Freitag , 29 März 2024
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Das Mysterium „Bewusstsein“

buddhaAbgesehen von Randerscheinungen wie Entspannung, Wohlbefinden, Verbesserung der Gesundheit oder gesteigerter Fähigkeit zur Konzentration, handelt es sich bei der Erweiterung des eigenen Bewusstseins um das eigentliche Ziel von Yoga. Durch Bewusstsein nehmen wir wahr, erleben, verarbeiten, erlangen Wissen, Verständnis, Weisheit, und trotzdem setzten wir uns so selten, wenn überhaupt, mit der Frage auseinander, worum es sich bei „Bewusstein“ eigentlich handelt. Eindeutige wissenschaftliche Definitionen mag es für Bewusstseinszustände geben, nicht jedoch für Bewusstsein selbst. Doch vielleicht handelt es sich gerade dabei um den Berührungspunkt zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und antiker Weisheitslehre.

Je mehr wir uns mit dem Thema Bewusstsein auseinander setzen, je mehr wir darüber lesen, studieren, nachdenken, desto größer wird die Zahl der Fragen. Oder auch das Staunen, wobei es sich bekanntlich um den Anfang jeder Philosophie handelt. Wer oder was bin ich? Ein Mensch mit Körper und Geist, Wahrnehmungsorganen und Fähigkeiten zur Auswertung der Eindrücke ebenso wie zum Handeln. Wir wissen genau wer wir sind. Wir kennen unseren Namen. Wir wissen wie wir aussehen und wie wir von unseren Mitmenschen wahrgenommen werden. Wir sind uns unserer selbst bewusst.

Haben Sie jemals Ihr eigenes Auge gesehen? Ich meine nicht die Reflexion davon in einem Spiegel, sondern das Auge selbst. Weil wir die Reflexion bis ins kleinste Detail kennen, sind wir letztendlich überzeugt, unsere eigenen Augen unzählige Male gesehen zu haben. Doch, glauben Sie mir, das Auge, obwohl selbst sichtbar, nimmt alles Sichtbare wahr, außer sich selbst.

Bleiben wir bei der Wahrnehmung durch das Auge. Sie wissen um den Prozess. Photonen werden von der Pupille eingefangen, treffen auf die Netzhaut, vom Sehnerv werden Reize zum Sehzentrum im Gehirn weiter geleitet – und dort erst wird das Bild geformt, das Ihnen bewusst wird. Dabei kann sich der Betrachter niemals absolut sicher sein, was sich wirklich vor seinem Auge befindet. Er kennt nur den Eindruck, der sich innerhalb des Gehirns spiegelt.

prismenbrilleUm diesen Umstand zu verdeutlichen, lassen Sie mich von einem Phänomen erzählen, das am intensivsten 1951 vom Psychologen Ivo Kohler erforscht wurde, wobei er sich neben anderen auch selbst als Testperson zur Verfügung stellte. Rund um die Uhr trug er, 124 Tage lang, eine sogenannte binokulare Prismenbrille, wodurch alle betrachteten Gegenstände verzerrt, verschoben und meist „auf dem Kopf stehend“ wahrgenommen werden. Tag für Tag lernt die Versuchperson besser mit der Situation umzugehen. Bis, eines Tages, trotz Tragens der Brille, praktisch alles „völlig normal“ erscheint. Der Griff mit der Hand landet nicht mehr neben dem Objekt, zuvor gekrümmte Linien sind wieder gerade und Gegenstände, die anfangs umgekehrt gesehen wurden, werden genau so wahrgenommen wie von jedem Anderen mit ungetrübtem Blick. Keine der Testpersonen trug die Brille so lange wie Kohler und somit dauerte die Rehabilitierung bei ihm am längsten. Während über Monate hinweg das, für das Gehirn unverständliche und verwirrende, Bild immer besser korrigiert wurde, führte diese Korrektur nach Abnahme der Brille zum gegenteiligen Effekt. Plötzlich erschienen ohne Brille gerade Linien verzerrt und Kerzen „brannten mit der Flamme nach unten“.

Ein harmloses Experiment, das kaum eine Minute in Anspruch nimmt, können Sie mit Hilfe des folgenden Videos jederzeit selbst durchführen. Machen Sie sich keine Sorgen. Es folgt weder ein unliebsamer Überraschungseffekt noch sind „versteckte Botschaften“ enthalten. Vergrößern Sie das Bild, dass es den ganzen Bildschirm füllt. Dann starren Sie rund 50 Sekunden auf den Punkt in der Mitte. Ist das Video zu Ende und es erscheint Text, richten Sie Ihren Blick auf irgend welche Gegenstände, also weg vom Bildschirm.

