Donnerstag , 28 März 2024
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Satanismus in Deutschland: Eine schaurige Realität

pentagram_downwardsSeine Kutte hat er verbrannt, den rituellen Dolch als Zeichen endgültiger Lösung von der Vergangenheit in die Donau geworfen. Aber ein wohl im intimen Kreis aufgenommenes Foto zeugt von Peter R.s Vergangenheit als Satanist: Dunkler Umhang, schwarze Kontaktlinsen, die den Blick stechend machen, schwarz umrandete Augen. Eine Vergangenheit, die ihm zum Verhängnis wurde. – Für die Gesellschaft ist der heute 26-Jährige ein Versager, der es sich mit Hartz IV bequem gemacht hat. Für die Eltern ist er ein Schmarotzer. Sie haben den Kontakt abgebrochen. Für die ehemaligen Schulkameraden ist er der einstige Außenseiter, der es auch im Leben zu nichts gebracht hat. Für das Arbeitsamt ist er ein Fall, der schwer zu vermitteln ist. Seine ehemalige Lebensgefährtin und einige enge Freunde kennen seine Geschichte, wissen aber nicht, wie sie helfen sollen. Die Medizin attestiert R. gesundheitliche Probleme, die ihm ein normales „Funktionieren“ unmöglich machen: Vor einiger Zeit wurden bei Peter R. organische und anorganische Insomie (chronische Schlaflosigkeit) diagnostiziert, außerdem eine zyklische manische Depression, mit ausgeprägten Hoch- und Tiefphasen. Doch wer ist Peter R. wirklich?

Während des ersten Teils unseres Gesprächs sitzt er auf der abgeschabten Couch in seiner Zweizimmer-Wohnung. Er trägt Jeans und ein Metal-Shirt und wirkt ruhig und gesprächsbereit. Seinen linken Oberarm ziert eine halbnackte Frau, den rechten ein Drachen. Die dunkelbraunen Haare hat er sich erneut wachsen lassen und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden: „Als ich sie damals abgeschnitten habe, war das ein Versuch, sich an die Gesellschaft anzupassen“, erklärt er. Damals – das war die Zeit nach dem Satanismus. Ein Anpassungsversuch, der fehlgeschlagen ist. R. geriet in Konflikt mit Meister und Kollegen, musste seine Lehre abbrechen, konnte aufgrund mangelnder Ausbildung beruflich nicht Fuß fassen.

Die Wände in der Wohnung sind mit Postern bedeckt: Verspielte Gothic-Liebespaare, Symbole nordischer Mythologie. Schließlich beginnt er zu sprechen. „Ich war lange in einem satanistischen Zirkel“, erzählt er mit leiser Stimme, „angefangen hat es mit 17.“ Bei einem Konzert sei er von zwei Männern auf der Toilette überwältigt und missbraucht worden. Wenn er daran denke, habe er immer noch den Geruch von Erbrochenem und Blut in der Nase. Und seitdem habe er große Probleme mit dem Schließmuskel.

Nach Intervention eines Freundes, der später sein bester Freund werden sollte, schloss sich Peter R. nach diesem Vorfall einer satanistischen Gruppe an. „Damals hatte ich nur Rache im Sinn“, reflektiert er seine Gefühle. Rache an den beiden Verbrechern, Rache an der schlagenden Mutter, die ihn von Kindesbeinen an so misshandelte, dass ihn andere Kinder beim Schwimmen fragten, warum er rote Striemen auf dem Rücken habe. „Er war so ein guter Junge als Teenie“, seufzt die Mutter hingegen heute, „aber jetzt ist er verdorben. Lässt sich von anderen die Kleidung bezahlen“, spielt sie erbost auf eine Hilfsaktion von Freunden von R. an, „sowas Entwürdigendes. Er ist arbeitsscheu. Wir damals, wir hatten noch Stolz und Ehrgeiz, um eine Ausbildung zu schaffen, aber das ist heute wohl anders.“ Im Laufe des Gesprächs wird der Ton zunehmend hysterischer. Denn dass Peter R. seine Ausbildung abgebrochen hat und nicht arbeitet, das kann sie ihm nicht verzeihen. Auf die Frage hin, ob sie ihm als Mutter nicht helfen wolle, antwortet sie: „Nein, das muss er selber regeln. Er macht mich krank. Und seine Briefe stinken nach Rauch. So wie er auch.

