Freitag , 19 April 2024
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Gekommen, um zu bleiben – Zuwachs in Flora und Fauna

waschbaer nordhessenDer Frühling ist unübersehbar da und es beginnt allerorts wieder zu krabbeln, zu pfeifen und zu singen, zu grünen und zu blühen. Doch noch lange nicht alles, was sich in der Natur wieder zu regen beginnt, ist auch willkommen. Zumindest nicht für einige von uns. Die heimische Flora und Fauna wird seit etlichen Jahrzehnten still und heimlich unterwandert von Gästen, die keine mehr sein wollen, sondern sich längst auf dauerhaftes Bleiben eingestellt haben. Der Mensch selbst macht’s möglich.

In den vergangenen Jahren war festzustellen, dass die Listen der Biologen, die jene unheimlichen Pioniere aufführen – die Biologie nennt diese Einwanderer Neobiota – immer länger werden. Die Rede ist von der so genannten „Invasionsbiologie“ und von „Invasoren“, Termini, die schon aufgrund ihrer Sprachregelung zweifelhaft erscheinen müssen, aber dazu später mehr.

Als ich ein Kind war, kannte ich solch exotische Pflanzen wie Rosmarin oder Lavendel bestenfalls aus dem Gewürzregal des Lebensmittelhändlers. Mein Vater baute in seinem Garten, der zwischen Düsseldorf und Mönchengladbach am Niederrhein lag, Kartoffeln an und pflegte seine Obstbäume. Meine erste Rosmarin-Hecke bestaunte ich Anfang der 80er Jahre in Israel. Dank des inzwischen durchschnittlich sehr milden Winterklimas in der Rheinebene gedeihen die ursprünglich im Mittelmeerraum beheimateten Pflanzen heute praktisch nahezu in jedem Vorgarten, und vor zwei Jahren war ich doch recht überrascht zu sehen, dass unmittelbar dort, wo die mittelalterliche Stadtmauer jener kleinen Stadt nahe Düsseldorf, in der ich arbeite, an ihrer untersten Kante einem zufällig gesäten Feigenbäumchen (Ficus carica) Obdach bot. Auch die Stadtgärtner, die regelmäßig alles Unkraut entfernen, konnten dem Pflänzchen bisher nicht den Garaus machen, es wächst immer noch.

Einigermaßen erstaunt war ich ebenso, als ich Mitte der 80er Jahre den ersten Papagei im Düsseldorfer Volksgarten zwischen den alten Bäumen laut krächzend umherflattern sah. Inzwischen gibt es die Halsbandsittiche (Psittacula krameri), die 1969 in Europa erstmals in Köln auftraten, in allen Parks größerer Städte entlang der Rheinschiene, aber auch in England, Frankreich, Belgien, den Niederlanden sowie in den USA und Japan. Während der Halsbandsittich seine Einbürgerung in Gegenden, in denen er ursprünglich nicht heimisch war (der Vogel stammt aus Afrika), vermutlich der Ignoranz seiner Pfleger verdankt, die seinem lauten Geschrei überdrüssig geworden waren und ihn einfach ausgesetzt hatten, verhält es sich mit anderen Einwanderern ganz anders: Sie verdanken ihre neue Präsenz dem, was die Biologen „Vektoren“ nennen, sprich: Den mehr oder weniger zufälligen Transportmitteln, die ihrerseits auf den globalen Transport von Waren zurückgehen.

Wer am Rheinufer bei Düsseldorf sitzt, muss sich nicht wundern, wenn dort ein handtellergroßer Krebs aus den Uferwellen auftaucht, der wegen seines Aussehens den Namen Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) trägt. Das Tier stammt ursprünglich aus China und wurde im Ballastwasser der internationalen Schifffahrt nachweislich schon Anfang des 20. Jahrhunderts in die hiesigen Flüsse eingeschleppt.

