Freitag , 29 März 2024
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Kein Geld für den „verdienten Ruhestand“

Die Botschaft wird von Jubelworten umrahmt: „Ältere arbeiten doppelt so viel wie vor zwanzig Jahren!“ Soll diese Nachricht wirklich positiv sein, wenn Menschen, die über Jahrzehnte hinweg ein Fünftel ihres Einkommens in ihre Rente investierten, diese erst in Anspruch nehmen können, wenn es die Gesundheit gar nicht mehr erlaubt, arbeiten zu gehen? Wie lange mussten Pferde, als sie noch als Arbeitstiere Verwendung fanden, den Karren ziehen? So lange, bis es ihnen an Kraft fehlte. Dem Humankapitel (sprich: dem Menschen) scheint es nun ähnlich zu gehen.

Ein Artikel zum Thema bei der FAZ beginnt mit folgendem Satz: „Die Chancen am deutschen Arbeitsmarkt für Ältere sind so gut wie lange nicht.“ Behandelt wird die Gruppe der 60- bis 64-Jährigen, von denen vor 20 Jahren nur 21 Prozent noch einer Erwerbstätigkeit nachgingen. 2010 waren es jedoch 44 Prozent.

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Bild: FreeDigitalPhotos.net

Zweifellos gibt es Betätigungen, die auch in fortgeschrittenem Alter gerne ausgeführt werden. Hochschullehrer, Wissenschaftler, Schauspieler, Schriftsteller, all jene, die in ihrem Beruf wirklich Freude erleben. Auch wenn Anderen der Job nicht ausgesprochen zuwider ist, die Mehrzahl der Arbeitnehmer blickt doch dem Ruhestand mit gewisser Sehnsucht entgegen. Endlich nicht mehr frühmorgens aus dem Bett, sich nicht täglich durch Verkaufsstaus quälen, die Zeit mit Aufgaben verbringen, zu denen meist jeder persönliche Bezug fehlt, sich den kurzen Rest des Tages müde und erschöpft zu fühlen. Und dass ein Mensch, der vier Jahrzehnte lang bis zu einem Fünftel seines Einkommens verpflichtend in eine Rentenversicherung einbezahlt hat, seinen Ruhestand auch verdient, daran wird wohl niemand zweifeln.

Warum gibt es in Deutschland, und auch in anderen Ländern, diese sonderbare Regelung des Arbeitgeberanteils bei der Sozialversicherung?

Wohl um die tatsächlichen Kosten zu verschleiern. Allein die Rentenversicherung kostet mittlerweile zweimal 9,8%, zusammen also 19,6%. Wie schon in anderen Artikeln bemerkt, den Arbeitgeberanteil zahlt natürlich nicht der Chef. Der ist Teil des Einkommens, denn von Seiten des Unternehmens wird natürlich mit den Gesamtkosten kalkuliert. Beträgt der Bruttolohn € 3.000, weist die Abrechnung € 294 als Beitrag für die Altersvorsorge aus, dann sind es in Wahrheit € 588, die abgezogen werden.

Auch wenn der Prozentsatz vor einigen Jahrzehnten noch etwas niedriger lag, stellen Sie sich vor, Sie hätten mit dem Geld Monat für Monat Goldmünzen oder Aktien erworben (was der Inflationsabgeltung besser dient als die Zinsen fürs Sparbuch), mit sechzig hätte sich ein kleines Vermögen angesammelt. Genug, um den Rest des Lebens angenehm zu finanzieren.

Gut, dass die Altersvorsorge – auch gegen den Willen des Einzelnen – gemeinschaftlich organisiert wird, bringt natürlich auch gewisse Vorteile mit sich. Ein wesentlicher Punkt wäre dabei die Disziplin, denn viele Mitbürger wären ohne dieser Zwangsbeglückung im Alter gewiss pleite. Sparen ist schließlich nicht jedermanns Sache.

Jetzt gibt es natürlich einige Punkte, die dem derzeit angewandten Rentensystem Probleme bereiten. Menschen werden mittlerweile älter und nehmen somit die Rentenzahlung über mehr Jahre in Anspruch. Außerdem ist es jetzt gerade die Generation der sogenannten „Babyboomer“, die ins Rentenalter kommt, was zu einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen Beitragszahlern und Begünstigten führt.

Wenn es um die Anhebung des Rentenalters geht, ist natürlich immer nur eine relativ kleine Bevölkerungsgruppe betroffen, und zwar jene, die kurz vor der Rente stehen. Doch welchen Gesamteindruck vermittelt eine Gemeinschaft, die ihre älteren Mitbürger durch finanziellen Druck dazu nötigt, unter allen Umständen noch einige weitere Jahre erwerbstätig zu bleiben? Und immer öfter treffen wir auf Senioren, die jene Jobs ausüben, die früher Studenten als Nebenerwerb dienten. Ist diese Entwicklung wirklich menschlich?

Betrachten wir die Situation vom Standpunkt des Finanzsektors, sieht die Sache natürlich anders aus. Der Spediteur des 19. Jahrhunderts hatte gewiss wenig Grund, ein gesundes Pferd im Stall stehen zu lassen, bloß weil es ihm ohnehin schon 15 Jahre gedient hatte.

Warum also soll sich der Finanzsektor damit einverstanden erklären, Menschen den Ruhestand zu vergönnen, obwohl sie noch arbeitsfähig sind – ungeachtet des Alters?

Für einen Menschen, dem es während seines Lebens nicht gelungen ist, sich in einer bestimmten Branche unabkömmlich zu machen, ist es gewiss nicht einfach, ab einem gewissen Alter eine neue Anstellung zu finden. Wäre es nicht wünschenswert, einem 60-Jährigen, der vier Jahrzehnte Arbeit (und Beitragszahlungen) hinter sich hat, einen einfachen Eintritt in den Ruhestand zu ermöglichen? Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, zweifellos. Die Interessen des Finanzsektors liegen aber doch eher in der Richtung, auch aus der verbleibenden Arbeitskraft unserer älteren Mitbürger noch Nutzen zu ziehen. Und beschönigt wird dies durch manipulative Erfolgsmeldungen, dass es „endlich auch für ältere Jahrgänge wieder mehr Chancen auf einen Arbeitsplatz“ gäbe. Denn nur wer im Arbeitsmarkt eingegliedert ist, genießt sein Leben!!! Wer will denn schon zum „alten Eisen“ gehören und seine Zeit vielleicht damit verbringen, Bücher zu lesen oder gar über den Sinn des Lebens nachzudenken?

Um die Lücken im Rentensystem zu schließen, dafür gäbe es eine ganz einfache Lösung: Wie wäre es, ältere Menschen, die ohnehin schon genug für die Gemeinschaft geleistet haben, von der Steuer zu befreien? Keine Einkommensteuer für Rentner und die Mehrwertsteuer wird am Jahresende zurückerstattet. Um keinen unnötigen Verwaltungsaufwand zu schaffen, ließe sich dies pauschal gestalten. Und wie sollte der Staat das dadurch entstehende Problem der reduzierten Steuereinnahmen bewältigen? Vielleicht wäre dies möglich, indem er nicht nur über seine Bürger herrscht, sondern auch über den Finanzsektor, der der Gemeinschaft schließlich die größten Kosten verursacht.

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