Achtung Satire! – Tja, wir scheinen mit unseren Problemen selbst nicht mehr fertig zu werden, doch was nun? Der ferne Osten hilft. Nicht nur, dass wir hinsichtlich des Wirtschaftswachstums dort sehr viel lernen können, das Lohnniveau entspricht den Anforderungen unserer Wirtschaftsbosse ungemein – nein, auch die Spiritualität drängt sich zu uns. Erkenntnisse, welche unsere Vorfahren selbst sammelten, sie sind viel glaubwürdiger, stammen diese aus dem fernen Osten. Und davon handelt die nun folgende Geschichte.
Es ist schon erstaunlich, welche Erkenntnisse in den Weiten des Kosmos schlummern, welche Erfahrungen im Laufe der Existenz der Menschheit gesammelt wurden. Und was passierte in Europa, oder noch schlimmer in Germanien? Nichts, absolut nichts. Wir brauchen die Hochkulturen in anderen Gefilden der Erde, eine Art intellektuell emotionaler Konkurrenz, die das Wissen der Vergangenheit in eine Form konserviert oder gegossen haben, dass wir und die folgenden Generationen davon zehren und Nutzen ziehen.
Ich wäre nie darauf gekommen, wenn nicht ein Umzug mit meinem Büro angestanden hätte. Der Standort war gewählt, die Verträge unterschrieben, der Termin festgesetzt, als ich zum ersten Mahl meiner besseren und stärkeren Hälfte die neuen Räume, die neue Location präsentierte. Mit wachem, meiner Meinung aber äußerst kritischem Blick wanderte sie durch die Räume, ab und an ein überraschtes Ja oder ein entsetztes Nein platzierend. Meiner Meinung nach beurteilte sie den Teppichboden oder die Tapete, die beide nicht mehr auf der Höhe der Zeit waren. Alles falsch, geschult durch diverse Fachbücher und entsprechende Artikel in noch entsprechenderen Fachjournalen für die entsprechende Frau begutachtete sie die Räumlichkeiten einzig und allein nach den Prinzipien des Feng Shui.
Ich gebe zu, dass ich damals nicht ganz auf dem Stand der Dinge war, und Feng Shui für eine koreanische Version von Nasi Goreng hielt. Also erklärte ich meiner Frau, dass zum neuen Büro selbstverständlich auch eine kleine, aber komplett ausgestattete Küche gehöre, natürlich auch mit Mikrowelle, so wäre auch die schnelle Zubereitung von asiatischen Gerichten kein Problem, sofern dem Personal, also mir, danach wäre. In einer der vorigen Geschichten habe ich darüber berichtet, wie meine Frau gucken kann, wenn sie an der Welt, also an mir zweifelt. Genauso schaute sie mich an. Aber sie weiß genau, dass bei mir Hopfen und Malz nicht gänzlich verloren sind und startete einen Versuch, mir Feng Shui zu erklären. Das Ergebnis möchte ich zusammenfassen.
Die ganzheitliche Betrachtung von Raum und Wohlbefinden, unter Berücksichtigung von Bauten, natürlicher Umgebung und den örtlichen Wetterverhältnissen, die Akzeptanz des Kosmos, die Integration aller Generationen, sowie die Differenzierung von Gut und Böse, verbunden mit der hemmungslosen Ausbeutung des sowieso schon erheblich überzogenen Bankkontos, das ist Feng Shui.
Beginnen möchte ich mit der Inneneinrichtung. Um Härte zu mildern, den Denkprozessen ein harmonisches Fließen zu ermöglichen, heißt im Klartext, jede Form von Kante oder scharfem Rand ist zu verhindern. Die so mühsam montierten IKEA–Möbel, ich trug sie nach unten auf den Parkplatz und stapelte sie auf einen Haufen. Die Arbeiter der benachbarten Druckerei glotzten ungläubig zu mir herüber, als ich mit einer flugs gebastelten Fackel die Möbel des Bösen ihrer einzig richtigen Verwertung zuführte, ich steckte sie in Brand.
Das Gefühl, mich in meinem Wohnen und Arbeiten im Einklang mit dem Kosmos zu befinden, hatte sich noch nicht ganz eingestellt. Kein Wunder, außer einem Büro mit vielen Ecken und Kanten, langen und dunklen Fluren, wie sollte mich da der Geist der Ausgeglichenheit erreichen. Es war ganz einfach noch zu früh, für den Geist. IKEA war auch noch nicht bezahlt.
