernste Gefahr für Gesundheit und Leben besteht. Daraus ist in der Initiative die Idee entstanden, im Dorfkonzept ein Winterhaus aufzunehmen, das Obdach- und Wohnungslosen ein menschenwürdiges Überwintern anbietet. Das Winterhaus soll von Oktober bis April geöffnet sein, gesunde Vollverpflegung, warme ordentliche Unterkunft und sonstige Räumlichkeiten bereitstellen.
Keine Frage, Menschen vom äußersten Rand der Gesellschaft stellen eine erhebliche Belastung für das Gemeinschaftsleben im späteren Sozialen Dorf dar. Für das nicht zu unterschätzende Problem stark erhöhter Alkohol- und Drogenbelastung unter Obdachlosen und Wohnungslosen, werden derzeit konkrete Überlegungen angestellt; Lösungsansätze sind bereits in Sicht.
„Hier gilt es, menschliche Stärke zu beweisen, dieser schwierigen sozialen Aufgabe nicht auszuweichen“, meint Initiativenmitglied Christine dazu.
Weihnachten für Alle
Der Großteil der Bevölkerung wird Weihnachten im Kreise der Familie oder zusammen mit Freunden verbringen. Diese familiäre Festtagsstimmung bleibt vielen Menschen unter uns leider verwehrt, sie werden die Weihnachtsfeiertage völlig einsam und alleine sein, ohne Festtagsbraten, Weihnachtsplätzchen oder gar Geschenke. Gerade auch durch den uns dominierend auferlegten hektischen Konsumrausch, finden in Armut Lebende und gesellschaftlich Benachteiligte auch zur Weihnachtszeit immer weniger Beachtung durch die Allgemeinheit. Doch gerade beim Fest der Liebe und Familie, und leider auch dem kommerzialisierten Fest des Schenkens, sollten auch sie in den Fokus des Geschehens gerückt und ebenfalls bedacht werden. Besinnliche und auf das Wesentliche ausgerichtete Weihnachten, auf das was wirklich wichtig ist, ist der Schlüssel zum Glück: An andere denken, statt maßlos zu schenken!
Niemand sollte auf Grund mangelnder Arbeit, bestehender Armut und chronischer Erkrankung, soziale Ausgrenzung und Vereinsamung erfahren. Als Rezept gegen die fortwährend voranschreitende soziale Kälte, könnte man das ganze Jahr über ein Stück Weihnachten verbreiten und Anderen ein wenig Zeit, unterstützende Hilfe und ein offenes Ohr für ihre Belange widmen. Soziale Integration, menschliches Miteinander in einer menschenwürdigen Umgebung – die Umsetzung dieser Grundbedürfnisse eines jeden Einzelnen, liegt der Initiative Soziales Dorf besonders am Herzen und man versucht durch gemeinsames Engagement, sozial Benachteiligten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ermöglichen.
„Unser Weihnachtsgeschenk an die Menschen im Land ist, die Idee ‚Soziales Dorf‘ – eine neue soziale Vision“, so die Initiative. Der Ideengeber aus Ostwestfalen fügt hinzu: „Visionen sind lebendige und mutige Vorstellungen von der Zukunft. Sie sind keine Phantasie!“
Unser Wunsch ist, das Weihnachtsfest recht bald in gemeinschaftlicher Gemütlichkeit mit den zukünftigen Dorfbewohnern feiern zu können und hoffen, dass unsere Vision der Beginn einer neuen sozialen Idee ist, damit stimmungsvolle Weihnachtsfreude in naher Zukunft ALLEN MENSCHEN zuteil werden kann.
Das ist unser Wunsch und dafür setzen wir uns ein!
Frohe Weihnachten, Initiative für ein Soziales Dorf
Ein Gastbeitrag von Maria Herzger und Detlef Müller