Dienstag , 23 April 2024
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„Elementare Fragen zur Finanzkrise“: Reaktionen unserer Volksvertreter

question mark leaningAm Morgen des 13. August wurden sie veröffentlicht: eine Reihe von elementaren Fragen an Regierungs- und Parteichefs der beiden deutschsprachigen Eurostaaten Deutschland und Österreich. Fragen, die dringend nach einer Antwort verlangen, die jedoch in dieser direkten und klaren Form noch nie von einer der „großen“ Zeitungen gestellt wurden. Ausgearbeitet wurden sie vom Wirtschaftswissenschaftler Dr. Otmar Pregetter, der Lesern von The Intelligence mittlerweile bestens bekannt ist. Und wie reagierten unsere Damen und Herren Volksvertreter auf diese Herausforderung?

Wen wundert die Politikverdrossenheit, die immer weiter um sich greift, wenn doch ohnehin bloß immer wieder dieselben Phrasen gedroschen werden? Wen wundert es, dass sich immer weniger Leute für Wirtschaftsnachrichten interessieren, wenn seit Jahren von einer Krise gesprochen wird, von bevorstehenden Lösungen, sich gleichzeitig aber nichts ändert? Und genauso wenig ist es verwunderlich, dass den öffentlichen Schulden in Billionenhöhe mit einem Achselzucken begegnet wird, wenn doch ohnehin niemand so richtig versteht, wo diese Billionen überhaupt herkommen und welchen Institutionen und/oder Personen die Steuerzahler diese gigantischen Beträge schuldig sein sollen.

Otmar Pregetters „elementare Fragen“ gehen auf den Kern der Probleme ein. Sie behandeln das, dem Privatsektor übertragene, Privileg der Geldschöpfung ebenso wie die nachweisliche Unfähigkeit so mancher Entscheidungsträger. Sie sprechen die exorbitanten Kosten der Bankenrettung an und die „immensen sozialen Verwerfungen“, die durch die Sparpolitik ausgelöst werden. Er stellt die direkte Frage, die eigentlich jedem Kind durch den Kopf gehen müsste, aber trotzdem niemals aufgeworfen wird: „Wenn Schulden DAS Problem sind – wie können MEHR Schulden die Lösung sein“. Und warum verschulden sich Staaten überhaupt?

Zweifellos stehen keinem unserer Politikerinnen und Politiker diesbezüglich Standardantworten zur Verfügung. Denn, so unverständlich es auch wirken mag, es scheint sich tatsächlich niemand mit den Ursachen der Krise auseinanderzusetzen. Allein die Beseitigung der Symptome findet vorrangige Behandlung. Das nötige Geld für die Zinsen aufzutreiben, „systemrelevante“ Banken vor der Pleite zu retten, das „Vertrauen der Märkte“ wiedergewinnen. Sobald ein gewisses Gleichgewicht wiederhergestellt ist, dürfen die ursprünglichen Fehler ruhig weiterbegangen werden. Und – das Pyramidenspiel des Schuld-Geld-Systems beginnt von neuem!

Sich mit Pregetters Fragen auseinanderzusetzen, nimmt zweifellos Zeit in Anspruch. Demzufolge ist es höchst verwunderlich, in welch kurzer Zeitspanne die erste Reaktion erfolgte. Und zwar von genau jener Partei, die sich dem Anschein nach als besonders bürgernah gibt und die sich auch nicht zu scheuen scheint, gegen das „Kartell der Banken“ vorzugehen. Von jener Partei, die bei den Abstimmungen über ESM und Fiskalpakt am 29. Juni im Bundestag die heftigsten Reden schwang, bis hin zu: „Das ist eine Verarschung“.

Wie erwähnt, veröffentlicht wurden die Fragen am Montag, den 13. August. Am Tag davor, also am Sonntag, den 12. August, gegen 14:00 Uhr Nachmittag, wurden sie per Email an die beiden Bundeskanzler, Bundespräsidenten und alle Parteichefs von Deutschland und Österreich übermittelt. Die erste Antwort erreichte uns am Montag um exakt 00:03 Uhr:

Im Namen von Katja Kipping möchte ich Ihnen für Ihre Anfrage danken. Leider aber wird es Frau Kipping u.a. aus Urlaubsgründen nicht einrichten können, Ihre Fragen wie gewünscht zu beantworten. Die grundsätzliche Position und Kritik der Partei und der Bundestagsfraktion DIE LINKE zu ESM u.a. können Sie aber unter www.die-linke.de bzw. www.linksfraktion.de nachlesen.

Gezeichnet von Katrin Mehlhorn, Büroleiterin.

