Dienstag , 19 März 2024
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Burnout: Gehen wir diesen Weg freiwillig?

Burnout, Nervenzusammenbruch, Depressionen, Angstzustände – es scheint, als gelänge es vielen Menschen nicht mehr, mit den Forderungen der Leistungsgesellschaft mitzuhalten. Dann finden sich die Ratschläge, der Familie, der Entspannung, den Hobbys doch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Doch steht diese Wahl wirklich offen? Wirtschaftliche Bedingungen richten sich nach Umsätzen, Rentabilität und Kosteneinsparungen aus. Die Lebensqualität von Menschen wird in keiner Bilanz ausgewiesen.

Am vergangenen Wochenende fanden sich Forscher an der Universität Heidelberg ein, um sich mit dem Thema Burnout auseinanderzusetzen. Ein zusammenfassender Bericht erschien bei Spiegel-Online. Der Grundtenor vermittelt dabei den Eindruck, als stünde es dem Menschen frei, zwischen mehr Arbeit, mehr Stress und mehr Lebensqualität zu wählen. Doch, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, handelt es sich dabei wirklich um eine freiwillige Entscheidung?

burnout woman blondDie grundsätzliche Situation wirkt auf den ersten Blick natürlich durchaus logisch: Jeder Mensch braucht einen Platz zum Wohnen, Nahrung, Kleidung etc. und bietet als Gegenleistung seine eigene Arbeitskraft an. Zweifellos hat sich das Verhältnis zwischen Leistung und Entlohnung – in Bezug auf deren Kaufkraft – vom Beginn des Industriezeitalters bis ins späte 20. Jahrhundert deutlich verbessert. Im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Annahme ist es in erster Linie jedoch der technische Fortschritt, der diese Veränderungen herbeiführte – und nicht die Einführung der Demokratie. Solange neben der menschlichen nur die Arbeitskraft von Tieren zur Verfügung stand, nahm die Selbsterhaltung den größten Teil des Leistungspotentials in Anspruch. Maschinen, die Verfügbarkeit der notwendigen Energie vorausgesetzt, ersetzen heutzutage den größten Teil vormals zeitraubender Handarbeit. Dementsprechend veränderte sich im Laufe der vergangenen hundert Jahre auch die Art der geleisteten Arbeit grundlegend.

Hier stoßen wir bereits auf ein Problem, mit dem eine große Zahl von Arbeitnehmern konfrontiert ist: Es fehlt der persönliche Bezug zur Arbeit. Wir können davon ausgehen, dass ein Schuhmacher oder Schneider vergangener Tage nicht nur das verdiente Geld vor Augen hatte, sondern das jeweilige Produkt auch mit entsprechender Hingabe anfertigte. Jedes Paar Schuhe, jedes Kleidungsstück war ein kleines Kunstwerk, das letztendlich auch der Kunde schätzte, der sich viele Jahre daran erfreuen konnte. Finden sich beim Bedienen von Maschinen, beim Bearbeiten von Aufträgen für seine Firma oder beim Verbuchen von Zahlen derartige Erfolgserlebnisse?

Es gibt aber auch Vergleiche mit der jüngeren Vergangenheit. Die Arbeit in einem Gemischtwarenladen, die es vor fünfzig Jahren noch an jeder Straßenecke gab, war nicht nur abwechslungsreicher als die in modernen Supermärkten, auch die vielen kleinen Gespräche mit den gut bekannten Kunden brachten regelmäßige Auflockerungen mit sich.

Natürlich gibt es auch heute noch viele Berufe, die persönliche Erfolgserlebnisse erlauben. Spontan fallen mir z. B. Architekten ein, Designer oder auch Computerprogrammierer, die regelmäßig etwas Neues schaffen, Probleme überwinden, Verbesserungsmöglichkeiten erkennen, bis eines Tages die Arbeit durch das fertiggestellte Produkt gekrönt wird. Was jedoch die Mehrzahl der Berufe betrifft, die meisten Fachkräfte eingeschlossen, fällt es mir schwer zu glauben, dass sich ein persönlicher Bezug zur erbrachten Leistung herstellen lässt.

Auch wenn jeder Mensch seinen Beruf frei wählen darf, wie selten ist es wirklich der Fall, dass ein Mensch einer Arbeit nachgeht, die ihn im Sinne des Wortes ausfüllt? Der altbekannte Spruch, „wer wirklich arbeiten will, der findet auch Arbeit“, bezieht sich gewiss nicht auf Tätigkeiten, deren Ausführung auch Freude bereitet.

