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Wie Spekulation einen ganzen Staat in den Ruin treibt

island_boersenindexWir hören und lesen von den Mechanismen der Wirtschaft, von Wachstum, vom Weg aus der Krise, von vorübergehenden Sparmaßnahmen, von einer Zukunft, die zwar nicht ganz so rosig aussieht, aber trotzdem, irgendwie muss es ja weiter gehen. Bis dato haben wir diese Krise schließlich überlebt. Auch die Bewohner Islands leben noch, bloß mit untragbarer Schuldenlast und allen damit verbundenen Konsequenzen. Selten werden wir daran erinnert, was diesem Inselstaat widerfahren ist. Und noch seltener, wie sich dieses transparente Beispiel auf den Rest der Welt umlegen lässt. Dass auf Island nicht mehr als 318.000 Menschen leben bedeutet keineswegs, dass sich die Situation nicht mit anderen Staaten vergleichen ließe. Im Gegenteil: Dieses Beispiel verdeutlicht, wohin Spekulation letztendlich führt.

Im vergangenen Jahr sorgte Island zwar oft genug für Schlagzeilen in der Weltpresse, doch keineswegs wegen der katastrophalen Finanzlage, sondern wegen des folgenschweren Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull, der den europäischen Flugverkehr über Tage hinweg lahm legte. Die finanzielle Tragödie dieses Landes, die im Jahr 2008 einsetzte, verblasste im Schatten der Weltwirtschaftskrise.

island_wasserfallWie war es möglich, dass dieser entlegene Inselstaat vom Finanzschock des Jahres 2008 so hart getroffen wurde? Island exportiert vorwiegend Fischereiprodukte und Aluminium. Die eigene Landwirtschaft wird durch Schutzzölle gefestigt. Bizarre Landschaftsformen, Geysire und Gletscher gelten als Tourismusmagnet. Die Kosten für die Landesverteidigung beschränken sich auf rund 100 Mitarbeiter der Küstenwache. Steuern waren im internationalen Vergleich niedrig. Und im August 2008 galten von den 318.000 Einwohnern nicht mehr als 2.136 als arbeitslos.

Plötzlich steht Island vor dem Staatsbankrott. Die drei großen Banken des Landes können ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Die Reserven der Zentralbank decken bestenfalls einen Bruchteil der Verbindlichkeiten.

Bauprojekte wurden eingestellt. Geschäfte schlossen ihre Pforten. Allein zwischen August und November 2008 hatte sich die Zahl der Arbeitslosen verdreifacht. Immer weiter schlitterte Island in ein finanzielles Chaos, begleitet von massiven, teils gewaltsamen Protesten. Die Polizeikräfte finden sich mit Situationen konfrontiert, die vor 2008 noch undenkbar waren.

Man sollte annehmen, dass eine so plötzlich auftauchende Katastrophe, die über ein abgeschiedenes Land hereinbricht, Aufmerksamkeit und Interesse wecken müsste. In Relation zu Islands bescheidener Größe, übertreffen die Konsequenzen der im Jahr 2008 einsetzenden internationalen Finanzkrise jene Europas und Amerikas bei weitem. Wie kann ein Land, das überwiegend vom Fischfang lebt, so tief in den Strudel einer Finanzspirale gezogen werden?

Die englische Ausgabe von Wikipedia bietet zu diesem Thema einen ausführlichen Artikel. Ergänzend dazu, wurde im norwegischen Fernsehen ein Bericht über die Wurzeln der Ereignisse ausgestrahlt, der mit englischen Untertiteln bei Youtube zu finden ist (Teil 1, Teil 2). Jon Sullenberger erzählt von den Anfängen des Skandals, an dem er selbst beteiligt war. Später geriet er jedoch mit seinem damaligen Partner Jon Asgeir Johannesson in Streit und leitete mehrere Gerichtsverfahren gegen ihn ein. In den Jahren 1998 und 1999 trafen sich die einflussreichsten Geschäftsleute Islands mit nicht genannten internationalen Investoren mehrmals auf einer Yacht mit Namen „Thee Viking“ in Miami, Florida. Zu den wichtigsten Zielen gehörte die Privatisierung der drei großen Banken Islands, ein Plan, dessen Verwirklichung im Jahr 2001 begann.

Ein nicht uninteressantes Detail über diese Privatisierung findet in einem, im Januar 2011 in der Iceland-Review erschienenen, Artikel Erwähnung. Bjorgolfur Gudmundsson, dessen Sohn Thor Björgolfsson, die beide bis zum Jahr 2008 im Forbes-Magazin noch als Milliardäre aufschienen, zusammen mit Magnus Thorsteinsson, gaben im Jahr 2002 das niedrigste von drei Kaufgeboten für 45 Prozent der Anteile der bis dahin staatlichen Bank „Landsbanki“ ab. Unter der fadenscheinigen Rechtfertigung, dass dieses Trio ausländische Währungsguthaben nach Island bringen würden, erteilte Premierminister David Oddson diesem Angebot den Zuschlag.

