Freitag , 29 März 2024
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Waren unsere Vorfahren durchwegs schlechte Menschen

kaiser_wilhelm_INicht die leidvolle Epoche zwischen 1932 und 1945 möchte ich als Vergleich zum modernen Zeitgeist nehmen, sondern die Zeit davor. Noch deutlicher wird es, wenn wir auch den ersten Weltkrieg überspringen. Als es in Deutschland und in Österreich noch Kaiser gab, Russland von einem Zaren regiert wurde, Erwerbstätigkeit überwiegend den Männern oblag und Frauen dazu „verdammt“ waren, sich um die Familie zu kümmern. Eine Zeit, als Fremden Misstrauen entgegen gebracht wurde und es an Toleranz gegenüber den meisten Veränderungen fehlte. Viele unserer Groß- oder zumindest Urgroßeltern haben damals gelebt. Wie würde man heutzutage über sie herfallen, würden diese Menschen offen ihre Meinung äußern?

In den USA ist die freie Meinungsäußerung durch einen Verfassungs-Zusatz verbrieft. In anderen Ländern gehen wir schlicht davon aus, das Recht dazu zu haben. Doch, und dies entspricht der Logik des gesellschaftlichen Zusammenlebens, wer seine Ansichten verkündet, sollte dies in Harmonie mit seinem Umfeld tun. Wer zur Gewalt oder auch nur Respektlosigkeit aufruft, wer das Ansehen seiner Mitmenschen ungerechtfertigt zu untergraben versucht, verdient es durchaus, zumindest durch Missachtung und Ausgrenzung, bestraft zu werden. Dieser soziale Schutzmechanismus gegenüber der Verbreitung extremistischer Weltbilder bedarf keiner Gesetze, er gehört zu den Grundpfeilern des Lebens in der Gemeinschaft.

Und somit zeichnete sich auch jede Epoche durch ihre eigenen Tabus aus. Auch als die Inquisition Ketzern nicht mehr mit dem Tod am Scheiterhaufen drohte, war es trotzdem unstatthaft, den Kernpunkt des christlichen Glaubens, die Leiden Jesu’ am Kreuz, als historisches Ereignis in Frage zu stellen. Es gehörte nicht zum guten Ton, die Integrität des Monarchen zu bezweifeln. Und wer sich, zumindest nach außen hin, weigerte, sich den sozialen Voraussetzungen, ungeachtet der Standeszugehörigkeit, anzupassen, musste damit rechnen, aus dieser Gemeinschaft ausgegrenzt zu werden.

Ob die Menschen jener Zeit glücklich und zufrieden waren, lässt sich mit Sicherheit nicht verallgemeinern. Wer Charles Dickens’ Beschreibungen der Londoner Armutsviertel zur Zeit Königin Viktorias zum Vorbild nimmt oder die Unterdrückung der Iren durch die englischen Besatzer, wird sich einer anderen Vorstellung hingeben als der Leser von Stefan Zweig, der in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg eine deutliche Verbesserung der sozialen Gegebenheiten, selbst in den Arbeitervierteln der Vorstadt, beobachten konnte. Wer sich oberflächlich der Annahme verschreibt, die Bürger der Vergangenheit seien von den Herrscherhäusern ausgeblutet worden, ohne der Wertverteilung der Gegenwart näheres Augenmerk zu schenken, wird sich schwer tun, einem objektiven Geschichtsbild auch nur nahe zu kommen.

Doch lassen wir, insbesondere durch die fortschreitende Industrie hervorgerufene, soziale Extremfälle beiseite. Nehmen wir die Denkweise eines ganz normalen Bürgers, eines Beamten, eines Handwerkers oder eines Bauern als Beispiel und fragen wir uns, wie dessen Meinung gegenüber den Veränderungen der Lebensumstände unserer modernen Zeit ausgesehen haben könnte. Die Erziehung der Kinder schon im jüngsten Alter Institutionen zu überlassen, weil die Frau nicht mehr Mutter sein will. Zuwanderern das Recht zugestehen, ihre eigene Kultur, Religion und Muttersprache weiter zu pflegen, ohne irgend welche Anzeichen zu setzen, sich an die Gepflogenheiten des Gastlandes anzupassen. Gleichgeschlechtliche Beziehungen durch die Möglichkeit einer Eheschließung als legitim zu sanktionieren. – Ich möchte in aller Deutlichkeit festhalten, dass nicht ich als Autor dieser Zeilen diese Veränderungen des Zeitgeists in Frage stelle, sondern versuche, zu verdeutlichen, wie unsere Vorfahren diesbezüglich eingestellt gewesen sein könnten. – Hätte der Bürger des 19. Jahrhunderts es als Bereicherung erachtet, statt Bratwurst Döner serviert zu bekommen? Hätte er es als das Recht auf Selbstverwirklichung respektiert, wenn seine Frau an einer Supermarktkasse gearbeitet hätte, anstatt den Haushalt zu führen? Hätte er es als Bereicherung akzeptiert, wenn sein Sohn in der Schule im eigenen Land einer sprachlichen und ethnischen Minderheit angehört hätte? Hätte er es unterlassen, sich gegen die Veränderungen Jahrhunderte alten Gedankenguts auszusprechen?

Vielleicht sollten Menschen der heutigen Zeit, die sich mit der modernen Form der Umerziehung nicht anfreunden können, sich dagegen wehren, die zitierte Epoche zwischen 1932 und 1945 als einzige Vergleichsbasis herzunehmen. Kein auch nur halbwegs vernünftiger Mensch würde sich auch nur im entferntesten wünschen, mit der Ideologie, die dieser tragikvollen Epoche entstammt, in Verbindung gebracht zu werden. Doch was sollte daran zu kritisieren sein, sich mit dem Gedankengut des 19. Jahrhunderts, und den Jahrhunderten, die davor lagen, zu identifizieren? Es sei denn, die überwiegende Mehrzahl unserer Vorfahren wären verachtenswerte, intolerante, engstirnige, von blinden Vorurteilen gelenkte Menschen gewesen, deren wir uns heutzutage schämen müssten. Gedanken und Weltbilder verändern sich im Lauf der sozialen Evolution. Doch derartige Prozesse funktionieren langsam, überschaubar und sollten weitgehend als Verbesserung dienen, sofern sie dem allgemeinen Verständnis der Menschen entstammen. Wenn gewisse einflussreiche Lobbys plötzlich beschließen, Gedankengut in revolutionärer Form zu verändern, neue Ansichten als vorgegeben präsentieren und darauf zählen, dass sich die Denkweise der Menschen langsam anpassen wird, wirft sich gleichzeitig die Frage auf, was dadurch bezweckt werden soll. Ich persönlich muss offen zugeben, dass er mir schwer fällt, meine eigenen und unser aller Vorfahren in ein schlechtes Licht gerückt zu sehen.

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