Freitag , 29 März 2024
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Sind wir reif für die Demokratie?

stimmabgabeWenn nach dem Sturz von Diktatoren die Probleme im Lande um ein Vielfaches zunehmen, dann findet sich leicht die überhebliche Erklärung: Vielleicht sind die Menschen dort noch nicht reif für die Demokratie? Und wie sieht es bei uns aus? Sind wir in unserer Gesamtheit reif, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen? Ist der Mehrheit der Wähler bewusst, warum sie einer bestimmten Partei oder einem bestimmten Kandidaten ihre Stimme schenken? Achten wir darauf, dass Zusagen eingehalten werden? Fordern wir Politiker heraus, ihren Standpunkt zu den wesentlichsten Fragen klarzulegen? Reicht das allgemeine Verständnis für Wirtschaft und Politik denn überhaupt aus? Und wenn nicht, welchem Zweck dient dann die Demokratie?

Lassen Sie mich mit einer kurzen Anekdote beginnen:

Ich protestiere nicht dagegen, dass ich von jedem verdienten Euro einen nennenswerten Teil dem Staat überlasse. Ich nehme zur Kenntnis, dass ich Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten habe, obwohl ich der von der pharmazeutischen Industrie gesteuerten Medizin wenig Vertrauen entgegenbringe. Ich sehe ein, dass jedes Geschäft einer staatlichen Bewilligung bedarf und für vieles keine Bewilligung erteilt wird. Ich schnalle mich beim Autofahren an, bleib bei jeder Stopptafel stehen, auch wenn weit und breit kein anderes Fahrzeug in Sicht ist, und ich rauche auch kein Marihuana. Ich füge mich in diese vorgegebene Ordnung. Ich bitte aber um eines: Sag mir doch nie wieder, dass ich ein freier Mensch sei!

Und wie sieht es mit der Situation der Gemeinschaft als Ganzes aus? Versucht man uns nicht immer wieder Glauben zu machen, dass uns die Demokratie aus der Knechtschaft befreit hat? Ohne Demokratie wären wir hilflos der Willkür von Tyrannen ausgeliefert. Nur die Demokratie schützt uns vor Ausbeutung und Unterdrückung. Alles, was geschieht, geschehe im Interesse des Volkes. Oder zumindest so ähnlich.

Welchen Interessen dient ein Währungssystem, das privaten Banken das Recht zur Geldschöpfung einräumt, wodurch alles Geld, das sich in Umlauf befindet, gleichzeitig auch eine Schuld ist? Wem dient es, wenn Staaten sich auf den Finanzmärkten verschulden, anstatt eigenes Geld in Umlauf zu setzen – wie es Abraham Lincoln bis zu seiner Ermordung getan hatte? Wer sind die Nutznießer, wenn internationale Investoren durch Steuerbegünstigungen und Subventionen ins Land geholt werden, während heimische Klein- und Mittelbetriebe durch Steuern und Abgaben in den Ruin getrieben werden? Dient es den Bürgern, wenn Jahr für Jahr mehr Leistung für weniger Entgelt verlangt wird, um das Vertrauen der Märkte zu erhalten oder wiederzugewinnen?

„Was geht mich das alles an?“, mag der Durchschnittswähler denken. Er ist mit seinem Job mehr oder minder zufrieden. Er vertraut „denen da oben“, die schon alles im Griff haben werden. Er glaubt vielleicht sogar noch den Berichten, die besagen, dass es uns schon „zu lange zu gut gegangen ist“. Es sei ja überhaupt die Generation der Babyboomer, die für die jetzige Krise verantwortlich ist. Denn zu viele Menschen forderten zur selben Zeit zu viele Sozialleistungen. Die Politiker haben doch immer ihr Bestes gegeben, um den Wohlstand des Volkes zu sichern. Und Staatsschulden sind vermutlich unumgehbar – alternativlos – sonst wären doch nicht alle Staaten gleichermaßen verschuldet.

Sollte demokratisches Bewusstsein vielleicht etwas mehr Interesse an Zusammenhängen und Hintergründen erfordern? Dass die öffentlichen Schulden Deutschlands mehr als zwei Billionen Euro betragen, mag der Eine oder Andere ja schon gehört haben. Wie viel sind eigentlich zwei Billionen Euro? „Was geht das mich an? Ich zahle meine Steuern. Der Rest ist mir egal!“

Die deutschen Staatsschulden entsprechen rund 82% der Wirtschaftsleistung. In England sind es 86% und in Italien gar 120%. Reicht das nicht als Bestätigung, dass Staatsschulden einfach sein müssen?

