Freitag , 19 April 2024
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Fiskalpaket: Nicht die Rettung, sondern der Todesstoß

bundesverfassungsgericht karlsruheJedes Problem hat eine Ursache. Der logischste aller möglichen Schritte wäre, die Ursache zu beheben. Im Falle der Euro- und Wirtschaftskrise steht dies jedoch nicht zur Debatte. Nein, es wird, unter Beibehaltung der Ursache, nach Lösungen gesucht. Und diese bringen in erster Linie Folgendes mit sich: Europäische Regierungen geben die Finanzhoheit aus der Hand. Jede mögliche Belebung der Wirtschaft wird auf viele Jahre unterbunden. Von den Bürgern wird immer mehr Leistung für immer weniger Gegenleistung verlangt. Und, sofern es zu einer Ratifizierung des Paktes kommt, kann sich jeder heimische Politiker auf das bindende EU-Diktat berufen.

Der Ökonom Stephan Schulmeister, Jahrgang 1947, seit 1972 Mitarbeiter beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO), hat eine elfseitige Studie über den geplanten Fiskalpakt verfasst. Schon der Titel seiner Arbeit beleuchtet, welche Art von Zukunft auf Europa wartet: „Strangulierung von Wirtschaft und Sozialstaat“. Die einleitenden Worte erklären:

Die Umsetzung des Fiskalpakts wäre der finale Schritt ans Ende jener Sackgasse, in welche die EU vor 20 Jahren mit den Maastricht-Kriterien eingebogen ist. Die ‚automatisierte‘ und kollektive Sparpolitik wird die Wirtschaft in eine langjährige Krise führen und das Europäische Sozialmodell scheibchenweise demontieren.“

Diese Aussage stimmt exakt mit den Thesen von Greg Palast, Journalist und Autor mehrerer Bestseller, sowie dem Professor für politische Ökonomie und Mitglied des britischen Oberhauses, Robert Skidelsky, überein, die in dem Artikel „Eurokrise: Umerziehung durch Schocktherapie“ ausführlich behandelt wurden.

Griechenland ist zurzeit gewiss das markanteste Beispiel. Und es zeigt sich, dass die dort eingeleiteten Sparmaßnahmen zwingend in eine schwere Depression führten. Das schrumpfende BIP reduzierte, trotz Einsparungen, die Staatseinnahmen und damit die Liquidität. Die Zinsen für griechische Staatsanleihen erreichten exorbitante Höhen. Und, so schreibt Schulmeister, „in der Folge wurden Portugal, Spanien und Italien auf den gleichen Weg geschickt.“

Während sich Schulmeister bemüht, Kernbegriffe des gefährlichen Paktes, etwa „Potentialoutput“ oder „strukturelles Defizit“, verständlich zu erklären, verweist er auf die absolute Notwendigkeit, dass Nicht-Ökonomen, also die entscheidenden Politiker, die „Grundzüge des Denkens der Mainstream-Ökonomen nachvollziehen“, andernfalls eine öffentliche Debatte sinnlos wäre. „Demokratie“ wäre durch eine „Expertokratie“ abgelöst.

Den betrauten Spitzenpolitikern unterstellt Schulmeister dabei keinerlei böse Absicht. Er schreibt:

Allerdings haben es die 25 Regierungschefs sehr gut gemeint. Nur haben ihnen die Mainstream-Ökonomen die Feinheiten der Berechnung von Potentialoutput und strukturellem Defizit eben so wenig erklärt wie die Interaktion gesamtwirtschaftlicher Finanzierungssalden und damit die Folgen kollektiver Sparpolitik für die europäische Wirtschaft. Auch dass die unbestimmten Rechtsbegriffe und vagen Formulierungen die Festlegung des fiskalpolitischen Handlungsspielraums de facto der EU-Kommission übertragen, dürfte den StaatenlenkerInnen entgangen sein.“

Ein wesentlicher Punkt in seinen Ausführungen behandelt die „Verlagerung der Budgethoheit zur EU-Kommission“. Ist dies all jenen Abgeordneten, die Merkels Drängen auf eine Zustimmung folgten, eigentlich bewusst? Wie wertlos wird eine Demokratie, wenn sie sich dem Diktat einer unabhängigen Kommission unterwirft? Wenn expansive Maßnahmen zur Konjunkturbelebung auf europäischer Ebene unterbunden werden?

Befürworter des Pakts erinnern hier gerne an Ausnahmeregelungen. Auch dies erläutert Schulmeister im Detail. Denn wann setzen „außergewöhnliche Umstände“, insbesondere ein „schwerer Konjunktureinbruch“ ein? Würden sich dringend notwendige Entscheidungen nicht immer wieder in endlosen Diskussionen verlieren, Diskussionen darüber, wie „außergewöhnlich“, wie „schwerwiegend“ eine bestimmte Situation tatsächlich ist? Eine objektive Analyse wirtschaftlicher Entwicklungen lässt sich immer erst im Nachhinein finden, nicht während die negativen Auswirkungen noch verhindert werden könnten.

