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Werden deutsche Soldaten zunehmend zum Gespött der Nation?

Zwischen 1960 und 2000 leisteten pro Jahr rund 180.000 junge Männer in Deutschland ihren Wehrdienst ab. War damals die Welt in den deutschen Kasernen in Ordnung? In der Rückschau mag es so scheinen. An Wehrdienstverweigerer bzw. Zivis gewöhnten sich über die Jahre sogar militärische Hardliner. Seit 2001 stand auch Frauen eine berufliche Laufbahn bei den Streitkräften offen. Die Zahl der Wehrpflichtigen ging zurück, es kam der Afghanistan, und plötzlich starben junge Deutsche bei der „Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch“. Die Bundeswehr gab nach außen kein Bild in Reih und Glied mehr ab. Angekündigte Reformen schienen im Sande zu verlaufen … Was ist los in der Truppe?

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Foto: Gemen64 / pixelio.de

Wo die Soldaten der Stiefel drückt

Hellmut Königshaus, FDP-Politiker, Leutnant der Reserve und Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, malte im Januar 2013 ein düsteres Bild vom „Bund„. Sein Fazit: Es zeichne sich keine Verbesserung der Stimmung in der Truppe ab. Offenbar herrsche Überlastung und tiefe Verunsicherung aufgrund diverser Auslandseinsätze und ständiger Umstrukturierungen.

Die Liste der Missstände, die Königshaus vorlegte, war lang. Sie reichte von Klagen über die Häufigkeit der Einsätze, über rigide Vorschriften bis zu Beschwerden über die mangelnde Führung in den eigenen Reihen. Ungerechtigkeiten bei der Ahndung von Dienstvergehen, ein Anstieg von Vorkommnissen mit rechtsextremistischer Ausrichtung sowie sexuelle Übergriffe wurden ebenfalls angeprangert. Alarmierend fand es der Wehrbeauftragte außerdem, wie viele Soldaten traumatisiert von Auslandseinsätzen zurückkehrten und wie mangelhaft sich um diese gekümmert würde.

Je kleiner die Truppe, desto größer die Klage

Im Oktober 2013 legten die Soldaten noch einmal nach und machten ihrem Unmut über Missstände in den geschrumpften Streitkräften Luft. Rund 185.000 männliche und weibliche Soldaten schieben derzeit noch „Dienst an der Waffe“ und stehen auf Kriegsfuß mit ihrem Dienstherrn. Ein häufig geäußerter Kritikpunkt: die zögerliche Erledigung der Beihilfe-Abrechnungen für Angehörige von Soldaten sowie für ehemalige Soldaten. Eine Folge der Bundeswehrreform, die bei den Betroffenen zu allgemeiner Desorientierung führt. Der Wehrbeauftragte Königshaus hegt Zweifel, ob es der Bundeswehr tatsächlich gelingt, künftig nur noch „die Richtigen und Guten“ anzuwerben.

Wie denken wir eigentlich über unsere Soldaten?

In pazifistischen und überwiegend linksorientierten Kreisen war der Soldatenberuf schon immer schlecht angesehen. Der Rest der Bevölkerung machte sich in den Jahrzehnten des Friedens in Europa und nach dem Ende des Kalten Krieges wenig Gedanken um die „Bürger in Uniform„. Soldaten rückten ins Rampenlicht bei Katastropheneinsätzen oder Musikveranstaltungen mit Marschmusik.

Heute aber scheint es, als habe sich das Bild gewandelt. Wie bei anderen Berufsgruppen – Lehrern, Pfarrern, Ärzten, Journalisten und vor allem Politikern – lässt sich feststellen, dass der Respekt vor dem Militär deutlich zurückgeht. Gelten inzwischen nur noch Models, IT-Unternehmer, Unterhaltungskünstler und überbezahlte Sportler etwas in unserer Gesellschaft?

Seit im Afghanistan-Einsatz deutsche Soldaten starben, hat die Abscheu vor Krieg hierzulande neue Nahrung bekommen – und offenbar auch die Abscheu vor dem Beruf des Soldaten. Diese äußert sich teilweise in blankem Hass oder zumindest in einer Feindseligkeit, die die Soldaten zur Zielscheibe von Spott, Verachtung und Diskreditierung im eigenen Land macht. Nicht jeder kommt damit klar, und nicht jeder will sich das gefallen lassen.

Ein Offizier macht sich Luft

Kürzlich druckte die „Zeiteinen Gastbeitrag von Dominik Wullers. Der 29-Jährige ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und seit 2007 Bundeswehroffizier. Er sparte nicht mit deutlichen Worten und schaffte damit eine rekordverdächtige Zahl von 973 Kommentaren. Der Text beginnt mit „Ich habe es satt.“ Wullers schildert, welchen Anfeindungen er als Offizier ausgesetzt ist. Er will es nicht hinnehmen, dass Soldaten dafür beschimpft werden, dass sie sich „dem Dienst an der Allgemeinheit verschrieben haben“, aber angeblich im falschen „Verein“ unterwegs sind mit ihrem Engagement.