Der Urlaub zählt diesem Schreiben zufolge nur „unter anderem“ zu den Gründen, warum es Frau Kippling „leider“ nicht einrichten kann, die Fragen zu beantworten. Dass sich unter den beiden angeführten Links praktisch nichts finden lässt, das auch nur irgendwie in den besagten Themenbereich fällt, davon kann sich jeder selbst überzeugen.

Bemüht sich SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht seit einiger Zeit, den Eindruck zu erwecken, dass er im Klassenkrieg zwischen dem Finanzsektor und dem Bürgertum aufseiten der Bürger steht? (Obwohl seine Partei dem ESM und dem Fiskalpakt zugestimmt hat!). Die zweite bei uns eingelangte Antwort kam anderthalb Stunden später von Anja Strieder, Pressereferentin des SPD-Parteivorstandes:

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Unter diesen Links finden Sie die Position der SPD zur Bankenkrise und Antworten auf Ihre Fragen:

Die Position der SPD zur Bankenkrise mag – mit sehr vielen Einschränkungen – aus den Texten auf den beiden angeführten Webseiten ja hervorgehen, Antworten zu den Fragen jedoch nicht im geringsten. Denn, wie auch alle anderen Erklärungen zur derzeitigen Krise, rein gar nichts setzt sich mit den tatsächlichen Ursachen auseinander.

Kurz und bündig erreichte uns am 14. August die Stellungnahme der Pressestelle der bayrischen Staatskanzlei:

Danke für Ihre u.a. Anfrage. Ministerpräsident Seehofer steht für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.

Am selben Tag schrieb Stefan Rouenhoff von der Pressestelle des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie:

Vielen Dank für Ihre Interview-Anfrage. Leider ist es Herrn Minister Dr. Rösler aufgrund anderweitiger Terminverpflichtungen nicht möglich, für das Interview zur Verfügung zu stehen. Hierfür bitte ich um Verständnis.

Wir überlassen es unseren Lesern, wie sie diese beiden Antworten vor dem Hintergrund der „Bürgernähe“ oder den bis zum Abwinken in jeder Talk-Show strapazierten Begriff der „direkten Demokratie“ einordnen. Die TI-Redaktion ist jedenfalls für jede Antwort dankbar, mit der sich die Vorsitzenden und ihre Parteiapparate letztendlich selbst positionieren.

In den Schreiben, in denen die Fragen übermittelt wurden, baten wir um eine Antwort bis zum 31. August. Was Deutschland betrifft, erreichte uns bis heute keine weitere Stellungnahme. Dass Bundespräsident Joachim Gauck eine Antwort unterließ, dafür mag es verständliche Erklärungen geben. Auch wenn eine Stellungnahme zu den akuten Problemen Deutschlands und Europas begrüßenswert wäre, handelt es sich bei der Position des Bundespräsidenten um die oberste moralische Instanz, nicht um die regierungsführende. Aber warum finden es Kanzlerin Merkel und ihre Mitarbeiter nicht der Mühe Wert, auf kompetente Fragen zur Eurokrise einzugehen? Auch richteten wir die Fragen sowohl an Claudia Roth als auch Cem Özmedir vom Bündnis 90 / Die Grünen. Ob die Teilnahme Jürgen Trittins bei der letzten Bilderberg-Konferenz eine gewisse Abgehobenheit bewirkte, entzieht sich unserer Kenntnis. Und dass sich die Piratenpartei durch wirtschaftliche Kernfragen überfordert fühlen könnte, war gewiss anzunehmen. Aber vielleicht scheiterte eine termingerechte Beantwortung auch an den basisdemokratischen „Task-Forces“.

Wie anfangs erwähnt, erreichten dieselben Fragen aber auch die Volksvertreter des zweiten deutschsprachigen Eurolandes Österreich. Und, Hut ab, die beiden eingelangten Reaktionen stellen unter Beweis, dass man sich in dem Land, das für seinen „Schmäh“ bestens bekannt ist, deutlich mehr Zeit für eine Antwort nimmt. Trotz oder gerade wegen der Länge des Schreibens, das uns, sogar mit elektronischer Signatur versehen, aus dem Büro des österreichischen Bundeskanzleramtes erreichte, geben wir auch dieses hier zu Gänze wieder (eingelangt am 20. August):

Der Herr Bundeskanzler dankt für Ihr Schreiben vom 12. August 2012 und hat sein Bürgerinnen- und Bürgerservice mit der weiteren Bearbeitung beauftragt.

Wir stehen in Europa vor großen Herausforderungen. Bundeskanzler Werner Faymann ist überzeugt, dass an verschiedenen Hebeln angesetzt werden muss, um diese zu bewältigen und wieder gestärkt aus der angespannten Situation herauszugehen. Dafür ist es unerlässlich, dass wir als europäische Partner gemeinsam und entschlossen agieren.

