Donnerstag , 25 April 2024
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Amazon-Skandal: ARD-Reporter geraten in die Kritik

amazonAuch eine Woche nach Ausstrahlung schlägt die ARD-Dokumentation „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“ immer noch hohe Wellen. Immer neue Vorwürfe werden gegen den Versandhändler laut. Gleichzeitig gerät aber auch die ARD in die Kritik. Die in der Reportage vorgestellte Leiharbeiterin fühlt sich falsch dargestellt, ehemalige Angestellte des Shops kritisieren die einseitige, tendenziöse Berichterstattung. Tatsächlich gibt es immer mehr Anhaltspunkte, dass das Autorenteam in der Reportage ein schiefes Bild von den Arbeits- und Lebensbedingungen der Leiharbeiter gezeichnet hat.

Reportage als Auslöser

Auslöser der medialen Diskussion war die Dokumentation „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“, die am 13. Februar in der ARD gesendet wurde und nach wie vor über die Online-Mediathek des Senders abgerufen werden kann. In der Reportage begleitete das Autorenteam 400 spanische Leiharbeiter, die im Weihnachtsgeschäft 2012 den Versandhändler als Saisonkräfte unterstützten. Angeworben wurden die Arbeitnehmer aber nicht direkt vom Versandriesen, sondern von einer Zeitarbeitsfirma, die sich auch über ein Subunternehmen um die Unterbringung und die Verpflegung der Menschen kümmern sollten. Arbeitsplatz der Leiharbeiter war das Amazon-Logistikzentrum in Bad Hersfeld, im Nordosten von Hessen. Untergebracht wurden die Saisonkräfte in der 30 Kilometer entfernten idyllischen Ferienanlage Seepark, die in Bad Kirchheim liegt. Die Anlage verfügt über ein Hotel mit 104 Zimmern sowie 138 Ferienhäuser. Genug Platz also, um in der Nebensaison die Amazon-Leiharbeiter unterzubringen. Die Zeitarbeitsfirma organisierte zudem den Transport der Arbeiter zum Logistikzentrum und zurück. Mehrere Busse wurden dafür gechartert, die die Mitarbeiter pünktlich zu Schichtbeginn abliefern und nach Feierabend wieder abholen sollten. Zusätzlich organisierte das Zeitarbeitsunternehmen einen Sicherheitsdienst, der in der Ferienanlage für Recht und Ordnung sorgen sollte.

Was die Reporter dem Versandhändler vorwerfen

Was in der Theorie nach einer perfekten Organisation und mustergültigen Arbeitsbedingungen für die Leiharbeiter klingt, stellt das Autorenteam Diana Löbl und Peter Onneken in ihrer Reportage allerdings in der Praxi als leibhaftigen Albtraum für die Beschäftigten dar. So erzählt einer der gecharterten Busfahrer, der im Film nicht genannt werden möchte, von beengten, unzumutbaren Wohnverhältnissen der Beschäftigten. Diese seien regelrecht eingepfercht, müssten zu siebt in kleinen Hütten hausen und würden im Keller des Hotels wie Schweine abgefüttert. Auch erhielten sie weniger Geld als versprochen. Und die Reporter decken noch weitere Missstände auf. So würden die Busse häufig zu spät kommen und wären überfüllt. Wer deshalb zu spät zu seiner Schicht erscheine, dem werde dies vom Gehalt abgezogen. Außerdem könne es vorkommen, dass Leiharbeiter kurzfristig entlassen würden, wenn die Auftragslage geringer sei als erwartet. Auch seien die Arbeitsbedingungen beim Versandhändler alles andere als vorbildlich. Die Mitarbeiter würden permanent überwacht, die Einhaltung von Pausenzeiten penibel kontrolliert.

Kontakte zur Neonazi-Szene?

Als für die Leiharbeiter bedrohlich wird das Security-Unternehmen H.E.S.S. im Film dargestellt. Die breitschultrigen Männer patrollieren ständig in der Anlage und überwachen die Sauberkeit und Ordnung der Häuser, in denen die Mitarbeiter untergebracht sind. Die Leiharbeiter fühlen sich von den aggressiv auftretenden Sicherheitsleuten nach eigenen Angaben eingeschüchtert und bedroht. Dabei entdecken die Reporter auch, dass Security-Mitarbeiter Kleidung der Marke Thor Steinar tragen, die sich besonders in der Neonazi-Szene großer Beliebtheit erfreuen. Weitere Recherchen scheinen den Verdacht zu bestätigen, dass zumindest ein Teil des Sicherheitspersonals dem rechten Spektrum zuzuordnen ist. Dass die Firma den Namen „H.E.S.S.“ trägt, was offiziell für „Hensel European Security Services“ steht, trägt auch nicht gerade dazu bei, diesen Verdacht auszuräumen – Rudolph Heß wurde 1933 von Adolf Hitler zu seinem Stellvertreter ernannt.