Wie ein, schon zu Jahresanfang bei The Intelligence veröffentlichter Artikel erklärt, dient eine hohe Arbeitslosenrate – nach dem Konzept von Angebot und Nachfrage – dem Niedrighalten der Löhne. So verweist auch Schulmeister auf das „hochwissenschaftliche Konzept“ einer „natürlichen Arbeitslosenquote“, die nicht unterschritten werden sollte, um ein Ansteigen der Inflation zu verhindern. Um ökonomischen Laien den Durchblick weiter zu erschweren, finden sich in den Vertragspunkten neu erschaffene Begriffe, wie „NAIRU“ („non-accelerating inflation rate of unemployment“), was wiederum nichts anderes bedeutet als „natürliche Arbeitslosenquote“.

Noch einmal möchte ich auf Greg Palast zurückkommen, der erklärt, dass es „naiv“ sei zu glauben, der Euro hätte versagt. Er erfüllt nämlich genau den Auftrag, der ihm von Anfang an zugedacht war: den Abbau sozialer Leistungen und Sicherheiten. Und auch Schulmeister verweist auf die „langsame Demontage des Europäischen Sozialmodells“.

Seine diesbezügliche Erklärung:

In jedem Wirtschaftseinbruch, etwa ausgelöst von einer Finanzkrise, steigt das Budgetdefizit. Mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren wird der Potentialoutput dem Rückgang des (tatsächlichen) BIP angepasst, also niedriger eingeschätzt. Damit wird ein Teil des gestiegenen Defizits zu einem „strukturellen“ umdefiniert, das ‚Strukturmaßnahmen‘ erfordert, insbesondere die Kürzung von Sozialleistungen. Dies senkt die Kaufkraft der Schichten mit hoher Konsumneigung, die Krise vertieft sich.“

Er verweist darauf, dass jede Sparpolitik während einer Wirtschaftskrise diese weiter verschärft, was zwar absolut logisch ist, von unseren Politikern jedoch scheinbar ignoriert wird. Und in aller Deutlichkeit verweist der folgende Satz auf die tatsächliche Situation:

Das Buhlen um das Vertrauen der Märkte mit dem Ziel, sich durch niedrige Zinsen einen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum zu bewahren, bedeutet ja im Klartext ‚Wir müssen uns den Märkten unterwerfen, damit wir nicht von den Märkten dominiert werden‘. Selbstmord aus Angst vor dem Tod.“

Schulmeisters Erklärungen sind natürlich wesentlich umfassender als dieser kurze Überblick, der dazu motivieren soll, sich die Zeit zu nehmen, sich eingehender mit den wesentlichen Punkten des Fiskalpakts zu befassen. Er vergleicht die wirtschaftlichen Voraussetzungen der 1950er- und 1960-Jahre mit den darauf folgenden Epochen. Wie Unternehmen, insbesondere Klein- und Mittelbetriebe, immer mehr von den Finanzakrobaten überrollt wurden. Und er verweist auf eine repräsentative Simulationsrechnung, die beleuchtet, wie letztendlich sowohl Unternehmer als auch Arbeitnehmer durch den Fiskalpakt zu Schaden kommen werden.

EU-Fiskalpakt: Strangulierung von Wirtschaft und Sozialstaat (pdf), von Stephan Schulmeister.

Um abschließend jedoch noch auf die anfangs erwähnte Ursache des Problems zurückzukommen: Bei der Einführung des Euro handelt es sich nämlich nur um eine Teilursache, die dazu geführt hat, die einzelnen Staaten ihrer währungstechnischen Flexibilität zu berauben. Die eigentliche Ursache der derzeitigen Krise, sowohl in Europa als auch in den USA, liegt im Schuldgeldsystem, auch als „Fiat-Währung“ oder „flexibles Währungssystem“ bezeichnet. Buch- oder Giralgeld, was mehr als 90% des gesamten Geldvolumens entspricht, wird durch Geschäftsbanken aus „dünner Luft“ erschaffen. Dies führt nicht nur zu einer jährlichen Zinslast in Billionenhöhe, sondern auch zu einer unbrechbaren Dominanz durch internationale Konzerne (oder „internationale Investoren“), denen auf diesem Wege fast uneingeschränkte Geldmengen zur Verfügung stehen. Ein Problem, das sich nicht nur auf Europa beschränkt. Ich erinnere an die mehr als 16 Billionen Dollar, die zwischen 2007 und 2010 von der privaten amerikanischen Notenbank Federal Reserve internationalen Finanzinstuten, die Deutsche Bank eingeschlossen, zur Verfügung gestellt wurden.

Das Wort „Betrug“, im rechtlichen Sinne verwendet, lässt sich hierbei gewiss nicht anwenden, denn das Privileg der Geldschöpfung wurde schließlich von demokratisch gewählten Politikern einer herrschenden Finanzelite übertragen. Im moralischen Sinne jedoch handelt es sich zweifellos um den größten Betrug in der gesamten Geschichte der Menschheit. Doch ich fürchte, den mitschuldigen Politikern ist nicht einmal bewusst, welchen Verbrechens – wiederum im moralischen Sinne – sie sich mitschuldig machten und machen.

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