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Wenn Sie in Deutschland einen Wasserhahn aufdrehen, können Sie davon ausgehen, dass dort Trinkwasser in bester Qualität herausfließt. Sollte man zumindest meinen. Wie sehr man in diesem Punkt falsch liegen kann, mussten jetzt tausende Haushalte in der Kleinstadt Hemer im Sauerland am eigenen Leib erfahren. Stark verunreinigtes Wasser hatte dort über zwei Monate lang für schlimme Magendarmprobleme und schwerwiegende Durchfallerkrankungen gesorgt. Inzwischen ist das Problem des verunreinigten Wassers zwar vorerst gelöst, doch einige wichtige Fragen sind noch offen. Wie konnte das überhaupt passieren? Wie wird dafür Sorge getragen, dass dies nicht wieder geschieht? Wer zahlt die Schäden der betroffenen Bürger? Und: Bleibt Hemer tatsächlich nur ein Einzelfall?
Neunwöchiger Albtraum
Am Dienstag, den 19. März, gaben die Stadtwerke Hemer endgültig Entwarnung: Das Trinkwasser in Landhausen und Stübecken, beides Stadtteile von Hemer, ist nicht mehr durch Verunreinigungen belastet. Für die Bevölkerung der beschaulichen Stadt im Sauerland geht damit ein Martyrium zu Ende. Ganze neun Wochen lang mussten tausende Haushalte ihr Trinkwasser vor der Nutzung abkochen – um sicherzugehen, dass eventuell vorhandene Krankheitserreger abgetötet würden. Dass den Einwohnern in dieser Zeit der frisch aufgebrühte Kaffee ebenso wie die im Wasser gekochten Pasta nur bedingt geschmeckt haben, dürfte auf der Hand liegen. Doch was genau war eigentlich in Hemer passiert?
Fäkalien im Trinkwasser
Im Dezember 2012 traten in der Stadt ungewöhnlich viele Durchfallerkrankungen auf. Den Grund dafür fanden die Stadtwerke Hemer bei Routineproben des Trinkwassers. Dieses war mit Darmparasiten der Gattung Giardia verunreinigt. Hektisch wurden im betreffenden Gebiet handschriftliche Zettel verteilt, auf denen stand, dass bei Untersuchungen coliforme Keime im Wasser entdeckt worden seien. Diese seien zwar nicht gesundheitsschädlich, deuteten jedoch auf eine Verunreinigung des Wassers ein. Aus Vorsorgegründen sollten die Einwohner nur noch abgekochtes Wasser zu trinken, für Haushaltsgeräte und die Körperhygiene zu verwenden. Auf was für eine Verunreinigung dies hinweise, verrieten die Stadtwerke nicht. Mit dem unschönen Wort „fäkale“ wollte man seine Kunden wohl nicht verschrecken.
Notkaiserschnitt nach Schwächeanfall
Dass „nicht gesundheitsschädlich“ eine erhebliche Untertreibung sein sollte, mussten viele Einwohner Hemers in diesen Wochen am eigenen Leib erfahren. Dutzende wurden mit schweren Magendarminfektionen in Krankenhäusern behandelt. Eine Hochschwangere erkrankte urplötzlich an starkem Durchfall und Erbrechen Nachdem bei der stark geschwächten Frau die Wehen einsetzten, musste gar ein Notkaiserschnitt durchgeführt werden. Inzwischen sind Mutter und Tochter glücklicherweise wieder wohlauf.
Inkompetent, planlos, überfordert
In Hemer selbst herrschte in dieser Zeit Ausnahmezustand. Kinder wurden zu Omas und Opas ausquartiert, viele Familien zogen sogar komplett zu Freunden oder Verwandten in die Umgebung oder mieteten sich in Hotels ein. Währenddessen nahmen die Stadtwerke täglich aktuelle Wasserproben und suchten nach der Ursache der Verunreinigung. In der Bevölkerung kam das Krisenmanagement des Unternehmens jedoch überwiegend nicht besonders gut an. Planlos, inkompetent, völlig überfordert! Das waren noch die freundlichsten Attribute, die man auf den Bürgerversammlungen zu hören bekam.
Suche nach der Quelle
Bei der Suche nach der Quelle der Verunreinigungen durchforsten die Stadtwerke das komplette Leitungsnetz. Das Wasser, das sie selbst in die Leitungen abgaben, sei nämlich nachgewiesen frei von Parasiten und Bakterien. Fündig wurde man jedoch zunächst nicht, reinigte das komplette Leitungssystem aber vorsorglich einmal mit einer Chlorspülung. Das Abkochgebot wurde daraufhin erst einmal wieder aufgehoben – und sofort wieder in Kraft gesetzt, denn bei der nächsten Stichprobe wurden trotzdem wieder Keime gefunden. Nicht gerade eine Vorgehensweise, die bei den Bürgern für Vertrauen sorgte!
