Ein kürzlich veröffentlichter Artikel, der die Frage behandelt, inwieweit die islamische Denkweise mit den sozialen Gepflogenheiten in Deutschland harmonisierbar ist, endet mit einer Einladung zu Lösungsvorschlägen. Ein Leser, der die Lehren des Islam zu seiner Glaubensform auserkoren hatte, bot sich an, uns seine Anschauungen näher zu bringen. Nicht ohne Kritik gegenüber vereinzelten radikalen Tendenzen, versucht er, den Islam von einer Seite zu beleuchten, die ein freundschaftliches Zusammenleben mit Andersdenkenden durchaus zulässt. Von dieser kurzen Einleitung abgesehen, unterlassen wir weitere Kommentare zu diesem Schreiben und überlassen es unseren Lesern, ihr Verständnis auf diesem Wege zu erweitern.
Sehr geehrter Herr Hausner,
Friede sei mit Ihnen.
Ich habe Ihren Artikel auf TheIntelligence.de gelesen und möchte Ihre Einladung am Ende des Artikels annehmen und zu einer „Lösung dieses Problems“ beitragen, insofern mir dies möglich ist.
Bevor ich jedoch einsteige möchte ich Sie fragen, ob Sie tatsächlich der Meinung sind, dass es sich bei Deutschland um einen „nichtkirchlichen Staat“ handelt? Obgleich wir glücklicherweise in keiner wie auch immer gearteten Theokratie leben (welcher äußerlichen Religion auch immer), dann kommt man wohl nicht ohnehin festzuhalten, dass die Kirchenlobby zumindest einen starken Einfluss auf Entscheidungen und Gesetzesregelungen ausübt und zahlreiche Steuergelder an kirchliche Institutionen abgeführt werden. Ganz zu schweigen von einer herrschenden Partei, die ihr Glaubensbekenntnis im Namen trägt.
Und auch die christlich-jüdische Tradition müsste angesichts islamfreundlicher deutscher Zeitgeister wie Goethe, Nietzsche, Heine, Rilke u.a. um –islamisch ergänzt werden.
Aber genug dazu. Ich möchte nun zu den Koranversen und insbesondere deren Auslegung ihrerseits oder seitens des englischen Autors Stellung nehmen und auch versuchen, Ihnen anhand der islamischen Lehre verständlich zu machen, warum Islam sehr wohl imstande ist, Integration zu fördern, unabhängig von der Religionszugehörigkeit der betroffenen Menschen.
Zunächst zitieren Sie die Sure Al-Fateha und legen diese wie folgt aus:
„Bei der Feststellung, dass sich die beiden Formulierungen: „Derer, die (Allahs) Ärger hervorrufen“ auf Juden und: „Derer, die in die Irre gehen“, auf Christen beziehen, handelt es sich keineswegs um eine spekulative Auslegung, sondern um allgemeines Gedankengut.“
Tatsächlich stimmt es, dass diese Auslegung allgemein anerkannt ist, vielmehr noch geht diese auf eine Überlieferung des Propheten Muhammad selbst zurück. Aus islamischer Sicht haben die Juden den Weg der Religion verlassen, indem sie sich selbst über alle anderen Völker erhoben haben und allein sich selbst als einzig auserwähltes Volk ansehen. Indem sie Jesus, den wir Muslime als wahren Propheten Gottes ansehen, töten wollten begingen Sie eine Grausamkeit, die Gott nicht tolerieren konnte und Er letztlich den Juden dieses Privileg entzog. Christen folgen aus islamischer Sicht ebenfalls einem falschen Weg, da sie die Lehren Jesu missachtet und stattdessen einer selbst konstruierten Vorstellung eines dreifaltigen Gottes folgen, was wir insbesondere auf die Lehren von Paulus zurückführen. Christen gehen ähnlich wie Juden davon aus, dass nur solche Menschen in den Himmel gelangen können, die durch Jesus inspiriert sind und allein seinen Lehren folgen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sowohl Juden als auch Christen sind diejenigen, die alleine sich selbst als von Gott auserwählt ansehen, während sie alle anderen Religionen und Glaubensarten als falsch ablehnen. Wenn Sie nun sagen möchten, dass eine solche Glaubensvorstellung nicht ähnlich intolerant ist, wie der Extremismus einzelner islamischer Splittergruppen, wie z.B. der Wahabiten oder gar politisch-islamischer Terroristen wie Hamas oder Al-Qaeeda, dann muss ich tatsächlich Ihre Objektivität in Frage stellen.
Natürlich gibt es auch sogenannte Muslime oder islamische Gruppen (wie eben erwähnt), die eine ähnlich intolerante Haltung für den Islam in Anspruch nehmen und nur Muslime als einzig auserwähltes „Volk“ ansehen, jedoch findet sich eine solche Interpretation im Lichte der Verse des Korans nur in sehr (geistig) beschränktem Maße.
Der Islam ist meines Wissens die einzige Religion, die den Wahrheitsanspruch anderer Religionen stützt und die Anhänger anderer Religionen als grundsätzlich Gläubige bekräftigt. So heißt es im Koran, dass Gott zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Teilen der Welt zu den verschiedenen Völkern immer wieder Propheten entsandt hat, um Seine Botschaft zu verbreiten, wodurch entsprechende Glaubenslehren entstanden sind (vgl. Sure 35, Vers 25). Weiter sagt Gott im Koran zu den Muslimen, dass es eben nicht allein die Muslime sind, denen das Paradies offen steht, sondern es auch Andersgläubige gibt, darunter insbesondere Juden und Christen als „Volk der Schrift“ und Prototypen des Monotheismus (vgl. Sure 2, Vers 63).
