Donnerstag , 28 März 2024
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Momentaufnahmen

einkaufswagen_1„Das kann doch unmöglich dein Ernst sein!“ Der Herr im sandfarbenen Kamelhaarmantel sieht mich mit einem abwesenden Blick an. „Wir haben das doch alles ausführlichst besprochen …“ Zumindest innerlich kann ich meine Verwunderung nicht verborgen halten – dieser Mensch ist mir völlig unbekannt. Sein eher glasiger Blick geht immer noch in meine Richtung. Unsere Blicke treffen sich. „Vielleicht steht ja unmittelbar jemand hinter mir“, höre ich mich denken, „und jener wird hier angesprochen …“ Zeitgleich drehe ich mich um.

Nein. Hinter mir steht niemand. Bis auf die ältere Frau, die gerade im Begriff ist zu bezahlen, stehen allein der Herr im Business Look und ich an der Kasse. Die Dame schließt ihr Portemonnaie, lässt noch schnell drei Dosen Katzenfutter in ihrer Handtasche verschwinden und wendet sich ab. Nahezu lautlos läuft das Fließband an. Transportiert die eingekaufte Ware des Kamelhaarmantels bis zum Scanner. Die Kassiererin blickt kurz zu ihm auf: „Tag!“ Der kurze Gruß wird nicht wahrgenommen. Während der Mann mit der rechten Hand einem Paket Brot, einer Ecke Käse, drei Schachteln Zigaretten und zwei Flaschen Prosecco vom Band nimmt und in den Einkaufswagen legt, fasst er sich mit seiner linken Hand ans Ohr, berührt ein kleines, gebogenes Gerät, das am selbigen festgeklammert zu sein scheint. „Wir müssen uns unbedingt zusammensetzen.“ Jetzt verstehe ich. Der Mann telefoniert. Ja. Das erklärt auch das Durch-Mich-Durchschauen.

„Heute Nachmittag? Müsste klappen!“, vernehme ich noch deutlich, während der Kamelhaarmantel durch die automatisch gesteuerte Glastür-Schleuse verschwindet. Einige Minuten später verlasse ich auf demselben Weg den Super-Markt. Ohne Wagen, beladen, mit einem großen Beutel Äpfel an der Hand. Gleich rechts vom Ausgang, in unmittelbarer Nähe der vor dem Markt in langen Reihen deponierten Einkaufswagen, lächelt mich ein bärtiges Gesicht freundlich an: „Heute kalt.“ Der Vollbart reibt sich die Hände. Ich blicke auf einige Exemplare des Hamburger Straßenmagazins Hinz & Kunzt, die er mit dem Ellenbogen an seine Jacke drückt. Der Verkäufer möchte auf sich aufmerksam machen, oder besser gesagt, auf seine Ausgaben. Auch das habe ich verstanden. Ich kaufe eine Zeitung. Wir wechseln ein paar Worte. Freundliche Unverbindlichkeiten, die einerseits zwar keine Nähe aufbauen, aber andererseits auch keine Distanz nähren.

Gleich neben dem Markt ein Bäcker. Dort kann man sich setzen, einen Kaffee bekommen. Hin und wieder mache ich von diesem Angebot Gebrauch. Heute auch. Mit einer Serviette tupfe ich den Kaffee von der Untertasse, der mir während des Balanceaktes, vom Tresen zum Bistrotisch, übergeschwappt ist. Blick in die Runde. Eine junge Frau, zwei Tische weiter rechts von mir, direkt am Fenster. Schnell gleiten ihre Finger über die Tastatur des Laptops, den sie vor sich aufgeklappt positioniert hat. Die Anschläge verlieren sich im Raum, vereinen sich mit den Geräuschen, die die Geschäftigkeit eines Bäckerladens mit sich bringt. Brötchentüten knistern. Menschen melden sich mit einem „Morgen!“ an. Über die Köpfe der Wartenden hinweg, erwidert die Verkäuferin mit einem Kopfnicken den einen oder anderen Gruß. Ein Handy meldet sich. Das der jungen Frau am Laptop. „Hallo – duuu …“ freut sie sich ins Telefon. Die Tastatur bedient sie weiter.

Auf dem Weg zum Parkplatz, eine sehr alte Frau. Mehr auf den Gehwagen (Rollator mag ich nicht sagen) gestützt als sich mit ihm fortbewegend, taucht sie zwischen den unzähligen Fahrzeugen auf. An den Griffen des Lenkers hängen mehrere Plastiktüten. Es ist offensichtlich, dass sie sich inmitten der Anfahrenden und Abfahrenden unsicher fühlt. Links von ihr biegt ein schwarzer Wagen ein. Einer jener mannshohen Familien-Geländewagen. Ich tippe auf einen Fünfliter-Motor mit so um die 350 PS. Ich blicke auf die vier Auspuffrohre des Hecks, die alte Dame am Gehwagen, wie ich vermute, auf den verchromten Kühlergrill zwischen den überbreiten Kotflügeln. Der Gehwagen hält an. Das ist auch gut so. Die Limousine nicht. Hier, auf dem Parkplatz, inmitten der Menschen die sich im Blech bewegen, hier überwiegen andere Regeln. Rechts vor links gilt jedenfalls nicht für eine Gehhilfe. Das sollte man wissen.

