Mittwoch , 24 April 2024
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Warum wird im Religionsunterricht nicht Religion gelehrt?

ganesha 250Der Titel dieses Beitrages mag verwirrend klingen. Doch handelt es sich bei Religion um einen Überbegriff, der wesentlich mehr zum Inhalt hat als die Glaubensgeschichte und die Dogmen einer einzelnen Religionsgemeinschaft. Immer öfter sprechen wir von einer Weltgemeinschaft. Doch wie sollten wir die Denkweise unserer Mitmenschen auch nur annähernd verstehen, wenn wir keine Ahnung davon haben, wie diese die Welt betrachten? In modernen Schulklassen finden sich Angehörige der verschiedensten Religionen, werden zu gemeinschaftlichem Denken erzogen, doch, sobald ihre Glaube angesprochen wird, erfolgt eine strikte Trennung.

Beginnen wir mit einem vergleichbaren Beispiel: dem Geschichtsunterricht. Zweifellos liegt der Schwerpunkt in der historischen Entwicklung des eigenen Landes, gefolgt von dessen Umfeld. Doch wird der Rest der Welt deswegen ignoriert? Werden China und Japan, Mesopotamien und Persien nicht zumindest angeschnitten, um ein gewisses Verständnis dafür zu schaffen, wie diese Regionen zu dem wurden, was sie heute sind?

Spielt nicht die Denkweise der Menschen, die unbestreitbar von religiösen Vorstellungen geprägt wurde, und in vielen Teilen der Welt auch heute noch geprägt wird, eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Kultur und Lebensweise? Auch unsere eigene Tradition stand über viele Jahrhunderte hinweg zum überwiegenden Teil unter den Einflüssen der christlichen Lehre. Auch Isaak Newton formte sein Weltbild unter christlichen Einflüssen, ebenso wie die großen Dichter und Denker, die unsere europäische Zivilisation zu dem werden ließen, als was wir sie heute kennen. Dementsprechend formte islamisches Gedankengut die arabische Welt. Die vedischen Lehren die indische. Die Lehren von Buddha, Konfuzius und Lao-Tse die chinesische. All diese Einflüsse lassen sich nicht durch eine plötzliche geforderte Umkehr zu rein rationalem Denken auslöschen. Und selbst moderne materielle Weltbilder unterscheiden sich, ihren Wurzeln entsprechend, voneinander.

Als die weltweit größte Glaubensgruppe wird, mit mehr als zwei Milliarden Anhängern, die christliche angeben. Gefolgt vom Islam mit rund 1,3 Milliarden Gläubigen, 850 Millionen Hindus und 375 Millionen Buddhisten (Angaben aus dem Jahr 2005). Die einzelnen Religionen sind wiederum in unzählige Untergruppen geteilt, die in ihren Grundkonzepten zwar deutliche Parallelen aufweisen, was aber keineswegs bedeutet, dass diese Gruppen nicht blutige Feindschaften gegeneinander entwicklen können. Diesbezüglich sei an den Dreißigjährigen Krieg in Europa erinnert oder an die Fehden zwischen Sunniten und Schiiten, wie sie derzeit im Irak regelmäßig Todesopfer fordern.

In der Regel üben ältere Glaubenskonzepte ihren Einfluss auf das Entstehen neuer Religionen aus. Zweifellos wurzelt der Buddhismus in jenen Lehren, die heute als Hinduismus bezeichnet werden. Bevor der Buddhismus im 8. Jahrhundert in Tibet Einzug hielt, folgten die dortigen Bergbewohner wesentlich älteren Glaubensformen, denen zum Beispiel die „rasenden Gottheiten“ entstammen, wie sie im „Totenbuch der Tibeter“ mehrfach beschrieben werden.

isis horus 250Obwohl das Christentum, trotz der Spaltung in Katholiken, Orthodoxe, Lutheraner, Englische Hochkirche, Mormonen, Baptisten, Quäker, Evangelikaner und noch viele andere, einen Exklusivitätsanspruch erhebt, sind die Einflüsse anderer Religionen unübersehbar. Dies bezieht sich nicht bloß auf den in Palästina zu Zeiten von Jesus Christus verbreiten Mosaischen Glauben, es finden sich auch Elemente aus Ägypten. Das Bild zeigt eine Statue der Göttin Isis mit ihrem Sohn Horus. Erinnert dies nicht an die bekannten Darstellungen von Maria mit dem Jesuskind?