Wie Sie bemerkt haben, hält der Effekt nur wenige Sekunden an, doch demonstriert er deutlich, wie unterschiedlich die Wahrnehmung vom eigentlichen Objekt sein kann, wie zweifellos unbewegte Gegenstände als sich bizarr bewegend erscheinen.

Denken Sie noch einmal an den Prozess der Informationsübermittlung. Elektrische Impulse werden über die Sehnerven ins Sehzentrum übertragen. Es handelt sich somit um übermittelte Daten, die, nach der Auswertung, im Gehirn wiederum als vollständiges Bild erscheinen. Wenn Sie Geräusche hören, etwas mit Ihren Händen berühren, Gerüche aufnehmen, all Ihre Sinnenseindrücke funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Datenübermittlung.

Abgesehen davon, dass, wie das Beispiel mit der Prismenbrille verdeutlicht, diese Daten im Gehirn absichtlich verändert werden können, wie sehr entspricht der Eindruck, dass es sich bei fester Materie wirklich um etwas „Festes“ handelt, der Realität? Natürlich zweifelt niemand daran, dass ein Stein schlicht ein Stein ist, der über eine harte Oberfläche, eine bestimmte Ausdehnung und eine entsprechende Masse verfügt. Es wäre absurd zu behaupten, dass es sich bei diesem Stein oder jedem anderen Objekt nicht um feste Materie, sondern um Illusion handelt. Und trotzdem wissen wir, dass dieser Stein, jegliches Objekt, unsere eigenen Körper, jede einzelne Zelle des Gehirns, letztendlich aus nichts anderem besteht als aus Protonen, Neutronen und Elektronen. Wir wissen um das Größenverhältnis dieser Teilchen und sind uns völlig bewusst, dass der leere Raum zwischen Atomkern und Atomhülle millionenfach größer ist als die Partikel selbst. Wobei sich auch diese sogenannten Partikel weiter unterteilen lassen – und alles was bleibt ist ein Spannungszustand. Und trotzdem nehmen wir alles als Materie wahr. Die ständige Wiederholung der Auslegung, der Vergleich mit der Wahrnehmung durch Andere, die alles ebenso erkennen wie wir, überzeugt uns, dass es sich bei dem Abbild der Welt, wie es in unserem Bewusstsein entsteht, um Realität handelt.

Ich bestreite ja gar nicht, dass die Welt, das Universum, unsere Umgebung, unsere Körper, die Erscheinung unserer Mitmenschen, durchaus reale Erscheinungen sind. Ein Stein ist ein Stein. Doch gleichzeitig ist er nichts anderes als eine Ansammlung von Atomen. Zum Stein wird er erst durch unser Bewusstsein. Und wie sieht es mit dem Rest der Welt aus?

Und noch immer sind wir einer Antwort auf die Frage, worum es sich bei Bewusstsein handelt, um nichts näher gekommen.

In der vedischen Literatur, wobei es sich um die Wurzeln der Yoga-Lehre handelt, wird Bewusstsein unter anderem mit einem Spiegel verglichen. Haben Sie schon jemals einen Spiegel gesehen?

Ich meine nicht den Rahmen, ich meine keine Flecken oder Kratzer an der Oberfläche, ich meine den Spiegel selbst. Wie sieht ein Spiegel aus? Was Sie sehen ist die Reflexion dessen, was sich vor dem Spiegel befindet. Der Spiegel selbst bleibt unsichtbar. Gleichermaßen ist Bewusstsein als solches nicht direkt erkennbar. Wir wissen um Bewusstsein deswegen, weil alles was wahrnehmbar ist, sich darin spiegelt. Aber, obwohl Bewusstsein nicht erkennbar ist, ist es ohne jeglichen Zweifel vorhanden. Einerseits handelt es sich um die Bedingung der Wahrnehmung und außerdem wäre nur Bewusstsein dazu fähig, Bewusstsein zu hinterfragen. Und somit beweist die Möglichkeit des Hinterfragens von Bewusstsein allein schon unanzweifelbar dessen Existenz.

