Mittwoch , 24 April 2024
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Unkontrollierte Revolten verschlingen sich selbst

sturm_bastilleOder: Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder. Hacker-Angriffe gegen Visa und gegen Mastercard, gegen PayPal und gegen Moneybookers – und nun, angeblich oder nicht, auch gegen Amazon. Alles im Fahrwasser der Wikileaks-Affaire. Attacken gegen das sogenannte Establishment. Der Schaden hält sich in Grenzen, wenn überhaupt von solchem geredet werden kann. Trotzdem, die Möglichkeit ist gegeben. Von Cyber-Angriffen bis zu massiven Boykotten, ist der Wille zum Widerstand gegeben, genügend verbreitet, dann lassen sich Konstruktionen zum symbolischen Einsturz bringen. Allerdings, zu wessen Nutzen?

Je weiter die Französische Revolution um sich griff, je mehr die vorhandene Infrastruktur roher, unkontrollierter Gewalt zum Opfer fiel desto notwendiger wurde ein Eingreifen durch die Revolutionsführer selbst. Angriffe gegen eine bestehende Ordnung, ungeachtet der Vorwürfe gegen diejenigen, unter dessen Kontrolle diese Ordnung steht, bringen eine Reduktion oder, im Extremfall, sogar das Ende der angebotenen Leistungen mit sich. Auf manches lässt sich leicht verzichten, auf anderes schwerlich, und auf wiederum anderes überhaupt nicht.

Weswegen war die Webseite des Internet-Giganten Amazon vorübergehend nicht verfügbar? War es ein Hardware-Fehler, wie von Repräsentanten des Unternehmens verlautet, oder handelte es sich doch um einen Hacker-Angriff? Aber lassen wir die möglichen Ursachen einfach beiseite und fragen uns, ob wir auf deren Angebote nicht ohnehin verzichten könnten bzw., ob wir darauf verzichten wollen. So manchem Buchladen-Besitzer wäre ein Verschwinden dieser unbezwingbaren Konkurrenz mit Sicherheit willkommen. Werfen wir einen Blick auf das mittlerweile weit ausgedehnte Spektrum der Angebote, von Bekleidung über Computer & Zubehör bis zu Spielzeug und Schmuck, wird sich die Zahl der hilflos verdrängten Einzelhändler in Zukunft noch gewaltig vergrößern. Die Service-Leistung des Website-Hostings wurde durch das Auflösen der Zusammenarbeit mit Wikileaks erst kürzlich wirklich bekannt.

Ich bin überzeugt, dass es mittlerweile eine entsprechend große Zahl von Menschen gibt, die es vorziehen, nicht nur online nach dem gewünschten Buch zu suchen, sondern es auch auf diesem Wege zu bestellen und wenige Tage später ins Haus geliefert zu bekommen. Auch wenn, wie Verleger erklären, der durch Amazon verkaufte Anteil nicht mehr als fünf Prozent beträgt, Direktkäufe im Internet sind weltweit im Ansteigen.

Nehmen wir an, Hackern wäre es gelungen, den Zusammenbruch von Zahlungsdienstleistern wie PayPal oder Moneybookers zu bewirken, alternative Möglichkeiten wären natürlich gegeben, allerdings mit wesentlich größerem Aufwand.

Erst kürzlich erschien bei The Intelligence ein Artikel über das Konsumverhalten, das, zumindest in den meisten Fällen, dafür verantwortlich ist, dass einzelne Unternehmen gefährliche Dominanz über die sogenannten „freien Märkte“ erzielen. Je weiter die Versorgung mit Verbrauchsgütern und Dienstleistungen in den Kontrollbereich einer relativ kleinen Gruppe gleitet desto größer wird unsere eigene Abhängigkeit. Wir genießen Komfort, nehmen Vereinfachungen gerne in Anspruch, doch lässt sich gleichzeitig beobachten, dass nicht nur Bequemlichkeit von diesen Angeboten abhängt, sondern in fortschreitendem Maße auch die Versorgung schlechthin.

Noch einmal möchte ich den Begriff des „freien Marktes“ aufgreifen. In einigen der Länder, denen vorgeworfen wird, undemokratisch zu sein und sich diesen „freien Märkten“ gegenüber zu verschließen, stehen Klein- und Kleinstunternehmern kaum Hindernisse im Wege. Ohne nennenswerten Kapitalaufwand und ohne aufwendig zu erlangende Bewilligungen, steht es dem Einzelnen frei, seine Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Die kritisierten Einschränkungen beziehen sich auf internationale Konzerne, denen es unterbunden wird, die heimische Wirtschaft zu dominieren.

Stellen wir uns nun vor, in einem dieser „rückständigen“ Länder, wo Kleider von Schneidern und Schuhe von Schustern angefertigt werden, wo Bauern ihre Produkte ohne Zwischenhandel zu den Märkten der Städte liefern, würde ein Generalstreik ausbrechen. Die Konsequenzen wären bei weitem geringer, verglichen mit der Struktur unserer modernen Welt.

