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Obdachlosigkeit in Deutschland

Warum gibt es Obdachlose in Deutschland?

Obdachlose Menschen leben überwiegend in Großstädten. Sie haben keinen festen Wohnsitz und keine Möglichkeit, bei Freunden oder Verwandten unterzukommen. Ihr Lebensraum ist die Straße. Sie schlafen auf Parkbänken, in Bahnhöfen oder in Hofeinfahrten. Auch die sprichwörtlich bekannte Brücke bietet zumindest einen trockenen Platz für die Nacht. Während die Situation für die Obdachlosen im Sommer aufgrund der milden Temperaturen als besser eingestuft wird, kann die Übernachtung im Freien während der Wintermonate lebensgefährlich sein. Immer wieder erfrieren Menschen, weil sie keine Hilfe geboten bekamen oder sie nicht annehmen wollten. U-Bahnen und Bahnhöfe werden nachts bewacht oder abgeschlossen. Tagsüber stören sich die Passanten an den Menschen, die in einer eigenen und fremden Welt leben.

Wenn wir durch die Einkaufsstraßen einer größeren Stadt flanieren, hier und da ein bisschen Geld ausgeben und im Straßencafé verweilen, sehen wir hin und wieder Obdachlose, die betteln oder die einfach nur an Häuserwänden oder in Einfahrten sitzen, miteinander reden, schlafen oder ein Bier trinken. Oftmals fragen wir uns dann, wie es sein kann, dass Menschen in Deutschland derart durch das soziale Netz rutschen, dass sie sich am untersten Rand der Gesellschaft wiederfinden und kein Leben mehr führen dürfen, welches nach §1 des Grundgesetzes auch nur im entferntesten Sinne als menschenwürdig bezeichnet werden könnte.

Im sozialen Netz wird Hilfe zum Lebensunterhalt und eine angemessene Wohnung vom Staat bezahlt. Warum nehmen diese Menschen die Hilfe nicht an? Ist es Verzweiflung, eine besondere Lebensart oder einfach nur Schicksal, wenn ein Obdachloser das Leben auf der Straße vorzieht? Haben Obdachlose selbst Schuld an ihrer Situation? Und gibt es eine Möglichkeit, den Kreislauf zu durchbrechen und wieder in ein Leben zurückzukehren, das als menschenwürdig bezeichnet werden kann?

Obdachlosigkeit in Deutschland in Zahlen

In allen größeren deutschen Städten gibt es Obdachlose, und doch ist die Zahl nicht so groß, wie man vielleicht glauben mag: Laut den Schätzungen des Diakonischen Werks waren in Deutschland im Jahre 2013 etwa 24.000 Menschen obdachlos. In der Zusammensetzung sind 80 % der Obdachlosen Männer. Etwa zehn Prozent fallen jeweils auf Frauen und auf Minderjährige beiden Geschlechts. Es gibt Menschen, die den Weg zurück in ein menschenwürdiges Leben schaffen. Einige finden jedoch die Kraft nicht, diesen Weg zu gehen. Und es gibt auch einige wenige Obdachlose, die aus selbst gewählten Prinzipien auf der Straße leben und bei einer Befragung angeben, gar kein anderes Leben zu wollen.
Die Obdachlosigkeit ist nicht zu verwechseln mit der Wohnungslosigkeit. Die Zahl wohnungsloser Menschen wird laut Schätzungen im Jahre 2016 die 300.000 überschreiten. Diese Menschen sind jedoch nicht als obdachlos zu bezeichnen, da sie nicht auf der Straße schlafen. In ihrem Ausweis ist zwar kein fester Wohnsitz verzeichnet, aber sie können bei Freunden oder Verwandten übernachten. Auch Menschen, die obdachlos waren und einen Platz in einem Wohnheim bekommen haben, werden zu den Wohnungslosen gezählt. Ein wohnungsloser Mensch ist demnach nicht automatisch obdachlos, während ein Obdachloser in die Zahl der Wohnungslosen einbezogen wird.

Obdachlos trotz engem sozialen Netzwerk

obdachlos und ohne Perspektive
Der Weg aus der Obdachlosigkeit ist sehr schwer!

