Fernsehen oder fernöstlicher Drill? Was rettet unsere Jugend?

20:15 Uhr. Tom Waits und ein Glas Tempranillo, oder Bachs Goldberg Variationen und eine Kanne Darjeeling. Das will jetzt entschieden werden. Denkbar wäre es auch, ein paar Seiten in einem Buch zu lesen, dazu würde mir sowohl der spanische Wein als auch der Tee passen. Leicht verschwommen kann ich mich noch an Zeiten erinnern, in denen ich eine weitere Variante in Erwägung zog – das Fernsehprogramm des Abends. Jene Möglichkeit ist mittlerweile reine Theorie, und die diesbezügliche Ausnahme, die die Regel bestätigt, zeigt sich immer seltener. So meine Meinung.

Dass es sie gibt, die Zeitgenossen, die RTLs „Dschungelcamp“ und „Deutschland sucht den Superstar“ mit Hingabe konsumieren, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Wer allerdings weder einer TV organisierten Pseudo-Folter noch einem aus selbiger Richtung kommenden Song-Varieté mit Notenvergabe etwas abgewinnen mag, der kann meine Entscheidung vermutlich nachempfinden. Doch, einen gewissen Unterhaltungswert haben jene Oberflächlichkeiten, das werde ich nicht in Abrede stellen, und einen üppigen Fanclub allemal. Aber das ist es ja gerade, was mir Anlass zu einer gewissen Besorgnis liefert. Sind es doch genau solche oder ähnlich solche Programmgestaltungen, die uns Seelen zwar schleichend dennoch aber unaufhaltsam beim Verblöden helfen. Gewiss, für mich ist der Zug abgefahren, aber ich denke hier an unseren Nachwuchs. Was soll aus unseren Kindern werden?

Hier kommt mir die Uni-Professorin Amy Chua in den Sinn, jene US-amerikanische Hochschullehrerin, die uns mittels ihres Buches „Die Mutter des Erfolgs – wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ den einzig wahren Weg zu einem erfolgreichen Erziehungsstil weisen möchte. Sie hat, wie sie selber sagt, längst begriffen wie man das Beste aus seinen Kindern herausholen kann. Geht es nach Amy Chua, dann  ist die asiatische Formgebung angesagt, und somit der Drill, die Strenge, und zwar in höchster Vollendung. Was im Osten klappt, das klappt auch im Westen, kein Zweifel, und noch ist es nicht zu spät. Lassen wir uns von dieser richtungsweisenden Beraterin der Wirtschaft inspirieren und anleiten. Weg vom Monitor und ran an die Zucht, so lautet die Devise, lesen wir es nach.

Dann hat auch Maximilian eine faire Chance, dann wird auch aus Sarah etwas werden. Ein derart geschulter Mensch kann sich überall auf unserem Erdenrund behaupten, wird unsere Nation wieder konkurrenzfähig machen, ja ganz an die Spitze katapultieren. Dank dem asiatischen Erziehungsdrill, hat Martha uneingeschränkte Aussichten auf eine geradlinige Karriere. Das macht doch Mut. Sicherlich wird Florian dann Führungskraft, möglicherweise im TV-Management, ja, beispielsweise in der strategischen Programmgestaltung eines Senders. In jenem Business halten sich nur die Harten an der Spitze. Wir kennen das. Hier geht es allein um Einschaltquoten, um Entwicklungsperspektiven. Komme was da wolle, die Zahlen müssen stimmen. Der Anteil ist Maßstab aller Dinge, und nur der. Unsere gedrillte Jugend wird nicht mehr zu bremsen sein. Der Blick geht nach vorne. Letzteres in doppelter Hinsicht. Ebenfalls an die Blicke sei gedacht , die sich auf die immer größer werdenden TV-Monitore richten wollen und auch richten sollen.

Ich merke, ich schweife ab. Außerdem bereiten mir Gedanken dieser Art Unbehagen. Lassen wir das. Irgendetwas scheint nicht zu passen. Es ist wohl besser, ich beende an dieser Stelle meine Zeilen. Und ja, was den heutigen Abend betrifft, so habe ich mich entschieden. Für ein Buch. Für das Lesen bei einem Glas Wein. Bitte? Nein, nein, nicht etwa das von der guten Frau Chua, nicht für „Die Mutter des Erfolgs“.