Freitag , 29 März 2024
Startseite » Gesellschaft » Philosophie Religion » Unser Weltbild ist noch lange nicht vollständig

Unser Weltbild ist noch lange nicht vollständig

erde_weltallDie Art, in der wir die Welt verstehen, ergibt ein fast lückenloses Bild. Beginnend mit dem Urknall bis zur Entstehung von Leben und dessen weiterer Entwicklung. Nachdem alle Zusammenhänge durchaus harmonisch erscheinen, bleibt die Frage nach dem Sinn der gesamten Schöpfung im Hintergrund. Doch waren nicht auch zu Zeiten von Kopernikus die Menschen restlos überzeugt, dass die Erde flach ist? Galt es nicht einst als unanzweifelbar, dass Klänge nur so weit vernehmbar sein können, so weit sie vom Wind getragen werden? Lückenloses Verständnis in Teilbereichen verweist noch lange nicht darauf, dass das Gesamtbild den Tatsachen entspricht. Vieles spricht dafür, dass es jenseits unserer Wahrnehmung Welten gibt, die mehr zu bieten haben als diese.

Unser Vorstellungsvermögen stößt naturgemäß auf Grenzen, sobald wir versuchen, im Geist ein neues, ein revolutionierendes Weltbild zu erschaffen. Wesentlich einfacher ist es, sich in die Situation jener Menschen zu versetzen, die von lange überholten Ansichten restlos überzeugt waren. Stellen Sie sich einen Menschen zur Zeit von Kopernikus vor, der von der damaligen Spekulation hörte, die Erde könnte rund sein. Stellen Sie sich vor, Sie verlassen sich ausschließlich auf Ihre Wahrnehmung. Sie sehen jeden Morgen die Sonne im Osten aufgehen und im Westen wieder verschwinden. Alle Sterne umkreisen die Erde. Steine fallen ebenso nach unten wie die Bewohner, die auf der unteren Hälfte der Erde leben würden, falls sie wirklich eine Kugel wäre, ins Nichts stürzen müssten. Von wenigen unerklärlichen Phänomenen wie Irrsternen und Schiffen, die hinter dem Horizont abzugleiten scheinen, lassen sie sich nicht verwirren. Sie wissen genau, was sie sehen. Und wenn dieser Kopernikus nicht aufhört, derartigen Unsinn von sich zu geben, dann gebührt es ihm ja wirklich, auf dem Scheiterhaufen zu enden.

Um zu verstehen, dass, entgegen unserer Wahrnehmung, es doch die Erde ist, die die Sonne umkreist, bedarf es einer Veränderung des Beobachtungspunktes. Am besten mit Hilfe eines Modells oder einer Graphik, muss ich den „Standpunkt Erde“ verlassen, mich gedanklich ins All begeben, und erst dann lässt sich der wahre Lauf der Himmelskörper vorstellen. Wie hätte einem Menschen des Mittelalters eine derartige Gedankenübung, ohne überzeugende Hilfe, gelingen sollen? Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass selbst intelligente Menschen der damaligen Zeit die Ansichten von Kopernikus als blanken Unsinn abtaten.

Leider sind mir die näheren Zusammenhänge entfallen, doch soll ein englischer Gelehrter des 18. Jahrhunderts erklärt haben, dass ein Stein, der auf seinen Fuß fällt, Schmerz verursacht. Und damit sei bewiesen, dass es feste Materie gäbe. Wie wir heute zweifelsfrei wissen, handelt es sich beim Stein nicht wirklich um „feste Materie“, sondern um eine Ansammlung von Atomen. Und selbst der Schmerz wird nicht im Fuß empfunden, sondern im Gehirn. Und sollten wir jetzt wirklich glauben, dass wir damit am Ende allen Wissens angelangt sind?

Vieles von dem, was uns durch die Lehre von Yoga übermittelt wird, passt nicht mit unserem bestehenden Weltbild zusammen: Bewusstsein als vom materiellen Gehirn unabhängig zu verstehen. Die Möglichkeit der Entwicklung von „Kräften“, die allgemein als „übernatürlich“ eingestuft werden. Das Vorhandensein von Energiezentren im menschlichen Körper, die Chakras genannt werden. Stränge von Nadis, durch welche unser Astral-Leib mit Prana versorgt wird. Weder Chakras noch Nadis wurden jemals von Medizinern entdeckt und schon gar keine eingerollte Schlange namens Kundalini. Niemals ist die Wissenschaft auf eine Energieform gestoßen, die sich als Prana erklären ließe. Wie lässt sich die Yoga-Lehre respektieren, wenn all diese Behauptungen keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhalten?

