Donnerstag , 28 März 2024
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Nach Wahl in Ägypten: Lage normal, alles im Arsch!

aegypten fahneNur wenige Stunden nach der offiziellen Verkündung des Ergebnisses zur historischen ägyptischen Präsidentschaftswahl brannte es in Kairo. Wörtlich im Sinne von Ahmed Shafiqs Wahlkampfbüro und im übertragenen Sinne in Form von Demonstranten und Steine werfenden Gegen-Demonstranten und Gegen-Gegen-Demonstranten und …

SNAFU (Situation Normal, All Fucked Up!) Mit diesem Begriff, der in der US-Armee im Zweiten Weltkrieg geprägt wurde, könnte man die Lage in Ägypten bezeichnen, die nach den Wahlen (= gleich vor den Stichwahlen) nicht viel anders ist als während der Revolution. Dass Demokratie nicht von heute auf morgen geht, das war klar, aber es ist zu befürchten, dass es noch schlimmer kommen wird, denn noch ist das Wahlergebnis ja nur Grundlage für die Stichwahl am 16. und 17. Juni.

Und dennoch ist es ein Ergebnis, das jetzt schon so viele nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Anhänger und Gegner der zwei verbleibenden Kandidaten und jene, deren Kandidaten es nicht in die Stichwahl schafften, liefern sich die Duelle ihrer Gesinnung auf der Straße, dort wo seit dem Start der Revolution Politik gemacht wird. Zumindest von jenen, die meinen Politik machen zu können. Glaubt man Insidern, dann sind das nur Schauplätze der Ablenkung. Eine Art Beschäftigungstherapie fürs Volk, das sich über eine Demokratie freut, die sie gar nicht hat. Aber schön der Reihe nach. Rückblende zu einem Gespräch, das drei Tage vor dem ersten Wahltag stattgefunden hat.

Damals erklärte mir eine Bekannte, dass sie wohl nicht zur Wahl nach Kairo gehen wird, weil diese ohnehin schon entschieden sei. Ich war erstaunt und fragte sie, wie sie auf diese Idee käme und wer denn der Glückliche sein wird? „Mohamed Mursi“, antwortete sie und ich lachte. Nicht nur, weil das weit weg von meiner Wunschvorstellung war, dass die Islamisten in Ägypten zur Gänze das Ruder übernehmen, sondern weil Mursi in sämtlichen Wahlumfragen und -prognosen so weit abgeschlagen war, dass ihn sogar schon die eigene Partei fallen lassen wollte, um dafür Abouel Fotouh zu unterstützen. „Mursi, das ist doch lächerlich“, antwortete ich ihr. „Nein“, sagte sie, „ist es nicht. Es soll bereits eine ausgemachte Sache sein, dass Mursi Präsident wird. Das weiß ich von einem absoluten Insider aus der ehemaligen Regierung. Der Mann kennt sich aus, glaube mir. Der weiß, was vor sich geht. So wie die Revolution von außen gemacht war, so ist es ausgemacht, dass Mursi Präsident wird.“

Das war natürlich ein Argument. Nicht nur Insider wissen, dass die Revolution vom Ausland gesteuert war. Und dennoch fällt einem so schwer zu glauben, was man ganz einfach nicht glauben möchte. Dazu kam noch der Umstand, dass auch einige mir bekannte Diplomaten, die natürlich ebenfalls über mehr Insiderwissen verfügen, als sie für gewöhnlich zugeben, lange Gesichter machten und von einer totalen Frustration befallen waren. All das noch VOR den Wahlen, das erschien mir seltsam. Und dann fiel mir ein, dass es in Hochfinanzkreisen eine „ausgemachte Sache“ sein soll, dass Saudi Arabien in der „neuen Weltordnung“ Nordafrika bekommen soll. So würde ein islamistisches Ägypten dann doch wieder Sinn machen. Aber noch sind die Wahlen nicht geschlagen, Mursi kommt sicher nicht in die Stichwahl’, sprach ich mir mit meinen Gedanken selbst Hoffnung zu.