Gestocher im Nebel
Der Druck der Bevölkerung auf die Wasserwerke erhöhte sich von Tag zu Tag, woraufhin diese eine pragmatische Lösung wählten. Sie beseitigten einfach alle Quellen ab, die möglicherweise für die Verunreinigung in Frage kommen könnten. Dazu zählten beispielsweise falsch angeschlossene Brauchwasseranlagen, kleinere Rohrbrüche und defekte Hydranten. „Bei der sorgfältigen und systemtischen Suche haben wir einiges gefunden und unverzüglich abgestellt. Wir können die Ursache aber nur nach Wahrscheinlichkeit beurteilen“, gab der technische Leiter Dieter Gredig in einem WAZ-Interview unumwunden zu, dass sein Unternehmen bei der Lösungssuche bis zuletzt im Nebel stocherte.
Entwarnung – vorläufig
Eines hat die Rasenmähermethode aber bewirkt: Die folgenden Wassertests ergaben keine auffälligen Werte. Nachdem sich dies auch an den Folgetagen bestätigte, konnten die Stadtwerke erleichtert Entwarnung geben. Für die Einwohne von Hemer bedeutet dies aber nur eine teilweise Entwarnung, denn für sie heißt es jetzt erst einmal: Kaffeemaschine säubern, Geschirrspüler reinigen! Alles, was mit verseuchtem Wasser in Berührung gekommen ist, kann noch mit Krankheitserregern belastet sein. Doch nicht nur das. Die Entwarnung der Stadtwerke bezog sich auf die von ihr eingerichteten Messstellen. Heißt das aber auch, dass die Leitungen zu jedem einzelnen Haus und natürlich auch innerhalb der Häuser tatsächlich frei von Parasiten und Bakterien sind? Hier haben viele Betroffene noch ihre Zweifel.
Wer haftet für Schäden
Mit dem – hoffentlich nicht nur vorläufigen – Ende des Wasserskandals stellt sich jetzt natürlich die Frage, wer für die entstandenen Schäden aufkommt. Alleine die Stadtwerke Hemer kosten die Untersuchungen und Beseitigungen der möglichen Quellen für die Verunreinigung mehr als 200.000 Euro. Noch viel härter traf es jedoch viel Bürger von Hemer. Viele warten tage-, manchmal wochenlang nicht arbeitsfähig. Für Unternehmer, Freiberufler und Selbstständige häuft sich da schnell ein immenser Verdienstausfall ein. So fragt nicht nur der Fotograf Oliver Pohl aus Hemer, der mit einer schweren Magen-Darm-Erkrankung viele Tage im Krankenhaus statt im Fotostudio verbrachte: Wer kommt für die Kosten auf?
Schwierige Beweislast
Stadtwerke-Chefin Monika Otten antwortete auf eine solche Frage, die bei einer Bürgerversammlung auftrat, lapidar: „Wir haben eine Haftpflichtversicherung.“ Dass die Opfer des verseuchten Trinkwassers deshalb auf eine schnelle und unkomplizierte Schadensregulierung der Versicherung hoffen dürfen, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Die Versicherung wird nämlich in jedem einzelnen Fall auf einen Beweis bestehen, dass die Krankheit tatsächlich auf Erreger im Trinkwasser zurückzuführen ist. Und das ist für die Betroffenen nur dann möglich, wenn ihnen vom Arzt eine Stuhlprobe entnommen und diese analysiert wurde. Wer solche Testergebnisse nicht vorweisen kann, wird auf seinem Schaden mit großer Wahrscheinlichkeit sitzen bleiben.
Ist Hemer ein Einzelfall?
Wer glaubt, dass Hemer in punkto verunreinigtes Wasser nur ein Einzelfall ist, liegt übrigens falsch. Mitte 2012 ereignete sich ein ähnlicher Fall in Erfurt. Damals waren sogar 250.000 Menschen betroffen, von denen übrigens gerade einmal 19 Schadensersatzansprüche geltend machten. So wird man nicht nur in Hemer zukünftig nicht mehr so arglos den Wasserhahn aufdrehen und davon wie selbstverständlich ausgehen, dass das Wasser sauber und frei von Bakterien ist. Fälle wie in Hemer sind in jeder deutschen Stadt denkbar. Und sollte es tatsächlich so weit kommen, ist noch eine Erkenntnis sicher: Für Ihre Schäden würde niemand aufkommen!
Persönlicher Kommentar: Da ich selber aus Hemer bin, habe ich dies live miterlebt und möchte an dieser Stelle unseren Bürgermeister Herrn Esken für eine lückenlose und erstklassige Informationspolitik danken. Selbst über Facebook hat Herr Esken viele Infos gegeben und ist keiner Diskussion aus dem Weg gegangen.