„Wolfgang Amadeus Mozart – Klavierkonzert A-Dur – Köchelverzeichnis 488“, aus dem Autoradio. Maurizio Pollini dirigiert die Wiener Philharmoniker. Mein Einkauf ist beendet, ich verlasse diesen Ort. Vor mir ein Wagen, der ebenfalls auf eine Lücke im vorbeifließenden Verkehr wartet. Mein Rückspiegel zeigt mir noch, gerade soeben und weit hinten zurück, die alte Dame. Sie hat ihr Ziel, den Eingang zum Markt, fast erreicht. Die Plastiktüten am Lenker schaukeln im Takt ihrer Schritte. Blick nach vorne. Momentan kommt kein Fahrzeug. Weder von links, noch von rechts. Der Fahrer in dem Wagen vor mir scheint es nicht zu bemerken. Der Wagen fährt nicht an. Ein Hupsignal ziehe ich nicht in Erwägung. Das würde mir meinen Wolfgang Amadeus verärgern. Der Fahrer – wenn er denn mal fahren würde! – telefoniert. Das signalisieren mir die Gesten, die auch durch die Gläser meiner Front- und seiner Heckscheibe hindurch deutlich zu erkennen sind.

Kurz vor der Einfahrt zu meinem Haus, ist die Stadtreinigung präsent. Auf der rechten Fahrbahnseite vor mir, das unübersehbare Orange eines Müllfahrzeugs. Dahinter, in einem angemessenen Abstand, halte ich an. Nichts hetzt mich, ich habe Zeit. Das Fahrzeug hat sich ziemlich genau parallel zu einer am Straßenrand abgestellten Reihe von Mülltonnen ausgerichtet. Das hat seinen Grund, wie ich nun beobachten kann: Langsam, wie in Zeitlupe, von der rechten Seite des Fahrzeugs kommend, bewegt sich ein Greifarm in Richtung der grauen Tonnen. Bedingt durch ein Gelenk am Greifer, gleicht jene Technik kleine Unterschiede im Abstand problemlos aus. Schon hängt eine der Tonnen am Haken, wird angehoben, präzise zur Öffnung des Müllfahrzeugs geführt, entleert, und zurück an ihren Platz gestellt. Das geschieht automatisch. Lautlos. Vom Führerhaus aus ferngesteuert. Hier wird kein einziger Müllmann mehr an der Straße gebraucht.

Langsam setzt sich das Orange in Bewegung. Ich kann passieren, fahre vorbei. Die Einfahrt. Das Carport. Der Weg zum Haus. Die Tüte Äpfel in den Händen, öffne ich den Postkasten. Eine flüchtige Durchsicht. Die täglich Werbung: Kataloge, Reklame und Stadtteilzeitungen. Die Angebote der umliegenden Supermärkte, grellbunt abgedruckt auf umweltfreundlichem Papier, sind noch in einer Folie eingeschweißt. In der Hoffnung, dass sich zwischen dem beachtlichen Stapel nicht doch noch ein realer Brief befindet, klemme ich mir die Ansammlung unter den Arm. Ansonsten wird sich niemand mehr für die Zustellungen interessieren. So jedenfalls meine Vermutung. „Hallo!“ Hinter mir taucht der DHL Bote auf. „Könne Sie vielleicht ein Paket für Ihren Nachbarn annehmen? Dort ist niemand zu Hause.“ „Klar“, ich gehe dem Boten ein paar Schritte entgegen. „Mach ich.“ Der Mann überreicht mir das Päckchen. Eine Sendung Bücher.

Die Haustür fällt hinter mir ins Schloss. Nur noch dünn ist das Gezwitscher der Vögel im Garten zu hören. Ein ziemliches dennoch aber erfreuliches Durcheinander. Ein netter Gruß der Natur. Es wird Frühling. Mit Kraft. Fast alle Fenster der unteren Räume stehen auf Kipp. Das angenehme Kühl der Frühlingsluft wirkt belebend. Aus der Küche duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee. Der Bäcker kommt mir in Erinnerung. Hätte ich Kuchen mitbringen sollen? Der Anrufbeantworter blinkt, gibt mehrere Anrufe in Abwesenheit zu erkennen. Die kantig monotone Stimme des Speicherchips lässt mich wissen, wann jeweils die Nummer dieses Anschlusses gewählt wurde. Weshalb die Anrufe erfolgten, das erfahre ich nicht. „Klick. Es wurde keine Nachricht hinterlegt. Klack.“ Mit dieser Information schaltet sich das Gerät auch eigenständig wieder auf Standby-Betrieb. Der Sessel, direkt vor meinem Bücherregal, lädt mich zum Verweilen ein. Der Einladung folge ich gern.

© Peter Oebel

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