Gärtner, deren Scholle an Brachflächen grenzt, auf denen der Japanische Knöterich (Fallopia japonica) mit seinem enormen Wurzelwerk von Rhizomen Fuß gefasst hat und dem mit gewöhnlichen Mitteln kein Beikommen ist, dürften ebenso genervt sein wie die Mitarbeiter von Autobahnmeistereien, die sich in den Grünflächen von Autobahnkreuzen um den Neuankömmling zu kümmern haben, gegen den schlichtweg kein Kraut zu wachsen scheint. Gleiches gilt für den Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum), einem Einwanderer aus dem Kaukasus, der zwar an Waldrändern, Wegrändern und Auen mit seinen üppigen Dolden allein optisch schweren Eindruck schindet, dabei allerdings mindestens genau so wirksam, wie sein vorgenannter Pflanzenkollege, nicht nur Teile der heimischen Flora verdrängt, sondern zu allem Überfluss auch noch bei Berührung toxische Substanzen absondert, welche die menschliche Haut enorm schädigen können. In lichten Wäldern und an Bachläufen ist das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera) zwar eine Augenweide, aber der arglose Wanderer ahnt kaum, dass unterhalb der eng stehenden Stängel dieser Pflanze, wie von dem bereits genannten japanischen Knöterich, kaum noch etwas wächst, das ursprünglich einmal unserer heimischen Flora zuzuordnen war und das die Biologen „Krautschicht“ nennen – ein trauriger Nebeneffekt der neuen botanischen Platzhirsche.

Apropos Platzhirsche: Unter den frei lebenden Säugetieren mittlerer Größe haben sich inzwischen die Waschbären (Procyon lotor) in Kassel und anderswo einen zweifelhaften Ruhm erkämpft: Sie dringen bis tief in die Großstädte vor und keine gefüllte Mülltonne ist vor ihnen sicher, gar nicht zu reden von den schlaflosen Nächten, welche sie ihren unfreiwilligen Vermietern bescheren, wenn die munteren Säuger des Nachts Dachböden, Garagen und Gartenhäuser lautstark nach Fressbarem durchforsten.

Nur ein Teil der Neusiedler hierzulande ist rein zufällig bei uns angekommen. Paradigmatisch für die gezielte Einführung durch Menschen stehen indes der Japanische Knöterich, der 1825 von Philipp Franz Balthasar von Siebold als Zier- und Viehfutterpflanze gezielt importiert wurde. Das Gleiche gilt für den Asiatischen Marienkäfer (Harmonia axyridis) , dessen lateinischer Artname so friedlich klingt, und der von dem französischen Forschungsinstitut INRA als natürlicher Feind von Schädlingen von Zier- und Nutzpflanzen erfolgreich getestet und ab 1995 von der französischen Firma „Biotop“ in Frankreich, Belgien und den Niederlanden als biologisches Insektizid vermarktet wurde. Das war gewissermaßen der Knockout für den bei uns heimischen Siebenpunkt-Marienkäfer (Coccinella septempunctata). Denn im Gegensatz zu diesem verspeist der Asiatische Marienkäfer neben Blattläusen auch gerne die Larven unserer heimischen Marienkäferarten.

Wie auch immer: Kaum naht der Sommer, haben die Biologen ein neues Tier oder eine neue Pflanzenart parat und schlagen Alarm. Zuletzt war es die ursprünglich in der westlichen Mittelmeerregion zwischen Südafrika und dem Südrand der Alpen beheimatete Spinne Zoropsis spinimana , die zwar giftig ist, aber kaum die Haut des Menschen mit ihren Cheliceren (Giftklauen) durchdringen kann. Und auch ansonsten verzieht sie sich eher scheu in einen stillen Winkel, gerne auch zu mehreren, wie zum Beispiel aus Neukirchen-Vluyn/NRW gemeldet, ein Ding, für das sich ansonsten aber niemand interessiert. Auf jeden Fall aber ist eine eher harmlose Spinne wie diese allein wegen ihres Daseins als Neozoon in Kombination mit dem Ekelfaktor „Spinne“ ein willkommenes Überbrückungsthema für jedwede mediale Saure-Gurken-Zeit.

Wir haben es also auf der einen Seite zu tun mit dem unaufhaltsamen Einzug von Neophyten und Neozoen in unsere Flora und Fauna. Und auf der anderen Seite haben wir das Geschrei der Ökologen, die sich ernsthaft angesichts der sogenannten „Invasoren“ Sorgen machen um die Biodiversität, um die Zerstörung von ganzen Lebensräumen dank der unheimlichen Neuzugänge. Zugegeben: Wenn eine neue Art einwandert, kann sie eine oder mehrere alt eingesessene Arten verdrängen. Aber mal ehrlich: War das nicht immer schon so? Genau genommen ist die Wanderratte (Rattus norvegicus) auch ein Neozoon – und zwar eines der Erfolgreichsten – und das mit erheblichen Folgen. Wir haben im Lauf der Jahrhunderte gelernt, uns mit den Auswirkungen der einen oder anderen Einwanderung neuer Arten zu arrangieren, mal mehr, mal weniger radikal.

