Freitag , 19 April 2024
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Globalisierte Kinderträume: Hochgestapelt und viel verdient

puppengesichtDie Verkäuferin, mein Enkelkind und meine Wenigkeit – zu dritt stehen wir vor dem stählernen Stapelregal und blicken in die Höhe. „Und, wie soll das jetzt weitergehen?“, frage ich. Von dem Puppen-Kinderwagen, für den sich meine kleine Begleiterin so brennend interessiert, lässt sich gerade mal soeben der vordere Teil erkennen. Da das Ersehnte gut sechs Meter senkrecht von uns entfernt lagert, ist das alles andere als ein Wunder. „Sie nehmen hier einen der Zettel aus dem Kästchen, geben ihn an der Kasse ab, zahlen, und bekommen dann den Wagen am Lagertresen.“

Das imposante Lagergerüst ist zwischen zwei dicken, eckigen Säulen aus Sichtbeton positioniert. Die Verkäuferin, ein junges Mädchen so um die 20, weist auf einen der beiden Kästen aus gebürstetem Edelstahl, die jeweils, in Augenhöhe der Erwachsenen, an den Säulen montiert sind. „Artikel und Preis beinhaltet der Barcode auf dem Zettel. Wie gesagt, alles Weitere geht automatisch.“ Die letzten Worte richtet die Lagergehilfin bereits im Fortgehen an mich, was mir deutlichst signalisiert, dass sie bereits an anderer Stelle erwartet wird. Den Kopf weit in den Nacken gedrückt, sieht das Mädchen an meiner Seite immer noch nach oben. „Können wir den Wagen nicht kaufen?“ Mit der rechten Hand zeigt sie in Richtung ihres Wunsches. Ihre Stimme lässt bereits Enttäuschung erahnen. Wie ich vermute, wirken wir beide etwas ratlos. Jedenfalls ist das ganz eindeutig der Fall. Ich blicke nach links und nach rechts den Gang entlang.

Ein mit grauer Fußbodenfarbe gestrichener Estrich, auf dem wir stehen. Ein Materialverbund, dem auch das ständige Befahren mit Hubwagen und Gabelstaplern nichts anhaben kann. Vor und hinter uns: zusammengeschraubte Winkel und Bleche. Auf den Blechen, zumeist im rechten Winkel, die gelagerten Spielzeuge. Insgesamt gesehen, so aus dem Augenwinkel betrachtet, ein schreiendes Bunt, ausgerichtet, auf einem symmetrisch angeordneten Grau. Inmitten der Lagergerüst-Schlucht komme ich mir verloren vor. Zumal jene Regale konsequent bis kurz unter die Decke dieser mehrere tausend Quadratmeter großen Halle reichen. Genauer gesagt, reichen sie bis an das Gemisch aus runden und eckigen Blechschächten des Lüftungssystems heran, das sich über den gesamten oberen Bereich des Gebäudes schlängelt. Meiner Begleitung ergeht es nicht so. Hier vermögen die Gedanken eines aufgeregten Kinderherzens, das von mir Empfundene zu überlagern.

Der gute alte Spielwarenladen – er setzt sich in die erste Reihe meiner Erinnerungen. „Mit dem Kauf eines Spielzeugs sollte auch eine positive Erfahrung einhergehen“, höre ich mich laut denken.„Eine solche Begebenheit kann eine beglückende Erinnerung zeichnen, ja einen wunderbaren Traum reichen, der einen Menschen ein ganzes Leben lang geduldig begleitet.“ Letzteres gilt im Besonderen, wenn zwei leuchtende Kinderaugen den Erwerb aufnehmen. Noch ist es da, das kleine Geschäft, in dem mir die Bedienung im Laufe der Zeit persönlich bekannt wurde. Noch kann ich ihn besuchen, den übersichtlichen Laden, wo der Geschäftsinhaber so manchen Schatz seiner Auslage auf der Spielwarenmesse in Nürnberg entdeckt hat. Klar, das eine oder andere Spielzeug ist hier etwas teurer, doch eingedenk der Tatsache, dass ich, beispielsweise, einen Puppen-Kinderwagen nicht allzu häufig verschenke, mag ich den Mehrpreis durchaus verkraften.

„Nein“, sage ich zu dem Kind an meiner Hand, „hier können wir dir deinen Wunsch nicht erfüllen. Nicht wirklich.“ Stracks gehen wir auf dem grauen Betonweg Richtung Ausgang. Hinter den Regalen, das Surren von batteriebetriebenen Motoren. Gabelstapler? Hubwagen? Die ständig von diversen Lautsprechern weitergereichten Durchsagen fügen sich übergangslos in die Geräuschkulisse dieser Institution. Vorbei an der kreisrunden Theke, auf der die Kassen angeordnet sind, die Stationen, die die Barcode-Zettel registrieren. Vorbei an dem breiten Tresen des Auslieferungslagers, an dem die vorne stehenden Personen einer längeren Menschenschlange ihre in Kartonage verpackten Waren in Empfang nehmen. Mitten durch die Mess-Station, die, direkt am Ausgang stationiert, mittels diverser Pieptöne einen etwaig geschmuggelte Artikel signalisiert. Eine automatisch gesteuerte Glastürschleuse gibt uns lautlos den Weg zum Draußen frei.

Mit diesen gigantischen Hallen, die auch Spielwaren-Discounter genannt werden und in denen das Angebot buchstäblich lagert, kann ich mich nicht anfreunden. Das liegt nicht allein daran, dass ich meine Zweifel hege, ob sich die von mir angesprochene Erfahrung – jenes Erleben! – tatsächlich inmitten der Stahlstapelregale einstellen kann. Diese meine Abneigung nährt sich auch aus dem, was sich in der Regel hinter den Kulissen jener sogenannten Kinder-Spielzeug-Paradiese zeigt. So erinnere ich mich noch recht gut an die Rückrufaktionen, zu denen vor einigen Jahren der amerikanische Konzern Toys „R“ Us gezwungen wurde, weil einige der aus Ostasien importierten Spielwaren wegen Schadstoffbelastungen auffällig wurden. Bei diesem Beispiel werde ich es belassen. Hier eine Anklage zu erheben liegt fernab meiner Absicht. Schließlich sind wir es, die Verbraucher, die Derartiges provozieren, ergo ermöglichen, und dann nähren.

Gut eine halbe Stunde später, befinden wir uns in unserem Spielzeugladen. Der gewisse Zauber, dem sich auch die großen Kinder – die Erwachsenen – kaum entziehen können, entfaltet sich ganz von allein, ja schwebt, so empfinde ich es, seicht über die überaus freundliche Gesellschaft aus Puppen, Teddys und Stofftieren hinweg. Immer wieder erlebe ich sie so, die Illusion einer kindlichen Leichtigkeit, die allein von diesem Ambiente auszugehen vermag. Vor vielen, vielen Jahren als Kind, vor einigen Jahren als Vater mit meinen Kindern, und nunmehr … als Großvater mit den Enkelkindern. Das möchte ich so belassen. Für die Kinder, aber auch für mich. Zumindest so lange wie möglich. Und ja, einen Kinderwagen, für die Puppe meiner Enkeltochter, bekommen wir hier selbstverständlich auch. Vier stehen zur Auswahl. Zwei kommen letztlich in die engere Wahl. Für einen entscheiden wir uns, oder, besser gesagt, entscheidet sich die junge Puppenmutter.

© Peter Oebel

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