Freitag , 19 April 2024
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Die Angst des Menschen vor dem Fremden

punkerBin ich eine konditionierte Ratte? Ist das „Erwachsen-Werden“ etwas Natürliches geblieben, oder gehört es zu einem Plan, uns alle abzurichten? Kann ich weiterhin meinen Entscheidungen vertrauen? Gehe ich offenen Auges und gesunden Verstandes durch diese Welt? Wie nehme ich meine Mitmenschen wahr? Wo kommen meine Vorurteile her? Ist es normal, andere grundsätzlich nach Werten zu beurteilen? Fragen über Fragen. Noch mehr davon könnte ich mir oder uns allen stellen.

Es ist nicht so zu verstehen, dass ich nicht mit meinem Leben klar komme. Ich sollte nicht klagen. Mache es aber doch. Gerade deswegen. Weil ich nicht klagen sollte, mache ich genau das. Ich jammere. Ich frage nach. Ich quäle die, die mir sagen, ich darf nicht lamentieren. Warum sollte ich nicht kritisieren dürfen? Weil es mir gut geht? Weil ich in das Schema passe? Weil ich im Sinne der Gesellschaft ein guter Bürger bin?

In jungen Jahren habe ich den Satz: „Du musst was lernen, damit später etwas aus dir wird!“, ständig gehört. Zu oft. Das Ergebnis war ein Junge, der im zarten Alter von 14 Jahren bereits ausbrechen wollte. Ein Querulant. Ein Satan. Ein Aufwiegler. Ein Rocker, brutal und Schweineblut trinkend. All das warf man mir entgegen. Wohlgemerkt, die ach so gebildeten Erwachsenen spickten die Welt mit Vorurteilen. Sie hatten keinen Schimmer von den Gedanken, die einem pubertierenden Jungen im Kopf herumgeisterten.

Ich habe damals gelernt, dass ich nicht auf die Vorverurteilungen anderer hören möchte. So kam es, dass ich mit Obdachlosen am Stadtbrunnen saß und wissen wollte, was ihnen passiert sei. Ich redete mit Skinheads, Punks und alten Menschen. Meiner Lederjacke blieb ich lange Jahre treu. Man sah mich bei diesen Menschen und sagte mir Drogenmissbrauch nach. Klar. Die wenigsten Menschen, die ich dort in der Szene kennenlernte, hatten tatsächlich ein Drogenproblem. Sie hatten eher ein Nahrungsproblem. Aber das konnten die Erwachsenen meiner Zeit gnadenlos ausblenden. Nur nicht in die Nähe dieser Menschen kommen!

Ich habe es überlebt, wie ihr alle sehen könnt. Ich wurde nicht drogensüchtig, kein Floh und keine Laus besuchten meinen Körper. Meine langen Haare schnitt ich ab, ich fügte mich in die Gesellschaft ein. Die Umwelt atmete auf. Der Junge war nach Hause gekommen und schien ein Mensch zu werden. Oder sagen wir besser, er schien ein wertvoller Mensch zu werden. Jemand, der das Land, das der Opa und die Oma im Schweiße ihres Angesichts aufbauten, weiter pflegen wollte. Schulabschluss, Berufswahl, Lehre, Berufserfahrung, Weiterbildung, Fernseher, Auto, Schrankwand, Arztroman, Feierabend. Begriffe des um sich greifenden Stumpfsinns einer funktional angelegten Welt.

Was ich bis hier hin zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass sich nicht viel geändert hat. Früher wie heute werden Menschengruppen nach perfide ausgeklügelten Methoden aus der funktionierenden Gesellschaft ausgegrenzt. Eine Gesellschaft, die für viele funktioniert. Die Menschen, die in ihr leben, empfinden sich als glücklich und klaglos. Weil sie sich den Dogmen und Wertvorstellungen, innerhalb derer sie leben dürfen, angepasst haben. Sie atmen mit den Talkshows und BILD-Zeitungsüberschriften die Eigenschaften ein, die das Dilemma der Welt ausmachen.

Es geschehen unvorstellbare Dinge. Wir ziehen in den Krieg. Wir sanktionieren die Tötung eines Verdächtigen ohne Gerichtsverhandlung in einem souveränen Staat. Wir schüren Vorurteile über unsere Mitmenschen in den neuen Bundesländern. Wir lassen die Schergen der braunen Masse erstarken. Wir haben gelernt, alle Intrigen und Lügen der Regierenden aus unserem Kopf auszublenden. Wir haben gelernt, dass Hartz IV Empfänger grundsätzlich alkoholisierte, arbeitsscheue und sozial schmarotzende Arbeitslose sind. Und so weiter und so fort.

Hin und wieder schaue ich in den Spiegel. Dort entdecke ich den jungen Mann, der versucht hat, die Welt auf seine Weise zu verstehen. Fernab der Glorifizierung von Funktionen ausfüllenden Menschen. Er ist älter geworden. Aber die Erfahrungen und die Erinnerungen sind geblieben. Haben sich erweitert. Er ist nicht müde geworden, euch zu sagen: „Geht auf die Menschen zu. Hört ihnen zu. Versteht sie. Dann denkt nach und trefft eine Entscheidung.“ Was bei den meisten von uns das Denken ausschaltet, ist in vielen Fällen in den künstlich erschaffenen Ängsten begründet. Existenzängste an erster Stelle. Weltweite Seuchen. Schweinegrippe. Vogelgrippe. Angst, den Anschluss zu verlieren. Angst, den Zeitpunkt zu verpassen. Angst, unproduktiv zu sein. Angst, nicht zu funktionieren.

Und die Tragischste von allen implantierten Ängsten: Die Angst vor fremden Menschen.

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