Natürlich bräuchte sich ein Staat nicht zu verschulden, denn Schulden verteuern jede Investition um die Zinsen. Wie viel dies letztendlich ausmacht, erklärte Otmar Pregetter im September des Vorjahres in einer TV-Diskussion: Die Kosten für ein österreichisches Bauprojekt, den Brenner-Basistunnel, werden mit rund zehn Milliarden Euro veranschlagt. Durch die langfristige Finanzierung am Kapitalmarkt erhöht sich die Belastung, die dem Steuerzahler dadurch entsteht, jedoch auf 30 bis 40 Milliarden. Und so geschah es und so geschieht es mit allen öffentlichen Projekten. Sollte diese simple Rechnung nicht jedem Bürger eines demokratischen Staates bewusst sein? Sollte ihm nicht auch bewusst sein, dass er es ist, der zur Kasse gebeten wird? Denn in einer Demokratie ist jeder mitverantwortlich – es sie ja das Volk selbst, das herrscht, besagt zumindest die Übersetzung dieses altgriechischen Begriffes.

Doch kommen wir noch einmal auf die angenommene Notwendigkeit öffentlicher Schulden zurück. Werfen wir einen Blick auf eine vergleichende Liste, so finden sich einige ganz interessante Namen am unteren Ende. Etwa das Reich des „bösen“, mittlerweile getöteten, Diktators Oberst Muamar Gaddafi. Libyens Staatsschulden betrugen im Jahr 2011 nicht mehr als 4,2% des BIP. In Russland sind es 8,3%. Auch der Iran – noch so ein „Schurkenstaat“ – weist nicht mehr als 12% aus. Dafür wird diesem Staat ja auch vorgeworfen, dass er sich in die Geschäfte der eigenen Zentralbank einmischt. Die sollte doch eher den Finanzmärkten unterstehen, nicht den demokratisch gewählten Repräsentanten des Volkes. (Man erinnere sich an die Kritik gegen den ungarischen Premierminister Viktor Orbán, der die „Unabhängigkeit“ der Zentralbank einzuschränken versuchte.)

Ungeachtet der niedrigen Staatsverschuldung Russlands dient dieses Land als wunderbares Demonstrationsbeispiel für „demokratische Entwicklungen“. Denn der Übergang von der kommunistischen Diktatur zur Demokratie nach westlichem Vorbild ist ja schließlich erst vor zwei Jahrzehnten erfolgt. Obwohl die größten Vermögenswerte vom Forbes Magazin keineswegs erfasst werden, es auch kein Geheimnis ist, dass jeder Wunsch, nicht genannt zu werden, dort respektiert wird, finden sich auf der Milliardärsliste für das Jahr 2012 nicht weniger als 96 Russen. Lässt sich glauben, dass Fleiß und Ideenreichtum ausreichen, um innerhalb von 20 Jahren ein paar Milliarden Euro zu verdienen? Oder fanden sich Mittel und Wege, das einstige Volksvermögen schlicht in die Hände einiger Auserwählter zu transferieren?

Ein schon länger zurückliegender Artikel über den inhaftierten russischen Multimilliardär Michail Chodorkowski bietet gewisse Einblicke, wie sich solcher Reichtum innerhalb weniger Jahre erzielen lässt. Chodorkowski hat es sich, zu seinem Pech, jedoch mit Vladimir Putin verscherzt, dessen Privatvermögen ebenfalls auf 40 Milliarden Dollar geschätzt wird (was er selbst jedoch vehement bestreitet).

Natürlich interessieren auch solche Geschichten den Durchschnittswähler nicht sonderlich. Russland ist nicht Deutschland. Und außerdem, man hat ja seinen Job. Was kümmern einen da die großen Finanzgeschäfte?

In Deutschland leben 15,5% der Menschen unter der offiziellen Armutsgrenze. Während gleichzeitig unzählige Milliarden verschenkt werden, um „in Not geratenen“ Banken zu helfen; um Staaten wie Griechenland unter die Arme zu greifen, damit diese das Geld Banken überlassen können. Das Beispiel Russland dient dabei nur teilweise als Vergleich, denn was in unseren Landen durch die Währungspolitik über lange Zeit hinweg bewerkstelligt wurde, geschah dort mittels Korruption in Blitzesschnelle. Trotzdem verdeutlicht es, wer von der Demokratie profitiert. Mit Sicherheit nicht die Bevölkerung.