Mediale Schelte für den Online-Händler

Dass das mediale Echo auf diese Reportage gigantisch ausfiel, war nach diesen Enthüllungen kaum verwunderlich. „Neonazi-Truppen überwachen Mitarbeiter“, „Moderner Sklavenhandel bei Amazon“, „Jobsauerei beim Online-Händler“. Die Schlagzeilen waren für das Unternehmen verheerend. In der Presseabteilung des Versandhändlers bemühte man sich um Schadensbegrenzung. Man werde die Vorwürfe intensiv prüfen, hieß es. Während der Dreharbeiten hatte man eine Stellungnahme zu den Themen noch abgelehnt. Auch in den Tagen danach ließen die Anfeindungen gegen den weltgrößten Online-Händler nicht nach. Die Facebook-Seite des Unternehmens sah sich einem Shitstorm ausgesetzt, Kunden kündigten in Scharen an, ihre Konten bei dem Shop zu löschen. Zeitgleich forderte auch die Politik Konsequenzen und kündigte eine Überprüfung der Zeitarbeitsfirma und auch der Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren an. Der Online-Händler wurde medial vor sich her getrieben und geriet immer mehr in die Defensive. Erst reagierte man, indem man bekannt gab, ab sofort nicht mehr mit der Sicherheitsfirma zusammenzuarbeiten – auch wenn man diese gar nicht selbst beauftragt hätte. Einige Tage später kündigte man auch die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen, das für die Unterbringung und die Verpflegung der Mitarbeiter verantwortlich gewesen sei und auch die Security-Dienstleister beauftragt habe. Besänftigen konnte Amazon damit aber die Öffentlichkeit aber nicht. Stattdessen nutzten einige kleine Buchverlage die öffentliche Debatte, um auch auf die unfairen Praktiken Amazons im Umgang mit Geschäftspartnern hinzuweisen. Der Online-Händler würde seine Marktmacht missbrauchen und den auf dem Marktplatz aktiven Verkäufern zu hohe Provisionen abknöpfen.

Der Wind dreht sich

Inzwischen jedoch hat man bei dem Handelsriesen wieder etwas Zeit zum Durchatmen bekommen, denn der mediale Wind scheint sich derzeit etwas zu drehen, wie auch schon in dem Bericht von Lingodeal zu lesen war. Der öffentliche Fokus legt sich nämlich langsam aber sicher weg von Amazon und hin zum Reporterteam der ARD, das sich nun Beschuldigungen ausgesetzt sieht, Tatsachen verdreht und einseitig berichtet zu haben. Auslöser für diese Trendwende war ein Artikel, der in der Tageszeitung „Hessische-Niedersächsische Allgemeine“ erschien und bundesweit zunächst wenig Beachtung erlang. In dem Artikel beschwerte sich Silvina Cerrada, eine der spanischen Leiharbeiterinnen, die im Film als eine der Hauptpersonen mehrfach zu Wort gekommen war, dass sie den Reportern falsch wiedergegeben worden sei. So habe sie sich im Seepark entgegen der Schilderung sehr wohl gefühlt. Auch die Verköstigung sei sehr gut gewesen. Diese Darstellung untermauern dürfte die Tatsache, dass Silvina Cerrada bereits während ihrer Tätigkeit als Leiharbeitern bei Amazon nebenberuflich im Seepark als Servicekraft angestellt war und dort inzwischen sogar eine Festanstellung bekommen hat. Aufrecht erhält sie jedoch ihren Vorwurf, von der Leiharbeitsfirma weniger Geld erhalten zu haben, als ihr versprochen worden sein. Statt 9,50 Euro brutto habe sie nur 8,10 Euro pro Stunde erhalten. Vieles sei wahr, aber vieles sei auch sehr verdreht dargestellt worden, wird sie in einem Interview mit dem Kreisanzeiger Bad Hersfeld zitiert. Wie sehr sich der Wind derzeit dreht, zeigen die Überschriften, die nun die großen Nachrichtenportale schmücken. „Amazon-„Opfer“ wirft ARD Lüge vor“, heißt es beispielsweise bei Bild-Online.

