„Wie kann man denn nur aus einer Stadt wie Berlin in so ein kleines 300 Seelen Dorf, mitten im Wald, ziehen? Da gibt ’s doch gar nichts!“ Sabine stand vor mir und schaute mich erwartungsvoll an. „Erkläre mir das…, erkläre mir das, bitte!“ Mal abgesehen davon, dass sich Sabines Stimmlage schwerstens in der Nähe einer Kreissäge befand, wunderte ich mich schon etwas darüber, dass ausgerechnet meine Zigarettenhändlerin die Einzige war, die sich skeptisch meinen Umzugsplänen gegenüber äußerte. Vielleicht lag es einfach daran, das ich eine Zigarettenhändlerin in Berlin mit Vornamen ansprach. Bestimmt war es das. Sie hob ein weiteres Mal an. Dieses Mal ging ihre Stimme schon in Richtung verstopftes Triebwerk eines Airbus´. „Halloooohooo, ich warte…!“
Ich überlegte womit ich beginnen sollte. Mit der Müllabfuhr, die gegen 6.30 Uhr genau vor meinem Fenster hält, selbstredend mit laufendem Motor und diesem, kilometerweit hörbaren, Piep Ton der immer dann ertönt wenn der Wagen mal rückwärts fahren muss? Mit den Geräuschen, die Müllmänner morgens um 6.30 Uhr, sowohl verbal, als auch grob motorisch machen, wenn sie, fröhlich und ausgeschlafen das tun was sie tun müssen, nämlich Mülltonnen durch die Gegend schleifen und die Müllpresse am Müllwagen bedienen? Oder mit meiner Nachbarin, die über mir 15 Minuten später aufsteht und eine Vorliebe für das Rockradio und tanzen in Stöckelschuhen auf Parkettfußboden hat?
Aber nein, ich begann mit einem Rundumschlag über die Stadt, in der ich aufgewachsen bin und die sich im Laufe der letzten 30 Jahre in ein dreckiges, lautes, stinkendes Loch verwandelt und deren Verkehr sich verzehnfacht hat, in der Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln pausenlos ihren Aggressionen freien Lauf lassen, in der man keine zwei Meter laufen kann, ohne über Hundehaufen oder Besoffene zu „stolpern“ und in der es keinen Unterschied macht, ob man 50 Zigaretten am Tag raucht, oder einfach nur einmal auf der Straße einatmet.
Mir fiel dann noch einiges mehr ein, was ich Sabine antwortete, wobei sich auch meine Stimmlage, im Laufe der Aufzählung, bis in Kreissägennähe bewegte. Daran muss ich jetzt denken, wo ich endlich auf dem Land lebe, in einem Dorf mit weniger als 300 Einwohnern. Ich sitze am Schreibtisch und denke über die nächsten Zeilen nach. Der Hahn kräht. Komisch, abends um 18.00 Uhr. Aber der kräht ja auch morgens um 3 Uhr, um 3.30 Uhr und um 4.Uhr. Wahrscheinlich ist es ein Hahn mit Weckwiederholung.
Ich muss die Zeit nutzen, denn lange wird der Nachbar nicht Pause machen, nachdem er gerade vier Stunden auf seinem Rasenmäher über den knapp 100 qm großen Grasansatz seines Vorgartens fuhr. Gleich wird er die große Kartoffelsortiermaschine anschmeißen, welche die Lautstärke eines Berliner Müllwagens bei weitem übertreffen kann. Nur fährt die große Kartoffelsortiermaschine nicht nach 10 Minuten wieder weg, sondern steht immer am gleichen Platz. So höre ich aber die Hunde nicht, die auf der anderen Straßenseite den ganzen Tag hinter dem Zaun hin und her laufen und unaufhörlich bellen…, und bellen…, und bellen. Ich bin noch nicht so richtig dazu gekommen, mich mal mit den Hundehaltern zu unterhalten, was vielleicht daran liegt, dass sie mich immer so böse anschauen und dem Postboten erzählt haben, ich wäre bestimmt so ein arbeitsscheues Subjekt, das die ganze Nacht nur Drogen nimmt und dem Staat auf der Tasche liegt. Eben so Leute die man früher schon dahin gesteckt hat wo sie hingehören. Na ja, ich rede morgen mal mit der anderen Nachbarin. Die mit der latenten Wodka Fahne, mit den vielen Katzen im Haus, die morgens immer ihre zwei halb verhungerten Pferde anschreit. Jetzt aber, setze ich mich erst noch ein paar Minuten auf die Veranda und atme die Landluft, die durch nichts, außer der Jauche Grube des Nachbarn mit der Kartoffelsortiermaschine, getrübt wird.
Schön, dass ich endlich aus der Stadt raus bin.
Ein Beitrag von Oliver Wellmann – www.oliver-wellmann.de.