Samstag , 20 April 2024
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Entschuldigen Sie die Störung – Beobachtungen in einer Notaufnahme

roentgenbild_brustkorbDas Ende des Flures mündet in einem hallenähnlichen Warteraum, der recht gut besucht ist. Rund jeder zweite der vorhandenen Stühle ist besetzt. In regelmäßigen Abständen kommen und gehen Menschen. Die Anzahl der Kommenden ist eindeutig größer als die der Gehenden. Ich sitze auf einer der harten Sitzgelegenheiten, und blicke in die Runde. Einige der Anwesenden halten einen weißen Zettel in DIN-A4-Format in den Händen – Anmeldeformulare, auf denen sowohl Daten zur Person als auch die vorhandenen Beschwerden eingetragen wurden -, ein sicheres Zeichen, dass sie sich hier eine ärztliche Hilfe erhoffen.

Jene Vordrucke sind einem blauen Plastikkorb zu entnehmen, der nahe dem Eingangsbereich auf einem kleinen, unauffälligen Tischchen steht. Das Ausfüllen der Anmeldung ist der erste Schritt in Richtung Behandlung, der Schlüssel zum Tor, das zu den Ärzten dieser Klinik führt, wenn man so will. Das Zeremoniell ist nicht jedem der künftigen Patienten bekannt, wie es sich immer wieder zeigt. Nein, der eine oder andere schreitet sofort nach dem Ankommen zielgerecht auf eine Glastüre zu, die ziemlich offensichtlich zur Anmeldung gehört. Links der Tür, übergangslos anschließend, eine großformatige Glasscheibe, hinter der eine Frau, im lindgrünen Krankenschwesternkittel gekleidet, an einer Schreibplatte hockt. Die Tür ist einen Spalt breit geöffnet. Jene Öffnung ist keinesfalls die Einladung zum Eintritt, wie man durchaus meinen könnte, schon eher eine Falle: „Bitte füllen Sie zuerst das Anmeldeformular aus, und geben es dann bei mir ab!“

Mit diesem Hinweis wird in regelmäßigen Abständen die Monotonie, die im Warteraum herrscht, erneut gewürzt, barsch ausgesprochen – und an die Personen gerichtet, die in die besagte Falle tappen – von jener Frau im lindgrünen Kittel, die dazu kurz von ihrem PC-Monitor aufblickt. Das Kommando hat ausnahmslos dieselbe Wirkung: Mehr oder weniger erschrocken wird die Glastür wieder bis auf die ursprüngliche Spaltbreite geschlossen, der Türgriff losgelassen, und zeitgleich im Raume nach den geforderten Formularen Ausschau gehalten. Der Kreis der Eingangs-Zeremonie schließt sich an der Stelle, wo der vermeintliche Patient den ausgefüllten Zettel der Schwester durch den Spalt der Glastür reicht, jene die relevanten Daten in den PC der Klinik tippt, und den Zettel letztendlich zurückgibt. „Sie können sich jetzt setzen. Wir rufen Sie auf.“

Ja und so sitzt man, den weißen Zettel in DIN-A4-Format in den Händen, und wartet darauf aufgerufen zu werden. Nicht so ich. Ich gehöre lediglich zu denen, die jemanden begleiten. Zumeist ist es der Lebenspartner, der hier neben einem der vielen Zettelhalter sitzt. Ich hingegen begleite meine Tochter, habe sie in die Klinik gefahren, weil sie, bedingt durch beträchtliche Schmerzen, die sie durchgehend im Bereich der linken Rippen verspürt, selber nicht fahrtüchtig ist. „Wie auch immer“, höre ich mich denken, „was ich sehr wohl als einen Notfall ansehe, benötigt eben auch eine gewisse Routine. So verhält es sich nun mal in einem Krankenhaus.“ Mittels dieser Gedanken versuche ich meine langsam aufkommenden Frustgefühle zu unterdrücken. Letzteres will mir nicht gelingen. Es ist zu warm. Ganz zu schweigen von den harten, scharfkantigen Sperrholzbrettern, die sich, jeweils auf Alurohre montiert, zu dem obligatorischen Warteraumgestühl formieren.

Doch, es ist wesentlich zu warm in der Wartehalle, und zu hell ist es auch. Die Deckenleuchten: Eine der grellweißen Leuchtstoffröhren ist defekt. Ihr rhythmisches Blinken – ein unbeirrbarer Wechsel zwischen aufblitzen und erlöschen – bahnt sich seinen Weg durch das staubige Kunststoffraster. „Dunser!“ Etwas genervt schallt die Stimme hinter der Glasscheibe. Eine junge Frau erhebt sich. Sie hält ihre Anmeldung in der Hand. Sie quert den Raum, geht stracks auf die Glasfront zu, zögert für die Ewigkeit einer Sekunde, neigt sich, mir eine Spur zu devot, in Richtung Glas-Tür-Spalt. „Herr Dunser, bitte gehen Sie…“, so die grün bekittelte Schwester ohne von ihrem Monitor aufzublicken. „Entschuldigung“, unterbricht die junge Frau, „nein, ich bin Frau Dunser!“ Kurz sieht der Kittel zu der Frau hoch, deutet mit einem gezwungenen Lächeln eine Entschuldigung an. „Frau Dunser, bitte gehen Sie gleich rechts den Gang entlang, dann die zweite Türe links.