Zweifellos trägt die moderne Wissenschaft entscheidend dazu bei, das bestehende Weltbild in immer mehr Details verstehen zu lernen. Auch können wir grundsätzlich davon ausgehen, dass von der Wissenschaft nichts Falsches gelehrt wird. Schließlich wird jede Behauptung entsprechenden Prüfungen unterzogen. Dürfen wir deswegen aber auch annehmen, dass uns ein vollständiges Weltbild präsentiert wird?

Es gibt einzelne Punkte, in denen es der Wissenschaft an Erklärungen fehlt. Gewiss besteht die Hoffnung, und von vielen Menschen sogar blindes Vertrauen darauf, dass sich auch das Unerklärliche eines Tages wissenschaftlich erklären lassen wird. Sollte dies wirklich einmal der Fall sein, so könnte dadurch sogar eine Brücke zu jener Art von Lehren geschaffen werden, die all zu oft belächelt werden.

Doch schon heute gibt es in der Quantenmechanik sonderbare Spekulationen. Dazu zählt etwa die Vermutung, dass ein umstürzender Baum nur unter der Voraussetzung ein Geräusch verursacht, dass ein Lebewesen in der Nähe ist, das dieses Geräusch auch wahrnehmen kann. Eindeutig demonstrierbar ist das sonderbare Verhalten von Photonen. Beim sogenannten Doppelspaltexperiment wird entweder ein Lichtstrahl oder ein einzelnes Photon durch eine Blende projiziert, in der sich zwei Schlitze befinden. Auch ein einzelnes Photon teilt sich dabei, durchquert parallel beide Schlitze, was sich durch einen Schirm an der Rückwand beobachten lässt. Sobald jedoch Geräte an der Seite angebracht werden, die den Weg des Photons als Partikel beobachten, wählt dieses nur einen der beiden Schlitze. Woher weiß das Photon, nach welche Kriterien es beobachtet wird? Oder passiert doch viel mehr in unserem Bewusstsein als in der „äußeren Welt“?

Es ist allgemein bekannt, wozu Menschen unter Hypnose fähig sind. Sonderbarerweise dienen derartige Phänomene nur selten, wenn überhaupt, als Thema von Dokumentationen. Wenn der Hypnotisierte Gegenstände oder gar Menschen „sieht“, die aber tatsächlich nicht vorhanden sind, so lässt sich dies noch leicht als Halluzination erklären. (Lassen wir die Frage, was noch alles Halluzination sein könnte, beiseite.) Vermutlich haben Sie selbst schon einmal das folgende Experiment gesehen: In den Zustand von Hypnose versetzt, legt sich die Versuchsperson auf drei Stühle. Der mittlere wird entfernt und plötzlich lastet das gesamt Gewicht des Körpers ausschließlich auf den Fersen und auf dem Kopf. Und an dieser Position ändert sogar das Belasten der Körpermitte nichts. Es kann sich jemand auf den Bauch des Hypnotisierten setzen. Und all dies funktioniert ausschließlich durch die Veränderung des Bewusstseinszustandes. Sollten derartige Versuche nicht Anlass genug sein, zu hinterfragen, ob unser Bewusstsein nicht zu wesentlich mehr fähig ist als wir üblicherweise annehmen?

Es gibt dokumentierte Experimente mit tibetischen Mönchen, die durch eine Meditationstechnik, die Tummo genannt wird, Körperhitze generieren. Die Mönche sitzen dabei mit nacktem Oberkörper in einem Raum, dessen Temperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt liegt. Dann werden sie in feuchte Tücher gewickelt. Nach kurzer Zeit, beginnt Dampf aufzusteigen. Nach ungefähr einer Stunde sind die Tücher trocken. Jeder normale Mensch würde nicht nur vor Kälte zittern, schwere Unterkühlung wäre die unabwendbare Folge. (Und die Tücher blieben natürlich nass.)

Der damals 15-jährige Ram Bahdur Bomjon, besser bekannt als „Buddha Boy“, setzte sich am 16. Mai 2006 unter einen Baum in seinem nepalesischen Heimatdorf Ratanapuri und begann zu meditieren. Bis zum 8. März 2007 blieb er regungslos sitzen. Niemand sah ihn Nahrung oder Wasser zu sich nehmen. Ein amerikanisches Fernsehteam des Discovery-Channels reiste in der Absicht nach Nepal, den Trick zu entlarven. In der Dokumentation erklärt eine Gesundheitsexpertin, dass ein Mensch nicht länger als drei Tage ohne jegliche Einnahme von Flüssigkeit überleben würde. Also wurde der Buddha Boy ganze vier Tage lang, rund um die Uhr, gefilmt. Ob er wirklich zehn Monate ohne Wasser und Nahrung lebte, ist natürlich nicht belegbar. Vier Tage lang ist es ihm gelungen. In der gleichen Dokumentation wird übrigens auch von einem Inder berichtet, der zehn Tage lang in einem Krankenhaus verbrachte, um unter Beweis zu stellen, dass er auf Wasser und Nahrung verzichten kann. Auch dieser Mann war nach zehn Tagen, und zwar ohne jeglichen Gewichtsverlust, noch am Leben.