Um jedoch auf das eigentliche Thema, den Burnout, zurückzukommen, täglich acht Stunden mit einer nicht unbedingt geliebten Tätigkeit zu verbringen, führt noch lange nicht zwangsläufig zu Stress. Der entsteht durch Leistungsdruck. Und dieser basiert, zumindest in den meisten Fällen, auf dem Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Arbeitnehmern.

Dass Kollegen in Konkurrenz zueinander stehen, ist nicht immer offensichtlich, zumindest nicht in der Form, wie zwei gleichartige Läden in derselben Straße einander zu überbieten versuchen. Insbesondere in mittelständischen Betrieben mag es Ausnahmen geben, doch denken wir an Konzerne als Arbeitgeber, was ist deren erstes und logisches Interesse im Bereich Arbeitskraft – mittlerweile sehr treffend als Humankapital bezeichnet? Für die niedrigstmögliche Entlohnung die höchstmögliche Leistung zu erhalten! Diese Einstellung ist natürlich keineswegs als bösartig zu betrachten, es handelt es sich schlicht um ein ökonomisches Prinzip.

Gibt sich ein Arbeitnehmer nun der Einstellung hin, dass er für den bezahlten Lohn bereit ist, ein Leistungsvolumen zu erbringen, das weder Magengeschwür noch Herzinfarkt oder Nervenzusammenbruch mit sich bringt, so findet er sich in einem Konkurrenznachteil gegenüber jenen Kollegen, die willig ihr Bestes geben. Je schwieriger es nun ist, überhaupt eine Anstellung zu finden, desto höher liegen die gestellten Anforderungen.

Natürlich gibt es auch Bemühungen von Seiten vieler großer Unternehmen, den negativen Auswirkungen von Stress und Überforderung entgegenzuwirken. Die Gründe dafür sind jedoch nicht humanitären Ursprungs. Vielmehr geht es um die Vermeidung von Fehlern, um die langfristige Erhaltung des optimalen Leistungspotentials, um Motivation und emotionale Bindung des Arbeitnehmers an seinen Betrieb. In die Wege geleitet werden derartige Maßnahmen dann, wenn sie sich finanziell positiv auswirken.

Diese Überlegungen sollen aber jetzt nicht im Sinne von Klassenkampf verstanden werden. Zwar gelten Konzerne im juristischen Sinne als Personen, doch sind sie naturgemäß frei von menschlichen Eigenschaften. Konzerne sind nicht gut oder böse, sie sind keine Ausbeuter oder Sklaventreiber, sie sind Institutionen, die ein bestimmtes Ziel verfolgen, nämlich den höchstmöglichen Profit zu erwirtschaften. Diesbezüglich wäre es ebenso unlogisch wie markttechnisch unmöglich, auf gegebene Möglichkeiten der Profitmaximierung zu verzichten. Zu diesen zählt zweifellos die maximale Ausschöpfung des Leistungspotentials der Arbeitnehmer. Solange keine bestehenden Vorschriften übertreten werden, entzieht sich das Unternehmen jeglicher Verantwortung bezüglich provozierter Krankheiten, die durch das so oft zitierte Burnout-Syndrom letztendlich ausgelöst werden.

Wie im bereits erwähnten Spiegel-Artikel, basierend auf den Ausführungen des Neurobiologen Gerald Hüther, ausführlich erklärt wird, werden wir von frühester Kindheit an zum Erbringen von Leistung erzogen. Leistung ist der Schlüssel, um in der modernen Gesellschaft Respekt und Anerkennung zu finden. Oft ist das Streben nach beruflicher Karriere auch ein Ersatz für jene Annehmlichkeiten, die zwar der menschlichen Natur entsprechen, heutzutage jedoch immer seltener zu finden sind.

Doch welche Möglichkeiten stehen offen, sich vor dem „Krankarbeiten“ zu schützen? Reicht es, einfach zu sagen:Mir reicht’s!“?

Individuelle Beispiele aufgreifend lassen sich gewiss Fälle ausgraben, in denen Möglichkeiten zur Leistungsreduktion unter Akzeptanz von Komforteinbußen gegeben sind. Doch handelt es sich dabei nicht doch eher um Ausnahmen?

