Freitag , 29 März 2024
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Wie frei ist ein freier Mensch

freiheitsstatue„Niemand ist hoffnungsloser versklavt als der, der fälschlich glaubt frei zu sein!“ – Johann Wolfgang v. Goethe, „Die Wahlverwandtschaften“, 1809. Zwar aus dem Zusammenhang gerissen, so handelt es sich bei diesem Satz doch um eine Grundwahrheit, die in unserer modernen Gesellschaft Beispiele findet. Natürlich gehen wir davon aus, frei zu sein. Behauptet jemand das Gegenteil, werden wir uns vehement verteidigen. Aber sicher, denn wer lässt sich schon als Sklave bezeichnen. Wir tragen keine Ketten an den Fußgelenken, suchen uns die Arbeit selbst aus und machen mit unserem Geld was wir wollen. Oder so ähnlich.

Auch wenn wir grundsätzlich überzeugt sind, den Unterschied zwischen Freiheit und Sklaverei restlos zu verstehen, so lohnt es sich doch, einigen Details nähere Beachtung zu schenken. Betrachten wir das Beispiel der schwarzen Bevölkerung in den Südstaaten der USA vor und nach dem Bürgerkrieg.

Dabei lohnt es sich sogar, zu hinterfragen, warum Sklavenarbeiter von weit her geholt wurden. Wäre es nicht auch möglich gewesen, für die Arbeitsleistung zu bezahlen? Immerhin handelte es sich beim Ankauf eines Sklaven um eine nicht geringe Investition (über $ 300 zu Anfang des 19. Jahrhunderts), ebenso wie seine weitere Erhaltung Kosten verursachte, für Nahrung, Unterbringung und Kleidung. War beides zusammen wirklich um so vieles günstiger als Arbeitskräfte einzustellen?

sklaven_virginiaUm diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, sich die Situation Amerikas im 18. Jahrhunderts vorzustellen. Ein riesiges, fruchtbares Land, das, die indianische Bevölkerung eingeschlossen, nur sehr dünn besiedelt war. Wer daran interessiert war, den Boden zu bestellen, konnte, meist sogar völlig kostenlos, Land dafür in Anspruch nehmen. Es gab damals noch wenig Anlass dafür, seine Arbeitskraft in dieser Art zu verkaufen. Europa genoss zu jener Zeit ebenfalls noch eine weitgehende Ausgeglichenheit und die Mehrzahl der Menschen war selbständig erwerbstätig, ungeachtet ob als Landwirt, Handwerker, Ladenbesitzer oder Betreiber einer Gaststätte. Wer es sich leisten konnte, nach Amerika auszuwandern, der hatte andere Pläne als Baumwollpflücker zu werden. Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich die Situation, vor allem durch Einwanderer aus Irland. Trotzdem, für den Bau der Eisenbahnlinien, insbesondere in Kanada, wurden Arbeitskräfte aus China angeworben.

Kehren wir jedoch zurück zu schwarzen Arbeitern in den Südstaaten. Vor dem Bürgerkrieg, also als Sklaven, leisteten sie ihre Arbeit auf den Baumwollfeldern. Gleichzeitig wurden ihnen bescheidene Hütten, einfache Kleidung und Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt. Als Sklavenhaltung endlich verboten war, bekamen sie für ihre Arbeit Geld und gaben dieses für Behausung, Kleidung und Nahrungsmittel wieder aus. Ein möglicher Differenzbetrag war mit Sicherheit bescheiden. Auch wenn sich der unhaltbare Zustand der restlosen Unfreiheit endlich aufgelöst hatte, am Ablauf des Alltags hat sich letztendlich für die Meisten für lange Zeit nicht viel geändert.

Wie lassen sich also die grundsätzlichen Unterschiede abgrenzen, abgesehen davon, dass sich der bezahlte Arbeiter die Plantage, auf der er sich abmüht, selbst aussuchen darf?

Der freie Mensch genießt Freiheit als Person, was bedeutet, er kann sich bewegen wo immer und wann er will (logischerweise, ohne Besitzrechte Anderer zu stören), und er genießt die Früchte seiner Arbeit zur Gänze. Im Falle von Sklaverei ist es genau das Gegenteil. Die Bewegungsfreiheit ist streng eingeschränkt und von den Früchten seiner Arbeit erhält er gerade so viel, meist in Form von Naturalien, um sein Überleben zu sichern.

(Es gehört zwar nicht wirklich zum Thema, doch kann man davon ausgehen, dass der Besitzer von Sklaven kaum Interesse daran hatte, dass diese durch ihre Arbeit Gesundheitsschäden erlitten. Es handelte sich um sein Kapital. Der Arbeitnehmer moderner Zeit lässt sich jederzeit durch einen neuen ersetzen.)

Werfen wir kurz einen Blick auf die amerikanische Verfassung, beziehungsweise auf den 13. Zusatz, der 1865 in Kraft trat, um Sklaverei für alle Zukunft zu unterbinden. Es steht geschrieben:

Weder Sklaverei noch unfreiwillige Dienstbarkeit, außer als Bestrafung für Verbrechen, in welchem Fall der Betroffene ordnungsgemäß verurteilt sein muss, sollen innerhalb der Vereinigten Staaten oder an jeglichem Ort, der ihrer Gerichtsbarkeit untersteht, existieren.