 

Max Planck, Vater der Quantentheorie, erklärte 1944 in Florenz:

„Die Dinge unserer Welt existieren nicht so, wie wir glauben, dass sie existieren. Es gibt keine Materie! Das was wir für Materie halten besteht nur aufgrund einer Kraft, die sie zusammenhält. Wir können annehmen, dass hinter dieser Kraft ein bewusster und intelligenter Geist steht. Dieser Geist ist die Matrix der gesamten Materie.“

Max Planck, ein anerkannter Wissenschaftler, bezeichnete dieses Schema der Dinge, die uns als Welt oder als Universum erscheinen, als Matrix. Denken Sie an Computerspiele, an denen Hunderte oder Tausende von Spielern simultan teilnehmen können. Verzeihen Sie mir, dass ich kein direktes Beispiel zur Hand nehmen kann, nachdem ich mit keinem einzigen dieser Spiele näher vertraut bin. Doch was sich in diesen Computerprogrammen abspielt, was Sie mit Ihren Augen auf dem Bildschirm wahrnehmen, ist eine in sich abgeschlossene Welt. Bilder erscheinen exakt der Situation entsprechend. Ihr Avatar wird von allen anderen Mitspielern ebenso gesehen wie von Ihnen selbst. Legen Sie – oder Ihr Avatar – eine bestimmte Wegstrecke zurück, so nimmt dies die dafür passende Zeit in Anspruch. Was auch immer innerhalb des Spiels geschieht, es passt in allen Details zusammen. Was hält Sie davon ab, sich voll und ganz mit dem Avatar zu identifizieren? Was erinnert Sie daran, dass Sie ein Mensch sind, der vor dem Computer sitzt? Es ist die gleichzeitige Wahrnehmung der „Wirklichkeit“. Versuchen Sie sich vorzustellen, Sie wären dazu nicht fähig. Stellen Sie sich vor, Sie sind in das Spiel so sehr eingebunden, dass Sie restlos vergessen, wer Sie wirklich sind.

Das eigene Bewusstsein als solches zu erkennen, ist nur durch Selbstbeobachtung möglich. Alle Vergleichsbeispiele, Überlegungen, Gedankenexperimente, dienen bestenfalls als Brücke, die jeder für sich selbst überschreiten muss. Jeder, dessen Ziel es ist zu erfahren, wer oder was er wirklich ist.

Konzentrationsübungen – Dharana

Als entscheidende Hilfe beim Erkennen des eigenen Bewusstseins dienen Konzentrationsübungen, in Sanskrit Dharana genannt. Dass die allgemeine Aufmerksamkeit im täglichen Leben durch solche Übungen durchaus gesteigert wird, dabei handelt es sich um eine willkommene Randerscheinung. Insbesondere die Schnelllebigkeit der modernen Zeit, ständig wechselnde Eindrücke, Multi-Tasking, die Konfrontation mit regelmäßigen Ablenkungen, all dies wirkt sich – ohne dem erforderlichen Ausgleich – keineswegs günstig auf unsere Konzentrationsfähigkeit aus. Um jedoch das Kernziel, die Bewusstseinserweiterung, das Erkennen des eigentlichen „Ichs“ direkt anzusprechen, denken Sie an den Vergleich mit dem Spiegel, der nur anhand der Reflexion als solcher zu erkennen ist. Je mehr Eindrücke auf unser Bewusstsein einströmen, desto mehr verbirgt es sich hinter dem Schleier der Reflexionen.

Ziehen Sie sich in einen Raum zurück, in dem Sie ungestört sind. Lassen Sie sich durch unvermeidbare Geräusche, ungeachtet ob es das Singen der Vögel oder der Lärm der Straße ist, nicht ablenken. Wie auch bei anderen Übungen, können Sie natürlich in einem Stuhl sitzen. Eine aufrechte Haltung ist dabei immer zu bevorzugen. Am besten nehmen Sie jedoch einen Yoga-Sitz ein, wie bereits an andere Stelle beschrieben.

