Donnerstag , 25 April 2024
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„Unsoziale Netzwerke“ – geht unser Nachwuchs daran kaputt?

Haben Sie Kinder, Geschwister oder Schüler zwischen 10 und 18, die stundenlang vorm Rechner brüten und jede Bewegung auf Facebook kommentieren, „liken“ oder teilen? Die mehr als 500 „Freunde“ sitzen, die ihr Leben, ihre Interessen und sozialen Kontakte im Netz ausbreiten und sich überhaupt nicht darüber im Klaren sind, welche Angriffsfläche sie damit bieten? Dann haben Sie es sicher auch schon erlebt, dass Tränen, Wut und Scham die Folge von Herabsetzung, bewusstem Ignorieren, „gedisst“ werden und „Shitstorms“ in dieser Parallelwelt die Folge waren. Spätestens dann dürften Sie begriffen haben, welchen Einfluss und welche Macht die Social Media inzwischen haben, um Kids und Teenies das Gefühl zu geben, hemmungslos demontiert und der Lächerlichkeit preisgegeben worden zu sein – oder zu glauben, ernsthaft bedroht zu werden.

Foto: Gerd Altmann / pixabay
Foto: Gerd Altmann / pixabay

Auf „ZeitenSchrift“ geht die Autorin Ursula Seiler so weit, davor zu warnen, dass „Facebook & Co. unseren Nachwuchs zerstören„, und sie führt eine Reihe von Beispielen an, welche Auswüchse auch die ungewollte soziale Kontrolle im Netz mittlerweile annimmt. Wenn man bedenkt, dass dies alles obendrein detailliert ausspioniert wird, wächst eine Generation ohne Geheimnisse, aber mit tausend Ängsten und einem irrealen Blick auf die Welt heran. Denn die Zusammenhänge sind zu komplex, das Wechselspiel zwischen Manipulation und Meinungsbildung zu verworren, um jungen Menschen Orientierung und Halt zu geben. Lieber fünf echte Freunde als 500 virtuelle, die nur labern und lästern – zu diesem Fazit könnten Sie auch kommen.

Die unheimlichen Mechanismen der Communitys

Nobelpreisträger Albert Einstein sagte, er fürchte sich vor dem Tag, wenn „die Technologie unsere Beziehungen bestimmt„. Und prophezeite, die Welt würde fortan „Generationen von Idioten haben„. Diese Prognose halten viele bereits für Realität, aber halt: Machen Facebook und Twitter per se schwachsinnig? Dienen die Netzwerke nicht auch der blitzschnellen, weltweiten Kommunikation von brisanten politischen Nachrichten und dem Austausch von kulturellen Trendmeldungen? Das tun sie ohne Zweifel, aber bei sehr jungen Leuten hat es sich eingebürgert, jede Gefühlsregung, jeden unbedachten Joke und alle möglichen Vermutungen ungefiltert abzulassen, ohne zu bedenken, welches Feedback sie damit auslösen und in welches schlechte Licht sie sich selbst damit rücken. Sind zudem „Feinde ihrer Freunde“ damit beschäftigt, sie zu blamieren, zu beschimpfen, zur Unperson zu erklären oder gar massiv zu bedrohen, entlarvt sich die ganze Unberechenbarkeit der Social Media, die jede Mücke zum Elefanten aufbauschen und die wirklich brennenden Fragen links liegen lassen.

Die Autorin weist daher zu Recht daraufhin, dass Menschen früher aus anderen Gründen berühmt wurden – ob Heiliger oder Teufel, Robin Hood oder Dracula. Oder berühmte Künstler, die anderen einiges voraus hatten und malen konnten wie da Vinci, schreiben wie Shakespeare oder komponieren wie Bach. Im 20. Jahrhundert waren sexy Idole wie Marilyn Monroe oder James Dean angesagt, erotisch wirkende Popstars wie Mick Jagger, Bryan Ferry oder Whitney Huston. Heute zwitschert sich ein Justin Bieber ebenso wie das in die Jahre gekommene Tennis-Idol Boris Becker dümmlich um Kopf und Kragen und das letzte bisschen Ansehen. Und jeder glaubt anscheinend, es gebe keine Hemmschwelle mehr. So kann es passieren, dass junge Menschen in der weltweiten Community traurige Berühmtheit erlangen, weil sie sich erhängen oder von einer Brücke stürzen, um der Schmach in den sozialen Netzwerken zu entgehen.

Wie im Mittelalter stehen Jungen und Mädchen unversehens an einer Art Schandpfahl, und jeder, der gerade in der Stimmung ist, darf sie ungesühnt mit Dreck bewerfen. Oft sind es Äußerlichkeiten, die im Mittelpunkt der kollektiven Häme stehen: zu dick, uncool, grottenhässlich – wenn ein solches Label erst einmal an einem Teenie klebt, geht es selten wieder ab. Hinzu kommen Schmähungen wie „nur doof„, „no taste, no style„, „No-Go“ oder „Vollpfosten„. Acht britische Jugendliche brachten sich vom Oktober 2012 bis zum September 2013 wegen solcher seelischen Grausamkeiten um, und sie waren nicht die Ersten und nicht die Letzten.

