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Arm aber sexy – Berlins Mode-Identität auf dem Vormarsch

bfw_zeltDie 9. Fashion Week in Berlin (vom 5 bis 10 Juli 2011) zeigte die neue Frühjahr / Sommer 2012 Kollektionen an einem neuen Standort an der Straße des 17. Juni, mit dem Haupteingang gegenüber vom Brandenburger Tor (auch bekannt als Fan-Meile während der WM). Die wichtigsten Akteure der Berliner Modeszene, die in das Hauptzelt eingeladen waren, sind: Michael Michalsky, Michael Sontag, Vladimir Karaleev, Katja Will (C’est Tout), Iris van Herpens, Lala Berlin, Marcel Ostertag, Kaviar Gauche, und andere.

Berlin ist besonders clever, wenn es die Mobilisierung der Modeszene geht. Eine ganze Woche lang im Juli (und dann wieder im Januar) verwandelt sich die Stadt in einen schicken und modisch-orientierten Spielplatz, der der Stadt einen Umsatz von etwa 100 Millionen Euro in Einnahmen aus Hotels, Restaurants, Taxis und den Mode-Boutiquen rund um den Hackeschen Markt und Friedrichstraße einbringt (nach dem Artikel „Fashion Week – Top oder Flop?“ von Sandra Piske, in Prinz-Magazin, Juli 2011, S.18-19).

Die größte Kritik an der Berlin Fashion Week ist ihr immer noch etwas provinzieller Status im Vergleich zu Paris, New York, London und Mailand – es fehlen Top-Designer, Topmodels, internationale Mode-Kritiker und Käufer. Viele Kritiker (unter anderen der SPIEGEL, nach der Januar 2011 Fashion Week) meinen, Berlins Versuch, sich als Modemetropole zu etablieren sei gescheitert (Vue Berlin, Eine Verlagsbeilage von Berliner Zeitung und tip Berlin, Nr. 1, 2011.07.05, S.46). Dennoch argumentieren die Befürworter, dass Berlin unmöglich in nur vier Jahren (seit der ersten Fashion Week in 2007), das erreichen kann, was in Paris, New York, London und Mailand seit Jahrzehnten sich organisch entwickelt hat (Piske, S.18).

Berlins Vision (und dazu tragen auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Senat bei) ist in der Anerkennung der Leistungen der Kulturwirtschaft und in den Investitionen in die Modeszene und in die Mode-Identität der Stadt, die gleichzeitig einen fruchtbaren Boden für neue, junge, avantgardistische Mode-Designer schafft, und durch den Gewinn von mehr und mehr Kapital aus der Kulturindustrie die Wirtschaft stärkt.

Diese Art von Investition in den Aufbau einer Mode-Identität ist das, was die Montrealer Expertin, Norma M. Rantisi in ihrem Artikel über „Fashion Identity“ (in Fashion Theory, Vol.. 15, Issue 2, 2011, pp.259-266) beschreibt. Sie weist darauf hin, dass „Mode zu Stadt-Branding beiträgt“, nicht nur durch die Förderung des Tourismus, sondern auch durch die „Definition der Ästhetik der Stadt, die wiederum das Design und die Vermarktung von kulturellen Produkten formieren kann“ (Rantisi, S. 260). Fashion Weeks schaffen ein „Netz von Beziehungen“ und die „Präsenz der wichtigsten Industrie-Aktoren, unter anderem, Produktion, Design, Marketing und Vertrieb, und was noch wichtiger ist, die Interaktion und Koordination zwischen den Industrie Akteuren“ (Rantisi, S. 261).

Fashion Weeks „fördern Beziehungen zwischen den Akteuren der Modebranche und bauen eines Mode-Identität. Es ist kein Zufall, dass viele neue Modezentren, wie Amsterdam, Berlin, Cork und Oslo, ihre eigenen Fashion Weeks in den letzten sechs Jahren etabliert haben. Diese Shows sind kritisch für die Förderung der lokalen Design-Talente, Käufer und Mode Medien “ (Rantisi, 263).