Von den verschiedenen Übungen, die darauf ausgerichtet sind, sich auf ein bestimmtes Objekt zu konzentrieren, stellt sich der gewünschte Erfolg am schnellsten und am intensivsten ein, wenn Sie ein bestimmtes Objekt dabei anstarren. Wählen Sie aus, was immer Ihnen gefällt. Ein Punkt an der Wand, ein Symbol, ein Bild, eine Statue, eine Kerze. Für den Anfang ist es leichter, ein Objekt zu wählen, das eine bestimmte Anzahl von Eindrücken in sich birgt. Eine brennende Kerze zeigt nicht nur eine Flamme, sondern auch den schwarzen Docht, die unterschiedliche Intensität des Lichts, das Züngeln, den Lichtschein, der direkt an die Flamme grenzt. Schließen sie anfangs all dies in den Bereich Ihrer Aufmerksamkeit ein. Mit der Zeit wird es Ihnen immer besser gelingen, einen einzigen Punkt, etwa den etwas dunkleren inneren Teil der Flamme, direkt über dem Docht, zu fokussieren.

Achten Sie darauf, dass Sie von Anfang an in einem Zustand der Entspannung sind. Am besten wäre, wenn Sie diese Übung im Anschluss an Asanas und/oder Pranayamas ausführen. Wenn nicht, atmen Sie zumindest einige Male tief durch und lassen Sie Ihre Gedanken ausklingen. Beide Augen geöffnet, starren Sie auf das gewählte Objekt, also z. B. eine Kerzenflamme.

Nach wenigen Sekunden werden sich Gedanken aufdrängen. Das ist völlig normal. Lassen Sie sich nicht beirren. Die Gedanken ziehen an Ihnen vorbei. Sie brauchen sich nicht dagegen zu wehren. Sie brauchen sich schon gar nicht darüber ärgern. Vermeiden Sie schlicht, sich in diesen Gedanken zu verlieren, dann verschwinden Sie ganz von selbst.

Dabei starren Sie in die Kerze, ohne Ihre Lider zu bewegen. Ihre Augen beginnen leicht zu brennen. Weigern Sie sich, dem natürlichen Drank zu folgen, die Lider kurz zu schließen. Es sind Ihre Augen. Es ist Ihr Wille. Sie entscheiden. Das leichte Brennen mag etwas unangenehm sein, doch ist es weder schmerzhaft noch gefährlich.

Ohne in Worten zu denken, führen Sie den Umstand in Ihr Bewusstsein, dass Sie es sind, der in die Flamme starrt. Lassen Sie die drei Dinge ineinander verschmelzen: Das Betrachtete, der Betrachter, das Betrachten.

Ihre Augen nässen sich. Trotzdem halten Sie sie geöffnet. Wenn es nun noch irgend etwas gibt, was Sie von der Konzentration auf die Kerze ablenken könnte, dann sind es bestenfalls Ihre eigenen Augen. Und diesen letzten Schritt bis zur völligen Konzentration bewältigen Sie ohne nennenswerte Probleme. Erst wenn Sie fühlen, wie sich Tränen bilden, lassen Sie ihre Lider herabsinken. Stellen Sie sich im Geist weiterhin die Flamme vor, die nahe vor Ihnen weiter züngelt.

 

Das Starren ist keine Voraussetzung, sondern eine Unterstützung. Sie können das Objekt der Betrachtung wechseln, Sie können ihrem Drang, die Lider zu bewegen, folgen. Sie können Ihre Augen geschlossen halten und einfach an ein Objekt denken. Sie können Ihre Konzentration sammeln, indem Sie ein Mantra wiederholen. Wichtig ist bloß, dass es sich um ein isoliertes Objekt – also nicht um zusammenhängende Geschehnisse – handelt, dem Sie ihre völlige Aufmerksamkeit schenken. Und nichts hält Sie davon ab, sich während eines Spazierganges, während des Wartens, in praktisch jeder Situation, in der Sie nicht gezwungen sind, sich anderen Dingen zu widmen, mit Konzentrationsübungen zu beschäftigen.

Lassen Sie mich abschließend einen Punkt wiederholen, über den Sie nicht nur lange nachdenken können, sondern bei dem es sich auch um ein Schlüsselerlebnis für ein tieferes Verständnis des Seins handelt: Das Verschmelzen der drei Komponenten des Erlebens. Der Betrachter, das Betrachtete, das Betrachten. Der Zuhörer, das Gehörte, das Hören. Der Erlebende, das Erlebte, das Erleben. Versuchen Sie regelmäßig, sich daran zu erinnern. Erkennen Sie diese drei Komponenten in all Ihren Konfrontationen. Der Lesende, das Gelesene, das Lesen. – Der mitternächtliche Vollmond, die strahlende Sonne oder die glitzernden Sterne sind vielleicht gar nicht so weit von Ihren Augen entfernt wie Sie glauben.

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