Samstag , 20 April 2024
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Schönes Wochenende, liebe Nachbarn

stechspaten_anzugSamstagnachmittag. Alle vier Türen des VW Passat sind weit geöffnet, die Heckklappe ebenfalls. Das monoton schallende Geräusch eines Staubsaugermotors mischt sich aufdringlich in den Gesang von Roland Kaiser. Herr Stukenbrock, einer meiner etwas entfernteren Nachbarn, ein paar Häuser weiter, hat sich unmittelbar im Bereich des Fahrersitzes kniend positioniert, und ist scheinbar voll und ganz auf die Reinigung des Innenraumes konzentriert. Das heißt, ich nehme stark an, dass es sich um Herrn Stukenbrock handelt, beschwören könnte ich es nicht.

Nein, wie sollte das gehen? Allein sein verlängerter Rücken, eingepackt in einem ballonseidenen Trainingsanzug, ragt aus dem Wagen. Aber doch, er wird es wohl sein. In der Regel zeigt er sich an jedem Samstag – manchmal Sonntags – so. In Richtung Carport einen kurzen Gruß zu erbieten, ist mir auch heute kaum möglich. Weder den Sauger noch Roland Kaiser möchte ich übertönen. Im Vorbeigehen und aus dem Augenwinkel, zeigt sich mir noch eine Ansammlung dunkelblauer Fußmatten, die, direkt hinter meinem Nachbarn, fächerförmig im Halbkreis auf dem Boden liegt. Das leuchtende Kirschrot des adidas Outfits – oder ist es von Puma? – spendet dieser Wochenendbeschäftigungslandschaft einen auffälligen Kontrast. Wie immer dem sei: „Wenn das künftig immer so weitergeht“, höre ich mich denken, „ja dann müssten die Bodenbleche jenes Fahrzeugs bald durchgescheuert sein.“

Zwei Häuser weiter wird ebenfalls fleißig gearbeitet. Der ältere Herr, der dort auf der Anlegeleiter stehend seine Dachrinne säubert, der ist mir zwar nicht namentlich bekannt, aber auch ihn sehe ich an nahezu jedem Wochenende mit derselben Tätigkeit beschäftigt. Mittels besagter Leiter stets irgendwo an seinem Gemäuer hängend, widmet er sich auffallend gerne den Blättern, die vorwiegend im Herbst so nach und nach von den Bäumen rieseln. In der linken Hand die Schaufel und in der rechten Hand einen Eimer, sieht man jenen Zeitgenossen dann das Laub aus der Rinne hebeln, besser gesagt – man hört es. Ja, so ist das nun mal, wenn Blech über Blech gezogen wird. Was mich auf meinen Spaziergängen durch das Dorf immer wieder stutzig macht, ist nicht allein die hier zu beobachtende Hingabe, vielmehr erstaunt mich stets erneut, dass die besagten Bäume an dieser Stelle anscheinend das ganze Jahr über Blätter verlieren.

Meine unmittelbare Nachbarschaft kommt mir gerade in den Sinn. Rund zehn Jahre wohnen wir, mit einem Abstand von gut acht Metern, Haus an Haus. Eine nette Familie, das kann ich nur sagen. Mann, Frau, drei Kinder. Aufgrund der Tatsache, dass mein Nachbar sich beruflich stark engagiert, sehe ich ihn von Montag bis Freitag recht selten. Jenes Manko gleicht sich allerdings in den zwei Wochenendtagen sofort wieder aus. Zweifellos lässt sich das so beurteilen. Samstags/Sonntags zeigt er sich in sämtlichen Ecken seines Gartens. Emsig beschäftigt mit Vertikutieren, Mähen, Schreddern und Sägen, sieht man ihn nun, und das so gut wie pausenlos, von allen Seiten. Wie es scheint, und ich vermute es verhält sich real so, ist dieser Mensch nicht in der Lage, (s)eine Brücke zwischen Arbeit und Entspannung zu finden. Klar, er versteht das anders. „Die Tätigkeiten entspannen mich“, höre ich ihn sagen, „nur so kann ich überhaupt noch abschalten!“

Sollte das eine Logik bergen, so will sie sich mir nicht erschließen. Einverstanden, der Garten fordert seine Pflege, und natürlich will das Kaminholz auf die richtige Länge gebracht werden, das ist mir klar. Aber wenn all diese Arbeiten verlässlich allein am Wochenende ihre Erledigung finden, ausnahmslos wie permanent Samstags oder Sonntags, ja dann komme ich schon ins Grübeln. Ebenso ist es mir geheimnisumwittert, wie es angehen kann, dass es ausgerechnet für solche Beschäftigungen, die bekanntlich mit außerordentlich viel Lärm verbunden sind, durchgehend ein Motiv gibt. Kaum ragen die ersten Halme knapp aus dem Boden, schon schiebt mein Nachbar seinen Vertikutierer über das zarte Grün. Spätestens ab März wird dann pausenlos gemäht und gehäckselt. Und ja, selbstverständlich lässt sich jener Enthusiasmus nur ungern von den Mittags- und Kaffeetrinkzeiten bremsen. Eher nicht.

