Dienstag , 23 April 2024
Startseite » Politik » Naher Osten » Tunesien nach der Revolution

Tunesien nach der Revolution

hammametZehn Monate ist es her, dass der tunesische Langzeit-Präsident Zine el-Abidine Ben Ali das Land fluchtartig verlassen hatte. Die Unruhen in Tunesien gelten als Zündfunke für eine Reihe von Revolten, die oft als „arabischer Frühling“ bezeichnet werden. Was hat sich mit dem Umsturz verändert? Haben sich die Lebensbedingungen verbessert? Der zur Zeit vorherrschende Gesamteindruck erinnert an eine Militärdiktatur. Gleichzeitig scheinen die Bürger ihr Gefühl für Regeln und Ordnung verloren zu haben. Plötzlich unglaublich nachlässiges Service in Touristenhotels wirkt als Ausdruck der neu gewonnen Freiheit. Unkontrollierter Straßenhandel gefährdet die Existenz regulärer Läden. Von Optimismus gibt es keine Spur.

Als die Massen durch die Straßen tunesischer Städte zogen, den Rücktritt des Präsidenten forderten, gingen die Schlagzeilen um die Welt. Die kompromisslose Forderung nach Demokratie fand breite Unterstützung. Dementsprechend euphorisch war der Jubel, als Ben Ali seine Machtposition aufgab und sich nach Saudi-Arabien in Sicherheit brachte. In einem Blitzverfahren am 20. Juni wurde er, in Abwesenheit, zu einer 35-jährigen Haftstrafe verurteilt. Die Anschuldigungen lauten: „Verschwörung gegen die innere Sicherheit“, „Anstiftung zu Chaos, Plünderung und Mord“ sowie „Drogenhandel“ und auch „Drogenkonsum“. Weitere Verfahren wegen „Mord“, „Folter“ und „Geldwäsche“ sollen vor einem Militärtribunal verhandelt werden und könnten zu einem Todesurteil führen.

Ronny bat mich, seinen Familiennamen nicht zu nennen. Dank seiner Reiselust, ist er mit den Lebensbedingungen in vielen arabischen und nordafrikanischen Ländern bestens vertraut. Um den ausklingenden Sommer noch einige Tage etwas intensiver zu genießen, verbrachte er eine Woche im tunesischen Badeort Hammamet.

Für Veränderungen, im Sinne von Verbesserungen, seit der Revolution gibt es keinerlei Anzeichen. Gut, die Zahl der Straßenhändler hat entscheidend zugenommen. Immerhin gilt die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der sich das von der korrupten Polizei geforderte Schmiergeld nicht mehr leisten konnte, als Auslöser für die Revolten. Darunter leiden allerdings die Besitzer der Läden, denen es umso schwerer fällt, ihre Fixkosten zu bestreiten. Als weitere missverstandene Freiheit könnte das rücksichtlose Verhalten im Straßenverkehr verstanden werden. Ohne Skrupel beschleunigen Taxis auf 100 km/h, in Zonen mit 40 km/h Beschränkung. Niemand schreitet ein.

Allerdings, die Geschwindigkeit muss ohnehin rasch wieder reduziert werden. Denn alle paar hundert Meter gibt es Straßensperren. Polizei und Soldaten, mit Maschinengewehren bewaffnet, kontrollieren Ausweispapiere. Nicht jedoch von Touristen. Wer dem Aussehen nach aus Europa kommt, wird ohne Verzögerung durchgelassen.

Für den 23. Oktober sind Wahlen geplant. Es gibt eine ganze Menge Kandidaten. Was dabei herauskommen wird, ist der Bevölkerung nicht klar. Die Situation wird jedenfalls mit bestechlicher Gelassenheit hingenommen.

Als besonders ausgeglichen zeigt sich das Hotelpersonal, worüber Stammgäste, die seit Jahren in Hammemet ihren Urlaub verbringen, zu klagen wissen. Die Qualität des Essens sei plötzlich miserabel. Am Buffet stehen Schlangen. Provokant langsam werden die Teller gefüllt, sofern solche vorhanden sind. Im 4-Sterne-Hotel wird fehlendes Geschirr tatsächlich immer wieder durch Plastikteller und Plastikbesteck ergänzt.

Der Strand ist von Sicherheitskräften übersäht. Zumindest ist das Wort „Security“ auf ihren Hemden zu lesen. Freudig bieten sie sich allerdings an, Liegestühle zu besorgen oder andere Gefälligkeiten auszuführen, in der Hoffnung auf Bakschisch. Zu weiterer Dramatik tragen Hubschrauber, die immer wieder über der Stadt kreisen, ebenso bei wie berittene Polizei. Um seine Sicherheit braucht sich der Reisende jedenfalls nicht zu sorgen.

Gibt es irgendwelche Anzeichen von Begeisterung? Ronny sprach mit Hotelangestellten und Ladenbesitzern. Seiner Beurteilung zufolge, war es nicht Scheu oder Misstrauen dem Ausländer gegenüber, was Achselzucken und Kommentare mit sich brachte, die alles andere als euphorisch klangen, sondern schlicht die Mentalität der dort lebenden Menschen. Seinem persönlichen Eindruck entsprechend, erwartet kaum jemand eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation für die Bürger. Wie gewohnt, trachtet einfach jeder danach, genug Geld zu verdienen, um seine Familie zu ernähren, saugt abends genüsslich den Rauch der Shisha ein, wie in Tunesien die Wasserpfeife genannt wird, und schenkt sein Vertrauen weiterhin Allah. Und vielleicht haben sie damit auch recht. Denn werfen wir einen Blick auf die Geschichte, so hat noch keine Revolution den Bürgern nennenswerte Vorteile gebracht. Oft zeigte sich im Laufe der folgenden Jahre sogar, dass die Veränderungen vom sprichwörtlichen Regen in die Traufe führten.

Check Also

Islamischer Staat: Die Maske des Bösen

Inhaltsverzeichnis1 Islamischer Staat – wer ist der eigentliche Drahtzieher?2 Ist der Nahe Osten eigentlich bereit …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert