Freitag , 29 März 2024
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Wahlen via Internet – Ein möglicher Ansatz zur Rettung der Demokratie

waehlen im internetUnser politisches System nennt sich „repräsentative Demokratie“, da die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen nicht vom Volk selbst vorgenommen wird, sondern von gewählten Vertretern. Allerdings darf man den Begriff „repräsentativ“ ruhig auch einmal in Frage stellen, und einige Staaten wie die Schweiz kennen als Korrektiv die Volksabstimmung, die bekanntermaßen gerade dort mit schöner Regelmäßigkeit dafür sorgt, dass die Politiker auf den Boden der repräsentativen Meinung zurückgepfiffen werden.

Wir kennen diese Form der Bürgerbeteiligung allenfalls auf Kommunalebene. Ansonsten gibt es noch den Weg der Petition, die für sich aber auch nicht den Anspruch erheben kann, wirklich die Volksmeinung zu repräsentieren. Im EU-Vertrag ist eine Volksabstimmung zwar vorgesehen, das davor geschaltete Begehren muss jedoch 5.000.000 Stimmen zusammenbringen, was dieses Instrument de facto gleich wieder abschafft.

Den Politikern ist durchaus bewusst, dass ihre Politik vielfach nicht gerade repräsentativ ist. Nicht umsonst werden Leute, die Volkes breite Meinung artikulieren, mit dem Schimpfwort „Populist“ belegt, und Online-Umfragen der Pressemedien werden mit fast schon schöner Regelmäßigkeit wieder vom Netz genommen, sobald sich andeutet, dass die Meinung der Abstimmenden nicht mit dem Mainstream und der Meinung des offiziellen Kommentators harmoniert. Gleichzeitig sind die Zahlen der Abstimmenden in diesen Medien interessant, denn sie dokumentieren eindrucksvoll, dass ein Bedarf im Volke an der Beteiligung der politischen Meinungsbildung durchaus interessiert und die so genannte „Wahlmüdigkeit“ wohl weniger auf Desinteresse als auf andere Gründe zurückzuführen ist.

Aufwand und Kosten von Volksbeteiligungen werden von unseren Volksvertretern gerne als Hinderungsgründe vorgeschoben, aber ist das wirklich so? Oder bietet beispielsweise das Internet eine Möglichkeit für mehr Bürgerbeteiligung, und zwar durch Online-Wahl vom heimischen PC?

Schauen wir uns zunächst die Theorie an, bevor wir zu den technischen Details und den Gegenstimmen aus der Politik kommen. Eine demokratische Wahl muss allgemein, gleich, frei, geheim und öffentlich sein, was im Klartext heißt: jeder hat Zugang zu den gleichen Informationen, jeder ist berechtigt, mit genau einer Stimme teilzunehmen, das persönliche Votum darf zu keinem Zeitpunkt offenbart werden und das Ergebnis muss öffentlich überprüfbar sein. Für die folgenden Ausführungen zu einer Realisierung auf dem PC setze ich voraus, dass das Prozedere bei Präsenz- und Briefwahl dem Leser bekannt ist.

Zunächst wäre vom Wähler zu entscheiden, welches Wahlverfahren er ausüben möchte. Da auch bisher schon Präsenz- und Briefwahl gleichberechtigt nebeneinander stehen, sollte für ein drittes Wahlverfahren kein grundsätzliches Zulassungsproblem bestehen. Für die Teilnahme benötigt er einen elektronischen Ausweis mit einem persönlichen Geheimschlüssel, ein so genanntes Zertifikat, mit dem er sich später gegenüber dem Wahlcomputer ausweisen kann. Außerdem erhält er Zertifikate, mit denen er die elektronischen Wahlorgane identifizieren kann.

Zertifikate arbeiten so, dass mit einem Schlüssel eine Nachricht verschlüsselt und mit einem anderen wieder entschlüsselt werden. Einer der beiden Schlüssel ist geheim, der andere öffentlich, und beide können ohne bestimmte Nebenkenntnisse nicht ineinander überführt werden. Wird beispielsweise mit dem öffentlichen Schlüssel etwas verschlüsselt, so kann dies nur der Inhaber des Geheimschlüssels entschlüsseln, mit dem Geheimschlüssel verschlüsselte Nachrichten kann jeder entschlüsseln und dann sicher sein, dass die Nachricht vom Inhaber des Geheimschlüssels kommt. Man spricht hier von einer Signatur oder elektronischen Unterschrift, und der Leser wird die Vergleichbarkeit mit einer echten Unterschrift sicher leicht erkennen. Der Umgang mit Zertifikaten ist seit 1994, in der letzten Form seit 2001 im Signaturgesetz SigG gesetzlich geregelt, so dass auch hier kein Neuland betreten wird.