„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“, so der deutsche Schriftsteller Johann Jakob Wilhelm Heise vor bereits über 200 Jahren, und jene Erkenntnis erklärt mir tatsächlich einiges. Nein, auch wenn man hier durchaus von Lärmbelästigung sprechen darf, und mittlerweile dürfte es sich herumgesprochen haben, wie gesundheitsschädlich Lärm sein kann, ändern wird sich da nichts. Diesbezüglich ist ein jeglicher Hinweis unerwünscht. Eindeutig! Jede Kritik, und sei sie noch so berechtigt – und freundlich – vorgetragen, wird in der Regel pauschal abgelehnt, ja mündet gerne darin, dass der Kritisierte den Kritiker fortan eigentlich nicht mehr grüßen mag. Ergo lasse ich das lieber. Vielleicht verspürt besagter Wochenend- Haus- und Gartenheimwerker ja künftig selbst ein Verlangen nach etwas mehr Ruhe. Auf Einsicht hoffend, nehme ich bis dahin das hin, was eben nicht zu ändern ist.

Was die Natur betrifft, so zeigt sich dieser Frühlingstag im April wirklich von seiner besten Seite. Es ist immer wieder überwältigend schön, zu sehen, mit welchen prachtvollen Farben der Lenz seine Bilder malt … Mein kleiner Rundgang neigt sich so langsam dem Ende zu. Der ältere Herr, er steht zwar immer noch auf seiner Anlegeleiter, widmet sich nunmehr aber ganz offensichtlich einer anderen Aufgabenstellung: Das Vordach seines Hauses wird von den Spuren befreit, die die Natur dort zu hinterlassen pflegt. Die Düse – oder sagt man besser Handspritzpistole? – des Hochdruckreinigers zielsicher auf die Schindeln gerichtet, flieht der ungewünschte Belag explosionsartig in alle Richtungen. Pulsierend bellt der gelbe Kompressor seinen Druck (100 bar ?) auf das Moos, das es sich zwischen den Ritzen und Fugen gemütlich gemacht hat. In regelmäßigen Abständen werden Leiter nebst Mann vom feinen Nebel des Spritzwassers eingehüllt. So wie es aussieht, hat Herr Stukenbrock sein Wochenend-Pensum ebenfalls noch nicht erreicht, das leuchtende Kirschrot seines ballonseidenen Trainingsanzugs klemmt zurzeit zwischen Heckklappe und der leergeräumten Wanne des Hecks. Die Ecken und Winkel des Kofferraums werden vermutlich abgesaugt. Diesmal ist es nicht Roland Kaiser, der vom dröhnenden Motorengeräusch begleitet wird, sondern Ernst Mosch mit seinen Egerländer Musikanten. „Gut“, denke ich mir, „das passt indes zusammen.“

„Moin!“, kurz vor meiner Haustür und über den Gartenzaun hinweg, begrüßt mich mein (unmittelbarer) Nachbar mit freundlicher Stimme. In der einen Hand einen Stecker und in der anderen eine Kabeltrommel, ist er soeben im Begriff, eine kleine Handflex mit Strom zu versorgen. Die drei seitlich vor ihm abgestellten Gehwegplatten aus Beton lassen keine Frage bezüglich seines Vorhabens aufkommen: Hier muss wieder einmal der Gartenweg den allerneuesten Ideen angepasst werden. „Moin!“, rufe ich ebenso freundlich zurück, und bleibe stehen. Wie in solchen Situationen gewohnt, wechseln wir ein paar Worte miteinander, sprechen über dies und über das und natürlich kurz über das Wetter. Als ein sicheres Zeichen, dass ich, was mich betrifft, das Gespräch nun gerne beenden möchte, schließe ich meine Tür auf. Bei einem Glas Wein und mit einem Buch, beabsichtige ich auf meiner Terrasse noch etwas die Sonne zu genießen. Mein Nachbar hat die Geste verstanden. „Schönes Wochenende!“, ruft er mir noch zu, während ich mein Haus betrete.

© Peter Oebel

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