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Tschernobyl – Oder: Die Halbwertszeit von guten Vorsätzen

Vor fast 25 Jahren, am 26. April 1986 um 01.23 Uhr ereignete sich der unfassbare Super Gau im Kernkraftwerk von Tschernobyl. Damals kam es im Kernreaktor Block 4 zu einer Kernschmelze und einer Explosion. Bei der Simulation eines totalen Stromausfalls, die den Beweis erbringen sollte, dass selbst unter diesen Umständen die Stromversorgung nicht gefährdet sei, kam es zu diesem unfassbaren Unglück. Ein abgeschaltetes Kernkraftwerk muss im Ernstfall durch die Notstromaggregate die nötige Energie aufrechterhalten können, um die Kühlung sicherzustellen, die Instrumente am Laufen zu halten und somit die Überwachung zu gewährleisten. Dies sollte der Test bestätigen, doch leider kam alles ganz anders und trotzdem hat die Politik nichts daraus gelernt.

tschernobyl_reaktor

Schwerwiegende Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften, Planungs- und Bedienungsfehler, trafen aufeinander und lösten den Super Gau aus. Die Explosion schleuderte über 40 verschiedene, radioaktive Stoffe in die Atmosphäre. Die freigesetzte Radioaktivität wurde auf das 100 – 400 fache der Hiroshima Atombombe geschätzt. Dadurch konnten sich die Wolken mit dem radioaktiven Fallout über weite Teile Europas und schließlich die gesamte nördliche Halbkugel verteilen. 70% des Fallouts gingen über Weißrussland nieder. Je nach Regenfall wurden all diese Länder unterschiedlich hoch belastet. Erst nachdem in Schweden erhöhte Radioaktivität gemessen wurde, gab die sowjetische Regierung einen Unfall zu. Die erste kurze Meldung erschien am 28 April gegen 21:00 Uhr bei der Nachrichtenagentur TASS, also über 67 Stunden nach der Katastrophe!

Bei der Reaktorexplosion gelangten vor allem Radionuklide (Jod-131, Cäsium-137. Strontium-90) und verschiedene Plutoniumisotope in die Umwelt.

Jod-131: Halbwertszeit: 8 Tage. Eines der biologisch schädlichsten Isotope. Die menschliche Schilddrüse verwechselt das radioaktive Jod mit dem natürlichen Element und speichert es über lange Zeit. Die Folge – Schilddrüsenkrebs

Cäsium-137: Halbwertszeit: 30 Jahre. Gelangt über Boden und Pflanzen in die Nahrungskette. Cäsium-137 ist krebserregend und lagert sich beim Menschen in Muskeln, Nieren, Leber, Knochen, Fortpflanzungsorganen und Blut ab.

Strontium-90: Halbwertszeit: 28 Jahre. Auch Strontium-90 wird über die Nahrungskette aufgenommen und lagert sich anstelle von Kalzium in Zähnen und Knochen ab. Es gilt insbesondere als Leukämieauslöser.

Plutonium-239: Halbwertszeit: 24.360 Jahre! Plutonium-239 ist eines der giftigsten, radioaktiven Elemente. Nur wenige Milligramm sind für einen Menschen Tödlich. Es lagert sich in Blut, Lungen, Knochen und Fortpflanzungsorganen ab und ist krebserregend.

Direkt nach dem Unglück wurden damals etwa 200.000 Liquidatoren (Aufräumarbeiter) eingesetzt. Nach Angaben der WHO waren es in den Folgejahren sogar 600.000 – 800.000. Diese Katastrophenhelfer, die aus Weißrussland, der Ukraine und Russland stammten, bestanden überwiegend aus jungen Soldaten. Sie erbauten u.a. in größter Eile, eine Art Sarkophag um die Reaktorruine von Block IV. Diese gigantische Konstruktion sollte 20 bis 30 Jahre halten und die Umgebung vor der Radioaktivität schützen. Die genaue Zahl der Liquidatoren werden wir wohl niemals erfahren, denn insgesamt wurden nur 400.000 von ihnen registriert, die Dunkelziffer jedoch scheint wesentlich höher zu sein. In den ersten Tagen waren ca. 1000 von den Helfern einer schweren bis absolut tödlichen Strahlung ausgesetzt. Experten schätzen die Gesamtzahl der bisher gestorbenen Liquidatoren auf etwa 50.000.

tschernobyl_schutzmaskeAuch in Deutschland herrschte Angst und Hysterie unter den Bürgern. In Süddeutschland, wo die Bodenkontamination am Höchsten war, wurde z.B. die Sperrung von Kinderspielplätzen empfohlen, sowie das Unterpflügen von Feldfrüchten. Große Teile der Bevölkerung forderten nach dem Unglück einen Ausstieg aus der Atomindustrie und politisch wurde dieses Ansinnen neben den Grünen besonders von der SPD übernommen. Aber auch CDU und FDP sahen die Atomkraft als Übergangsenergie, auf deren Verzicht hingearbeitet werden müsse.

Anscheinend jedoch sind die tragischen Bilder und die weltweiten Konsequenzen dieser Katastrophe aus den Köpfen vieler Politiker verschwunden, denn 2010 beschloss die Regierung bekanntlich eine Laufzeitverlängerung. Somit werden die 17 deutschen AKWs im Schnitt 12 Jahre länger am Netz bleiben.

Das IBB (Internationales Bildungs- und Begegnungswerk) erinnert mit der Wanderausstellung „25 Jahre nach Tschernobyl. Wege zur transnationalen Erinnerungskultur“ an das Ereignis. Die Ausstellung bringt ab Januar 2011 eine einzigartige Sicht auf die Katastrophe und ihre Folgen in mehr als 30 Städte in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Die Sammlung der Zeitzeugenberichte macht das Unvorstellbare anschaulich und nachfühlbar. Außerdem wird alles eindrucksvoll durch die Bilder des Fotografen Rüdiger Lubricht ergänzt. Weitere Informationen zur Wanderausstellung erhalten sie auf der IBB Homepage.

Wir dürfen dieses Unglück nicht vergessen und verdrängen, sondern sollten uns immer vor Augen halten, welche Gefahren Atomkraftwerke in sich bergen. Profit machen kann nur der, der am Leben ist!

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