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Der Internationale Holocaustgedenktag

Der 27. Januar 2012 ist Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, es ist der Internationale Holocaustgedenktag – dazu die Hilflosigkeiten und die Gedanken eines Schreibers ….

Ist Sprache nur ein Ritual, ist Wahrheit nur ein Ritual?
Warum hat die Kultur das Unbeschreibbare nicht verhindert und ihre Werkzeuge dafür hergegeben?

Sprachfetzen und Gedankenfragmente, Notizen, Wahrheiten und Hilflosigkeiten in mehreren Kapiteln.

Kapitel 1 „Einleitung“

Es ist nicht durch mich zu beschreiben, nicht auszudrücken, ich kann es nicht. Und ich will es nicht, und ich will es auch nicht können.

auschwitz 1Eine Sprache, die sich der meinen Sprache entzieht und in Worte flieht, deren Inhalt eine Vergewaltigung unserer Kulturwerkzeuge ist, die eine Nichtsprache produziert und formuliert als Werkzeug der Kulturlosigkeit. Was für eine Sprache, was für eine Kultur ist das? Wie viel davon ist mein?

Kulturverlust – Humanität und Menschenliebe im Sumpf versenkt und dann vergessen, und als Konsequenz eine Sprache, welche nur dazu dient, sprachlos zu machen, zu vernichten – unbeschreibbare Sprache zu werden.

Sprache mit der einzigen Aufgabe, jenes, was wir das Unbeschreibbare nennen, auszudrücken und fassbar zu machen. Was und wie viel ist davon fassbar, ab wann unfassbar? Wann setzt der Rückzug der Sprache ein? Ist es Rückzug oder schon Flucht? Flieht dann die Kultur oder fliehen nur Teile von ihr? Buchstaben ignorieren ihren Inhalt … wenn wir es zulassen.
Buchstaben desertieren in Zeilen, werden wieder eingefangen, stehen Wache und machen Wortmeldung. Diese Meldungen erreichen uns, Meldungen von Taten und Orten, welche es nicht geben dürfte, die nicht existieren dürften – und die doch waren und die sind.
Taten und Orte, von denen die Väter und Großväter uns nichts erzählt haben. Keine Erzählung, keinen Bericht oder Hinweis an uns, weil man die Taten und Orte vergessen, besser noch, weil man sie tilgen wollte.

Aber das Verschweigen der Taten und Orte wurde so laut, dass dieser Schmerz des Schweigens nicht zu überhören war und ist.

Hätte das Unbeschreibbare verhindert werden können, wenn unsere Sprache, unsere Schrift nicht vorhanden gewesen wäre, und andere Sprachen und andere Schriften auch nicht? Es wäre ganz einfach – man stelle sich nur die Situation vor, wenn keine Möglichkeit gegeben ist, Befehle und Aktennotizen, Reden und Fahrpläne aufzuzeichnen. Wirklich keine Möglichkeit, den Bedarf an Gas zu errechnen. Weder Bomben noch Patronen in und durch Konstruktionszeichnungen zu gebären, auf die Welt zu bringen mit dem einzigen Auftrag, andere schleunigst von dieser Welt zu entfernen.

Ich weiß, dieser Gedanke, der meine, er ist naiv und kindisch, er ist hilflos. Ist es nur ein Trost – oder ist es nicht tatsächlich so, dass der Verlust der Kultur, der kollektive Pakt mit dem Bösen, nicht ursächlich und nicht ausschließlich entstanden ist durch die Aneignung und den Gebrauch der Kulturwerkzeuge? Ist nicht vielmehr ein Diebstahl, ein Raub oder die Okkupation dieser Werkzeuge zu beklagen, wie auch Länder und Menschen okkupiert wurden?

Sprache und Schrift stehen für unsere Literatur, für die Aufbewahrung von Philosophie, von Wissen und Kunst, auch von Weisheit. Für Liebesbriefe sind sie sinnvoll und vortrefflich zu verwenden, auch für Einkaufszettel taugen sie. Sprache und Schrift bewahren uns und unsere Geschichte, sie speichern das Bewahrenswerte als unser Gedächtnis. Sprache und Schrift machen uns kulturfähig, sollten es.

Sie stehen auch für den Talmud, die Bibel, den Koran, für Schriften, welche Hoffnung machen, und berichten über Taten, die uns und anderen es wert sind. Manchmal lehren uns Sprache und Schrift Erfahrung.

Und wir lesen Zeugnis von den Menschen, deren Schicksal sie dazu verurteilt hatte, das Unbeschreibbare zu erleben, zu überleben und uns darüber zu berichten. Diese Berichte sind Wahrheit, so wie es Wahrheit ist, dass Sprache, welche Menschenverachtendes transportiert, anleitet, durchführt, kontrolliert und nachhält, dass diese Sprache zum Sumpf degeneriert.

