Freitag , 29 März 2024
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Sex & Gewalt – Jugendliteratur ohne Tabus?

sex_pornoNeben dem „All Ages”-Trend auf dem Buchmarkt, also der Vermischung zwischen Jugend- und Erwachsenenthemen und -motiven, die Jugendlektüre auch für Ältere interessant macht*, ist das Aufbrechen von Tabus eine weitere Tendenz im Bereich der Literatur. Und zwar, von den „Feuchtgebieten“ einmal abgesehen, gerade auch in Büchern für ein jugendliches Lesepublikum. 

Grenzwertige Inhalte wie die zunehmende Darstellung von extremen Formen von Sexualität und Gewalt – Sadismus, Perversion, Körperkult und -wahn, Aggression, Selbsthass und -zerstörung, Horrorszenarien und weiterem Abstoßenden – werden hier in einer bisher nie dagewesenen, auch sprachlichen, Direktheit vermittelt.

Doch wie sieht es mit der Resonanz aus, werden diese Grenzüberschreitungen von den Jugendlichen überhaupt als solche wahrgenommen oder gar als Selbstverständlichkeit akzeptiert, wenn nicht gar indirekt von der sogenannten „Generation Porno“ verlangt? – Über diese und weitere Fragen um aktuelle Jugendliteratur und damit auch den Diskurs um die Lebenswirklichkeit heutiger Jugendlicher, macht man sich unter anderem auch auf der Tutzinger Tagung zum Thema „Jugendliteratur ohne Tabus?“ Gedanken.

Die Verantwortlichkeit der Autoren, aber auch die Bedürfnisse der Zielgruppe sind es, die angeprangert und hinterfragt werden: Sind die Autoren Erfinder eines Hypes oder bedienen sie sich einer schon bestehenden Entwicklung zu sinkenden Hemmschwellen und dem

Reiz des immer Extremeren? So könnte man meinen, denkt man an die vermeintlich allgegenwärtige Präsenz von Sex und Gewalt, die sowohl in Film, Fernsehen, Werbung, Computerspielen und natürlich dem Internet, nebst Handyvideos, zu einem fast selbstverständlichen Bestandteil eines jugendlichen Lebens geworden ist. Die Generation Porno lässt grüßen. Freundlicher formuliert könnte man also sagen, dass extreme Themen und ihre sprachliche Umsetzung in der Literatur vor allem das neuartige Lebensgefühl heutiger Jugendlicher widerspiegelt und nur das wiedergibt, was ohnehin im Alltag konsumiert und gelebt wird. Und was kann man Autoren vorwerfen, die nur dem Interesse ihrer Leser nach schreiben, um von ihnen ernst oder überhaupt wahrgenommen zu werden?

Doch halt – sehr schnell verrennt man sich in ein festgefahrenes Bild und eine allgemeine Annahme. Die Generation Porno, gibt es diese überhaupt oder lauert uns hier ein mediales Schreckgespenst auf? Die Frage ist berechtigt. Dass einiges passiert auf allerlei Bildschirmen in jugendlichem Besitz, das ist wohl nicht zu leugnen. Aber daraus eine Regel abzuleiten klingt zynisch, allen jungen Menschen und, in diesem Falle, eben auch jungen Lesern gegenüber.

In der öffentlichen Meinung herrscht die Tendenz, die heutige Jugend als desaströs, verroht und verdorben zu bezeichnen, ohne dabei wirklich auf die Jugendlichen einzugehen oder nach empirischen Fakten zu suchen. Und genau das ist das Problem: Es wird allgemein das für realistisch gehalten, so auch die vermeintlich realistische Sprache und Darstellungsweise von Themen in aktueller Jugendliteratur, was dem gegenwärtigen Diskurs darüber entspricht und dem, was dieser als geltend definiert. Die Vorführung extremerer Problemfälle in den Medien trägt zu dieser öffentlichen Meinung entscheidend bei.

Literatur ist indes nicht verpflichtet, aktuelle Modethemen aufzugreifen, sie kann sie durchaus ignorieren, zeitlos sein. Doch wenn sie aufgreift, steht sie vor einem Dilemma wie auch im Fall der Extremen in Jugendbüchern. Hier muss man sich im Einzelfall fragen: stellt die Literatur hier  Tatsächliches dar, ohne Abstriche und Hinzufügungen, ist sie ein Produkt übermäßiger Verfremdung oder bewegt sie sich irgendwo dazwischen? Alle dieser genannten Behandlungsweisen können sowohl aktuelle Themen als auch die Diskurse dazu differenziert und reflektiert aufgreifen, auf sie eingehen, sie problematisieren und in Frage stellen.

Da ein literarisch behandelter Stoff eben auch im klaren Kontrast zu gegebenen Umständen stehen kann, wäre es auch denkbar, dass anhand spezieller Problemerzählungen beispielsweise die zunehmende Empfindsamkeit und Unsicherheit heutiger Jugendlicher im Umgang mit Themen wie Sexualität und die Ohnmacht gegenüber medial dargestellter oder erlebter Gewalt zum Ausdruck gebracht wird.

Doch auch dieser Ansatz gestaltet sich nicht als ganz unproblematisch, denn Literatur wird, im Gegenteil zu allen anderen Medien, am allermeisten eine pädagogische Funktion zugeschrieben.  Wenn nicht klar zu erkennen ist, ob denn ein solch differenzierter Anspruch auch im jeweiligen Werk zu finden ist, oder ob es sich nicht doch bloß um blinde Effekthascherei mit überbordender Gewalt und pornographischen Anleihen handelt, fällt es schwer, eine begründete Meinung zu bilden, auszuwählen und nicht vorschnell zu urteilen.

Am wichtigsten bleibt aber immer noch danach zu schauen und zu fragen, was Jugendliche wirklich bewegt und was ihr heutiges, vielleicht verändertes, Weltbild ausmacht, und inwiefern sie ihre Probleme und Lebenswirklichkeiten in den Medien behandelt sehen oder sehen wollen. Das Falscheste was passieren kann, ist eine pauschale Aburteilung und Dämonisierung, sowohl einer bestimmten Generation als auch einer – ihrer? – Art von Literatur.

 

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