Berlin scheint die Bedeutung der lokalen Mode-Identität erkannt zu haben, und ist seit Jahren auf dem Weg, eine starke Modeszene zu entwickeln mit genau den Netzwerken und Beziehungen, die notwendig sind, um eine Modemetropole zu werden. So meinte der ehemalige Adidas Global Creative Director, Michael Michalsky, Berlin sei „the place to be! Der Ort, wo Mode des 21. Jahrhunderts gemacht wird. Paris war gestern.“ (Piske, S.19)

In seiner Begrüßungsrede im Fashion Week Berlin Magazin, kündigte Klaus Wowereit, an: „Genau dort, wo die Berliner Mauer stand, sind jetzt die lebendigen Nachbarschaften, die begabte junge Menschen aus der ganzen Welt anziehen und inspirieren. Und sie kommen nach Berlin, um das Beste aus ihren Möglichkeiten hier zu machen … Fashion „Made in Berlin“ ist zu einem Markenzeichen geworden, und die Berlin Fashion Week hat viel dazu beigetragen“ (Nr. 12, Frühjahr / Sommer 2012, p .5).

Die Verbindung der Modeindustrie mit der Geschichte der Stadt ist eine clevere Art das historische und kulturelle Erbe Berlins zu nutzen. Damit fördern Geschichte und Kultur die Mode, und die Mode wiederum fördert Kultur (in Form von Tourismus). Was aus dieser Kulturpolitik erkennbar wird, ist eine Strategie, die Kulturwirtschaft zu nutzen – ein Prozess den Susan Ingram und ich, in unserem letzten Kapitel von „Berliner Chic: A Locational History of Berlin Fashion“ (2011), „branding Berlin“ nannten.

Wowereit hie? auch den Designer Marc Jacobs in Berlin willkommen, und zeigte gleichzeitig seine Unterstützung für junge Designer in Berlin beim „Designer for Tomorrow Award“ im Hauptzelt. Marc Jacobs wurde eingeladen, um die Auszeichnungen des „Designer for Tomorrow by Peek & Cloppenburg Düsseldorf“ zu verleihen. Die fünf Finalisten erhielten persönliches Coaching von Marc Jacobs in Berlin und präsentierten ihre Kollektionen vor einem ausgewählten Fachpublikum während der Fashion Week. Die Gewinnerin, die 28-jährige Absolventin der Berliner Kunsthochschule Weißensee, Alexandra Kiesel, bekommt ihre eigene Modenschau während der nächsten Berlin Fashion Week im Januar 2012.

bfw_faecherDie interesantesten Orte der Fashion Week waren: Radialsystem, wo die Mode-Messe „In Fashion Berlin“ (die auch in Wien auf der Praterinsel im August stattfindet), Green Showroom im Hotel Adlon am Brandenburger Tor, wo umweltfreundliche und luxuriöse Fair-trade Mode gezeigt wurde. Die Modenschau der  Berlin Weißensee Kunsthochschule fand auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt im Tiergarten statt. Die Veranstaltung mit dem Titel seefashion11 zog nicht nur die Experten der Modeszene an, sondern auch Museumskuratoren und Direktoren. Zu den Gastprofessoren des Mode-Design-Programms der Kunsthochschule gehören auch Berlin Designer Clara Leskovar und Doreen Schulz von c.neeon. Der Start Your Fashion Business (SYFB) Förderungspreis des Berliner Senats für junge Designer ging dieses Jahr and das Duo Augustin Teboul.

Obwohl die Berlin Fashion Week zunehmend kommerzieller wird (die Premium-Messe nimmt z.B. keine kleineren, lokalen Berliner Designer mehr an und fischt nur nach großen Marken), bietet sie jedoch gleichzeitig eine Plattform, Raum, und die Aufmerksamkeit der Medien, im „Netz von Beziehungen“ an die außergewöhnlich-kreativen, jungen  Avantgarde-Designer,und etabliert damit die Mode-Identität der Stadt.