Am Wahltag zieht der Wähler sein elektronisches Wahlformular beispielsweise in Form eines PDF-Dokuments vom Wahlcomputer, und zwar ganz gemütlich, wie auch alles Weitere, vom heimischen Sofa aus (oder zwischendurch beim Besuch der Oma oder im Urlaub von den Antillen oder sonstwo). Zertifikate sichern ab, dass es sich um den echten Wahlschein handelt, und der Aufbau sowie die Ausfüllmöglichkeiten entsprechen den Papiergegebenheiten, die Möglichkeit der Ungültigmachung eingeschlossen. Sicher wird hier keiner in Zweifel ziehen, dass diese Wahlformulare in Aufbau und Inhalt dem Papier absolut identisch gestaltet werden können. Der Wähler kann nun in Ruhe an der Bedienmaske seine Stimme ausfüllen.

Das ausgefüllte Votum wird mit dem öffentlichen Schlüssel der Wahlurne (der Computer, der die Voten in einer Datenbank sammelt) verschlüsselt. Der geheime Schlüssel bleibt bei der Wahlaufsicht bis zum Ende des Wahltages unter Verschluss. Das Verfahren kann so gestaltet werden, dass auch gleiche Inhalte verschlüsselt völlig verschieden aussehen. Um dieses verschlüsselte Votum abgeben zu können, muss sich der Wähler zunächst an den Wahlcomputer wenden, der die Funktion des Wahlausschusses übernimmt. Er überprüft anhand des Zertifikats des Wählers, ob dieser wählen darf, und sperrt anschließend die Abgabe weiterer Stimmen.

Um das verschlüsselte Votum bei der Wahlurne abgeben zu können, wird dieses vom Wahlcomputer signiert, aber unter Nutzung eines besonderen Tricks. Würde der Wähler das Votum ohne weitere Maßnahmen zur Signatur vorlegen, könnte der Wahlcomputer sich dies merken und das Votum mit dem Wähler verknüpfen, womit das Wahlgeheimnis kompromittiert wäre. Um dies zu verhindern, „blendet“ der Wähler das Votum mit einem weiteren Geheimnis, dass er zuvor mit dem öffentlichen Schlüssel des Wahlcomputers verschlüsselt hat. Bei der Signatur verschlüsselt der Wahlcomputer das Votum und entschlüsselt gleichzeitig das Geheimnis, ohne jedoch in der Lage zu sein, beides zu unterscheiden. „Entblendet“ der Wähler anschließend das Ergebnis des Wahlcomputers mit seinem Geheimnis, hat er eine gültige Signatur, ohne dass der Wahlcomputer dies mit seiner Identität verknüpfen könnte.

Dieses signierte Votum kann der Wähler nun bei der Wahlurne einreichen, die es aufgrund der gültigen Signatur akzeptiert. Da die Wahlurne auch die IP-Adresse des Wählers aufzeichnen und so wieder das Geheimnis verletzten könnte, kann die Abgabe durch Anonymitätssysteme wie den TOR-Dienst gesichert werden. Die Datenbank ist öffentlich und Indexgesichert, so dass der Wähler jederzeit online überprüfen kann, dass sein Votum gespeichert und der Inhalt der Urne unmanipuliert ist.

Am Ende des Wahltages wird der Geheimschlüssel der Urne veröffentlicht, so dass jeder den Urneninhalt entschlüsseln und selbst eine Auszählung vornehmen kann. Damit wäre auch der letzte Punkt der öffentlichen Kontrolle realisiert. Die einzelnen Verfahrensteile sind bereits seit mehr als 10 Jahren bekannt, und stehen zur Verfügung.

Gegenstimmen aus der Politik

Von Seiten der Politik werden natürlich eine Reihe von „Bedenken“ gegen dieses Verfahren vorgebracht, die wir uns nun anschauen wollen.

1. Überforderung des Wählers. Dem ist entgegen zu halten, dass Computer heute in nahezu jedem Haushalt verfügbar sind und die Software auch so benutzerfreundlich gestaltet werden kann, dass sie von jedem bedienbar ist. Außerdem wäre das Verfahren im Zweifelsfall nur eines von dreien.

2. Verkauf von Stimmen. Verkauft der Wähler seine Stimme gegen einen gewissen Geldbetrag an eine Partei, so wird diese im Gegenzug kontrollieren wollen, ob er zu seiner Zusage steht und beispielsweise das verschlüsselte Votum sehen wollen, und zwar vor Wahlende. Das ist zwar möglich, aber dazu muss die Software manipuliert werden, was sicher höhere Anforderungen an den Wähler stellt als die Abgabe eines Briefzettels an den Käufer oder ein Foto des Wahlzettels im Wahllokal. Das Risiko dürfte also kaum höher sein, außerdem ist Deutschland vermutlich nicht das Land, in dem es sich lohnt, seine Stimme für 1-2 € zu verkaufen.