Die unermessliche Macht von Facebook & Co.

Im Jahr 2010 brüstete sich FB-Gründer Mark Zuckerberg, dass seine Gemeinde, „die Idioten„, ihm vertrauen würden. Halten wir es mal für einen Zufall, dass er dieselbe Diktion verwendete wie der legendäre Einstein. Inzwischen ist Zuckerberg der Häuptling von sage und schreibe 1,1 Milliarden Menschen – von denen allerdings viele erwachsen sind und wissen, wie sie Facebook für ihre Anliegen und Kontakte nutzen. Liebeskummer, Intrigen und Gemeinheiten sowie erschreckende Brutalität hat es immer schon unter Kindern und Jugendlichen gegeben, aber nicht vor so einem großen Publikum, zumal viele Teenies ihre sämtlichen Angelegenheiten nicht nur mit echten Freunden – also Leuten, die sie persönlich kennen – teilen.

Das Medienecho, das in sozialen Netzwerken massiv „gedisste“ Teenager in den Suizid trieb, verhallte rasch. Die Verantwortlichen äußerten sich nicht dazu. Politiker, Behörden, Betreiber sozialer Netzwerke schauen weg und wollen von dieser Gefahr in unserer Gesellschaft offenbar nichts hören. Eltern, Lehrer und andere engagierte Menschen können sich aufgerufen fühlen, die „Spielwiese“ der Social Media nicht der Jugend zu überlassen und eine ganze Generation offenen Auges in die Verdummung und in ihr Unheil rennen zu lassen. Cybermobbing ist eine Art Gesellschaftsspiel geworden, welches alles übertrifft, was wir kennen. Wir wissen, was Klatsch, Tratsch, Ränkespiele und Mobbing bei Erwachsenen anrichten können und überlassen die sensiblen Kinderseelen den menschenverachtenden Kampagnen, denen sich manche Kids durch Unachtsamkeit oder Imponiergehabe von jetzt auf gleich ausgesetzt sehen. Denn wenn sie auch noch so cool tun und teilweise ziemlich abgebrüht wirken, sie sind unreif und entsprechend leicht zu beeinflussen und zu manipulieren.

Ohnehin sehen viele den körperlichen Exhibitionismus und den Nonstop-Seelenstriptease, der sich in der jungen Generation breit macht, mit Unbehagen und großer Sorge. Dieser Trend wird durch die Social Media begünstigt, wenn diese an die Stelle von echten Kontakten und Vertrauenspersonen treten und sich mit einem Klick auf „Daumen hoch“ Rankings der Beliebtheit und Marktanteile beeinflussen sowie jeder sonstige kurzlebige oder von Marketingstrategen ausgetüfelte Schwachsinn zum Zeitgeist erheben lässt. Zum Glück gibt es noch verantwortlich denkende und empathische reife Menschen, die da nicht tatenlos zusehen, sondern dazu beitragen, die Gefahren der Social Media für Kinder und Jugendliche immer wieder anzuprangern. Eine solche Publikation ist der Autorin Ursula Seiler gelungen, selbst wenn sie Kontroversen auslöst – oder gerade darum. Indifferenz bewegt bekanntlich nichts.

Was soll aus der Generation Facebook einmal werden?

Wenn Sie beispielsweise lesen, welche Erfahrungen Jugendtherapeuten mit Handy-süchtigen und FB-geschädigten Teens machen, erkennen Sie das Ausmaß dessen, was in den sozialen Netzwerken passiert und welche Relevanz dies besitzt. In rund 15 Jahren sollen diese angeknacksten jungen Leute andere anleiten, unterrichten und führen. Sie sollen Verantwortung für sich, ihre Familien und unsere Gesellschaft übernehmen, sich an Werten orientieren, Kriege verhindern und die Wirtschaft am Laufen halten. Angesichts der täglichen Nachrichten über Unrecht, Krieg, Korruption und andere Verbrechen dürfte es manchen umso schwerer fallen zu erkennen, wofür sich ein Engagement wirklich lohnen sollte. Da ist es doch viel verlockender, Nabelschau zu betreiben und deren mehr oder weniger ödes Ergebnis in die Parallelwelt der virtuellen Freunde hinauszuposaunen. Dort besteht zumindest die Chance auf ein Echo. Und sei es ein einziges armseliges „Like“ – so ist es doch ein Signal, wahrgenommen worden zu sei. Bricht aber ein „Drecksturm“ los, kann sich der Verursacher nicht davor schützen, sondern ist ihm hilflos ausgeliefert. Das ist nicht nur unfair, sondern hundsgemein und schockierend.

Dass die heranwachsende Generation stets mit Skepsis betrachtet wird, weil sie ein anderes Lebensgefühl und Verhalten an den Tag legt, hat seit Menschengedenken Tradition. Und es gibt sie auch heute, die jungen Forscher, ehrgeizigen Sportler und kreativen Künstler von morgen. Sie werden sich hoffentlich nicht in einer Welt, die viele „Idioten“ hat, wiederfinden, wie Albert Einstein aus gutem Grund befürchtete. Aber der könnte auch bereits uns gemeint haben – Beispiele für seine These gibt es genug.

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