Rund ein Dutzend isländischer Geschäftsleute, die neben den wichtigsten Medien und dem Einzelhandel nun auch die drei größten isländischen Banken kontrollierten, verfügte dadurch über praktisch uneingeschränkte Möglichkeiten der Geldbeschaffung. Der Interbankhandel, wie die gegenseitige Kreditgewährung zwischen verschiedenen Geldinstituten genannt wird, brachte enorme Liquidität. Dazu kamen, aufgrund hohen Zinsniveaus, ausländische Spareinlagen. Im nationalen Bereich wurden die Bewohner Islands mit Kreditangeboten überschüttet. Der isländische Börsenindex (OMX) stieg bis zur Mitte des Jahres 2007 um nicht weniger als 800 Prozent. Und wie der erwähnte Beitrag des norwegischen Fernsehens an einem anschaulichen Beispiel erläutert, wurden zur scheinbaren Absicherung von Krediten künstliche Werte kreiert. Zuerst erwarb Palmi Haraldsson die dänische Billigfluglinie Sterling Air um 4 Milliarden Isländischer Kronen. Einige Monate später wurde die gleiche Fluglinie um 15 Milliarden an eine Holdinggesellschaft namens FL-Group veräußert. Diese verkaufte um 20 Milliarden weiter an Nordic Travel Holding, stellte das Geld dafür jedoch als Kredit zur Verfügung. Wie der isländische Wirtschaftsjournalist Óli Björn Kárason erläutert, blieb diese Fluglinie praktisch in den gleichen Händen. Durch die Transaktionen wurde lediglich der buchhalterische Wert erhöht. Am 29. Oktober 2008 wurde von Sterling Airline der Konkurs angemeldet. Und dabei handelt es sich bloß zum einen von vielen Vorfällen, wegen derer nun gerichtliche Ermittlungen im Gange sind. Genutzt wurden die Mittel für internationale Spekulationsgeschäfte.

Die drei großen Banken Islands, „Kaupthing“, „Landsbanki“ und „Glitnir“ verzeichnen Verbindlichkeiten von rund 50 Milliarden Euro. Im internationalen Vergleich wirkt dieser Betrag grundsätzlich sehr bescheiden. Allerdings, in Island leben, wie erwähnt, nur 318.000 Menschen, die zusammen ein Bruttoinlandsprodukt von nicht mehr als 8,5 Milliarden Euro erwirtschaften. Als die Wirtschaftskrise durch das Platzen der Immobilienblase in den USA ausgelöst wurde, als selbst die Kreditvergabe zwischen einzelnen Banken auf ein Minimum absank, blieben alle Möglichkeiten zur Refinanzierung aus. Gleichzeitig verfügten aber 500.000 Ausländer über Einlagen in Island, die wiederum, wenn auch nur zum Teil, durch staatliche Garantien gedeckt waren. Dabei handelt es sich um einen von mehreren Gründen, warum es nicht möglich war, diese Banken einfach pleite gehen zu lassen. Mitsamt den Schulden wurden diese Banken nun plötzlich wieder vom Staat übernommen. Und auch wenn ein nennenswerter Anteil der Verbindlichkeiten schlichtweg gestrichen wurde, schnellten gleichzeitig die Staatschulden Islands auf 123 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Diese wenigen hier angeführten Fakten sollen einen kurzen Überblick zur Situation Islands bieten. Der bereits zitierte Artikel bei Wikipedia (englisch) bietet wesentlich mehr Detailinformation. Auch laufen eine Menge Gerichtsverfahren gegen einzelne Verantwortliche, die hin und wieder in der Presse Erwähnung finden. Insbesondere aufgrund von Budgetmangel, erstatten sich die Ermittlungen jedoch äußerst langwierig. Wie Helgi Magnús Gunnarsson, Chef der isländischen Wirtschaftspolizei, erklärt, stehen der gesamten Abteilung jährlich nicht mehr als 130 Millionen Kronen (825.000 Euro) zur Verfügung, während einer der Beschuldigten, Jon Asgeir Johannesson, öffentlich damit prahlt, dass er bereits 3 Milliarden Kronen für seine Verteidigung ausgegeben hätte.

bayerische_landesbankDiese Milliardenspekulationen, die Island als Staat und damit die ganze Bevölkerung in den Ruin getrieben haben, sind kein Einzelfall. Dieses Problem beschränkt sich nicht auf Island, sondern wurde dort, wegen der geringen Einwohnerzahl, bloß wesentlich offensichtlicher und um ein vielfaches schmerzhafter. Die gesamte Welt dient den internationalen Spekulanten als Spielwiese. Und, wie einige Zeitungen im Jahr 2008 berichteten, standen auch für die Bayerische Landesbank 1,7 Milliarden Euro, die in isländische Geldinstitute investiert waren, auf dem Spiel. In diesem Fall war es der deutsche Steuerzahler, der zur Kasse gebeten wurde.

Ich bin überzeugt, dass es in Kreisen von Finanzexperten, die das vorherrschende System befürworten, überzeugende Argumente kursieren, die erklären, warum das Problem Islands nicht mit dem Rest der Welt, und schon gar nicht mit Deutschland, verglichen werden kann. Nachdem die Mechanismen, durch welche die moderne Wirtschaft geregelt wird, selbst für Fachleute oft nicht mehr durchschaubar sind, gar nicht zu reden von Politikern, dürfen wir keineswegs damit rechnen, dass es in naher Zukunft zu vernünftigen Regelungen kommen könnte. Vielleicht wäre es aber endlich doch an der Zeit, sich aus internationalen Verkettungen zu lösen und zu überschaubaren nationalen Wirtschaftsmechanismen zurück zu kehren. Haben Politiker und Finanzexperten nicht bereits zu oft unter Beweis gestellt, dass sie unseres Vertrauens nicht im geringsten würdig sind? Außerdem stellte Island am 16. Juli 2009 einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU. Zumindest in diesem Zusammenhang sollte erwartet werden, dass die Bewohner anderer EU-Staaten ausreichend über die wirtschaftliche Situation dieses Landes informiert werden.

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