Freitag , 29 März 2024
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Süßer die Glocken nie klingen

weihnachtsglocken_1Vielleicht ist es ja heutzutage hierzulande nicht mehr zeitgemäß, das Weihnachtsfest mit einer Hoffnung zu verbinden, zu erfassen, mit dem stets erneut entflammenden und sehnlichst herbeigewünschten Gedanken an Frieden auf unserer Erde. Vielleicht benötigt der Mensch dieses christliche Gedankengut momentan nicht mehr, oder ist zumindest der Meinung, darauf nunmehr verzichten zu können. Mag sein, dass es sich so verhält. So, oder ähnlich so, muss es sich aber wohl verhalten, wie ich vermute.

Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, wieso mit jenem Feste so umgegangen wird, wie es in diesen Tagen zu beobachten ist. Zumindest ist es uns, den Vertretern der kommerziell orientierten Konsumgesellschaft, gelungen, Weihnachten konsequent von all dem zu trennen, was in irgendeiner Form an Gott, an Christus und an die daraus resultierenden Erwartungen erinnern könnte. Zwar kreuzt es zum Jahresende allerorts unsere Wege, das Arrangement „Stall mit Schafen, Kühen, Hirten, Eltern und Kind in der Krippe“, dennoch kann dieser Umstand kaum darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier letztlich nicht um einen Hinweis auf Christus als Erlöser, sondern um eine Randerscheinung inmitten der vielen Werbekampagnen handelt. Wie, um ein Beispiel zu nennen, wie präsentieren sich denn in der sogenannten Vorweihnachtszeit die Auslagen der Kaufhäuser – Spielzeugläden gibt es ja kaum noch – wenn es gilt, unsere Kinder anzusprechen:

Das allerneueste Firmware-Update der PlayStation, kartonweise gestapelt rund um die per LEDs beleuchtete Weihnachtskrippe aus Plastilin. Im Vordergrund, die schrill hektische Stimme vom Endlosband: „Durchladen und entsichern – stell dich dem Wahnsinn auf PlayStation 3!“, und im Hintergrund dazu das alte schlesische Volkslied: „Süßer die Glocken nie klingen“, auf der Blockflöte. An dieser Stelle erkenne ich zwar keinen Widerspruch bezüglich der gegenwärtigen Zeit, in der wir leben, durchaus aber einen deutlichen Widerspruch zu dem eigentlichen Sinn des Festes, das wir glauben dergestalt jedes Jahr erneut zelebrieren zu müssen. Zugegeben, es ist weniger die nahezu morbide Inszenierung der Werbung, die mich hier stört, vielmehr fällt es mir unangenehm auf, unter welcher Überschrift jene Aktionen wie selbstverständlich für uns hinterlegt werden: „Weihnachten – das Fest der Liebe und der Besinnung!“

Nicht etwa, dass ich den Menschen Weihnachten unbedingt schlechtreden will, die sich aufrichtig bemühen jenem Feste tatsächlich eine besinnliche Zeit abzugewinnen, und denen dies auch nach wie vor zu gelingen scheint. Das liegt fernab meiner Absicht. Allerdings gelingt es mir – stets so um die Jahreswende – aber auch nicht, völlig zu übersehen, dass die überwiegende Mehrheit jene Festivität, freiwillig wie unfreiwillig, zu einer wahren Konsumorgie degradiert. Nicht allein das. Dieser Widerspruch ist in den Tagen rund um Weihnachten herum allem Anschein nach selbst für die Menschen nur schwer verdaulich, die in diesen Tagen bemüht sind, nach allen Seiten hin eine auffallende Fröhlichkeit zu offenbaren. Ob es nun zugegeben und offen ausgesprochen wird oder nicht, markant oft jedenfalls wird die Ausrichtung der Festlichkeiten, bewusst wie unbewusst, als ein Ritual empfunden, das sich von Jahr zu Jahr anstrengender und aufdringlicher zeigt.

In den Hinterköpfen mag sich durchaus noch deutlichst das abspielen, was man mal aus anheimelnden Erinnerungen heraus so sehr an Weihnachten geliebt hat. Das ist verständlich. Und ebenso verständlich ist es, dass gerne versucht wird das Alte mit dem Neuen zu verbinden, ergo mit allen Mitteln versucht wird, dem Gesicht des heutigen Weihnachtsfestes möglichst die Besinnlichkeit und Wärme des Althergebrachten aufzusetzen, als Maske, sozusagen. Wir Menschen schminken gerne das Drumherum unserer Gegenwärtigkeit. So erklärt es sich vielleicht auch, dass wir zum Weihnachtsfest plötzlich die Bereitschaft zeigen, geduldigst wie gezielt genau all die Umstände zu ertragen, denen wir normalerweise lieber konsequent aus dem Wege gehen. Beispielsweise laden wir, ohne mit der Wimper zu zucken, vierzehn unserer Nächsten zum Essen ein, obwohl mit Kraft gerade mal acht Personen am Tisch des Hauses Platz haben können.

Oder, ein weiteres Beispiel, wir greifen auf die Möglichkeiten Gast zu sein, oder Gäste zu empfangen, in einer Frequenz zu, die dem uns zur Verfügung stehenden Zeitrahmen eindeutig widerspricht. So geschieht es dann auch, dass wir uns viel zu oft in völlig überheizten Räumen nach einem halbwegs akzeptablen Platz sehnen, was wir hin und wieder mit dem Versuch unterbrechen, einige halbwegs klare Sätze mit wem auch immer austauschen zu können. Letzteres ist bei dieser organisierten Besinnlichkeit allerdings kaum möglich. Die Tatsache, dass hier wie dort in einer Masse Geschenke überreicht werden, dass nicht allein das Bezahlen, sondern ebenfalls das Ein- und Auspacken jener Gaben eine Superlative ausmacht, die liefert einen weiteren Meilenstein hin zur Dekadenz. Die Konsequenz aus allem fördert, zumindest unterschwellig, eine Desillusionierung, die sich huckepack sitzend an die Schultern der Beteiligten klammert.