In Deutschland werden für bedürftige Menschen umfangreiche soziale Hilfen gezahlt. Für jede im Haushalt lebende Person gibt es Hilfe zum Lebensunterhalt sowie weitere Leistungen, sodass Miete, Heizung und Sonderausgaben bezahlt werden können. Wenn Sie durch die Einkaufspassagen bummeln und von einem Obdachlosen angebettelt werden, haben Sie sich bestimmt noch einmal gefragt, warum diese Menschen keine Sozialleistungen beziehen.

Sehr vielschichtige Gründe können Ursache dafür sein, dass Menschen in die Obdachlosigkeit abrutschen. Um Sozialleistungen zu erhalten, muss eine Meldung bei den zuständigen Behörden erfolgen. Um Sozialleistungen beziehen zu können, müssen die Bedürftigen jedoch einige Voraussetzungen erfüllen. Dies ist der Grund dafür, dass Menschen in die Obdachlosigkeit abrutschen: Sie sehen sich nicht dazu in der Lage.

Um Sozialleistungen zu erhalten, muss sich der Obdachlose in einem Jobcenter melden und sich registrieren lassen. Der Obdachlose sollte ein Girokonto besitzen, um die Leistungen bargeldlos empfangen zu können. Es gibt auch die Möglichkeit, die Leistungen als Scheck zu bekommen, der bei einer Filiale der Postbank eingelöst werden kann. Hartz IV kann auch beziehen, wer keinen Wohnsitz hat. Die größte Hürde besteht für den Obdachlosen in dem Besuch der Ämter und in dem Ausfüllen der Formulare. Die meisten von uns kennen bürokratische Hürden in vielen Lebensbereichen. Wir packen sie an und finden uns damit ab.

Viele Obdachlose sind mit den Behördengängen oftmals so überfordert, dass sie sich aufgeben und sich irgendwann auf der Straße wiederfinden. Sie sind in einem Teufelskreis angekommen, sie resignieren, und so werden aus einigen Wochen oder Monaten, in denen man kein Zuhause hat, mitunter Jahre. Es gibt Obdachlose, die bis zu ihrem Tod nie wieder eine eigene Wohnung und ein geregeltes, oft auch als „bürgerlich“ benanntes Leben geführt haben. In Deutschland gilt: Ohne Antrag gibt es keine Sozialleistungen.

Und wenn ein Obdachloser einen Antrag stellt, zieht dies weitere Maßnahmen nach sich: Die Jobcenter haben den Auftrag, die Zeiten für den Bezug von Sozialleistungen möglichst kurz zu halten. Der Obdachlose muss Termine wahrnehmen, dem Amt für kleine Jobs zur Verfügung stehen oder bereit sein, an Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Kommt er diesen Auflagen nicht nach, wird das Geld gekürzt oder ganz gestrichen. Wer bereits einige Zeit auf der Straße lebt, ist mitunter gar nicht mehr in der Lage, einen Termin wahr zu nehmen oder ein Formular auszufüllen. Man findet sich mit dem Leben ab, und so wird es auch in einem reichen Land wie Deutschland nicht gelingen, die Obdachlosigkeit ganz einzudämmen.

Obdachlos. Einmal Straße, immer Straße?

Der Weg in die Obdachlosigkeit ist oft nicht weit

Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass ein Mensch obdachlos wird? Für viele Menschen ist es unvorstellbar, aber der Weg kann sehr kurz sein. Wenn Sie Ihre Arbeit verlieren, kann es sein, dass Sie die Miete für Ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können. Sie werden von Ihrem Vermieter gekündigt. Private Vermieter haben bei Einhaltung der Kündigungsfrist jedoch auch das Recht, vorsorglich zu kündigen. Auch hohe Schulden, die mit einem Eintrag bei der Schufa oder anderen Karteien verbunden sind, können dazu führen, dass die Wohnung gekündigt wird.
Eine neue Wohnung zu finden, ist sehr schwer. Ohne den Nachweis eines geregelten Verdienstes wollen viele Vermieter die Bewerber nicht aufnehmen. Wer keinen festen Wohnsitz hat, bekommt keinen Job. Der Teufelskreis hat sich geöffnet, und viele Menschen fühlen sich nicht in der Lage, etwas zu unternehmen, um ihn wieder zu schließen.

Hilfe gibt es von sozialen Einrichtungen wie dem Roten Kreuz oder der Diakonie. Die Betroffenen können vorübergehend in Wohnheimen unterkommen. Dies gilt als einer der ersten Schritte zurück in ein geregeltes Leben. Doch der Ton in diesen Einrichtungen ist rau und vor allem in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt am Main übersteigt die Anzahl der Plätze die Nachfrage.