Selbstverständlich ist niemand bereit, und ich schließe mich selbst – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – durchaus ein, auf die Annehmlichkeiten unserer fortgeschrittenen Zivilisation zu verzichten. Doch leisten wir einen Preis dafür, und dieser heißt: Abhängigkeit – und zwar nicht nur von den Gütern selbst, sondern von jenen Konzernen, die die Versorgung mit diesen Gütern gewährleisten.

Wie in einem Artikel, der sich mit der gegebenen Machtstruktur auseinander setzt, verdeutlicht wird, übt das Bankensystem, das sowohl den Geldfluss kontrolliert als auch als Gläubiger unserer Staaten auftritt, den ersten Einfluss auf jede Entwicklung aus. An zweiter Stelle steht das Konzernwesen. Ungeachtet der Größe eines Unternehmens, hängt dessen Existenz zwar von den Konsumenten ab, doch ist es in sehr vielen Fällen diesen wiederum absolut unmöglich, auf die Güter oder Leistungen zu verzichten, die von diesen Konzernen kontrolliert werden. Würde, ähnlich wie zu Zeiten der Französischen Revolution, der Volkszorn ausbrechen und die wahren Machthaber würden diesem mitsamt ihren Einrichtungen zum Opfer fallen, würde es nicht lange dauern und dieses wutentbrannte Volk müsste erkennen, dass es den Ast des Baumes absägt, auf dem es selbst sitzt.

Die vermuteten Hacker-Angriffe gegen Unternehmen, die Wikileaks ihre Dienstleistungen aufkündigten, richteten sich natürlich keineswegs gegen das vorherrschende System als ganzes. Es sollte ein Denkzettel sein, eine Erinnerung daran, dass sich Wikileaks – oder noch besser: Der Versuch, Einblicke in die Hintergründe der Weltpolitik zu liefern – breiter Unterstützung erfreut. Doch regen diese Aktionen durchaus auch zum Nachdenken an. In einer international verknüpften Welt, laufen die Fäden letztendlich in wenigen Schaltstellen zusammen. So wie die Zahl der Anbieter, über die Wikileaks die gespendeten Gelder erhält, in ihrer Zahl sehr klein ist, so wird auch die Zahl jener Unternehmen, die uns mit unverzichtbaren Verbrauchsgütern, von Treibstoff bis zu Nahrungsmitteln, versorgen, immer kleiner. Auch wenn uns dies beim Schlendern durch den Supermarkt keineswegs bewusst ist, die mittlerweile viel zu weit fortgeschrittene Zentralisierung lässt den Faden, an dem unsere Versorgung mit dem Notwendigsten hängt, immer dünner werden. Die Möglichkeiten, dass dieser Faden reißen könnte, sind jederzeit gegeben. Von Naturkatastrophen bis zu, außer Kontrolle geratenden, Aufständen.

Natürlich gäbe es eine Alternative. Nämlich, die Leistungen kleiner Anbieter bewusst und verstärkt in Anspruch zu nehmen. Kleinunternehmen, die in Summe mehr und qualitativ bessere Arbeitsplätze schaffen, mehr zu fördern als Wirtschaftsgiganten. Für Konsumenten könnte dies aber gewisse Unannehmlichkeiten und vor allem höhere Preise mit sich bringen, insbesondere wenn Produkten heimischer Erzeugung der Vorzug gegeben werden soll. Dazu kommt, dass ein Effekt nur dann erzielt werden kann, wenn sich diesbezügliches kollektives Bewusstsein entsprechend ausbreitet. Dazu wäre es wiederum notwendig, Ideale von Freiheit ebenso in den Vordergrund zu rücken wie nationale Unabhängigkeit. Freiheit bringt Verantwortung mit sich, die viele von uns leider nicht mehr bereit wären, zu tragen. In welche Ecke Aufrufe zu nationaler Unabhängigkeit gedrängt werden, noch dazu, wenn diese in deutscher Sprache erfolgen, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern. Ein Problem für sich würde noch dazu die unabwendbare Abhängigkeit von importiertem Erdöl darstellen. Alternative Energieformen könnten schließlich nur einen Bruchteil des zur Zeit gegebenen Bedarfes abdecken.

Es ist immer leichter, Bestehendes zu kritisieren als Neues zu schaffen. Nicht nur, dass sich das Bestehende über Jahre und Jahrzehnte hinweg zu dem entwickelt hat, was es ist, zeitweiliger Komfort, Bequemlichkeit, die Scheu gegenüber Unbekanntem und erstklassig vorbereitete Argumente zur Verteidigung der vorherrschenden Entwicklung drängen die, für die überwiegende Mehrheit kaum erkennbaren, Schattenseiten in den Hintergrund. Geschichtliche Parallelen verblassen hinter dem Trugschluss einer unaufhaltsamen Verbesserung. Dementsprechend kann die Hoffnung, die Weichen doch noch in eine andere Richtung zu stellen, nicht wirklich gegeben sein. Dem Einzelnen steht es aber trotzdem offen, sich einen objektiven Überblick zu bewahren. Und vermutlich sind wir bereits an einem Punkt angelangt, an dem das Anpassen an die gegebene Situation einem provozierten Chaos immer noch vorzuziehen wäre.

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