(Der genaue Wortlaut auf englisch findet sich bei Wikipedia.)

Das Augenmerk sollte hier auf die Formulierung „unfreiwillige Dienstbarkeit“ (involuntary servitude) gerichtet sein. Dies schließt jede Arbeitsleistung ein, die unter Zwang erbracht wird. Verlangt mein Nachbar unter Drohung, dass ich seinen Rasen mähe, so handelt es sich dabei um eine unfreiwillige Dienstbarkeit. Zwingt mich mein Nachbar, ihm einen Teil meines Lohnes abzuliefern, dann fällt dies strafrechtlich zwar unter einen anderen Begriff, doch praktisch handelt es sich ebenfalls um eine unfreiwillige Dienstbarkeit, weil ich einen Teil der Früchte meiner Arbeit an Dritte abgebe.

Bedauernswert, wenn sich jemand mit so einem Nachbarn herumschlagen muss. Soll er doch die Polizei rufen oder umziehen. Bleiben wir beim amerikanischen Beispiel, so ist nur wenigen der Wortlaut dieses 13. Verfassungszusatzes bewusst, der alle Bürger davor schützen soll, auch teilweise, unter Zwang für Dritte zu arbeiten.

Es gibt unzählige von Webseiten, auf denen Rechtsexperten behaupten, dass die Einkommenssteuer in Amerika, unter Berufung auf den genannten Zusatz, verfassungswidrig sei. Unternehmer, die über eine Lizenz verfügen, unterstellen sich erst durch diese einem gesonderten Abkommen mit der Steuerbehörde (I.R.S.). Und, ebenso wie in Deutschland, ist es auch in Amerika der Arbeitgeber, der die Einkommenssteuer für die Mitarbeiter bei der Steuerbehörde abliefert. Von offizieller Seite gibt es zu diesem Thema absolut keine Stellungnahme. Die Logik, die einzig korrekte Auslegung des zitierten Verfassungszusatzes, besagt jedoch, dass „unfreiwillige Dienstbarkeit“ in den USA nicht existieren darf. Wenn ein Mensch vier, drei oder auch nur ein Monat pro Jahr nicht für sich selbst, sondern für andere, auch wenn diese dritte Person der Staat ist, arbeitet, dann genießt er nur einen Teil der Früchte seiner Tätigkeit. Er wird zu unentgeltlichen Dienstleistungen gezwungen. Und damit handelt es sich um teilweise Sklavenarbeit. (Ein Detail zum besseren Verständnis der Situation in den USA. Die Besteuerung von Kapitalzuwachs ist durch diese Formulierung nicht berücksichtigt, sondern die Arbeitsleistung.)

In Deutschland gibt es diesen verfassungsmäßigen Schutz nicht. Es würde auch nichts nützen, wie man am Beispiel der USA sieht. Dass wir uns, als regelmäßige Steuerzahler, nicht unbedingt als Sklaven fühlen, ändert nichts an den erläuterten Umständen. Auch die Bürger, die jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhanges lebten, betrachteten sich nicht als Sklaven, obwohl ihnen die Freiheit der Person drastisch eingeschränkt war, zumindest, sobald sie sich den Landesgrenzen näherten. Ein junger Mann, der auf einige Monate, bald sind es ja nur mehr sechs, unfreiwillig und unentgeltlich zur Arbeit gezwungen wird, fühlt sich nicht als Sklave. Er erfüllt nur seine Pflicht als Staatsbürger. Schließlich habe alle anderen ja auch ihren Wehrdienst abgeleistet.

Wer bei den Behörden nachfragen muss, um im eigenen Haus oder Garten kleine Veränderungen vorzunehmen, fühlt sich deswegen noch lange nicht unfrei, denn Ordnung muss ja schließlich sein. Wer im eigenen Auto den Sicherheitsgurt nicht anlegt, zahlt, wenn auch widerwillig, die Strafe, denn schließlich gibt es ja Gesetze.

Ja, ein Punkt muss natürlich deutlich festgehalten werden. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen eingeschränkt werden könnte. Wer um Mitternacht laute Musik spielt, stört das Leben seiner Nachbarn ebenso wie jemand, der betrunken mit dem Auto fährt, seine Mitmenschen gefährdet. Wer würde aber auch nur irgendwie belästigt werden, wenn jemand im Garten Marihuana anbaut und ganz für sich alleine raucht? Bestenfalls die eigene Gesundheit könnte darunter leiden, doch über die sollte der freie Mensch eigentlich selbst bestimmten können. (Es handelt sich hier nicht um die Promotion von Drogenkonsum, sondern um eine Analyse des Prinzips.) Er darf sich ja auch bis zum Herzinfarkt schinden – und einen Teil des verdienten Geldes beim Finanzamt abliefern.

Es fällt uns nicht auf, denn wir sind daran gewöhnt, wie eng der Spielraum unserer eigenen Entscheidungsfreiheit geworden ist. Wir nehmen es hin, einen Teil unserer Einkünfte abzuliefern, weil wir glauben, dass es schließlich überall so sei und immer schon so gewesen ist. Und weil es uns nicht bewusst ist, wehren wir uns auch nicht dagegen. Goethe hat dies in seiner Weisheit schon vor zweihundert Jahren unglaublich treffend ausgedrückt.

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