Gleiches gilt für sozialen Wohnraum: Selbst wenn das Amt die Kostenübernahme für eine Wohnung bestätigt, möchten viele Vermieter niemanden aufnehmen, der Harz IV bezieht. Sozial geförderter Wohnraum, der von einer Gesellschaft verwaltet wird, kann auch von Harz IV Beziehern angemietet werden, ist ebenfalls knapp.

Weitere Gründe für das Abrutschen in die Obdachlosigkeit liegen im sozialen Bereich. Nicht selten haben Obdachlose Probleme mit Alkohol und Drogen. Die Sucht ist teuer und sie macht es unmöglich, arbeiten zu gehen. Anstatt sich Hilfe zu suchen, rutschen viele Menschen immer tiefer in diesen Strudel hinein. Oft kommt Kriminalität hinzu, denn die Sucht will finanziert werden. Der Tag besteht aus Diebstählen und Betteleien. Die Menschen sind psychisch labil, haben gescheiterte Beziehungen hinter sich und kommen oftmals aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Der Wille und die Kraft, etwas zu ändern fehlen.

Obdachlos: Wenn das Leben entgleist

In Deutschland müsste niemand obdachlos sein

Theoretisch ist das soziale Netz in Deutschland so dicht, dass ein Mensch nicht in die Obdachlosigkeit rutschen muss. Ganz wichtig ist die Eigeninitiative. Es gibt immer wieder Menschen, die den Weg zurück in die „Normalität“ gehen und sehr glücklich darüber sind, es „geschafft“ zu haben. Im ersten Schritt muss der Obdachlose bereit sein, Hilfe anzunehmen. Streetworker, Ehrenamtliche und Sozialarbeiter sind in allen größeren Städten aktiv bemüht, die Menschen von der Straße in ein geregeltes Leben zu führen. Je stabiler das Leben des Betroffenen vor der Obdachlosigkeit war und je kürzer sie andauert, desto besser stehen die Chancen für eine soziale Integration.

Im ersten Schritt wird versucht, dem Betroffenen ein Platz in einem Wohnheim und eine Postanschrift zu verschaffen. Dann kann Post empfangen werden. Der Obdachlose wird beim Gang zu den Ämtern begleitet. Ihm wird beim Ausfüllen der Papiere geholfen. Am Ende der Hilfe steht die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess und das Beziehen einer eigenen Wohnung. Es ist ein langer Weg, der für den Obdachlosen auch Entbehrungen fordert. Viele nehmen das Leben auf der Straße trotz aller Schwierigkeiten als ihres an.
Der Sozialstaat Deutschland gewährt Leistungen für alle, die bedürftig sind, unabhängig davon, welche Gründe zu dem sozialen Absturz geführt haben. Voraussetzung ist jedoch, dass der Bedürftige bereit ist, sich durch den Dschungel der Bürokratie zu quälen.

Darin besteht die Aufgabe des Obdachlosen, der für viele eine große Überwindung darstellt: Der Weg zurück in ein menschenwürdiges Leben hat nur Erfolg, wenn die bürokratischen Hürden genommen werden und wenn die Bereitschaft besteht, sich wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Die dafür notwendige Zeit und Hilfe gewährt der Staat jedem, der in Deutschland geboren wurde oder der sich hier rechtmäßig aufhält. Die Hilfe ist jedoch an Auflagen gebunden. Alle Obdachlosen, die bereit sind, diese Auflagen zu erfüllen, haben eine gute Perspektive, ihr Leben auf der Straße zu beenden.

 

Bildernachweis:
Titelbild – CC0 Public Domain / Pixabay.com
jung und obdachlos – CC0 Public Domain / Pixabay.com

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Ein Kommentar

  1. Reiches Land?

    Das durchschnitts- (median) Vermögen eines Deutschen liegt bei ca. 50tsd €. In „armen“ Länder wie Griechenland haben die menschen DOPPELT so viel Eigentum wie hier. (Laut offizielle EU Zahlen).

    Also wann hören SIE, liebe Medien, endlich auf mit dem Mär von ‚Reichem Land‘?

    Ich schätze, niemals!

    mfg.

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