Der Offizier betont, er habe den Schwur abgelegt, „Recht und Freiheit unseres Volkes tapfer zu verteidigen„. Er betrachtet sich und seine Kameraden als Bürger mit der Bereitschaft, für Frieden und Freiheit zu sterben. Sogar für die Freiheit, Soldaten zu verachten. Aber wehren will er sich auch.

Wullers zieht alle Register – er scheint ernstlich verletzt und spricht vermutlich für viele in der Truppe. In den USA wird am Veterans Day den Oldies gedankt für den Kampf gegen die Nazis, hierzulande werden Soldaten als „Berufsmörder“ beschimpft. Der Autor stellt die Frage, warum die Deutschen ihre eigenen Soldaten so sehr verachten.

Die deutsche Schuld an den beiden Weltkriegen ist ihm bewusst. Aber er möchte die faschistische Wehrmacht nicht mit der „Streitmacht“ unserer seit über 60 Jahren friedlichen Demokratie in einen Topf geworfen wissen. Wullers erinnert daran, dass unser demokratisches System erst dadurch ermöglicht wurde, weil es eine Invasion der Alliierten gab. Diese sei das „beste Beispiel für die gelegentliche Richtigkeit militärischer Intervention„.

Wieso wehrt sich die Bundeswehr nicht gegen Herabsetzung?

Im weiteren Verlauf seiner Argumentation greift der Offizier vor allem die Schulen und deren „platte Anti-Bundeswehr-Haltung“ an. Er verwahrt sich gegen die Einstufung der Bundeswehr als faschistisch und rassistisch und hält es verständlicherweise für beleidigend, dass der Truppe kriegsverherrlichende Tendenzen vorgeworfen werden und sie als Verführer der Jugend betrachtet wird. (Zwischenfrage: Kennt der Verfasser die Welt der bunten Bilder, die die Bundeswehr in ihren Werbevideos verbreitet? Diese könnten auch aus dem Spot eines Reiseveranstalters stammen!)

Besonders die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist Wullers, der sich als „halb Schwarzer“ bezeichnet, ein Dorn im Auge: Pädagogen versuchen die 97 Jugendoffiziere aus den Schulen herauszuhalten, obwohl diese angeblich über nichts als die deutsche Sicherheitspolitik berichten wollen. Wullers kritisiert, dass sich Grüne, SPD, Gewerkschaften und Kirchen ebenfalls für ein Zutrittsverbot von Soldaten in Schulen aussprechen. Er stellt sarkastisch fest: Wenn Schüler nicht mehr mit Soldaten diskutieren dürfen, herrscht bald überall Frieden auf der Welt.Man spürt: Die Verbitterung sitzt tief.

Damit nicht genug: Wullers ist der Auffassung, „eine dogmatische Ideologie des bedingungslosen Pazifismus“ werde mit Steuergeldern verbreitet. Denn schließlich sei der Dialog ein fundamentales Element unserer Demokratie. Er vermisst Unterstützung in diesem Punkt und besteht darauf, dass die Jugendoffiziere keine Werbung für die Truppe machen, sondern lediglich Informationsaufgaben erfüllen. Er steht auf dem Standpunkt, dass Soldaten den deutschen Staat vertreten und damit das gesamte deutsche Volk repräsentieren. Leute wie er würden „Staatsbürgerschaft leben“ und für Menschenrechte kämpfen, wenn es sein müsse. Andere würden darüber nur diskutieren.

Soldat aus Überzeugung – das gibt es noch

Wullers spricht noch weitere Punkte an: beispielsweise die Zivilklauseln, die an den Unis eine Zusammenarbeit zwischen Akademikern und Militär unmöglich machen. Er hält das für einen Eingriff in die Freiheit der Forschung. Er moniert, dass sich sein Arbeitgeber gegen all das nicht wehrt, und führt aus, warum er Soldat wurde – unter anderem aus Trotz gegen ein pazifistisches Elternhaus. Er betont, dass ihm die Bundeswehr viel gegeben habe: Ehrgeiz, Disziplin und ein Vaterland. Er habe sich als „halb Schwarzer“ oft nicht heimisch gefühlt im eigenen Land.

Kurz gefasst endet Wullers damit, dass jeder Soldat gegen den Krieg sei und sich viele Gedanken über dessen „Sinn und Unsinn“ mache. Von dem angeblich weit verbreiteten Rassismus in der Bundeswehr habe er nichts bemerkt, wohl aber von der zusammenschweißenden Wirkung, die der Beruf des Soldaten habe. Er outet sich im Nachhinein als einer, der selbst viele Vorurteile gegenüber der Bundeswehr hatte. Aber angesichts schwarzer Gruppenführer und Zugführer sei er ins Grübeln gekommen. Inzwischen ist er der Überzeugung, Soldaten beiderlei Geschlechts, jedweder sexueller Ausrichtung und Religion seien Kameraden, die Respekt verdienen.

Der Text ist ein Appell an das Umdenken der Mitbürger. Die „Zeit“ hat ihn gedruckt.

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