Am 29. Juni 2012 stimmten im Deutschen Bundestag nicht weniger als 491 von 608 Abgeordneten dem Fiskalpakt zu. Sie dürfen Gift darauf nehmen, dass die meisten von denen sich mit dem, dem sie zustimmten, nicht einmal näher vertraut gemacht haben. Sie folgten einfach der Aufforderung ihrer Partei. Jetzt könnte man natürlich sagen, wenn sich schon die Abgeordneten der Führung durch die Politikspitze vertrauensvoll hingeben, dann kann doch von einem Bürger nicht mehr erwartet werden. Der Unterschied ist jedoch, dass diese Abgeordneten dafür bezahlt werden, dass sie das Geld, das Ihnen in Form von Steuern abgenommen wird, dem ohnehin bereits über alle Maßen aufgeblasenen Finanzsektor überlassen. Und die Bürger nehmen es gelassen hin. Und freuen sich dabei noch darüber, dass ja „alles Recht vom Volke ausgeht“! Nennt sich so etwas Demokratiereife?

Als die Titanic schwer beschädigt auf dem eisigen Nordatlantik trieb und in der dritten Klasse die ersten Menschen bereits ertranken, erklang auf den oberen Decks noch Musik – und das Evakuieren wurde als lästige Übung empfunden. Stellen Sie sich ein Dorf vor, das von einer Überschwemmung heimgesucht wird. Während in den niedriger gelegen Teilen den Menschen das Wasser bereits bis zum Halse steht, planen diejenigen, die etwas höher wohnen, den Fußballplatz zu verlegen, damit das nächste Spiel zum Wochenende nicht wegen der Überschwemmung abgesagt werden muss.

Über Jahrzehnte hinweg, als es Jobs zur Genüge gab, als die Einkommen regelmäßig anstiegen, war es wirklich nicht so einfach, das Spiel der Finanzmärkte, der Geldpolitik und auch der fortschreitenden Globalisierung so einfach zu durchschauen. Doch jetzt ist wirklich jeder mit dem Begriff der Schuldenkrise vertraut. Oft genug wurde erwähnt, dass jeder Deutsche von Geburt an für 25.000 Euro Schulden haftet. Die Wirtschaft stagniert und es wird immer schwieriger, auch nur die Zinsen für diese Schulden aufzubringen. Und noch immer glaubt die überwiegende Mehrheit daran, dass schon alles wieder in Ordnung kommen wird. Nennt sich das Demokratiereife?

Während sich die Massen von den ihnen zugedachten Medien dazu bewegen lassen, jede Analyse der gegebenen Situation als „Verschwörungstheorie“ ins Lächerliche zu ziehen, fragen sich Einzelne allerdings doch immer wieder, was man gegen all diese Entwicklungen denn tun könne. Streiken, demonstrieren, eine Revolution anzetteln?

Nichts von dem! Ein Generalstreik würde die Infrastruktur zum Erliegen bringen und darunter würden letztendlich alle leiden. Demonstrationen mögen zwar helfen, seinem Ärger etwas Luft zu machen, doch was bewirken sie? Auch Deutschland bereitet sich schließlich schon auf ein Zunehmen derartiger Unmutsäußerungen vor. Kürzlich wurde in Karlsruhe beschlossen, in „Ausnahmefällen“ Bundeswehreinsätze innerhalb Deutschlands zuzulassen. Wodurch auch gleichzeitig erklärt wird, was im Falle einer gewaltsamen Revolution geschehen würde.

Abgesehen davon, werfen wir einen Blick auf die Geschichte. Als im späten 18. Jahrhundert der französische König entmachtet und enthauptet wurde, was geschah in den darauffolgenden Jahren? Eine unfaire absolute Monarchie wurde durch die Schreckensherrschaft von Robespierre abgelöst.

Jede Diktatur, ungeachtet, ob ein Tyrann an der Spitze steht oder ein Finanzsektor, funktioniert nur solange, solange die Mehrzahl der Bürger dem System vertraut. Das war zu Kaisers Zeiten nicht anders als im Dritten Reich, unter der Herrschaft der Kommunisten und unter lateinamerikanischen Militärregierungen. Es war immer nur eine Minderheit, die sich auflehnte, dem Widerstand anschloss – und oft genug die Repressalien ertragen musste.