3. Angriffe gegen den Wahlcomputer. So genannte Denial of Service-Attacken können einen Wahlcomputer tatsächlich überlasten. Andererseits dürfte die Anzahl der Wahlcomputer der Anzahl der Wahlbezirke entsprechen, und das System kann redundant mit mehreren Zugängen ausgestattet werden. Dies macht erfolgreiche Angriffe wieder recht unwahrscheinlich.

4. Angriffe gegen die Urne. Hier gilt das gleiche wie im vorhergehenden Fall. Es können sogar viele Urnen aufgestellt werden, da die Datenbanken ohne Probleme so konfiguriert werden können, dass doppelte Abgaben eines Wählers bei mehreren Urnen erkannt und ausgefiltert werden können.

5. Kosten. Die Software für das ganze sollte öffentlich unter GNU-Lizenz erstellt werden, was gewährleistet, dass die Software geprüft und sicher ist und gleichzeitig kostenlos. Es wird sicher nicht wenige Programmierer geben, die sich an einer kostenlosen Erstellung für diesen Zweck beteiligen, und mit dem BSI steht sicher auch eine kompetente Behörde zur Koordination zur Verfügung.

6. Internetzugänge sind bei den Behörden und/oder Schulen und Hochschulen genügend vorhanden und können hier genutzt werden (siehe auch 3. und 4.). Bleibt noch die Hardware. Obwohl vermutlich Standard-PCs durchaus den technischen Anforderungen genügen sollten, können wir einmal großzügig mit 5.000 €/System rechnen, was auch verschiedene Sicherungsmaßnahmen gegen Manipulation einschließen sollte. Bei rund 300 Wahlkreisen in Deutschland macht das eine Einmalinvestition von rund 1.5 Mio.€ zuzüglich einiger Millionen für die Unterbringung und Verwaltung der Geräte. Der Betrieb verursacht – entsprechende Organisation vorausgesetzt – nur marginale Kosten.

7. Ausgabe der Zertifikate. Die Behörden haben sich bislang die Zertifikatausgabe vom Hals gehalten und dies privaten Organisationen aufgebürdet. Zu Ergänzen wären die öffentlichen Meldedaten, die ja auch für die Wahlberechtigung herangezogen werden, durch ein jedem Bürger zugeordnetes individuelles Zertifikat. Dies ist in der Tat ein Verwaltungsaufwand, der hier zu leisten ist, nur muss man fragen, ob dies angesichts der immer weiter um sich greifenden elektronischen Dienste auch im Behördenverkehr tatsächlich ein Sonderaufwand ist oder nicht bereits durch ohnehin durchzuführende Projekte großenteils abgedeckt wird.

8. Als Quellen für Zertifikate bieten sich neben den privaten Zertifiziereren (mit Kosten verbunden) auch eigene OpenSSL-Zertifikate (dem Staat sollte es egal sein, woher ein registriertes Zertifikat stammt), Zertifikate aus dem Online-Banking (einige Sparkassen bieten dies im Rahmen der EC-Karten an), von der Krankenversicherungskarte oder – für den Staat sicher die eleganteste Lösung – Zertifikate im Zusammenhang mit dem elektronische lesbaren Personalausweis an. Auch dies sollte eigentlich kein unlösbares Problem sein.

Aus all dem kann man nun schließen, dass Wahlen oder Volksabstimmungen per Internet sicher und relativ kostengünstig realisierbar sind und einen häufigeren Einfluss des Wählers – und sei es auch nur im Rahmen einer für die Parlamentarier unverbindlichen Meinungsäußerung – erlauben. Bundestagswahlen kosten derzeit ca. 65 Mio €, Landtags- und Kommunalwahlen verursachen sicher nochmals die gleiche Summe. Hierfür sollte aber auch ohne weiteres ein solches System realisiert und längere Zeit betrieben werden können. Insgesamt kann es zu einer Kostenreduktion beitragen und die politische Stimmung der Bürger heben.

Ich meine, diese Beträge zur Einführung eines solchen Systems – zu Anfang durchaus nur zur Unterstützung der Meinungsbildung und nicht als echte Wahl- und Volksabstimmungssysteme – sind vertretbar. Nach einer Anlaufphase, in der sich die Bürger an solche Systeme gewöhnen können, sollten durchaus gesetzliche Regulativmaßnahmen wie in der Schweiz ins Auge gefasst werden, um den repräsentativen Charakter er politischen Entscheidungen wiederherzustellen.

Setzen Sie sich deshalb mit Ihren Abgeordneten in Verbindung und tragen Sie ihnen vor, dass Werkzeuge für mehr Bürgerbeteiligung existieren und Sie sich wünschen, und dass es letztendlich auch nicht im Interesse des Politikers ist, ständig gegen seine eigenen Wähler zu mauern.

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