Die Bread and Butter (BBB) Modemesse feierte dieses Jahr ihren 10. Geburtstag. Gegründet in Köln 2001 von Karl-Heinz Müller (54), zog sie bald nach Berlin, nach Barcelona und dann wieder zurück nach Berlin. Was als eine kleine Off-Show für Jeans-Marken begann, ist jetzt die größte Fachmesse für Street-und Urbanwear der Welt, und nimmt die ganze Fläche des ehemaligen Flughafens Tempelhof ein („10 Jahre Bread & Butter“ in Vue Berlin, Eine Verlagsbeilage von Berliner Zeitung und tip Berlin, Nr. 1, 2011.07.05, S. 10-14).

bfw_tempelhofZum 10-jährigen Jubiläum eröffnete Bread and Butter seine Türen dem Berliner Publikum jeden Abend direkt am Flugplatz. Das „B&B Night Ticket“ gewährte vollen Zutritt in die Haupthalle des Flughafens, vorbei an den Messeständen, und in den Party Bereich auf dem Flugplatz. Das Konzept für die BBB-Jubiläumsparty hie? „Back to the Future“ – ein Versuch, Referenzen für die Berliner anarchistische Freiheit und ehemalige Leerräume der Punk-Vergangenheit zu rekonstruieren, und gleichzeitig in der zunehmend kommerziellen Gegenwart und Zukunft zu etablieren. Das Ergebnis war ein ziemlich unangenehm und chaotisch, und könnte vielleicht als ein nostalgischer LSD-Trip beschrieben werden, indem jemand, der zu jung war, um das damalige Berlin selbst zu erleben, es neu zu interpretieren versuchte, in einer Art Second-Hand Nostalgie. Mit Bier und Wurst, Sand, Standbars, wie es zur Zeit an der Spree beliebt ist, elektronischer Musik, und Underground-Kunst. Von Mode, und schon gar nicht vom Chic, war weit und breit keine Spur. Spectacle, Kitsch und Kommerz regierten über alles.

Jedoch beweist Berlin immer wieder, dass es Mode zu schätzen weiß. Rund 800 Modedesigner – von Streetwear bis Couture – arbeiten in der Stadt und werden durch sie inspiriert. Die Stadt hat zehn verschiedene Modeschulen, deren Absolventen ihre Labels kurz nach Abschluss ihres Studiums gründen. Neue Boutiquen tauchen monatlich in Mitte, Prenzlauer Berg, und Friedrichshain auf. Eco- und Fairtrade-Mode sind die Norm. Kleinere Designer und Boutique-Besitzer, wie S. Wert, +33, und viele andere organisieren ihre eigenen Veranstaltungen, Shows und Partys in ihren Geschäften.

Schon bei der letzen Fashion Week im Januar 2011, fanden in Berlin mehr als 120 Modeschauen, Präsentationen und Veranstaltungen statt. Mehr als 1500 Aussteller, 240,000 geladene Gäste und 85.000 Käufer nahmen bei Veranstaltungen wie Bread & Butter, Premium, Bright, 5elements, thekeyto, Green Showroom, und im Hauptzelt teil.  Berlin zählt heute zu den fünf wichtigsten Modestädten der Welt (nach der Senat Website, Projekt Zukunft).

Berlin Fashion Week ist ein wichtiger Vermittler des Projekts „Branding Berlin“, den der Berliner Senat als einen wichtigen Teil des „Projekts Zukunft“ beschreibt, und Norma M. Rantisi  als Mode-Identität der Stadt bezeichnet. Andere Städte können von Berlins (und Wowereits) Beispiel lernen. Es bleibt abzuwarten, ob oder wie lange der „arm, aber sexy“ Chic der Stadt arm oder sogar sexy bleiben wird.

Weitere Infos unter http://www.fashion-week-berlin.com

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