Es würde diesen Text unnötig ausweiten, würde ich eine Erklärung mit entsprechenden Koranversen und prophetischen Überlieferungen anfügen, um zu erläutern, dass sich die Bezeichnung „Muslim“ nicht auf eine bestimmte Religionszugehörigkeit beschränkt, sondern schlichtweg jeden „Gottergebenen“ bezeichnet, der sich dem Willen seines Schöpfers unterordnet. So wie es einmal der islamische Heilige und Mystiker Maulana Jalallud-din Rumi gesagt hat: „Ich bin weder Christ noch Jude, auch Parse und Muslim nicht.“
Zu den weiteren Versen könnte ich ebenfalls eine ähnlich detaillierte Auslegung aus islamischer Sicht anführen, möchte diese jedoch zu Gunsten einer allgemeinen und alle Verse gleichfalls betreffenden Stellungnahme vernachlässigen.
Grundsätzlich empfiehlt es sich, solch brisante koranische Verse, die von Krieg handeln zunächst im Zusammenhang mit den vor- und nachstehenden Versen zu lesen. Gegebenenfalls können auch prophetische Überlieferungen (Ahadith) herangezogen werden, um bestimmte historische Kontexte und Sachverhalte zu ergänzen. Grundsätzlich ist es dem Muslim nicht erlaubt einen Menschen mit einer Waffe zu bekämpfen (unabhängig von dessen Glaube oder Nicht-Glaube). Ausnahmen gibt es in dem Fall des Angriffs, bei dem sich der Muslim so lange verteidigen darf, bis die Lebensgefahr gebannt ist (vgl. Sure 2, Vers 191 ff. und Sure 22, Vers 40) und im Kriegsfall bis der Krieg vorüber ist. Koranverse zur Religionsfreiheit sowie historische und prophetische Überlieferungen über die entsprechend auch ausgeübte Praxis im Frühislam finden sich ebenfalls zahlreich.
Eines, was ich als Muslim nicht leugnen will und kann ist jedoch die Tatsache, dass die heute von zumindest einigen sehr einflussreichen Gruppierungen und Muslimen propagierte Auslegung der islamischen Lehre zumindest teilweise sehr weit von den ursprünglichen Lehren und Auslegungen abweicht. Insbesondere auch in der Praxis einiger sogenannter „islamischer“ Länder, wie z.B. Saudi Arabien als Hort der wahabitischen Gruppierung innerhalb des Islams.
Für mich als gleichfalls Muslim wie Deutscher findet sich kein Problem oder Widerspruch darin, den Islam zu leben und zur gleichen Zeit liebevolle Beziehungen zu meinen jüdischen, christlichen oder atheistischen Nachbarn und auch Freunden zu unterhalten. Es ist kein Konflikt, sondern vielmehr meine Pflicht als Muslim, mit Andersgläubigen verständnis- und liebevoll umzugehen und wenn es nur darum ist, ihnen so die Schönheit der islamischen Lehren vor Augen zu führen.
Dieser angebliche Konflikt besteht natürlich ohne Frage für extremistisch-islamistische Ansichten und für solche Muslime, die solch einer Auslegung der koranischen Worte folgen. Solange diese extremistischen Auslegungen jedoch auch als eine solche erkennbar sind, wird die Mehrheit der Muslime keinen Grund haben, einer solchen zu folgen.
In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist jedoch ein Trend zu erkennen, den ich mit großer Sorge beobachte. Zu Ungunsten der Mehrheit der Muslime erteilen Medien, Islamkritiker und ähnlich einseitige Betrachtungsweisen wie Ihr Text eben gerade diesen radikalen und extremistischen Gruppen mit ihren Auslegungen das Wort. Indirekt wird auf diese Weise gerade den Extremisten recht gegeben und wenigstens latent gesagt: „Der Islam ist eine radikale intolerante Religion und wer ein „guter“ Muslim sein möchte, der muss sich genau so verhalten!“
Halten wir uns nun das Integrationsproblem junger Ausländer vor Augen, welche aus dem islamischen Kulturkreis stammen so muss einem doch der massive Fehler bei den Integrationsbemühungen der „Deutschen“ auffallen! Viele junge Ausländer fühlen sich weder in ihrer Heimat als z.B. Türken oder Araber, noch in Deutschland als Deutsche. Das einzige Identifikationsmerkmal, das ihnen bleibt scheint der Islam zu sein, denn Muslime sind sie, zumindest vom Ursprung her oder „auf dem Papier“. Fangen diese jungen Menschen nun an, nach der Wahrheit ihrer Religion zu suchen und sagen ihnen Internetforen, Medien und Zeitungsartikel immer wieder, dass sie als Muslime eigentlich intolerant gegenüber Nicht-Muslimen sein sollen, dann wundert es doch nicht, wenn wir in Deutschland ein „Integrationsproblem junger Muslime“ haben!
Kurzum, Deutschland hat meiner Meinung nach alles Andere als „seinen Anteil an diesem Harmonisierungsprozess zur Gänze geleistet“. Vielmehr müht man sich äußerlich ab, ohne aber konkret die zu integrierenden Menschen mit einzubeziehen und sie auch zu fordern. Der oftmals beklagte „vorauseilende Gehorsam gegenüber dem Islam“, wie ihn Herr Ulfkotte einmal nannte, ist beispielsweise eine solche Erscheinung, die von den Muslimen oftmals überhaupt nicht eingefordert wird, die deutsch-stämmige Bevölkerung aber so verunsichert, dass die Muslime den Sündenbock spielen müssen. Dass dann Bücher wie von Herrn Sarrazin als „Sachbuch“-Bestseller zum Vorschein treten verwundert doch dann auch eher wenig.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen und Friedenswünschen,
Volker Qasir