Eindrücke und Überraschungen am laufenden Band – Am Bahnhof in Zhengzhou angekommen lassen wir uns in der Wartehalle nieder. Wir haben ein Ticket für den traditionellen Schnellzug für 20 Yuan pro Nase gelöst, und haben ca. 1,5 Stunden Fahrt vor uns. Ich stelle demütig fest, dass ich den Bahnhofstoiletten in Beijing Unrecht getan habe: Schlimmer geht immer! Hier gibt es zwei Reihen Zellen mit halbhohen Trennwänden, ohne Tür oder Vorhang, darunter jeweils eine durchgehende Rinne mit fließendem Wasser. In jeder Zelle hockt ein Mensch mit herabgelassenem Beinkleid, starrt angestrengt geradeaus, und konzentriert sich in meditativer Versenkung auf das Wesentliche.
Als ich es kopfschüttelnd meiner Frau schildere, meint sie trocken: „Du brauchst nur laut zu rufen: „Wem gehören die 100 Yuan hier auf dem Boden?´, dann kommt garantiert sofort aus jeder Zelle ein Kopf hervorgeschossen…“ Das wäre dann wohl der richtige Moment, um auf den Auslöser der Kamera zu drücken….
Im Zug geht es geradezu familiär zu, eng, aber gemütlich. Wer einen festen Platz gebucht hat, lässt sich auf diesem nieder. Wer keinen hat, versucht natürlich ebenfalls, einen Sitzplatz zu ergattern. Es werden fröhlich Plätze getauscht, geschoben, gedrängelt, und Unmengen Gepäck auf den Trägern und in den Gängen verstaut. In wahrhaft sozialistischer Brüderlichkeit tauscht so mancher Sitzplatzbesitzer zwischendurch mit einem weniger glücklichen Zeitgenossen den Platz, damit dieser auch einmal ein Weilchen rasten kann.
Wir kommen mit zwei Automechanikern ins Gespräch, Vater und Sohn. Sie stammen aus Yueyang/Hunan und sind unterwegs nach Xi`an, um dort eine eigene kleine Werkstatt zu eröffnen. Wir unterhalten uns über Gott, die Welt, und überhaupt alles, und plötzlich heißt es für uns schon aussteigen: Wir sind in Luoyang.
Als wir aus dem Zug steigen, steht draußen die Hitze wie eine Wand – es sind gut über 30 Grad. Luoyang macht einen ausgesprochen entspannten Eindruck, was für chinesische Verhältnisse wirklich erstaunlich ist. Wie gewohnt fahren wir mit einem Taxi zum Quan Ju De Da-Hotel, wo meine Frau per Internet ein Zimmer für 270 Yuan, rund 30 Euro, vorbestellt hat. An der Rezeption eröffnet uns die freundliche Empfangsdame, dass man uns ein Upgrade des Zimmers auf die ca. 50 qm-Suite gewährt – einfach so, und zum gleichen Preis, Service des Hauses sozusagen. Unnötig zu erwähnen, dass wir uns dies gern gefallen lassen. Das Hotel hat chinesische vier Sterne, ist etwas in die Jahre gekommen, aber wir sind sehr zufrieden mit unserem unverhofft zugewiesenen Palast.
Danach begeben wir uns auf einen Bummel in die Altstadt, die ein wirklich reizendes Flair hat. Überall kleine Lädchen, es wird gekocht, gesotten und gebraten, und nebenbei alles verkauft, was sich nur denken lässt. Alle Wohlgerüche dieser Erde scheinen sich hier zu vereinen, und dazu kommen noch ein paar Duftnoten von eher zweifelhafter Provenienz.
Ein Angehöriger einer muslimischen Minderheit – Hui oder Uiguren – hat dort eine Nudelküche in Betrieb. Während er den Teig für die Nudeln schwingt, hütet seine Frau den spielenden Sprössling auf der Straße. Zu unserer stillen Erheiterung trägt das Kind die für Kleinkinder in China typischen Hosen: im Schritt offen, und ohne Unterhose oder Windel, so dass sich bei Bedarf ohne Verzögerung hingehockt und das Geschäft gleich an Ort und Stelle verrichtet werden kann. Zudem ist der Popo so immer schön trocken und wird nicht wund – warum also in die Ferne schweifen? Chinesen sind eben praktisch denkende Menschen, und auf ein Bächlein mehr oder weniger auf der Straße kommt es ja schließlich auch nicht mehr an, nicht wahr?
Nach dem Abendessen zieht es uns in unseren Palast zur Nachtruhe, welche allerdings wieder einmal nicht ganz ungestört verläuft: Ein Hund scheint der Meinung zu sein, die Stille der frühen Morgenstunden durch langanhaltendes, fröhliches Bellen auflockern zu müssen, und tobt sich nach Herzenslust aus. Während meine Göttliche unbeeindruckt wie immer fest schlummert, entwickle ich ein tieferes Verständnis dafür, warum sich so manches Hundchen in China den Wok von innen anschauen darf: gestörte Nachtruhe!