Auch wenn allgemein angenommen wird, dass der Gebetsabschluss „Amen“ hebräischen Ursprungs sei, so handelt es sich dabei doch um den Namen der absoluten Gottheit (auch „Amon“ oder „Amun“ geschrieben) in ägyptischen Konzepten. Dieser könnte wiederum mit dem Sanskritbegriff „brahmen“ etymologisch verwandt sein, was ebenfalls „absolut“ bedeutet.

Auch beim Konzept der Dreifaltigkeit handelt es sich um keine Neuerscheinung in der christlichen Lehre. Die indische Trinität besteht aus Brahma, dem Schöpfer, Shiva, dem Erneuerer, und Vishnu, der ausgleichenden Kraft. Auch wird die Taufe, die rituelle Waschung im „heiligen“ Fluss Ganges, in Indien noch heute von vielen Millionen praktiziert. Was nicht bedeutet, dass der Ursprung der christlichen Taufe direkt in Indien wurzelt. Johannes der Täufer soll der Sekte der Essener angehört haben, die eine von den Pharisäern unterschiedliche Glaubensform praktizierte, die unter Umständen den ägyptischen Wurzeln des Judentums mehr Berücksichtigung entgegenbrachte.

An Universitäten gibt es das, den Geisteswissenschaften zugeordnete, Fach der „vergleichenden Religionsforschung“. Kommen wir jedoch auf den Religionsunterricht in den Schulen zu sprechen, so wäre das dortige Ziel in erster Linie, junge Menschen überhaupt einmal mit den verschiedenen religiösen Konzepten vertraut zu machen. Altkanzler Helmut Schmidt drückte in einer ARD-Sendung (mit Peter Scholl-Latour und Reinhold Beckmann) einmal seine Verwunderung darüber aus, dass kaum ein Deutscher weiß, dass Jesus und dessen Mutter Maria auch von Muslimen verehrt werden.

Bevor sich junge Menschen ihrer beruflichen Ausbildung widmen, geht es doch erst einmal darum, eine Bildungsbasis im Sinne von Allgemeinwissen zu schaffen. Wie kommt es, dass zwar jeder Teenager in Sekundenschnelle Indien auf einer Landkarte findet, gleichzeitig aber nicht die geringste Ahnung davon hat, wie eine Milliarde Inder denkt. Die überwiegende Mehrheit lebt nach den vedischen Lehren. Neben mehr als 130 Millionen Muslimen gibt es noch rund 23 Millionen Sikhs, eine im 15. Jahrhundert entstandene, an den Islam angelehnte, Glaubensrichtung.

puri temple indiaNatürlich würde es zu weit reichen, sich mit den unzähligen Göttern näher zu befassen, auch wenn einzelne Geschichten durchaus interessant sind. Doch was ist an diesem hinduistischen Glauben so faszinierend, dass unzählige Millionen von Menschen regelmäßig in die Tempel pilgern? Für Hindus sind ihre Götter ebenso real wie für uns im Westen die Zahlen auf unseren Bankkonten. Und warum sind es der Götter so viele? Sollte es nicht von allgemeinem Interesse sein, zu wissen, dass auch für Hindus im Zentrum ein einziger Schöpfergott steht? Dass es sich bei allen anderen Gottheiten um Reflektionen handelt, so wie es auch im Christentum Engel und Heilige gibt, die angebetet werden? Sollte es nicht ebenfalls zum Allgemeinwissen gehören, dass die Lebensgeschichte von Krishna Parallelen mit der von Jesus aufweist? So wie Josef und Maria nach Ägypten flüchteten, um Jesus vor Herodes zu schützen, musste Krishna vor dem böswilligen indischen König Kansa in Sicherheit gebracht werden, nachdem dieser durch eine Prophezeiung erfuhr, dass ihn ein Sohn seiner Cousine Devaki, Krishnas Mutter, eines Tages stürzen werde.

Das Kernbuch der vedischen Literatur trägt den Namen Bhagavat Gita. In nicht mehr als 18 Kapiteln klärt Krishna den Kriegshelden Arjuna über die Essenz des Seins auf. Wie kommt es, dass die meisten von uns diesen Begriff „Bhagavat Gita“ ihr ganzes Leben noch nie gehört haben? Dabei handelt es sich übrigens um einen Text, der es durchaus verdient, näher studiert zu werden. Wer auch nur über einen Anflug an nicht-materiellen Interessen verfügt, dem verspreche ich, dass ihm schon beim ersten Lesen dieses Textes Dutzende von Aha-Erlebnissen wiederfahren werden. (Bei den ersten drei Kapiteln handelt es sich um eine etwas langatmige Einführung. Eine oft geäußerte Empfehlung lautet, bei Kapitel 5 zu beginnen und den Anfang erst nachträglich zu lesen.)

