Mittwoch , 17 April 2024
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Ein Gespräch mit dem Scientology-Aussteiger Mark Janicello

mark_janicelloDer Titel der Biografie „Nackt im Rampenlicht“ ist Programm. Schonungslos befragt Mark Janicello seine Entwicklung als Mensch und Künstler. Mit offenem Visier analysiert er die Umstände, warum seine verheißungsvolle Karriere als Sänger zerbrach. Der Italo-Amerikaner, der seit seinem 4. Lebensjahr in der Öffentlichkeit singt, lässt sich in keine Schublade packen. Er ist ein Schauspieler, der singt und zudem ein Opern-Sänger, der Pop singt. Er ist ein Unterhalter, der zu seinen persönlichen Ansichten steht. Verheerend wirkte sich jedoch die Mitgliedschaft bei Scientology aus, die Janicello kurz vor der Übersiedlung mit seiner Familie nach Zürich 1993 in New York eingegangen war. Das Gespräch mit dem Autor führte Gesine von Prittwitz.

Mittlerweile gehören zahlreiche Hollywood-Berühmtheiten der umstrittenen Organisation an. Können Sie sich erklären, warum sich ausgerechnet so viele Mitarbeiter aus der Unterhaltungsbranche von Ron Hubbards Heilslehre angezogen fühlen?

Natürlich kann ich nur für mich sprechen. Was ein Tom Cruise denkt, muss man ihn selber fragen. Mich faszinierte die Idee, an etwas „Überlebenswichtigem“ teilzuhaben. So wird Scientology an seine Anhänger „verkauft“: als überlebenswichtig – nicht nur für die Person selbst, sondern auch für die gesamte Gesellschaft und die Menschheit. Ich wollte, dass mein Leben mehr „Inhalt“ hat als nur den des „Entertainers“. Ich kann mir vorstellen, dass einige andere Personen in der Unterhaltungsbranche diese Idee teilen.

Was hat Sie bewogen, Mitglied bei Scientology werden?

Ich befand mich in meinem Privatleben in einer äußert schwierigen Lage. Nach einigen Versuchen mit verschiedenen Therapiearten kam ich durch einen Freund in New York in Kontakt mit Scientology. Meine verzweifelten Fragen beantworteten die Scientologen auf selbstbewusste und äußerst kompetente Art und Weise. Sie und nur sie hatten alle Antworten. PUNKT. Anstatt meine eigenen Antworten auf meine Fragen zu finden, habe ich in dieser schwierigen Zeit diese Verantwortung sehr gern an sie übertragen. So begann es. (Nebenbei, mein Freund in New York ist auch bei Scientology ausgestiegen.)

Waren Sie sich bei Ihrer Übersiedlung im Klaren darüber, dass Scientology in Europa im Kreuzfeuer der Kritik steht?

Dass Scientology umstritten ist, war mir relativ schnell klar. Aber dass es in dem Ausmaß umstritten ist, wie ich es persönlich erlebt habe, hätte ich NIE und NIMMER ahnen können. Zu dieser Zeit habe ich nur mäßig Deutsch gesprochen, gelesen und verstanden – vieles hing auch damit zusammen.

Man hört immer wieder von drakonischen Zwangsmethoden, von Gehirnwäsche oder Zwangsarbeit, aber auch davon, dass Kritiker mit unfairen Mitteln mundtot gemacht werden. Solche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Scientology nicht gemacht?

Zunächst, Gehirnwäsche ist bei jemandem wie mir äußerst schwierig. Wenn man allerdings von etwas wirklich überzeugt ist, kann man es einem anderen auch „verkaufen“. Aber dass man das als „Gehirnwäsche“ einstufen kann, glaube ich eher nicht.

In jeder Art von Organisation, Philosophie oder Religion findet man Idioten. Dass es auch innerhalb der Scientology-Organisation Idioten gibt, die möglicherweise mit „Druck, Zwang oder unfairen Mitteln“ arbeiten, bezweifle ich nicht. In meinem Fall haben sie es nie versucht.

Dass jemand mit „unfairen Mitteln“ mundtot gemacht werden kann, habe ich persönlich erlebt. Ich wurde mundtot gemacht. Jedoch nicht von den Scientologen, sondern von ihren Gegnern.

Wie bewerten Sie die Beurteilung, dass die Selbstdarstellung der SO (Scientology Organisation) als Religionsgemeinschaft lediglich ein Vorwand zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen ist?

 

Je länger man weg von Scientology ist, desto besser kann man diese Kritik verstehen. Meiner Meinung nach ist Scientology eher eine Dienstleistungs-Organisation oder ein „universitätsähnliches“ Unternehmen als eine Religion im herkömmlichen Sinn. Sie sind im Bereich „seelische Beratung“ tätig. Sie verlangen für ihre Beratungen oder Kurse feststehende Preise. Meines Erachtens  hat Scientology – wie viele andere Religionen – seine Grundphilosophie durch Geldgier kompromittiert. Eine solche Organisation als eine Religion einzustufen ist meiner Meinung nach etwas fragwürdig, dafür ist zu viel Geld im Spiel.