Doch was ist nach der Vergewaltigung geschehen? Gemäß den Lehren der Ikonen des Satanismus, dem Briten Aleister Crowley und dem US-Amerikaner Anton Szandor LaVey wurde Peter R. in die satanistische Philosophie eingeweiht. Der religiöse Unterbau der Organisation bestand in der Pervertierung christlicher Werte: Der Mensch als Gott, Satan an der Stelle des Gottes, der versagt hat. Verwoben in ein magisches Weltbild, in dem Rituale und der Glaube an unsichtbare Mächte Raum haben, entstand der Boden für blutige Szenarien. „Das funktioniert wie bei allen Sekten“, sagt R. rückblickend, „es gibt eine strenge Hierarchie, der eigene Freiraum wird eingeengt und es gibt äußere Feinde.“ Was ihn am Satanismus angezogen habe? „Ich wollte Macht spüren und nicht mehr Opfer sein. Das verspricht der Satanismus. Die Leute hatten Angst vor mir. Außerdem war ich endlich Teil einer Gruppe.“ Doch der Traum von Macht und Zugehörigkeit war bald ausgeträumt. Ein typischer Trick: „Die Ängste der Person werden ausgelotet und dann Ekeltraining praktiziert, etwa mit Spinnen. Im Rückblick waren es massive Demütigungen.“ Dieses Ekeltraining sei gesteigert worden, um Hemmschwellen abzubauen. Beispielsweise ist ein Ritual praktiziert worden, von dieser Gruppe „Schibboleth“ genannt, bei dem ein Frosch als Verhöhnung Jesu ans Kreuz genagelt wurde. „Irgendwann ist man unter dem Einfluss von Drogen zu fast allem bereit“ – obwohl R. heute noch nicht weiß, welcher Art die Drogen waren. Sexualmagische Praktiken spielten bei dieser Form des Satanismus eine große Rolle, berichtet der Aussteiger weiter, wobei er während der nächtlichen Rituale beides gewesen sei: Täter und Opfer. „Man darf sich nicht generell vorstellen, dass alles mit Gewalt geschieht. Viele Frauen haben freiwillig mitgemacht und ich habe mich auch dafür hergegeben. Trotzdem war es furchtbar.“ Doch nach seinem Priesterinitiierungsritual befragt, stockt der 26-Jährige: „Darüber kann ich nicht sprechen.“ Vielmehr schwenkt er um: Trotz allem habe er mit Hängen und Würgen nebenbei sein Abitur bestanden, die Eltern hätten nichts von seinem heimlichen Leben geahnt oder seien einfach zu gleichgültig gewesen.

Fest steht: Die Mitglieder der Gruppe waren unterschiedlich alt. Eine Gruppe älterer Perverslinge in den Meisterrollen, die Jugendliche für ihre sadistischen Gelüste missbrauchten? Nächtliche Treffen in Kutten in einsamen Waldstücken waren die Regel. Eines dieser Waldstücke zeigt mir R. bei einem Spaziergang. Doch wie hat die Kommunikation funktioniert, wenn unter den Kutten niemand erkennbar war? „Einige Leute hat man gekannt“, sagt R. Sonst sei über Telefonzellen oder Boten kommuniziert worden, die Codes überbrachten, ohne selbst zu wissen, was sie weitergeben.

Mit 21 gelang ihm der Absprung. Auslöser sei gewesen, dass die Gruppe geplant habe, nach skandinavischem Vorbild Kirchen anzuzünden. Ein Schritt zu viel für R. Wie er den Ausstieg schaffte, darüber schweigt er. Doch nächtlich holen ihn die Geschehnisse in Alpträumen wieder ein. Wenn er denn schlafen kann.

Rund 40.000 Satanisten unterschiedlichster Couleur soll es in Deutschland geben, vom Modesatanismus bis hin zu kriminellen Organisationen. Gruppen sind oft nur örtlich aktiv. Dabei ist das Thema nicht erst seit dem spektakulären Satanisten-Mord von Witten aktuell. Sabine Riede, Leiterin der Sekten-Info Essen, und der Weltanschauungsbeauftragte der katholischen Kirche im Kreis Rotenburg und Satanismus-Experte, Roger Moch, haben fast täglich mit dem Phänomen zu tun:

Riede hält die Schilderungen von R. für authentisch: „Vor allem das sadistische Ekeltraining und die sexualmagischen Praktiken passen zur Thelema Society“, ordnet Riede die Geschehnisse ein. Auch das zuvor erwähnte „Ritual des Schibboleth“ hält sie für sehr realistisch, vor allem, da solche Praktiken noch kaum durch die Medien gegangen seien, also nicht bekannt sein könnten. Riede hat zurzeit eine junge Frau in der Beratung, die ebenfalls den Thelemiten angehört hat. Die Betroffene hatte seinerzeit zwar ihre Zustimmung zu Sado-Maso-Praktiken gegeben, wurde dann aber fast zu Tode gewürgt. Zu sprechen ist sie aufgrund ihrer Traumatisierung nicht.