Die Geschichte der Evolution ist die Geschichte der Eroberung neuer Lebensräume durch Pflanzen und Tiere. Und der Anfang der menschlichen Geschichte ist derjenige seines Daseins als Nomade, als Wanderer.

Wir sollten es uns allerdings überlegen, ob wir es uns rein wissenschaftlich (aber auch moralisch) leisten können, über Neuankömmlinge in unserer Tier- und Pflanzenwelt den Stab zu brechen und zu sie vor zu verurteilen, indem wir sie sprachlich mit negativen Begriffen wie „Invasoren“ bezeichnen. Auf internationaler Ebene bedient sich leider auch die „International Union for Conservation of Nature and Natural Resources“ (IUCN) dieser Sprachregelung und unterscheidet in ihren Definitionen der Neobiota zwischen „alien species“ und „invasive alien species“. „Alien species“ sind dieser Definition nach Arten, die durch menschliches Zutun in ein fremdes Gebiet eingeschleppt wurden. Das Eigenschaftswort „invasiv“ wird solchen Arten zugeschrieben, die in ihrem neuen Biotop inzwischen heimische Arten verdrängen. Diese Begriffslage ist unbefriedigend und wurde aufgrund ihrer militärischen oder gar fremdenfeindlichen Konnotation von „invasive“ und „alien“ mehrfach kritisiert. Aus diesem Grunde bevorzuge ich – in Anlehnung an die mehrheitlich aktuelle biologische Diktion – für alle Tier- und Pflanzenarten, die sowohl durch menschlichen Einfluss als durch andere Umstände neue Lebensräume erschlossen haben, wertneutral die Bezeichnung Neobiota. Denn alles andere ist suggestiv und daher unnötig. Wovor sollten wir in diesen Zusammenhängen eigentlich Angst haben?

Die Eroberung neuer Lebensräume ist ein Prinzip der Evolution, und wir, der Homo Sapiens, sind das beste Beispiel dafür. Ob zum Guten oder Schlechten, das ist Menschendenken. Und das, was weiterhin aus dem wird, was wir angestoßen haben, darüber entscheiden nicht wir, sondern die Natur.

Die Biowissenschaften lehren, dass es letztlich keine vollkommen geschlossenen Öko-Systeme gibt. Wäre es anders, fände Evolution nur in sehr eingeschränktem Maße statt. Es mag sein, dass durch „Invasion“ fremder Arten in ein bestehendes Öko-System die Vielfalt der Arten dort zunächst abnimmt. Niemand ist jedoch heute in der Lage, vorauszusagen, ob und inwiefern gerade durch solche Vorgänge neue Nischen im Sinne der Evolution besetzt werden können und dadurch auf lange Sicht eine neue, eben andere Artenvielfalt dort entstehen kann, wo wir es nicht ahnen.

Fakt ist: Wir Menschen leisten den Neobiota seit der Erfindung der transatlantischen Seefahrt nicht unerheblichen Vorschub und sind damit zu einem Evolutionsfaktor geworden, der sich nicht von der Hand weisen lässt. Ich kann mir nicht helfen, aber ich empfinde das nicht als Bedrohung – weder für uns Menschen noch für die Biodiversität. Ich halte es für natürlich.

Ach übrigens: Als ich ein Kind war, gab es keine Dohlen (Corvus monedula) in dem Ort nahe Düsseldorf, in dem ich damals wohnte. Nach weit mehr als 30 Jahren bin ich zurück gekehrt in den Ort meiner Kindheit, um hier wieder zu leben. Und nicht nur ich bin wieder neu hier: Es gibt auch wieder Dohlen in meiner kleinen Stadt.

Und wie neuerdings öfter wieder in den Medien bekannt gemacht wurde, gibt es auch wieder Wölfe in Deutschland, inzwischen nicht mehr nur im Osten des Landes. Das macht mich zuversichtlich – denn die Natur findet wie das Wasser immer einen Weg. Und wie es scheint, haben wir in den letzten Jahrzehnten nicht alles falsch gemacht, was die Ökologie angeht.

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