Am nächsten Morgen nach einem reichhaltigen Frühstück begeben wir uns auf Besichtigungstour. Als Erstes steht der Tempel des weißen Pferdes auf dem Programm. Der Taxifahrer, der uns dorthin bringt, bietet uns an, uns für den Rest unseres Besichtigungsprogramms für 200 Yuan – ca. 22 Euro – zu allen unseren Zielen zu fahren und dort auf uns zu warten. Das ist ein Wort, und dafür laden wir ihn sogar noch zum Mittagessen ein. Beide Seiten sind mit diesem Geschäft hochzufrieden.
Der Tempel selbst ist wunderschön, das gesamte Areal von majestätischer Ruhe erfüllt. Ein Ort zum Verschnaufen, der Lärm der Straße existiert nicht mehr.
Wo wir gerade bei Tempeln sind: In China gibt es neben religiösen Minderheiten wie den muslimischen Hui und Uiguren vor allem Anhänger des Daoismus und des Buddhismus. Beide Religionen leben in friedlicher Koexistenz, und scheinen teils sogar miteinander zu verschmelzen. Es ist für niemanden ein Problem, erst in einem buddhistischen Tempel zu beten und anschließend im nächsten Dao-Tempel auch noch schnell ein paar Räucherstäbchen zu verfeuern – man weiß ja nie. Einen Gegensatz scheint darin niemand zu sehen, offenbar eher eine Ergänzung.
Der Konfuzianismus hingegen ist keine Religion, sondern eine Philosophie, auf deren Basis vor allem Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben entstanden sind. Zudem kommen noch verschwindend kleine christliche und jüdische Glaubensgemeinschaften. Alles in allem ist das religiöse Leben in China von großer Toleranz geprägt, eine Konkurrenz zwischen den verschiedenen Bekenntnissen gibt es nicht. Das Ziel ist, wie eigentlich überall im Lande, Harmonie.
Unser nächstes Ziel ist der Tempel Guan Lin Miao, der uns allerdings nicht lange aufhält, da er recht klein ist. Danach suchen wir gemeinsam mit dem Fahrer ein kleines Restaurant auf, um ein Häppchen zu uns zu nehmen.
Der Wirkungsbereich des dort seines Amtes waltenden Küchenmeisters ist sehenswert. Er gleicht mehr der Esse einer Schmiede als einer Küche und würde jeden Mitarbeiter eines deutschen Gesundheitsamtes hyperventilierend in die Schockstarre fallen lassen: Wände, Herd, Wok und Töpfe sind sämtlich mit einer dunklen Schicht fettiger Ablagerungen bedeckt. Selbst das Fenster ist davon nicht ausgenommen, so dass das Tageslicht nur noch spärlich hereinfällt. Von einem solchen Anblick sollte man sich in China allerdings nicht abschrecken lassen: Küchenutensilien werden häufig nur von innen gereinigt, zumindest in den einfachen Restaurants. Der Qualität des Essens hat dies unserer Erfahrung nach jedoch noch nie geschadet – bisher ist uns alles bekommen, und geschmeckt hat es so gut wie immer. Erstaunlicherweise schmeckt die in den einfachen Restaurants gebotene chinesische Hausmannskost oft sogar schmackhafter als die raffinierten Gerichte eines vornehmen Gourmet-Tempels. Also nur Mut!
Nach dem Mittagessen geht es dann zu Loyangs eigentlicher Attraktion: den Felsgrotten von Longmen.
Longmen ist schlicht unglaublich: zu beiden Seiten des Luo-Flusses sind Grotten in die Felsen geschlagen. Es müssen Hunderte sein, wenn nicht Tausende. In jeder Grotte befindet sich, sofern nicht durch den Zahn der Zeit zerstört, mindestens eine Buddha-Statue, manchmal aber auch Hunderte auf einmal. Es gibt ganz kleine Buddhas, gerade mal ein paar Zentimeter hoch, und Riesen von geschätzt mehr als zehn Meter Höhe. Im Zentrum dieser Grottenwände dann die Krönung: eine gigantische Gruppierung von Statuen, die einem schier den Atem verschlägt. Und so stehen sie seit weit über tausend Jahren dort – gelassen, erhaben, und mit unbeteiligtem Blick auf die irdischen Leidenschaften all der Menschen rings umher.
Abends gehen meine Frau und ich noch ein wenig in der Altstadt bummeln. Wir klettern auf den erhaltenen Rest der wahrhaft gigantischen Stadtmauer, neben der die Mauer einer deutschen Burg wie ein Gartenzaun anmutet, und lassen uns dann in deren Schatten zum Abendessen nieder. Es kostet uns gerade mal 60 Yuan – ca. 7 Euro, und ist scharf. Köstlich, aber so scharf, dass es garantiert mehr als einmal brennt. Da ist ein gutes Tsingtao-Bier die willkommene Ergänzung, denn Bier brauen, das können die Chinesen wirklich.
Nach einer diesmal wunderbar ruhigen Nacht geht es dann mit einem modernen Schnellzug zurück nach Zhengzhou in unser komfortables „Basislager“. Am nächsten Morgen soll es zu unserem nächsten Ziel gehen: dem ca. 130 Kilometer entfernten Yuntai-Berg.
Erlebnisse in China – Teil 1
Erlebnisse in China – Teil 2
Erlebnisse in China – Teil 3