Pastor Moch findet die Tatsache interessant, dass die von R. geschilderte Gruppe gemischten Alters war. Denn auch angesehene Persönlichkeiten gesetzteren Alters aus einflussreichen Berufsgruppen könnten Satanisten sein, so der Pastor. Das vom Betroffenen beschriebene Ekeltraining sei typisch, ganz nach dem Motto: „Was uns nicht tötet, macht uns härter“. Die erwähnten, pervertierten Rituale gingen auf den Magier Crowley zurück, der zu Lebzeiten mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geriet: „Seine Rituale werden beispielsweise bei den Thelemiten praktiziert und da ordne ich den jungen Mann ein.“

„Mit Wodka zur Unsterblichkeit“, so laute der bizarre Werbeslogan der Gesellschaft aus Bergen/Dumme derzeit, deren Vorsitz lange der mehrfach vorbestrafte Michael D. Eschner führte, der wegen Vergewaltigung und Folterung sechs Jahre Haft erhielt und sich als Reinkarnation Crowleys verstand. In solchen Szenarien dürfte sich auch die Schnittstelle befinden, die die Satanisten- mit der Pädophilenszene verbindet, vermutet Moch: Rituale werden aufgezeichnet und verkauft, Jugendliche für diese Zwecke von Schwerstkriminellen übelster Sorte missbraucht.

Doch warum nehmen Menschen freiwillig an solchen Praktiken teil? Was ist ihre Motivation? „Drogen, Alkohol, Sex und Macht, indem die Thelemiten dies versprechen, bringen sie junge Leute dazu, teilzunehmen. Dabei suchen sich die Satanisten gerne Jugendliche aus, die Probleme haben, so wie den jungen Mann“, betont Moch, „Die Funktionsweise ist dabei simpel: Sagt der Christ ‚Amen’, sagt der Satanist ‚Nema‘. Und das Kreuz steht auf dem Kopf.“ Umkehrung christlicher Werte also, Ausbruch aus der traditionellen Ordnung. Clever genug, würden sich Organisationen immer wieder umbenennen und seien juristisch schwer greifbar. So auch die Thelema Society, die noch vor der Church of Satan als gefährlichste satanistische Logenorganisation gilt. Erst seit 2001 trägt sie den jetzigen Namen und wirbt auf ihrer Website mit dem scheinbar unverfänglichen Thema ‚persönliche Entwicklung‘.

Wie Crowley für die Thelema Society als geistiger Vater gilt, so auch für fast alle satanistischen Bewegungen, die als Logen organisiert sind. Die Church of Satan hingegen geht auf Szandor LaVey zurück und wird aufgrund ihres Sozialdarwinismus als gefährlich erachtet. Denn der Leitsatz heißt: „Dem Starken gehört das Recht dieser Welt.“

Grundsätzlich gilt es dabei zwischen Erwachsenen- und Jugendsatanismus zu unterscheiden, wobei der Fall von R. klar zu ersterem gehört. Bei Jugendorganisationen handelt es sich hingegen meist um flüchtige Formierungen, die oft in der Black Metal-Szene angesiedelt sind, aus der ihre Vorbilder wie etwa Varg Vikernes, Gründer des Black Metal-Projektes „Burzum“, stammen. Sie stehen häufig dem rechten Spektrum nahe und bezeichnen sich selbst als Rassisten. Vikernes wurde im übrigen wegen Mordes zu 21 Jahren Haft verurteilt.

Die Black Metal-Szene formierte sich dabei zu Beginn der 90er Jahre, hat skandinavische Wurzeln und ihre Vorläufer in Darstellern wie Ozzy Osbourne oder „Slayer“. Nicht zu verwechseln ist diese gegenüber dem Logensatanismus mildere Form des Satanismus mit simplen Protestsignalen wie dem Hörnerzeichen, das häufig bei Konzerten zu sehen ist und das für eine Negierung geltender Werte steht. Nicht gleichzusetzen ist der Satanismus mit der Gothic-Szene, die mit Tod und Melancholie nur flirtet und eine eigene Subkultur bildet. Die Übergänge können aber fließend sein.

„Was ich gefährlich finde, ist, dass Organisationen wie die Thelema Society im Internet sehr präsent und somit auch Jugendlichen zugänglich sind“, warnt die Sektenexpertin Sabine Riede. Denn diese Sekten lockten mit der großen Freiheit, was vor allem für Jugendliche interessant sei, doch diese Freiheit entpuppe sich letztlich als mörderisches Gefängnis, wie die von ihr betreuten Mitglieder bestätigen könnten.

Weitere Infos sind erhältlich bei der Sekteninfo Essen, www.sekten-info-nrw.de, oder Pastor Moch: Telefon 04269/1899.

Ein Beitrag von Marijana Babic

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Ein Kommentar

  1. Aleister Crowley und Thelema haben mit Satanismus soviel zu tun wie eine Kuh mit Koks schnupfen.

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