Am 24. April dieses Jahres verstarb der südindische Guru Sai Baba 84-jährig. Was dieser mehrere Jahrzehnte lang zur Schau stellte, ging noch einen Schritt weiter. Er materialisierte „heilige“ Asche, und in Tausenden von Fällen sogar goldene Schmuckstücke, einfach „aus dem Nichts“. Millionen von Anhängern pilgerten zu ihm. Mit den gespendeten Geldern errichtete er mehrere Krankenhäuser und Schulen.

Natürlich hat ein Mann, der vorgibt Wunder zu wirken, nicht nur Bewunderer, sondern auch Kritiker. Schließlich ist es ja auch schwer vorstellbar, dass es möglich sein könnte, einen goldenen Ring einfach so herzuzaubern. In einer Videoaufnahme, die als Beweis seiner Taschenspielertricks immer wieder gezeigt wird, sieht es tatsächlich so aus als würde er manipulieren.

Ich selbst habe Sai Baba nie getroffen. Ein Freund von mir aus Pondicherry besuchte ihn jedoch regelmäßig und zeigte mir auch einen Ring, den er als Geschenk erhalten hatte. Dieser junge Mann, er heißt Riaz und ist Muslim, versicherte mir, dass Tricks völlig auszuschließen seien.

Als ich später in Rishikesh meinen Lehrer getroffen hatte, fragte ich ihn, was von diesem Sai Baba wirklich zu halten sei. Der Swami antwortete ablehnend. Es sei nicht gut, was Sai Baba tat. Ich drückte meine Frage deutlicher aus, wollte wissen, ob Materialisation überhaupt möglich sei. Mein Swami blieb weiter in Distanz: „Ja, es ist möglich, aber es ist nicht gut, es zu tun!“

Gut oder nicht. Die Idee faszinierte mich. Ich wollte mehr erfahren. Schließlich klärte mich der Swami auf. Zumindest seiner Ansicht nach, müsste das Objekt an anderer Stelle bereits existieren. Es wird also nicht aus dem Nichts erschaffen, sondern – auf für uns unerklärlichem Wege – von einem Ort an einen anderen „transportiert“. Ähnliches wird übrigens auch über einen indianischen Schamanen namens Rolling Thunder erzählt. Er hätte seine Pfeife und seinen Tabak vergessen. Nach langer Zeit des Schweigens während einer Autofahrt nach San Francisco, hielt er beides plötzlich in Händen.

Ungeachtet dessen, dass derartige „Zauberei“ für die meisten Menschen mit Sicherheit unglaubwürdig bleiben wird, lassen Sie mich trotzdem kurz erklären, warum die Demonstration derartiger Phänomene von erfahrenen Yogins einheitlich abgelehnt wird. In den weiteren Folgen dieser Serie werde ich sowohl auf die bereits erwähnten Chakras als auch auf Kundalini, die sogenannte „Schlangenkraft“, zu sprechen kommen. Sobald es gelingt, Kundalini zu wecken, stellen sich gewisse Fähigkeiten ein, die in den Bereich fallen, den wir gemeiniglich als übernatürlich bezeichnen. Sie werden Siddhis genannt und stellen sich bei jedem Menschen in unterschiedlicher Form ein. Der Yoga-Lehre entsprechend, handelt es sich dabei um kein willkommenes Zeichen des Fortschritts, sondern um eine Versuchung, ein Hindernis auf dem eigentlichen Weg. Sie bringen den Trugschluss mit sich, das Ziel erreicht zu haben. Selten gelingt es einem Yoga-Schüler, der zu weltlich orientiert ist, diese erste Schwelle zu überschreiten. Tritt dieser Fall jedoch ein und der Schüler, der sich nun als realisierter Yogin glaubt, könnte sein Interesse an einem Fortführen der Übungen verlieren. Er demonstriert seine Fähigkeiten, schart Bewunderer um sich, und genießt das plötzliche Ansehen ebenso wie vielleicht gleichzeitig eintretenden Wohlstand.