Vorwürfe im Fakten-Check

Gegenwind bekommen die ARD-Reporter auch noch aus anderen Richtungen. So entpuppt sich die scheinbar menschenunwürdige Unterbringung zu siebt in kleinen Hütten bei genauerem Hinsehen als doch reichlich übertrieben. Diese „kleinen“ Hütten sind nämlich nichts anderes als Ferienhäuser, die für 6 bis 8 Personen ausgelegt sind und auch von Touristen gerne gebucht werden. Einen Keller, in dem die Leiharbeiter abgefüttert würden, existiert zudem im Seepark gar nicht. Auch ehemalige Arbeitnehmer springen dem Online-Versender zu Hilfe und betonen, dass die Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen sehr einseitig sei und sich die meisten der 7.700 Beschäftigten in den Logistikzentren ihrer Meinung nach sehr wohl fühlen.

Händler wird kritisch beäugt

Ist also für den Branchenprimus schon alles ausgestanden? Davon sollte man bei Amazon besser nicht ausgehen, denn das Unternehmen wird damit leben müssen, künftig von der Öffentlichkeit sehr kritisch beäugt zu werden. So passt zum Beispiel ins Bild, dass das Bundeskartellamt angekündigt hat, die Preisparitätsklausel, die der Versandhändler seinen Marketplace-Verkäufern vorschreibt, auf deren Rechtmäßigkeit hin unter die Lupe zu nehmen. Mit dieser Klausel schreibt der Branchenprimus seinen Verkäufern vor, Produkte, die sie über den Amazon-Marketplace anbieten, nicht an anderen Stellen im Internet – etwa einem eigenen Online-Shop – billiger anzubieten. Zweifellos eine sehr umstrittene Klausel, die allerdings bereits seit 2010 Verwendung findet und die bis heute nur die Marketplace-Verkäufer auf die Barrikaden gebracht hat, von der Öffentlichkeit aber weitest gehend unbemerkt blieb. Bis jetzt! Ein kleiner Vorgeschmack vielleicht, wie sensibel man in der Öffentlichkeit in Zukunft mit negativen Nachrichten rund um Amazon vorgehen wird.

Konkurrenz? Fehlanzeige!

Amazon ist der mit Abstand erfolgreichste Online-Shop der Welt. Alleine in Deutschland zählte man im Jahr 2012 nach Erkenntnissen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) 27,7 Millionen Käufer. eBay folgt als größter und eigentlich einziger Konkurrent mit 21 Millionen auf Platz 2. Noch größer ist der Abstand zum dritten Platz, den sich Otto und Weltbild mit je 7 Millionen Käufern teilen. Alleine diese Zahlen beweisen: Der Online-Händler mit dem gelben Pfeil unter dem Markennamen hat inzwischen eine gigantische Marktmacht erreicht. Kleine Online-Händler können gegen die Reichweite des Branchenprimus kaum etwas ausrichten. Wer erfolgreich sein will, muss fast zwangsläufig mit dem Versender zusammenarbeiten und den Marketplace als Verkaufskanal nutzen. Für die Händler ist dies jedoch ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sorgt der Marketplace für mehr Umsatz, andererseits treten sie dort in eine direkt Preiskonkurrenz zu allen anderen Händlern. Nur mit niedrigen Preisen besteht die Chance auf erfolgreiche Verkäufe. Weiterer Nachteil: Kaum ein Käufer merkt sich, bei welchem Marketplace-Händler er bestellt – für sie ist Amazon der Anbieter. Stammkundschaft lässt sich auf diesem Weg von den externen Händlern so natürlich nicht aufbauen.

Eigener Erfolg wird zum Problem

Auch bei den Endkunden wird die Affäre zweifellos Spuren hinterlassen. Das saubere Image des Unternehmens hat Schaden genommen – unabhängig davon, welche Teile der Kritik in der Reportage letztendlich berechtigt waren und welche nicht. So langsam wird vielen Kunden klar, welcher Koloss im E-Commerce in den letzten Jahren entstanden ist und wie wenig Platz dieser für andere Anbieter lässt, die erfolgreich sein wollen. Firmen, die auf dem besten Weg sind, ein Monopol zu schaffen oder dies vielleicht sogar schon fast erreicht haben, werden von den Kunden selten geliebt. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte der Wirtschaft, die aufzeigen, dass die Kunden instinktiv spüren, dass es ihnen langfristig schadet, wenn Unternehmen zu mächtig werden. Firmen, die einst ein unangefochtenes Monopol in ihrer Branche hatten, beginnen zu schwächeln. Erst langsam und unbemerkt, später immer spürbarer. Bei Amazon wird man sich diesen Herausforderungen stellen müssen. Den eigenen Marktanteil unaufhörlich zu steigern, mag ein nahe liegendes und lohnenswertes Ziel sein. Doch der Punkt, an dem einen die Kunden nicht mehr lieben, oder fürchten, wird definitiv kommen. Einen ersten Vorgeschmack darauf haben die Verantwortlichen des Versandhändlers mit dem medialen Umgang auf die aktuelle Affäre bereits zu spüren bekommen.

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