Samstag , 20 April 2024
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Doppelte Staatsbürgerschaft: Sind die Türken in Deutschland undankbare Integrationsgegner?

So kommen jedenfalls bei vielen Bürgern die Äußerungen des TGD-Bundesvorsitzenden zum schwarz-roten Koalitionsvertrag an. Kenan Kolat lebt seit 1980 in Berlin und ist seit acht Jahren Oberhaupt der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Der Diplom-Ingenieur ist SPD-Mitglied, im Besitz der deutschen und der türkischen Staatsbürgerschaft sowie Ehemann von Dilek Kolat, der Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen. So ein Mann spielt sich als Agitator auf, anstatt die Koaltionsvereinbarungen mit dankbarer Erleichterung zu quittieren?

Kolats Aussagen zum Kompromiss zwischen Union und SPD lassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Er kämpft schon lange für die Legalisierung der Mehrstaatlichkeit türkischstämmiger Menschen und fühlt sich nun stellvertretend für alle Türken in Deutschland von seinen Parteigenossen düpiert. Dies tat er in diversen Interviews kund und malte ein Zukunftsszenario, bei dem manchen Deutschen der Hut hochgeht.

Kolat meint nämlich, dass die hiesige Bevölkerung in 20 Jahren zu 75 Prozent aus Türken bestehen werde, die dann zwangsläufig mitregieren. Was denkt sich der Mann dabei? Hält er solche Prognosen für einen Beitrag zur Integration?

Bild: ©geralt / Pixabay.com

Worauf gründet sich die Enttäuschung über die SPD?

Beim Reizthema doppelte Staatsbürgerschaft haben sich die Koalitionäre von CDU, CSU und SPD auf einen neuen Weg geeinigt:

Der bislang gültige „Optionszwang“ für Kinder mit ausländischen Eltern entfällt künftig. Bisher sah die Regelung vor, dass sich der Nachwuchs bis zum 23. Geburtstag für die deutsche oder die Staatsangehörigkeit der Eltern zu entscheiden hatte. Wurde der Stichtag verpasst, hatte dies die automatische Ausbürgerung zur Folge. Ausnahme: Kinder von EU-Bürger konnten zwei Staatsangehörigkeiten besitzen. Künftig dürfen alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern dauerhaft zwei Pässe haben. Die größte Migranten-Gruppe bei uns sind die Türken, aber die neue Regelung betrifft ebenfalls die Kinder von beispielsweise Russen und Afghanen.

Die Einschränkung auf die in Deutschland geborenen Kinder von Zuwandern kritisiert der GTD-Vorsitzende scharf. Er kann in dem Wegfall des Optionszwanges keinen „Sieg der Türken“ erkennen wie die türkische Zeitung „Vatan“. Vielmehr wirft Kolat der SPD vor, ihr Wort gebrochen zu haben. Vorher hätte es bei den Sozialdemokraten geheißen, sie würden keinem Koalitionsvertrag ohne das Recht auf doppelte Staatsangehörigkeit zustimmen. Kolat sieht in der Neuregelung einen Affront gegen „die Menschen aus der ersten und zweiten Generation, die so viel zum Wohlstand Deutschlands beigetragen haben“.

Dies ist nicht nur die Auffassung der GTD, sondern auch anderer türkischer Organsationen. Gleichwohl erkennt Kolat an, dass sich die CDU/CSU für diese Kompromisslösung kräftig bewegen musste. Er hielt die bisherige Optionspflicht jedoch ohnehin für einen „faulen Kompromiss“ und hätte es lieber gesehen, wenn das seit 40 Jahren strittige Thema in seinem Sinne beendet worden wäre. Auf ein Ja ihrer türkischen Parteimitglieder zum Koalitionsvertrag kann die SPD offenbar nicht zählen: Diese haben sich laut Kolat darauf geeinigt, ein Zeichen zu setzen und die SPD-Parteiführung mit der Enttäuschung der Türken zu konfrontieren.

Kenan Kolat
Bild: ©boellstiftung / Flickr.com

Wie denken deutsche Bürger über Kolats Haltung?

