Freitag , 29 März 2024
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Voßkuhle, übernehmen Sie!

bundesverfassungsgerichtWie zu erwarten war, hat der Bundestag am Freitag einer erneuten Teil-Entmachtung seiner selbst zugestimmt. Angesichts der nahenden Sommerpause stand den werten Damen und Herren Volksvertreter der Sinn wohl nicht unbedingt nach einer eingehenden Prüfung des ESM- und „Fiskalpakt“-Gesetzes. Dies wird nun das Bundesverfassungsgericht und der Präsident ebendieses, Andreas Voßkuhle, übernehmen müssen.

Eine Abstimmung nach Maß für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Über 490 Abgeordnete stimmten den Gesetzen, die Gegenstand Tausender Verfassungsklagen sind, zu, 414 wären zum Erreichen der Zweidrittel-Mehrheit notwendig gewesen. Da war es für Merkel auch zu verschmerzen, dass sie ihrer Regierungskoalition nicht die prestigeträchtige Kanzlermehrheit abringen konnte. Ohnehin kennt Frau Merkel dies ja bereits aus vorherigen Abstimmungen. Während der stundenlangen Debatte im Plenum und den am Rande geführten Interviews verdichtete sich jedenfalls der Eindruck, dass es den Parlamentariern wahrlich nicht leicht fiel, den Gesetzen zuzustimmen. Längst überwunden geglaubte Worthülsen machten die Runde, unter anderem von Alternativlosigkeit war seitens der SPD die Rede.

Immer wieder verwiesen die ESM-Befürworter von CDUCSUFDPSPDGrüne auch darauf, dass bei etwaigen künftigen Ausweitungen des ESM der Bundestag „beteiligt“ werden würde. Dies stünde im Gesetz. Selbstredend steht es nicht im – völkerrechtlich gesehen – eigentlich entscheidenden Gesetz, sondern in einem Begleitgesetz. Es ist also, wenn die Regierung und insbesondere der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat es darauf anlegten, prinzipiell egal, ob und was der Bundestag entscheidet: Bindend ist lediglich das Wort des deutschen ESM-Gouverneurs, momentan wäre das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Die ESM-Gouverneure genießen bezüglich ihrer Entscheidungen in diesem Gremium übrigens Immunität.

In den vielen vielen Klageschriften, die von heute an Karlsruhe erreichen, gibt es noch zahlreiche weitere Punkte, die eine wohlwollende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts  unwahrscheinlich erscheinen lassen. Andererseits dürfte der politische Druck auf die Richter um Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle enorm sein, könnten sie mit ihrer möglicherweise „negativen“ Entscheidung für Europa doch die jahrelangen und zähen Bemühungen der Politiker zur „Krisen-Bekämpfung“ zunichte machen. Karlsruhe indes darf sich um die Befindlichkeiten unserer Repräsentanten nicht scheren, das Gericht hat mit der Beantwortung der Frage, ob die Grenzen unseres Grundgesetzes durch den ESM und den Fiskalpakt bereits berührt oder überschritten wurden, bereits genug zu tun.

Ob sich Voßkuhle und Co. jedoch so ganz frei machen können von diesem Druck, muss stark bezweifelt werden. Und dennoch avanciert das Karlsruher Gericht wieder einmal zum wichtigsten Organ unserer Verfassung: Dort wird sich entscheiden, ob die Ideen der europäischen Staats- und Regierungschefs mit unserer Verfassung vereinbar sind, paradoxerweise geschieht dies nicht in unserem Parlament. Vor dem Hintergrund, dass Merkel auf dem Krisengipfel immerhin die Eurobonds verzögern konnte, dafür aber direkten ESM-Zahlungen an spanische und italienische Geldhäuser abnicken und damit eine ihrer Kernforderungen räumen musste, erscheinen die Abstimmungen im willfährigen Bundestag und Bundesrat als demokratische Folklore. Die gewählten Parlamentarier verabschiedeten ein Gesetz, von dem sie wussten, dass es bereits wieder „veraltet“, will meinen: gebrochen worden war. Völlig zu Recht sprechen Kritiker des ESM von einer Verballhornung des Gesetzgebungsprozesses, die für sich genommen bereits ausreicht, um dem höchstrichterlichen Urteil optimistisch entgegen zu blicken.

Nachdem sich der Bundestag in europäischen Fragen nun also erneut teilentmachtet hat und sich der geneigte Beobachter die Frage stellt, wie viele Teile es denn eigentlich noch gibt, die man an Brüssel abtreten könnte, wird deutlich, welche Verantwortung die Richter am Bundesverfassungsgericht mit ihrem Urteil zu Fiskalpakt und ESM übernehmen. Sie entscheiden schließlich darüber, ob das deutsche Volk in der urdemokratischsten Form über die europäische Idee und über die Brüsseler Auswüchse hinsichtlich Bürokratie und dem Fehlen der demokratischen Legitimation zu befinden hat oder nicht. Während sich die Politik darauf verlegt, kurzfristige Maßnahmen zur angeblichen Bekämpfung der Krise zu ergreifen, die bestenfalls als Verschlimmbesserung zu bezeichnen sind, sind die Karlsruher Richter dazu aufgerufen, darüber zu befinden, ab welchem Punkt die Bevölkerung gefragt werden muss und ob dieser Punkt bereits erreicht ist.

 

Dieser Artikel ist ursprünglich auf www.wisopol.de erschienen

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