Sie setzen sich für Meinungs- und Religionsfreiheit ein. Nun könnte man Ihnen vorhalten, dass Sie damit eine Linie verfolgen, derer sich die SO ebenfalls bedient. Hier wird Religionsfreiheit gerne als Allzweckwaffe gegen jegliche Kritik an Praktiken und Menschenrechtsverletzungen benutzt …

Vor einem Gericht muss man Beweise haben, um etwas oder jemanden als illegal zu verurteilen. Vermutungen und Meinungen gelten nicht – nur Fakten. Laut den Grundgesetzen der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Österreichs – oder aber dem Grundgesetz der EU und der Universal Declaration of Human Rights (unterschrieben von allen EU-Mitgliedsländern) – ist die Meinungs- und Religionsfreiheit ein garantiertes Recht.

Entweder haben wir Gesetze oder nicht. Egal was man von SO hält als Organisation – bis sie vor Gericht als illegal eingestuft ist, sollte man innerhalb einer Demokratie die Möglichkeit haben, sich seine persönliche Glaubens- oder Philosophierichtung selbst auszusuchen und auszuüben, ohne deswegen bestraft zu werden. Diese Meinung vertrete ich nach wie vor.

Sie schreiben in Ihrer Biografie „Ich war ihr Aushängeschild für religiöse Diskriminierung in Europa“. Ist Ihnen nie der Verdacht gekommen, dass Ihr persönlicher Kampf für die Einhaltung Menschenrechte von der SO für eigene PR-Zwecke missbraucht werden könnte?

Im Rückblick hat man die perfekte Sicht. Damals habe ich um mein Überleben und das meiner Familie kämpfen müssen. Ich habe nichts Verkehrtes oder Illegales getan, wurde aber bestraft, als sei ich der schlimmste Verbrecher. Hätte sich Scientology um mich gekümmert und versucht, mich aus dieser entsetzlichen Lage zu befreien, hätte ich mit „Nein“ auf diese Frage antworten können. Aber leider hat mich die SO in meinen schlimmsten Momenten im Stich gelassen. Damit hatte ich nie gerechnet. Daraus kann jeder seine eigene Schlussfolgerung ziehen.

Mark, Sie haben Scientology 2003 den Rücken gekehrt. Hatten Sie außer persönlichen Enttäuschungen noch andere Beweggründe?

Natürlich war die persönliche Enttäuschung enorm. Über die Philosophie an und für sich will ich mich nicht äußern. Zunächst ist (so wie bei den Freimaurern) einiges im Scientology-Glauben vertraulich, wenn man eine bestimmte Ausbildungsstufe erreicht hat. Ich war kein hochausgebildeter Scientologe. Deshalb kann ich über die oberen Stufen in der Scientology-Philosophie nichts sagen. Ich habe eine persönliche Meinung über einiges in dieser Philosophie, aber es ist nur das: meine persönliche Meinung. Dass ich aus dieser Gemeinschaft ausgetreten bin, sagt, glaube ich, genug.

Dass Sie Ihr Vertrauen in die Organisation verloren haben, muss nicht zwingend bedeuten, dass Sie nicht mehr an die Lehre Hubbards glauben …?

 

Als Enkelkind, Sohn bzw. Bruder eines Predigers in der Pfingstgemeinde-Kirche, als Duettpartner und Sohn einer Gospel singenden Mutter und durch meine jahrelange Erfahrung mit SO bin ich zu einer eigenen Erkenntnis gelangt. Sie lautet: Eine Religion oder eine Philosophie kann dir Werkzeuge oder Halt geben, aber retten musst du dich selbst. Punkt.

Sie hatten verschiedentlich die Möglichkeit, sich von Scientology öffentlich zu distanzieren. Warum haben Sie Ihre Chance nicht genutzt?

Ich bin stur wie ein Esel. Ich wollte es gar nicht wahrhaben, dass eine öffentliche Distan­zierung von Scientology von mir verlangt wurde, um wieder in Frieden arbeiten zu können. Ich dachte, dass ich es schaffen würde, ohne das zu tun. Aber wichtiger, ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass mir irgendwann, irgendwie SO doch zur Seite stehen und mir helfen würde. Ich habe mich in beiden Punkten geirrt. Ich habe die Gegner von SO unterschätzt und die SO überschätzt.

Was versprechen Sie sich von Ihrem Buch?

Zu allen Berichten und Artikeln – die über meine Person im Zusammenhang mit SO geschrieben wurden – habe ich nie Stellung nehmen können oder meine Seite der Geschichte erzählen dürfen. Ich will dieses Kapitel für immer hinter mich bringen. Nach der Promotion für dieses Buch werde ich nie wieder ein Wort über SO sagen. Mit diesem Buch ziehe ich meinen persönlichen Schlussstrich.

Bislang hatten Sie nach Ihrem Ausstieg weder mit der Organisation, noch mit einzelnen Mitgliedern Probleme. Meinen Sie, dass sich das nach der Publikation Ihrer Lebensgeschichte ändern könnte?

Auch wenn ich nicht als „exkommuniziert“ eingestuft werde, so werde ich trotzdem, aller Wahrscheinlichkeit nach, jetzt den Kontakt zu sehr vielen Personen bei Scientology verlieren. Öffentliche Kritik ist bei der SO nicht willkommen.

 

nackt_im-rampenlicht_coverInformationen zum Buch:

Mark Janicello

Nackt im Rampenlicht

Mein Leben mit Sex, Singen und Scientology

Ibera Verlag, Wien 2011

Gebunden mit Schutzumschlag, 424 Seiten mit Abbildungen und einer Audio-CD, beinhaltet „Push it now“ von Mark Janicello

€ 24,90

ISBN 978-3-85052-100-0

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