Samstag , 20 April 2024
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Facebook – die beste Erfindung seit der Beichte

face hiddenEs ist eigentlich nichts Neues: Facebook erkennt Gesichter. Doch die verfügbare Technik schien nicht genügend ausgereift. Jetzt wurde der Ankauf des israelischen Unternehmens „Face.com“ bekanntgegeben, ein Spezialist in der Gesichtserkennung. Und selbstverständlich geschieht all dies ausschließlich im Interesse der Benutzer und soll dadurch neue Werbekunden anlocken. Immerhin sind es täglich 300 Millionen Bilder, die hochgeladen werden. Diktatoren der Vergangenheit würden angesichts der Bereitwilligkeit, mit der Facebook-User Einblick in ihre Privatsphäre bieten, vor Neid erblassen.

Zumindest bis zum Einsetzen verschiedener Reformbewegungen gegen Ende des Mittelalters, umspannte der Einflussbereich des Vatikans einen großen Teil Europas. Um sich regelmäßig „mit Gott auszusöhnen“, war jeder Gläubige – ergo jeder Bürger – eingeladen, dem Pfarrer seine begangenen Sünden anzuvertrauen. Ja, der unterlag natürlich dem tatsächlich strengen Beichtgeheimnis. Allerdings, nicht nur, dass dieser über die intimsten Geheimnisse seiner Anvertrauten bescheid wusste, ob das Stillschweigen auch gegenüber kirchlichen Würdenträgern ausnahmslos bewahrt wurde, lässt sich bezweifeln. Das dadurch entstandene Informationsnetz war jedenfalls beachtenswert.

Die Beichte ist – zumindest für die Mehrzahl der Menschen – ebenso passé wie das Konzept der Sünde. Der Einflussbereich des Vatikans ist weitgehend dezimiert und demzufolge auch die Notwendigkeit eines Informationsnetzes. Allerdings, andere Institutionen, teils staatlich, teils privat, teils in vertrauter Einigkeit, erfreuen sich einer Datensammlung, wie sie vor der allgemeinen Verbreitung von Computern noch völlig unvorstellbar war.

Dass Hunderte Millionen von Facebook-Nutzern leidenschaftlich gerne über ihren Alltag, über ihre Interessen und Hobbys, über ihre Pläne für den nächsten Tag, über ihre Wünsche und Ziele, Erwartungen und Ängste berichten, ließe sich alleine schon als sonderbares Phänomen bezeichnen. Facebooks Interesse an der Gesichtserkennung sollte daneben jedoch besondere Aufmerksamkeit wecken.

Schon um 1880 hatte der Franzose Alphonse Bertillon ein Verfahren zur Personenidentifizierung entwickelt, das unter dem Begriff „Bertillonage“ bekannt wurde. Dabei wurden verschiedene Körpermaße, Größe, Spannweite der Arme, Länge des Fußes, der Hand etc. gemessen und in Dateien gespeichert. Fand sich eine Person mit exakt denselben Angaben, so stand fest, dass es sich dadurch auch um dieselbe Person handeln musste. Aufgrund der notwendigen Exaktheit der Messungen, was offensichtlich nur unter Bertillons persönlicher Leitung fehlerfrei funktionierte, geriet dieses System jedoch bald wieder in Vergessenheit.

Dass jeder Fingerabdruck anders aussieht, das fiel einem gewissen William J. Herschel, einem Kolonialbeamten in Indien, schon gegen Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Allerdings, erst Juan Vucetich aus Buenos Aires gelang es gegen Ende desselben Jahrhunderts, ein System zur Katalogisierung von Fingerabdrücken auszuarbeiten.

Ungeachtet dessen, dass Fingerabdrücke mittlerweile auch in Reisepässen (in Deutschland seit 1. November 2007) gespeichert sind, dass auch DNA und die Iris der Identifizierung dienen, sobald biometrische Gesichtsdaten erfasst sind, genügt es, das Bild eines Menschen durch spezielle Kameras aufzunehmen, um zu wissen, um wen es sich handelt. Diesbezüglich sei erwähnt, dass in manchen Städten, allen voran London, Überwachungssysteme existieren, die praktisch jeden Schritt, der in der Öffentlichkeit getan wird, aufzeichnen (CCTV). Werden die Gesichtsdaten eines bestimmten Menschen in das System eingegeben, so wird sein Auftauchen umgehend registriert, ungeachtet ob am Bahnhof, in einem Einkaufszentrum oder beim Einsteigen ins Auto in einer Seitengasse.