Meine Frau begann, mit mir den notwendigen Umbau zu besprechen. Zunächst musste das dritte Obergeschoss abgetragen werden. Warum auch immer, Konfuzius hatte beschlossen, dass die Drei eine Unglückszahl ist. Mein Vermieter war nicht anwesend, ich setzte also sein Einverständnis voraus, der oberste Stock verschwand, als hätte er nie existiert. Im nächsten Bauabschnitt wurden alle Wände eingerissen, da der Fluss der Gedanken nicht unterbrochen werden sollte. Leider hatte ich vergessen, meine Bauarbeiter darauf hinzuweisen, dass die tragenden Wände von dieser Regel ausgeschlossen blieben. Gott sei Dank, man hatte nur im zweiten Stock damit begonnen, das Erdgeschoss befand sich noch im Zustand jungfräulicher Würde. Die verehrten Leserinnen und Leser können sich vorstellen, was jetzt folgte. Ich will es abkürzen und nur das erwartete Resultat verkünden, außer dem Erdgeschoss gab es keine störenden Wände und Aufbauten mehr, die Gedanken konnten fließen.
Das taten sie dann auch, zunächst in der Festlegung der nächsten Bauabschnitte, dann ungehemmt aus den abgerissenen Wasser– und Gasleitungen, die die schützende Haut der Wände des zweiten und dritten, seit fünf Minuten auch des ersten Obergeschosses vermissten.
Die Feuerwehr, von wem auch immer herbei gerufen, erstickte in relativ kurzer Zeit die Schwelbrände, auch die Wasserleitungen und das Rohr der Gasversorgung wurden notdürftig abgedichtet. Die Frage nach dem Verantwortlichen konnte von mir nicht erschöpfend beantwortet werden, der Hausbesitzer, ich hatte es vorhin schon erwähnt, war nicht erreichbar.
Es war Zeit, den Aufbau zu beginnen. Das Gebäude müsste rund sein, die Front sollte nur aus Glas bestehen. Und nicht zu vergessen, Wasser müsste fließen. Unter Abwägung aller Umstände, eine nicht ganz leichte, aber doch nicht unlösbare Aufgabe. Der an die Grundform des alten Gebäudes anschließende Lagertrakt, er war im Weg, und ich im Feng Shui–Fieber, eine kleine Haftladung an den tragenden Säulen, es gab kein Lager mehr. Auch die das Blickfeld störende Holzfabrik, die an das Grundstück angrenzte, sie verschwand spurlos. Der Zeitungsschreiber, dessen Stellungnahme ich am nächsten Morgen las, schrieb von einem Mysterium, die Brandursache sei ungeklärt, 36 Arbeitsplätze hätten sich in Asche aufgelöst, alles wäre schrecklich. Ich konnte diese Meinung nicht teilen, war der Blick zu den geliebten Pfälzer Bergen schöner, als ich ihn mir je geträumt hätte.
Das neu entstehende Gebäude war irgendwie eiförmig, sowohl die Grundfläche als auch das Dach. Meine fleißigen Bauarbeiter arbeiteten unermüdlich, nur der Architekt weigerte sich, mit mir zu sprechen, er lies sich auf der Baustelle nicht mehr sehen. Meine Frau, ob der Konsequenz meines Handelns überrascht, tat es dem Architekten nach, und lies sich ebenfalls nicht mehr blicken. Das Haus wurde fertig, die ebenfalls runden Möbel wurden nicht nur bestellt, sondern auch geliefert, dem Einzug stand nichts mehr im Wege. Auch an den Fluss, an Wasser hatte ich gedacht. Das Wasser aus den notdürftig abgedichteten Rohren wurde befreit, ungestört floss es durch das Atrium, passierte den Besprechungsraum und trat durch das große Fenster in der Küche wieder ins Freie, vor dem Haus, ein Biotop produzierend, dessen Größe und Schönheit im Landkreis einzigartig war. Der beginnende See deckte in gnädigem Wellenschlag die Fläche zu, welche ursprünglich ein Mitarbeiterparkplatz gewesen war, mit allen Fahrzeugen, die von den Besitzern nicht rechtzeitig seefest gemacht wurden. Meiner Meinung war es nicht schade darum, die Besitzer teilten diese Meinung nicht.
Mein Blick auf die Pfälzer Berge deckte direkt und schonungslos den letzten Schwachpunkt auf, gnadenlos auf, den ich nicht berücksichtigt hatte. Als erstes fiel mir die Burg Trifels auf, wie immer und seit langem auf ihrem Berg thronend, leider mit ihren Ecken und Kanten meine Visualität und Spiritualität negativ beeinflussend. Weiter musste ich feststellen, dass die Bergkette einem geschwungen Krötenbauch ähnelte, alle positive Energie von uns abhaltend. Ein Blick in das kleine Handbuch „Feng Shui für Durchgeknallte“ half mir weiter. Die Burg hatte zu verschwinden, der Berg hatte sich zu ändern, und zwar schnellstens.