Nur eine Frage bleibt offen: Was ist das Menschenverachtende, das Böse, und was ist nur ein Missverständnis, und wie können wir beides verhindern?

Kapitel 2 „Zahlenlehre“

 1. AUSCHWITZ
 2. BERGEN-BELSEN
 3. BUCHENWALD
 4. DACHAU
 5. MAJDANEK
 6. MAUTHAUSEN
 7. NEUENGAMME
 8. RAVENSBRÜCK
 9. SACHSENHAUSEN
 10. STUTTHOF
 11. DIE UNGENANNTEN

 GESAMT 6.000.000

 In Worten:

 SECHSMILLIONENKINDERFRAUENMÄNNERSEELEN

Kapitel 3 „Alphabet“

 · Abständer Salomon 1943 in Majdanek verschollen
 · Baader Rosa Euthanasie
 · Calm Frieda 1942 in Auschwitz verschollen
 · Damidt Artur im Ghetto von Minsk verschollen
 · Eckstein Naftalin in Polen verschollen
 · Faber Julia Johanna in Auschwitz verschollen
 · Gärtner Hermann 1943 verhaftet und verschollen
 · Haas Adolf 1942 in Auschwitz gestorben
 · Interstein Mina 1942 in Recebedou gestorben
 · Jäger Max 1944 in Auschwitz verschollen
 · Kafka Wilhelmine 1942 in Izbica verschollen
 · Lachs Bertha in Polen verschollen
 · Maas Rudolf Ludwig 1940 in Gurs gestorben
 · Nachmann Amalie 1942 in Auschwitz verschollen
 · Oberndörfer Klara 1942 in Auschwitz verschollen
 · Palm Auguste 1942 in Auschwitz verschollen
 · Q namenlos
 · Rausenberg Bertha 1944 in Auschwitz verschollen
 · Salomon Klara 1941 in Gurs gestorben
 · Teicher Michael Leo Mauthausen
 · Ullmann Regina 1942 in Auschwitz verschollen
 · Vogel Albert 1942 in Auschwitz verschollen
 · Wachenheimer Julius 1942 in Noe gestorben
 · X namenlos
 · Y namenlos
 · Ziegler Edmund 1942 in Majdanek verschollen

Kapitel 4 „Wortbildung 1“

Ausmerzen, vernichten, reinigen, bestrafen, endsiegen, besetzen, einverleiben, heimholen, Raum schaffen, Volksschädling, Helfershelfer, Recht und Ordnung, Untermensch, Herrenmensch, Endlösung, etc.

Kapitel 5 „Wortbildung 2“

Bonhoeffer, Staufenberg, Schindler, Scholl, Menschenliebe, Rückkehr, Widerstand, Bubitz, Degen, Rosenthal, Gnade, Verzeihung, Hilfe, Wiedergutmachung, Glauben, etc.

Kapitel 6 „Resümee“

Im Januar 2005 wurde auf dem jüdischen Friedhof in Karlsruhe ein Grabstein enthüllt. Auf ihm sind auch die unter Kapitel 3 aufgeführten Namen eingraviert. Der Grabstein trägt die deutsche Inschrift:

„Den von den Nationalsozialisten ermordeten Karlsruher Juden zum Gedenken“.

Die hebräische Inschrift lautet:

„Gedenket aller Seelen von Juden der heiligen Gemeinde der Stadt Karlsruhe, die in der Schoa ermordet wurden“,

darunter die Formel:

„Seine Seele möge eingebunden sein im Bunde des ewigen Lebens“.

Nachtrag des Autors:

Namen und Daten habe ich dem Gedenkbuch der Karlsruher Juden entnommen. Die Stadt Karlsruhe mit ihrem Institut für Stadtgeschichte hat ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem Frauen und Männer, Schülerinnen und Schüler jeweils die Biographie eines von den Nazis ermordeten Menschen verfassen. Das Stadtarchiv stellt die persönlichen Daten der Opfer zur Verfügung. Die fertige Biographie wird dann in das Gedenkbuch eingefügt.

Es ist ein großes und würdiges Andenken auch an die Menschen, deren Daten ich in Kapitel 3 verkürzt wiedergab. Bei der Recherche habe ich die Biographien der aufgeführten Menschen gelesen und ihre Gesichter auf Photographien gesehen.

Dank an das Stadtmuseum in Karlsruhe für die Möglichkeit, dort zu recherchieren und zu arbeiten.

Kurt Drawert, seine Gedanken und Notizen, ebenfalls Teile seiner Tagebücher, welche er in dem Buch „Rückseiten der Herrlichkeit“ zusammenfasste, haben mir ebenfalls bei der Konzeption und Ausarbeitung geholfen, unbekannterweise dafür Dank.

© Peter Reuter

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