Die Reaktionen auf die Presseberichte über Kolats Statements waren ebenso widersprüchlich wie die Haltung der Deutschen gegenüber ihren türkischen Mitbürgern und deren Selbstdarstellung in unserem Land. In den Augen mancher ist die GTD eine Lobby der Türken, die ständig fordert, ohne selber Erfolge hinsichtlich der Integration vorweisen zu können. Eine „Belohnung“ in Form der doppelten Staatsbürgerschaft sei deshalb nicht angebracht. Andere führen das Argument an, mit der Staatsangehörigkeit sei auch „Loyalität im Konfliktfall“ verbunden und die überwiegend schwache Ausprägung der türkischen Integrationsbereitschaft werde durch die doppelte Staatsbürgerschaft nur unterstützt.

Es gibt andere Stimmen, die in der doppelten Staatsangehörigkeit kein Privileg für die Türken erkennen können und auch nicht befürchten, Kanzlerin Merkel würde sich insgeheim mit dem autoritär gestrickten türkischen Ministerpräsidenten Erdogan verbünden. Nicht jeder teilt demzufolge die Ängste, die Machtübernahme der Türken in Deutschland stünde unmittelbar bevor. Unstrittig aber sind nach wie vor tiefgreifende Unterschiede in der Auffassung, wie sich das Leben der Türken in Deutschland weiterhin gestalten soll.

Integration versus Partizipation

Noch vor den Sondierungsgesprächen zwischen Union und Sozialdemokraten hatte Kolat auf einer Sitzung des baden-württembergischen Landesverbandes unmissverständlich „Kante“ gezeigt. Die Zeitung „Sabah“ zitierte den streitbaren Türken: „In zwanzig Jahren werden Migranten 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Deutschland muss diese Realität sehen“. Er fügte hinzu, dass die Türken es der SPD niemals vergessen würden, wenn sie die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft aufgeben würden. Auch die Bundeskanzlerin hätte von ihm ein entsprechendes Schreiben erhalten.

Die GTD verlangt ohnehin viel, beispielsweise ein Bundesministerium für Partizipation und Migration. Die weitere Forderung, ein „Bundespartizipationsgesetz“ einzuführen, nimmt Berlin zum Vorbild. Der dortige Senat hatte vor drei Jahren eine gesetzliche Regelung auf Länderebene verabschiedet, die Einwanderern im Öffentlichen Dienst den Vorzug vor deutschen Anwärtern garantiert.

Wenn so die von vielen Türken angestrebte „Partizipation“ an der deutschen Gesellschaft aussehen soll, wohin würde dann eine vollendete Integration führen? Etwa wie Kolat prophezeit: Drei Viertel der in Deutschland lebenden Menschen haben türkische Wurzeln und bestimmen die politische Richtung in unserem Land? Ist das die Zukunft: Immer mehr Deutsche der 60+-Generation bevölkern die türkische Riviera und schwanken wischen Partizipation und Integration in einer Türkei, „Partnerin“ der EU, aber noch immer kein vollwertiges Mitglied?

Welchen Stellenwert hat die doppelte Staatsbürgerschaft in der deutschen Politik?

Der Union ist dieser Schritt schwer gefallen – es gibt große Vorbehalte in den eigenen Reihen. Die bis Februar 2013 amtierende niedersächsische CDU-Sozialministerin Aygül Özkan, geboren in Hamburg, berichtet von intensiven Diskussionen. Letztlich habe sich die Partei zu einer Regelung durchgerungen, die für die hier geborenen Migranten gedacht sei. Sie spricht von „neuer Willkommenskultur“ und einem „Zeichen der Anerkennung für all diejenigen, die sehr gut integriert sind und sich zu Deutschland bekennen“.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass sich die SPD mit ihrem Versprechen einer generellen doppelten Staatsbürgerschaft nicht durchsetzen konnte. Diese sollte für dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer gelten – und zwar unabhängig davon, in welchem Land ihr Geburtsort liegt. Den künftig geltenden Kompromiss (sofern die Große Koalition nicht am Votum der SPD-Basis scheitert!) kommentiert die SPD-Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz, ebenfalls in Hamburg geboren, als Aufhebung eines „integrationsfeindlichen Signals“. Sie trete aber weiterhin dafür ein, dass der Doppel-Pass für alle gelten müsse. Kolat dürfte sie dabei hinter sich wissen.

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