Das mit der Burg war deutlich schwieriger, als ich angenommen hatte. Erstens waren die Mauern am Sockel im Durchschnitt 1,80 Meter dick, zweitens war die Burg bewacht. Es gelang trotzdem. Zur Tarnung gründete ich die Pfälzer Vereinigung zum Schutze des nackten Felsens, danach sprengte ich zwecks Verschleierung meiner Spuren ein Dutzend alter Burgen im Kreis Pirmasens in die Luft. Zum Jahreswechsel war dann die Trifels fällig, der enorme Lärm verhinderte das vorzeitige Entdecken der ach so notwendigen Tat. Die Burg war weg, ich konnte endlich aufatmen.
Das letzte der Probleme war auch zu schaffen. Für die Besorgung der notwendigen Menge an Sprengstoff brauchte ich etwas länger, leider hatte man zwischenzeitlich mit dem Wiederaufbau der Burg begonnen. Trotzdem begann ich vor meinem Auge die Berglandschaft dahin gehend zu modellieren, dass der Ausdruck „lieblich“ endlich einmal angemessen war. Bei der Beurteilung des Altzustandes war ich mir nicht mehr ganz sicher, es war doch kein geschwungener Krötenbauch, es ähnelte eher einem fauchenden Tiger, der die Tatze schwingt. Wie sollte er später aussehen? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich im Zeichen der Schlange oder des Schweins geboren bin.
Meine Frau meinte, beides wäre zutreffend. Also fragte ich meinen Freund Gerhard. Der meinte, Esel oder Affe würde auch passen. Ich zeigte ihm meine Zunge, trat im ans Schienbein, kündigte meine Freundschaft auf und ging. Die Entscheidung war getroffen. Der Sprengstoff war da, die Lunten warteten auf ein lustiges Feuerzeug, der Berg war benannt.
Bevor ich das Geheimnis lüfte, welche Form ich dem Berg zugedacht hatte, bitte nehmen sie mir ab, es war keine leichte Entscheidung. Die vorliegende Lektüre zum Thema Feng Shui konnte nur bedingt helfen, als ich mich für die neue Form entschied.
Ich würde den Berg in die Form verwandeln, die an einen Weißherbstschorle trinkenden Elefanten gemahnen würde. Ein großes und starkes Tier, dessen äußere Form die meine angemessen widerspiegeln würde, bei einem Akt, der in der Pfalz, das weiß ich, fast sakralen Charakter hat. Gesagt getan, die 34 Tonnen Sprengstoff wurden platziert, die Sprengschnüre gelegt, es konnte los gehen. Die letzten zwei Gehilfen, die mir noch geblieben waren, hatten alles Notwendige veranlasst.
Was dann folgte, möchte ich abkürzen. Die Sprengung gelang, Hamburg war urplötzlich zur Nachbargemeinde von Straßburg geworden, Wuppertal zum Vorort von Winsen an der Luhe.
Ich selbst hatte mich wohl zu nahe am Auge des Hurrikans befunden. Aus der Ohnmacht erwacht, befand ich mich in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses Klingenmünster. Der Ort samt der Klinik befand sich jetzt auf der Gemarkung Miami. Zu den Ärzten habe ich ein gutes Verhältnis. Alle Regressforderungen wurden abgelehnt, ein deutlicher Hinweis auf die geistige Verfassung, die man mir unterstellt. Meine Frau besucht mich ab und an, Feng Shui ist kein Thema zwischen uns. Die Burg Trifels steht wieder, die Landkreise sind repariert, die Hamburger und Wuppertaler wieder da, wo sie hin gehören.
Seit gestern darf ich wieder in den Hof. Zuerst fiel mein Blick auf die Bergkette hinter dem Krankenhaus. Meines Erachtens handelt es sich um ein Kamel in einem Honigtopf. Dies ist eine äußerst negative Ausprägung, eine Totalblockade aller Nerven und Sinne die schreckliche Konsequenz. Als neue Form könnte ich mir den Rhesusaffen auf dem Fahrrad vorstellen. Nächste Woche bringt mir meine Frau einen Chemiebaukasten mit. Es wird sich doch etwas machen lassen.
© Peter Reuter