Dem Buddhismus habe ich schon vor längerer Zeit eine etwas ausführlichere Erklärung gewidmet. Auch über Yoga, einer angewandten Form der vedischen Lehre, habe ich bereits mehrere Artikel geschrieben.

Worum es bei einem allgemeinen Religionsunterricht jedoch in erster Linie ginge, wäre das Befreien der verschiedenen Lehren von ihren Äußerlichkeiten und Dogmen. Solange so gut wie nichts über den Rest der Welt, über andere Ideologien und Denkweisen, bekannt war, fiel es nicht schwer zu glauben, dass Jesus der „einzige Sohn Gottes“ sei und dass es sich bei seinen Lehren um die einzigen Offenbarungen des Schöpfers handelt. Doch, wie kann in modernen Zeiten, bei all den internationalen Verkettungen, der Exklusivitätsanspruch einzelner Religionen aufrecht erhalten werden?

Hier möchte ich übrigens einflechten, dass weder Buddhisten noch Hindus ein Problem mit der Existenz anderer Religionen erkennen. Jesus oder Mohammed sind eben später erschienene Lehrer, Avatare oder Erleuchtete. Und wenn wir die Aussagen all der bekannten Religionsgründer im Kern vergleichen, so zeigt sich kaum ein Widerspruch. All die Feindschaften sind erst unter späteren Gefolgschaften entstanden, die darauf pochten, dass jeweils der eigener Lehrer der beste, der einzige und der unfehlbare ist.

Ich würde, wenn ich die einzelnen Religionen in Vergleich stelle, sogar noch einen Schritt weiter gehen. Wie schon an anderer Stelle erwähnt, so finden sich dank der Quantenphysik auch wissenschaftlich fundierte Konzepte, die es erlauben, ein Weltbild entstehen zu lassen, das Wissenschaft und Religionen, sofern diese von ihren Dogmen bereinigt werden, vereinigt. Auch die Gehirnforschung bietet immer mehr Anhaltspunkte für eine neue Betrachtungsweise der Realität, wie Adnan Sattar in seinem Buch „Was ist Bewusstsein“ ausführlich erklärt.

Natürlich steht es jedem Menschen, ungeachtet ob jung oder alt, frei, sich für die Kernaussagen der Weltreligionen persönlich zu interessieren. Doch dienen Erziehung und Bildung nicht erst einmal dazu, die verschiedenen Wissensgebiete dem Heranwachsenden näher zu bringen, Interesse zu wecken? Wie sollte ein junger Mensch denn von selbst auf die Idee kommen, dass das Studium religiöser oder religionsphilosophischer Konzepte durchaus bereichernd sein kann?

In einer Welt, in der die einzelnen Kulturen einander immer näher rücken, erachte ich es sogar als verantwortungslos, es zu unterlassen, junge Menschen zum Studium des wichtigsten aller kulturgeschichtlichen Elemente anzuregen. Den Entscheidungsträgern im wirtschaftlichen Bereich mag an einer tatsächlichen Bildung der jungen Generation vielleicht nicht so sehr gelegen sein. Deren Interessen beschränken sich auf Arbeitskräfte und Konsumenten für die Zukunft. Doch wie sieht es mit den Repräsentanten des Staates aus? Gibt es nicht ein Bundesministerium für Bildung und Forschung?

Allerdings, auch den Würdenträgern jener Religionen, deren Existenz vorwiegend auf der Erhaltung von Dogmen basiert, kann an einer diesbezüglichen Aufklärung der Jugend wohl kaum gelegen sein. Sie würden darüber klagen, dass der Geist dieser Menschen, die zu ihren Getreuen erzogen werden sollen, durch heidnische Konzepte oder was auch immer vergiftet werde. Doch glauben wir letztendlich nicht alle, dass wir über derartige Bedenken schon lange erhaben sein sollten? Wäre es nicht Teil der Freiheit des Individuums, nach dem Sammeln ausführlicher Informationen selbst darüber zu entscheiden, ob oder welcher Religion er oder sie sich aus eigenem Willen und Antrieb verschreibt? Würde das bessere Verstehen des Nachbarn, des Mitbürgers, nicht automatisch zu mehr Harmonie in der Gesellschaft führen? Und vielleicht wäre eines Tages sogar auch diese strikte Abgrenzung zwischen den verschiedenen Denkweisen überwunden, die zwangsweise immer wieder zu Konflikten führt. Durch Bildung das religiöse Denken unserer Mitbürger, die anderen Kulturkreisen entstammen, näher kennenzulernen, dabei könnte es sich um einen ersten, gleichzeitig aber auch um einen wesentlichen Schritt in eine friedvolle Zukunft handeln.

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