Wer einen durchschnittlich bezahlten Job ausführt, der kann es sich gewiss nicht leisten – selbst wenn die Möglichkeiten dazu gegeben wären – seine Arbeitsstunden zu reduzieren. Besser honorierte Tätigkeiten sehen jedoch selten Spielraum für individuelle Bedürfnisse vor. Fühlt sich ein Abteilungsleiter oder der Geschäftsführer einer Supermarkt-Filiale überlastet, so steht es ihm sicher nicht frei, einen Teil seiner Arbeit abzutreten. Er kann seine Position aufgeben. Und dann?

Die Freiheit des Einzelnen, seine Erwerbstätigkeit nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, unterliegt den sehr engen Eingrenzungen der modernen wirtschaftlichen Voraussetzungen. Da hilft auch ein zweiter Bildungsweg sehr wenig, der letztendlich nur zur Ausführung einer anderen Tätigkeit im selben System führt.

Eine Lösung des Problems wäre nur durch gravierende Änderungen dieses Systems möglich. Solange in praktisch allen Bereichen die Notwendigkeit maximaler Auslastung besteht, kann sich auch der Einzelne dem maximalen Einsatz nicht entziehen. Tag für Tag muss er unter Beweis stellen, dass er seine Arbeit zumindest ebenso gut ausführt wie der nächste Stellenbewerber. Jedes Unternehmen, und selbstverständlich zählen auch mittelständische Betriebe dazu, ist gezwungen, alle möglichen Kosteneinsparungen in Anspruch zu nehmen, um auf den Märkten konkurrenzfähig zu bleiben. Einst öffentliche Einrichtungen werden immer öfter privatisiert, um die Operationen nach wirtschaftlichen und nicht nach sozialen Richtlinien zu gestalten. Globalisierung und freier Welthandel helfen mit Sicherheit nicht mit, den Leistungsdruck abzubauen.

schumacher fritzSmall is beautiful

ist ein ökonomischer Begriff, der, von Ernst Friedrich Schumacher 1911 – 1977) als Buchtitel gewählt, von den modernen Entwicklungen völlig verdrängt wurde. Wie bei allen wirtschaftlichen Konzepten lassen sich vermutlich auch bei Schumacher einige Schwachstellen finden, auf welche unverbesserliche Konformisten mit Freuden verweisen können. Doch der Kern der Aussage bezieht sich auf die völlig logische Darstellung, dass wirtschaftliche Bedingungen wesentlich einfacher zu handhaben sind, wenn sie regional abgegrenzt sind. Je größer der Wirtschaftsraum, desto geringer ist der Spielraum, um auf menschliche Aspekte Rücksicht zu nehmen.

Natürlich ist es heutzutage nicht mehr möglich, auf internationalen Warenaustausch restlos zu verzichten. In manchen Ländern fließt Erdöl, in anderen wächst der Weizen. Wenn sich ein Staat jedoch über unumgehbare Notwendigkeiten hinaus in eine Abhängigkeit von den internationalen Märkten begibt, so handelt es sich dabei um eine unverschämte Verantwortungslosigkeit den Bürgern gegenüber. Jene Politiker, und dies bezieht sich auf alle westlichen Industrienationen, die sich für Globalisierung und Internationalisierung eingesetzt haben, haben gleichzeitig Schritt um Schritt die Lebensqualität jener Bürger abgebaut, die ihnen im demokratischen Sinne ihr Vertrauen geschenkt haben. Was nützt der bestechende Preis von in Asien hergestellten Waren, wenn der Wert der eigenen Arbeitskraft gleichzeitig auch immer tiefer sinkt? Mit Ländern zu konkurrieren, in denen ein völlig anderes Preisniveau herrscht, wo ein Liter Milch ein paar Pfennige kostet, kann nur in einer Katastrophe enden.

Doch offensichtlich ist die Zahl jener Menschen, die berufsbedingt erkranken, ungeachtet ob physisch oder psychisch, noch immer nicht hoch genug, um als Weckruf zu dienen. Noch immer schwebt das falsche Ideal in zu vielen Köpfen, dass sich Systemschwächen durch mehr Leistung ausgleichen ließen. Das Kapital als solches wächst auch in Krisenzeiten unaufhörlich an. Immer größere Bevölkerungsschichten leiden unter Armut. Und von Erwerbstätigen wird immer mehr Leistung gefordert. Könnte es sein, dass diese Entwicklung deswegen so kritiklos hingenommen wird, weil es kaum mehr Menschen gibt, die außer Arbeit und Konsum noch einen anderen Sinn im Dasein erkennen?

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