Versetzt uns ein im Wohnzimmer des Hauses positionierter Nadelbaum aus dem Walde in die Lage, all das aufzuhalten oder zumindest auszuhalten? Vermag die mittig auf dem Sideboard zurechtgerückte Nachbildung eines bethlehemitischen Stalls nebst Kind in der Krippe darüber hinwegzutäuschen, dass hier rein kommerzielle Interessen in vorderster Reihe stehen? Können all die stetig anwachsenden Berge aus Schachteln und Paketen tatsächlich die Atmosphäre hervorrufen, die vor einigen Jahrzehnten noch die glänzenden Augen der Kinder entfacht haben, die ein einziges (einziges!) neues Spielzeug in den Händen hielten? Kann das opulente Angebot an Süßigkeiten, welches überaus bunt in den rostfreien Regalen und Auslagekörben der Supermärkte platziert wird, auch nur annähernd in dem kleinen Enkelkind die Freude schüren, die das ehemals eigens von der Großmutter gebackene Männchen mit Zuckergussgesicht zu bewirken vermochte?

Kann die so gut wie nie nadelnde Edeltanne, Hand in Hand mit der allweihnachtlichen Marzipan-Brot-Orgie – die verlässlich bereits ab Oktober des Jahres knallhart süßlich zelebriert wird – aus der sich aufdrängenden Übertreibung die gewünschte Bescheidenheit zaubern? Nein, eigentlich nicht. Nach außen ja, nach innen nicht. So meine Überzeugung. Geborgenheit und Herzenswärme, sie können weder synthetisch hergestellt noch kommerziell erworben werden. Weder die Automatisierung noch der Überfluss sind die Weggefährten der Besinnlichkeit. Besinnlichkeit kann nicht, etwa mit dem Abriss eines Kalenderblattes beginnend, angeordnet werden. Andacht ist nicht per Knopfruck ein- und auszuschalten. Nein, auch wenn wir es in unserer digitalisierten Welt gewohnt sind, so ziemlich alles per Tastatur und Mausklick abrupt und in einem schier unermüdlichen Wechsel erscheinen und wieder verschwinden zu lassen.

Es liegt weder in meiner Absicht, die sogenannten guten alten Zeiten einzuklagen, noch den natürlichen Verlauf der Dinge aufzuhalten. Beides trifft es nicht. Jede Zeit hat ihre Rahmen, ihre abgegrenzten Gegebenheiten, die nun einmal dieses einklammern, und damit einhergehend jenes ausklammern. Gerade deshalb, in Anbetracht dessen, dürfen wir uns allmählich einmal fragen, ob wir uns weiterhin dazu zwingen (lassen!) sollten, um jeden Preis ein Brauchtum am Leben zu erhalten, das uns Menschen zwar einen tieferen Sinn anbietet, dessen Inhalt wir aber mittlerweile nahezu völlig aus unserem Leben verbannt haben; ein Brauchtum eben, dessen Existenz ausschließlich um die Jahreswende und allein durch eine unentwegt künstliche Beatmung aufrechtzuerhalten ist, de facto durch eine sich stets wiederholende Reanimation eben, die weder ein frisches Leben noch ein würdiges Sterben der besagten Tradition ermöglicht.

Was mich betrifft, ich werde mich an dieserart Weihnachten nicht gewöhnen. Es ist mir zu schnell, zu hell und zu warm. Mit der alles beherrschenden Hektik, dem grellen Licht der Auslagen und den überheizten Zimmern mit Baum und Krippe, will ich mich nicht anfreunden. Allerdings – schenkte mir jemand in diesen Tagen ein Buch, vielleicht sogar noch mit einer per Hand geschriebenen Widmung, und könnte ich, was die Erwartungshaltung bezüglich der von mir zu überreichenden Geschenke betrifft, sicher sein, dass meine Nächsten tatsächlich ebenfalls mit solchen oder ähnlich solchen Dingen zufrieden sind, und würde man es mir auch nicht verübeln, dass ich die eine oder andere Einladung zum Feste weder aussprechen noch annehmen kann, ja dann wäre ich bereit dazu, bei einem guten Essen, in möglichst überschaubarer Runde, über Weihnachten zu sprechen, über Weihnachten und über die Zuversicht, die die Stille dieses Festes zu vermitteln vermag.

Zwar würde mir, für gute Gedanken, die Wärme einer einzigen Kerze völlig ausreichen, wie es übrigens das ganze Jahr über der Fall ist, ich hätte aber auch keinen Einwand gegen ein kleines Bäumchen aus dem Walde, gegen einen kleinen Tannenbaum, der nicht bis zur Decke des Zimmers reichen muss. Das ließe dann auch in diesen Tagen genügend Raum für Begegnungen, für Gespräche mit den Menschen unserer näheren Umgebung, die situationsbedingt kaum noch angesprochen werden. Vielleicht hat dergestalt der tiefere Sinn des Festes – der authentische Inhalt des Brauchtums Weihnachten – wieder einen Platz an unserem Tisch. Ich halte nichts von organisierter Religion – das ist aber ein anderes Thema -, dennoch bin ich immer wieder versucht, für den eigenen Lebensweg, den christlich orientierten Pfad zu beschreiten. Insofern habe ich ein Verhältnis zu Gott, zu Jesus Christus, dem doch das Weihnachtsfest ursprünglich gewidmet ist.

© Peter Oebel

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