Sehr geehrter Herr Röder (Anm.: Michael Röder ist der Unterzeichnende jenes Schreibens, das von The Intelligence an die betroffenen Personen übermittelt wurde), wir dürfen Ihnen versichern, dass Bundeskanzler Werner Faymann es sehr schätzt, wenn sich Bürgerinnen und Bürger Gedanken machen und sich konstruktiv an aktuellen Debatten beteiligen. Der Herr Bundeskanzler ist stets bemüht, die an ihn herangetragenen Anliegen bestmöglich in seine politischen Überlegungen einzubeziehen. Wir ersuchen allerdings höflichst um Verständnis, dass wir im Rahmen dieser Korrespondenz keine Beantwortung Ihres Fragebogens vornehmen können.

Wir dürfen Sie aber auf Interviews in diversen Medien, Erklärungen und Presseaussendungen verweisen, denen Sie reichhaltige Informationen über die Positionen des Herrn Bundeskanzlers entnehmen können. Ausgewählte Beiträge wie aktuelle Zeitungsinterviews oder Aussendungen zum Pressefoyer nach den wöchentlichen Ministerräten finden Sie etwa auf der Internetseite des

Bundeskanzleramtes unter http://www.bka.gv.at.

Wir hoffen, sehr geehrter Herr Röder, dass wir Ihnen mit diesen Informationen dienlich sein konnten und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

FOLLNER

Na, ist das nicht eine höfliche und ausgeschmückte Art zu sagen, „wir kümmern uns schon um alles, lasst uns nur wie bisher weitermachen“? Außerdem, „alles was wir mitzuteilen haben, steht ja ohnehin in jenen Zeitungen, die uns keine unliebsamen Fragen stellen“. Aber trotzdem möchten wir Herrn Faymann und seinen Mitarbeitern dafür danken, dass die Ablehnung bezüglich einer Stellungnahme zumindest derart höflich formuliert wurde.

Keinerlei Antwort kam aus dem Büro von FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, jenem Strache, der kürzlich der Nase und der Knöpfe des „Bankers“ wegen, wie er auf dessen Facebook-Seite in einer Karikatur abgebildet war, gar schlimme Kritiken einstecken musste. Dumme Witze zu machen ist ja gewiss einfacher als zu kompetenten Grundsatzfragen Stellung zu nehmen.

Auch Dr. Eva Glawischnig von den österreichischen Grünen hüllt sich ebenso in Schweigen wie Josef Bucher vom BZÖ.

Doch jetzt kommt endlich der Höhepunkt. Dr. Michael Spindelegger ist der Vorsitzende der Österreichischen Volkspartei, vergleichbar mit CDU/CSU, die über 51 der 183 Sitze im österreichischen Parlament verfügt. Seine Antwort erreichte uns am 27. August.

Im Gegensatz zu den vorgenannten Reaktionen handelt es sich um keine mehr oder minder höfliche Absage, sondern tatsächlich um eine umfassende Stellungnahme, wofür wir uns bestens bedanken und unsere volle Anerkennung aussprechen.

Der Verfasser zeichnet sich zweifellos durch politisches und demagogisches Geschick aus. Er geht, wenn auch nicht auf alle, aber zumindest auf einige der gestellten Fragen wirklich tief ein. Eben in einer Art, wie es in der Politik üblich ist. Frei formuliert: Ist ja eh alles geregelt und außerdem hat unsere Partei ja schon immer …

Genaue Ausführungen überlasse ich aber Otmar Pregetter, der die einzelnen Punkte von fachlich-kompetenter Seite aus behandeln wird. Sein Artikel wird während der nächsten Tage auf The Intelligence erscheinen.

Alles in allem lassen sich jedoch aus den erfolgten und nichterfolgten Stellungnahmen aussagekräftige Schlüsse ziehen. Wie ernst nehmen unsere Volksvertreter die Besorgnisse der Bürger? Wie aufrichtig sind ihre Bemühungen, das Volk zu vertreten? Geht es ihnen wirklich darum, einen Weg aus dieser Krise zu finden oder bemühen sie sich lediglich um unverdiente Wählergunst? Ich glaube, aus den einzelnen Schreiben lässt sich diesbezüglich sehr viel herauslesen. Und was von denen zu halten ist, die es nicht einmal der Mühe Wert finden, eine Absage zu erteilen, auch darüber darf sich jeder selbst sein Urteil bilden. Unser bescheidener Beitrag zum Weg aus der Krise, den wir auf diese Art zu leisten versuchen, ist damit aber noch lange nicht zu Ende.

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