Den Behörden stehen die Gesichtsdaten zur Verfügung, sobald ein neuer Reisepass beantragt wird.

Und nun kommt Facebook, ein sogenanntes „soziales Netzwerk“, und ergänzt diese ohnehin bereits enorme Datensammlung. In Deutschland, wo der Trugschluss eines effizienten Datenschutzes bis heute in den Köpfen der Bürger schwebt, zeigten sich dort und da Proteste dagegen. Die Funktion lasse sich deaktivieren. Und so mancher glaubt fest daran, dass, wenn Facebook keine Informationen zu den Personen auf hochgeladenen Bildern anbietet, deren Daten nicht automatisch gesammelt werden.

Doch eine ganze Menge von Leuten stört diese Transparenz ja auch gar nicht. Mit Freuden lesen sie Facebooks Email, dass einer ihrer Freunde auf einem Foto, das von irgend jemandem hochgeladen wurde, zu sehen ist. Es gibt also gemeinsame Bekannte. Was mehr könnte als Einladung verstanden werden, einen neuen Freund in seine Sammlung aufzunehmen?

Facebook böse Absichten zu unterstellen, grenzt natürlich an Verschwörungstheorien. Zuckerberg ist der Held des 21. Jahrhunderts. Hunderte Millionen von Menschen rund um den Erdball nutzen seine Erfindung – oder die seiner Kommilitonen, die seit Jahren um ihren Anteil prozessieren. Und der Erwerb des, auf Gesichtserkennung spezialisierten, israelischen Unternehmens Face.com dient natürlich ausschließlich der Verbesserung der angebotenen Leistungen. Über die ohnehin schon davor praktizierte Zusammenarbeit berichtet Wikipedia.

„Ich habe nichts zu verbergen“, ist ein beliebter Ausspruch rechtschaffener Menschen, die sich durch die Instrumente zentralisierter Überwachung keinesfalls beunruhigen lassen. Zwar lässt sich nicht nachvollziehen, wo die einzelnen Daten, die sich über uns sammeln lassen, tatsächlich gespeichert sind, doch verfügbar sind sie allemal. Welche Webseiten wir besuchen und wie lange wir auf jeder einzelnen verweilen. Auf welche Werbebanner wir klicken. Was wir kaufen, sofern wir mit Kreditkarte bezahlen. Zu welchen Zeiten wir uns im eigenen Haus aufhalten – und wohin wir uns begeben, sofern wir entweder ein Handy in der Tasche oder GPS im Auto installiert haben. Unsere Emails werden auf Monate gespeichert und Telefongespräche werden immer regelmäßiger aufgezeichnet.

Wir haben uns an all dies gewöhnt und selten verschwenden wir einen diesbezüglichen Gedanken. Schon zu DDR-Zeiten war es schließlich bekannt, dass die Bürger überwacht wurden. Und selbst wenn sich jemand systemkritisch äußerte, passiert ist grundsätzlich nichts. Die Informationen wurden einfach gesammelt. Gewiss, ging es darum, über eine bestimmte Person ein exaktes Profil zu erstellen, dann waren sie verfügbar.

Doch solche Überlegungen und Vergleiche kümmern wenige von uns. Schließlich leben wir heute in einer Demokratie. Unser Staat schützt uns doch. Und auch das Sammeln von Daten der Bürger dient ja letztendlich der allgemeinen Sicherheit. Wie sonst ließen sich Verbrecher oder gar Terroristen aufspüren?

So wie die Welt, oberflächlich betrachtet, aussieht, lassen sich tatsächlich wenige Argumente anführen, die der immer weiter fortschreitenden Transparenz widersprechen. Trotzdem beschäftigt mich die Frage, warum sowohl Regierungen als auch private Unternehmen daran so interessiert sind, meine Gesichtsdaten zu speichern? Könnte die angespannte wirtschaftliche Lage, ein möglicher Zusammenbruch unseres Währungssystems, befürchtete Volksaufstände oder eine bevorstehende Eskalation kriegerischer Auseinandersetzungen damit in irgendeiner Verbindung stehen? Wer immer über Macht und Einfluss insbesondere über die westlichen Staaten verfügt, als Individuen sind wir diesem System mittlerweile restlos ausgeliefert. Und wir können nicht wissen, wer eines Tages auf die gesammelten Daten zurückgreifen wird.

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