Seit einigen Jahrzehnten, wobei es sich geschichtlich betrachtet um eine enorm kurze Zeitspanne handelt, sprechen wir von Demokratie. Der wahre Herrscher ist der Finanzsektor, der unersättlicher ist als ein Kaiser oder Tyrann es jemals sein könnte.

Gegen Kritik und Widerstand wird in der Demokratie – im Gegensatz zu den vorgenannten Systemen – nur sehr wenig unternommen. Von wirtschaftlichen Auswirkungen abgesehen, mit denen sich etwa Experten oft abfinden müssen, wenn ihre Studien nicht linientreu ausfallen.

Solange sich die Bürger demokratischer Staaten nicht um Wirtschaft und Politik kümmern, brauchen sich die wahren Machthaber auch nicht um ihren Fortbestand zu sorgen. Solange Politiker nach ihrem fotogenen Lächeln oder der Farbe des Hosenanzugs von den Wählern bewertet werden, pfuscht ja den Herren der Finanzwelt niemand ins Handwerk. Denn die paar Entscheidungsträger, die lassen sich entweder kaufen oder unter Druck setzen. Und ehrlich: Wem wäre die persönliche Zukunft letztendlich nicht wichtiger als die Zukunft des Landes?

Will sich ein Volk für die Demokratie als reif erweisen, dann wäre es unumgänglich, dass sich die Mehrheit dieses Volkes auch ausführlich informiert, wie Politik und Wirtschaft wirklich funktionieren. Und dazu reicht es keinesfalls aus, sich über Meldungen neuer Aufträge für Volkswagen zu freuen, wenn dabei kaum bedacht wird, dass 90% der Autos ohnehin im Ausland hergestellt werden und zumindest ein Drittel der VW-Anteile Arabern gehören. Billige Jeans aus China mögen für den Konsumenten willkommen erscheinen, doch jeder Konsument braucht auch eine Einnahmequelle. Wollen wir wirklich mit dem chinesischen Lohnniveau konkurrieren?

Fragen Sie Ihre Kollegen, Nachbarn und Freunde, ob sie wissen, wie Geld entsteht. Lassen Sie sich erklären, warum in Deutschland das Brot teuerer wird, wenn es in den USA nicht regnet. Ohne den Unterhaltungswert von Sportveranstaltungen anzuzweifeln, fragen Sie trotzdem, warum die Einschaltquoten bei Fußballspielen so unvergleichsmäßig höher sind als bei den Weltnachrichten. Bedeutet es, reif für die Demokratie zu sein, wenn man die Torschützen des letzten WM-Spiels beim Namen nennen kann?

Doch lassen Sie mich abschließend auf die größte Gefahr der derzeitigen Entwicklungen verweisen: Als Japan von einem Tsunami und einer dadurch ausgelösten Nuklearkatastrophe heimgesucht wurde, meinte ein durchaus intelligenter Mensch mir gegenüber, dass er für die Japaner kein Mitleid empfinde. Schließlich herrsche dort Demokratie – und somit ist das Volk selbst dafür verantwortlich, dass es Atomkraftwerke gibt. Und genauso wird es uns ergehen, wenn wir unsere Zukunft als Schuldsklaven ertragen werden, wenn eines Tages vielleicht auch Privatbesitz beschlagnahmt wird, um den Finanzsektor befriedigen zu können. Wir leben in einer Demokratie. Wir hätten ja nicht zuzustimmen brauchen. Wir hätten uns unserer Mitverantwortung bewusst sein müssen.

Wer einen Führerschein beantragt, muss nachweisen, dass er des Autofahrens zumindest im Ansatz mächtig ist. Niemand fordert von Bürgern eines demokratischen Staates, sich mit den Grundsätzen der Politik auseinanderzusetzen. Trotzdem wird sie niemand ihrer Mitverantwortung entheben. Und deswegen wäre es endlich an der Zeit, unter Beweis zu stellen, für die Demokratie auch reif zu sein.

Das Internet bietet mit seiner Informationsvielfalt eine große Hilfe. Jetzt geht es nur mehr darum, diese auch in Anspruch zu nehmen. Und wenn endlich einmal mehr Menschen zu verstehen gelernt haben, wie das große Weltmonopoly funktioniert, dann können vielleicht auch die Konzernmedien eines Tages nicht mehr umhin, die Wahrheit zu berichten.

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