Gestern Nachmittag, als das endgültige Wahlergebnis verlesen wurde, war es dann amtlich. Mohamed Mursi erhielt 5,764,952 Millionen Stimmen und landete mit 24,78 Prozent auf Rang eins. Knapp vor Ahmed Shafiq, auf den 5,505,327 Stimmen und 23,66 Prozent entfielen. Der Sozialist Hamdeen Sabbahi, der für etwas Neues und primär für die Liberalsten des Landes stand, landete mit 4,820,273 und 20,72 Prozent auf Rang drei. Die hoch gehandelten Favoriten, die sich auch das vierstündige Mega-Duell im Fernsehen lieferten, abgeschlagen auf den Rängen vier und fünf. Der „gemäßigte“ Ex-Moslembruder Abouel Fotouh (4,065,239 Stimmen und 17,4 Prozent) fand sich noch vor dem ehemaligen Generalsekretär der Arab League Amre Moussa (2,588,850 Stimmen und 11,13 Prozent).

Mit diesem Ergebnis konnte und wollte niemand rechnen, den ich kenne (mit einer Ausnahme) und ich musste wieder an die Gesichter und die Worte denken, die ich vor der Wahl sah und hörte und ich fürchtete das, was wenige Stunden nach der Verlesung des Ergebnisses dann auch tatsächlich eintrat: erneute Straßenschlachten. Die Dinge sind in Ägypten genau so unvorhersehbar, wie ihre Folgen kalkulierar sind. Eben SNAFU!

Kurz vor Mitternacht protestierten Demonstranten am Tahrir Platz gegen das Wahlergebnis, als sie von anders Gesinnten mit Steinen und Stöcken beworfen wurden. Zwei Stunden zuvor stand das Büro von Ahmed Shafiq in Flammen. Vor der Brandstiftung wurden Computer und andere Geräte gestohlen und teilweise auf der Straße zertrümmert. Der Sozialist Hamdeen Sabbahi hat die Vorgänge schwer verurteilt und hat damit im Sinne der Demokratie wahre Größe gezeigt. Geradezu vorbildlich, wenn man bedenkt, dass es seine Stimmzettel waren, die zu Tausenden in einer Hecke in der Nähe eines Wahllokals gefunden wurden. Einfach entsorgt, in einem Plastikbeutel. Mag sein, dass bei dieser Wahl Einiges nicht mit rechten Dingen zuging, aber am Ergebnis wird das nichts ändern. Und es mag ein Hohn sein, für alle Menschen, die sich so sehr darüber freuten, endlich selbst ihren Präsidenten wählen zu können und die so stolz waren auf ihren blauen Finger, jenem Zeichen, gewählt zu haben, und dennoch ist daran nichts zu ändern.

Am 16. und 17. Juni darf und muss das ägyptische Volk zwischen einem Islamisten und einem Ex-Mubarak-Mann wählen. So Ahmed Shafiq nicht doch noch nachträglich disqualifiziert wird, zumal eine diesbezügliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes noch aussteht. Falls aber Shafiq im Rennen bleibt, dann haben die Ägypter die Wahl zwischen einem Rückschritt ins alte Regime oder einem Rückschritt ins Mittelalter, denn das ist ihnen mit der Einführung der Sharia gewiss. Schlimmer konnte es nicht kommen. Wer kann es den liberalen Seelen verdenken, dass sie vor Verzweiflung brennen. Und dennoch waren es wohl kaum sie, die Shafiqs Büro angezündet haben. Wer aber auch immer es getan hat, hat ihm damit nur noch mehr in die Hände gespielt. Immerhin weiß Mubaraks Ex-Premierminister ganz genau, wie man Ordnung schafft und danach ist die Sehnsucht ohnehin schon groß genug. Ganz abgesehen davon, dass mit jeder dieser Aktionen und Gegenaktionen der Hass untereinander immer mehr geschürt wird und Ägypten ein Bürgerkrieg droht.

Gestern Nacht brannte in Kairo „nur“ Shafiqs Büro, aber wenn das so weiter geht und die gegenseitige Akzeptanz und der Respekt voreinander bis zur Stichwahl nicht rapide steigen, dann könnte es sein, dass die ganze Stadt brennt. Doch das mögen die Götter verhüten. Angeblich leben wir ja nicht nur im Zeitalter großer Revolutionen, sondern auch in jenem der Wunder. Möge eines geschehen, zum Wohle Ägyptens. Inchallah!

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