Trotzdem glaube ich, dass es dem Yoga-Interessierten dient, derartigen Phänomenen gewisses Augenmerk zu schenken. Je mehr wir an unserem rationalen Weltbild festhalten desto schwieriger ist es, genügend Vertrauen in die Übungen zu setzen, um Fortschritte zu erzielen, die über bessere Gesundheit und mehr Entspannung hinausreichen.

Stellen Sie sich vor, Sie treffen auf einer entlegenen Insel auf Bewohner, die ausnahmslos blind geboren sind. Sie haben gelernt, Nahrung zu finden, ein soziales Leben zu führen, einfach mit ihrer Blindheit umzugehen. Bis zu Ihrer Ankunft wussten diese Menschen nicht, was „sehen“ bedeutet. Wie würden Sie Licht und Farben in diesem Fall beschreiben, wenn Ihre Zuhörer beides niemals sehen konnten? Wir können aber noch einen Schritt weiter gehen. Nehmen wir an, Sie wüssten von einer langwierigen Übung, die nach jahrelanger Praxis zum Aktivieren des Augenlichts führen könnte. Wie viele der Bewohner dieser Insel würden die Mühe auf sich nehmen, um etwas zu erlangen, von dem sich nicht die geringste Vorstellung haben, was es ist?

Vielleicht fänden sie mehr Ansporn, wenn einer aus ihrer Mitte darüber berichten würde, wie großartig es ist, die Welt mit den Augen wahrzunehmen.

Vielleicht hätte die Menschheit mehr Interesse an den Geheimnissen von Yoga und anderen Weisheitslehren, würde man uns öfter mit überzeugenden Beispielen konfrontieren. Dokumentationen über Mönche, die trotz bitterer Kälte mit ihrer Körperwärme Tücher trocknen, oder über Menschen, die ohne Nahrung und ohne Wasser überleben, Dokumentationen über nachweisbare Fähigkeiten des Bewusstseins, die nicht in unser herkömmliches Weltbild passen, würden gewiss Einfluss auf die Verbreitung der Yoga-Lehre ausüben. Doch wem, außer dem einzelnen Menschen, würden derartige Erkenntnisse dienen? Kommerzielle Fernsehsender sollten wohl wenig Interesse daran haben, eine Denk- und Lebensweise anzupreisen, die nicht direkt auf Konsum basiert. Die mit der Zeit sogar die seichte Unterhaltung, die durch Fernsehen geboten wird, als überflüssig erkennen lässt.

Es heißt, dass sich nur Menschen überzeugen lassen, die bereits überzeugt sind. Somit gehe ich auch keineswegs davon aus, dass ein Artikel wie dieser dazu führen könnte, dass auch nur ein einziger Rationalist sein Weltbild neu überdenkt. Allerdings glaube ich, dass bei vielen Menschen mittlerweile doch Zweifel auftauchen. Um eine neue Denkweise zu finden, bedarf es erst einmal der Bereitschaft, die alte Denkweise abzulegen. Im derzeitigen Weltbild sind wir Menschen hilflose Geschöpfe, geleitet von Ängsten und von Hoffnungen, zwei Eigenschaften, die schon Goethe in Faust II als die schlimmsten Feinde der Menschheit bezeichnet hatte. Nicht das Ansammeln materieller Werte, was ohnehin immer schwieriger wird, bringt uns unserer wahren Rolle näher, sondern die Erweiterung des Bewusstseins, der eigentlichen Essenz des Daseins. Yoga-Übungen sind zeitraubend. Sie erfordern Konsequenz und Ausdauer. Der Praktizierende weiß wenig darüber, was am Ende auf ihn wartet. Dazu halten ihn einige seiner Freunde vielleicht gar noch für einen Spinner. Und trotzdem ist jeder, der zumindest einen Teil des Weges hinter sich gebracht hat, restlos überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Weitere Artikel:

  • Yoga: Mehr als nur Gymnastik
  • Yoga: Der Sonnengruß
  • Yoga: Vier weitere Asanas
  • Yoga: Atemübungen und Sitzhaltung
  • Das Mysterium „Bewusstsein“
  • Meditation – Die Suche nach dem “höheren Selbst“
  • Wiedergeburt und Karma
  • Die drei Gunas: Ein weiterer Schritt zur Selbsterkenntnis
  • Dürfen Yoga-Stunden Geld kosten?
  • Heilen durch Yoga

 

Check Also

Von mafiöser Gier zur Läuterung: Papst Franziskus und die Vatikanbank IOR

Papst Franziskus mahnte gestern erneut zu Solidarität mit den Armen und weniger Gier bei den …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert