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Glut unter der Asche – Gedanken zum 17. Juni und seinen Folgen

17_juni_1953_leipzigVom 17. Juni 1953 weiß ich aus Erzählungen. Ich kam erst vier Jahre später zur Welt, wurde hineingeboren in die Diktatur. Mein Vater war ein junger Mann damals 1953 und lebte in Halle an der Saale. Er erzählte oft, wie am 17. Juni die „Genossen“ ihre Parteiausweise und andere Dokumente aus den Fenstern der SED-Kreisleitung warfen, weil sie Angst hatten. Angst vor dem Volk, als dessen Vertreter sie sich doch immer ausgaben. „Mit Panzern kannst du nicht diskutieren“. Diesen Satz lernten wir Kinder von den Eltern. Jene Panzer, die am 17. Juni einen Aufstand niederschlugen, der mit einer Demonstration um bessere Löhne im Baugewerbe begonnen hatte. „Mit Panzern kannst du nicht diskutieren“ – aber du kannst dennoch einen anderen Weg gehen, als den, den sie mit ihren Panzern erzwingen wollen. Diesen Weg gingen wir: weder bei den Pionieren, noch bei der FDJ, in keinem Armeelager, bei keiner Wahl.

Wir beteiligten uns nicht.

Dieser Weg war möglich, wenn er auch einen hohen Preis verlangte. Wenn die Kanzlerin heute vor laufenden Kameras meint, es habe keinen anderen Weg gegeben, als in der FDJ zu sein, dann ist das falsch. Es gab einen anderen Weg. Allerdings gehörte ein wenig Mut dazu, ihn zu gehen. Die Stärkung durch Gleichgesinnte und der Schutz der Familie waren ebenso nötig. 1953 schien es, als seien nun die letzten Hoffnungen auf ein demokratisches Gemeinwesen im Osten Deutschlands begraben worden unter den Ketten der russischen Panzer. Aber es schien nur so.

Denn da war Glut unter der Asche.

1968 kam der Prager Frühling. Dubcek versuchte den „dritten Weg“. Hoffnung keimte auf. Wieder schickte die „Diktatur des Proletariats“ die Panzer und begrub die Hoffnung unter ihren Ketten. Es wollte scheinen, als wenn die Diktatur ewig wären und ziviler Ungehorsam erfolglos bleiben würde. Aber es schien nur so. Denn im Januar 1988 gab es da diese Demonstration in Berlin, bei der einige wenige an die „Freiheit der Andersdenkenden“ erinnerten und dabei ausgerechnet Rosa Luxemburg zitierten, jene Unangepasste, die von der Obrigkeit doch so gern vereinnahmt und für ihre Zwecke benutzt wurde.

Die Verhaftungen jener Demonstranten führten zu „Fürbittandachten für die zu Unrecht Inhaftierten“, ich war schon Jugendpfarrer damals in der schönen Universitätsstadt Jena.
Wir waren mit die Ersten, die mit jenen Andachten anfingen, aus denen später die „Friedensandachten“ wurden. Wir saßen in der kleinen Sakristei der Jenaer Stadtkirche anfangs und ich lies Wolf Biermanns „Du lass dich nicht verhärten“ singen – draußen stand die Polizei vor der Kirche und registrierte jeden Besucher. Als Qelle für den Text hatte ich „volkstümlich“ drunter geschrieben. Auch hatte die Staatssicherheit etliche Beobachter in die Andachten geschickt, bei denen wir die neuesten Informationen aus Berlin auswerteten und uns überlegten, wie wir handeln könnten. Diverse umfängliche Akten zeugen davon.

Da war Glut unter der Asche.

Eine neue Generation war herangewachsen. Die Kinder derer vom 17. Juni 1953. Viele von ihnen wollten das Land verlassen. Oft waren es die Aktivsten, die sich der Diktatur nicht beugen wollten. Viele wollten „raus“, weil sie Freiheit und persönlichen materiellen Wohlstand wollten. Wir haben das kritisiert, empfanden es als Flucht vor der Verantwortung. Es gab aber auch jene, die ans Schwarze Brett der Universität schrieben: „Ich bleibe hier. Du auch?“ Wir gehörten zu denen, die blieben, weil sie im Lande ihre eigentliche Aufgabe sahen. Wir wollten einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, einen „dritten Weg“ zwischen dem zerstörerischen Kapitalismus des Westens, seinem billigen Materialismus und jener Diktatur, in der wir groß geworden waren. Wenn man die Programme der Reformgruppen der Wendejahre heute liest, fällt dieses auf: Alle wollten sie einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, einen „dritten Weg“.

Später hat ein Kollege mal sarkastisch gemeint, als wir über diesen Fakt sprachen: „Das Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung sammelt auch Illusionen.“

Aus den „Friedensandachten“ wurden Demonstrationen. Denn die Menschen mussten ja nach den Andachten irgendwie wieder nach Hause kommen. Die Zahlen der Menschen in den Andachten stiegen rapide, denn die Andachten waren der einzige Ort, wo man seine Fragen, Sorgen und seine Kritik loswerden und aussprechen konnte. Auf ihrem Weg nach Hause wurden die Menschen mutiger, schrieben eigene Transparente, wurden politischer, wurden lauter. Am Ende fiel das System in sich zusammen. Ein Stasi-Offizier brachte es auf den Satz: „Wir hatten mit allem gerechnet, aber nicht mit euren Kerzen.“

Das bringen die Ostdeutschen mit: die Erfahrung, dass eine ewig geglaubte Staatsform über Nacht verschwinden kann.

Als die Diktatur begann, ihre innere Hohlheit mit religiöser Sprache zu verbrämen – man sprach von „ewiger Freundschaft zur Sowjetunion“ – machten uns wache Menschen wie Professor Klaus-Peter Hertzsch auf diese wichtige Änderung in der Alltagssprache aufmerksam und deutete sie als Zeichen des Verfalls. In Erinnerung an die LTI, die „Sprache des Dritten Reiches“, die von Victor Klemperer so ausgezeichnet untersucht worden ist. Wir waren vorbereitet.

Die Sprache zeigte, daß das System fallen würde.

Wir wussten nicht, wann, aber wir wussten: Es würde fallen. Denn es war innerlich ausgebrannt und hohl. Den Gerontokraten, wie man die Mitglieder des ZK in jenen Tagen nannte, ging es nur noch um Machterhalt. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Dann ging alles ziemlich schnell in jenen verrückten Tagen im Herbst 89. Und am Ende war da eine Flamme zu sehen, angeblasen von einem frischen Wind, der durch das Land zog. Die Glut unter der Asche flammte neu auf, wurde zum Signal, das die Diktatur hinwegfegte. Die Panzer blieben in den Kasernen.

Es hat mehr als eine Generation gedauert vom Juni 1953 bis zum Herbst 1989. Auch das ist eine Erfahrung, die Ostdeutsche mitbringen: Manches dauert – und führt doch zum Ziel. Und dann, eines Tages, wenn „die Zeit reif“ ist, wie wir damals sagten, dann kann es sehr schnell gehen. Wir haben erlebt, wie die Regierung zusammenbrach und sich auflöste, wie die Ministerien verschwanden, sogar das für allmächtig gehaltene Ministerium für Staatssicherheit. Wir haben erlebt, wie die, die noch vor wenigen Stunden in Staatskarossen unter strengem Schutz durchs Land reisten, um sich bejubeln zu lassen, verschwanden wie ein Schatten an der Wand.

Ich sehe seither Regierungsprogramme, Vorhaben, das Land zu erneuern, nun endlich „alles ganz anders zu machen“ unter dem Blickwinkel dieser Erfahrung: Politik ist vorläufig. Über Nacht können sich Bedingungen radikal verändern, die man für „ewig“ gehalten hatte.

Deshalb ist es hilfreich, sich an den 17. Juni und sein Ende im Herbst 1989 zu erinnern. Denn die Mächtigen sind, so lehren es jene Tage, nur „ein Schatten an der Wand“. Manchmal genügen ein paar Kerzen und sie sind nicht mehr.

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