Nach einer Wartezeit von real eineinhalb – gefühlten drei! – Stunden ist meine Tochter dran. „Bitte gehen Sie gleich rechts den Gang entlang, dann die vierte Türe auf der linken Seite. Der Doktor wartet dort auf Sie.“ Nun sitze ich allein inmitten der vielen, zettelhaltenden Patienten. Bis auf nur wenige Ausnahmen sind mittlerweile alle der vier Stuhlreihen besetzt. An die Wärme hier habe ich mich immer noch nicht gewöhnt, und auch nicht an das Flackern der defekten Leuchtstoffröhre, mir gegenüber an der Decke. Inmitten des Raumes, auf einem jener Tische die schon den blauen Korb mit den Anmeldeformularen beherbergen, steht ein Tablett mit drei Wasserflaschen aus Kunststoff. Zwei sind leer, eine halbvoll. Neben dem Tablett zeigen sich mehrere weiße Kunststoffbecher, die mit den Ringen kurz vor dem Rand. Manche bilden ineinander gesteckt drei verschieden hohe Türmchen, andere liegen umgekippt positioniert in ihrer unmittelbaren Nähe.

Einige Gedanken, später auf der Rückfahrt: Dieser Ort will mir heute nicht gefallen, diese Klinik, im Kreis Segeberg in Schleswig Holstein. Nicht etwa, dass ich zu den ganz besonders verwöhnten Zeitgenossen unseres Erdenrunds gehöre, das trifft es nicht. Weder die auffallende Unfreundlichkeit der sichtlich irritierten Mitarbeiterin in der Anmeldung, noch der restlos überfüllte Warteraum nährt mein Missfallen. Die Frau ist mit ihrer Aufgabe ganz offensichtlich stark überfordert, was mir eher leid tut, und wer spontan einen Notdienst in Anspruch nehmen muss, ja der sollte in der Regel mit einer langen Wartezeit rechnen. Auch sind es weder die scharfkantigen, harten Sitzgelegenheiten, noch ist es die Hitze, die in diesem gleißend ausgeleuchteten Raume überwiegt, und auch die Tatsache, dass ich all die Unpässlichkeiten – auf meine Tochter wartend – noch einmal für eine Dreiviertelstunde ertragen muss, ist es nicht. Die dann erfolgte Behandlung gefiel mit nicht!

Über die medizinische Behandlung, die nach dem Kommando: „Bitte gehen Sie gleich rechts den Gang entlang, dann die vierte Türe auf der linken Seite. Der Doktor wartet dort auf Sie.“ folgte, mache ich mir ernsthafte Gedanken. Wie ich erfuhr, hat man nach einem kurzen Gespräch die Rippen meiner Tochter radiologisch untersucht – ergo geröntgt! Dass die mit dieser Aufgabe betraute Röntgen-Assistentin die Frage nach einer etwaigen Schwangerschaft nicht stellte, das ist eine Sache, sie ist, was die Assistentin allerdings nicht wissen konnte, nicht relevant, eine ganz andere und wirklich gravierende Sache ist es aber, dass der diagnostizierende Arzt – mit einem prüfenden Blick auf das am Schaukasten hängende Röntgenbild – die Frage stellte: „Haben wir jetzt überhaupt die richtige Seite geröntgt?“ „Ich bin kein Radiologe“, so der besagte Arzt auf die offensichtliche Verwunderung meiner Tochter, „der könnte auf der Aufnahme auch mehr erkennen.“

Die Kassen unseres Gesundheitswesens sind leer, so raunt es nicht erst seit gestern durch unsere Republik, und für ein diesbezügliches, vernünftiges Sparprogramm sollte jeder Bürger Verständnis haben. Ich frage mich aber, ob das Erlebte allein eine Ausnahme war, eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, und das eigentlich kein Grund zur Sorge besteht oder ob ich hier eine Erfahrung mit dem Ergebnis eines unangemessenen Sparprogramms gemacht habe. Trifft Letzteres zu, wird indessen de facto nach dem Motto „Stellen streichen und sparen um jeden Preis“ agiert, ja dann gehen wir mit Riesenschritten in die falsche Richtung. Eine morbide Tendenz wäre das! Die Mitarbeiter eines Krankenhauses, die nicht nur ausgelastet sondern wahrlich überlastet sind, die können dem Bedarf an ausgewogener medizinischer Betreuung nicht gerecht werden. Wir sollten es nicht versuchen. Was übrig bliebe wären Patienten, die im Räderwerk der Rotstiftpolitik zu Störungen degradiert würden.

Anbei und im Rückblick: einige Stunden nach unserem Klinikaufenthalt haben wir die Angelegenheit in einer kleinen Arztpraxis für Allgemeinmedizin in Hamburg diagnostizieren lassen. Es handelte sich um eine durch Keuchhusten angebrochene Rippe – das gibt es tatsächlich! – die atmungsbedingt starke Schmerzen verursacht. Ja, und ob die in der Klinik gemachte Aufnahme nun die richtige Seite darstellt, das hütet das dortige Archiv als eines seiner vielen kleinen Geheimnisse, wie ich vermute.

© Peter Oebel

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