Freitag , 29 März 2024
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In dubio pro reo – Gedanken zum Fall Kachelmann

alice_schwarzerEin Fall, wie es leider allzu häufig ähnliche in der Welt gibt. Auf den ersten Blick. Auf den ersten Blick wurde ein Mann von einer Frau wegen schwerer Vergewaltigung angezeigt. Der Staatsanwalt sieht es ähnlich und erhebt Anklage. Anders hier, die Öffentlichkeit wird mitgenommen. Die Prominenz steht am Pranger und es gilt, wie im Mittelalter, mit Abfällen und menschlichem Auswurf auf den bereits vorverurteilten Täter zu werfen. Allen voran schreiten die Medien. Unabhängig, überparteilich.

Jedes Mittel ist recht, um das Recht um sein Recht zu bringen. Das Recht des Rechts ist es, am Ende einer Verhandlung, nach Vorlegen, Begutachten und Abwägen aller Beweise, ein objektives Urteil abzugeben. Dies fällt schwer, wenn sich allerhand Leute auf die Kadaver der ohnehin schon fertigen Protagonisten werfen. Das mutet mir an, wie die Millionen Bundestrainer in den Sesseln der Wohnzimmer. Sie treten das Recht der Angeklagten auf einen fairen Prozess mit den Füßen. Ganz in Fußballermanier.

Soweit die Berichterstattung in den einschlägigen Medien geht, könnte man meinen, wir sind wieder bei Brot und Spielen angelangt. Fehlte nur noch ein entsprechend gekleideter Richter, der den Daumen nach dem Abpfiff durch Napoleon nach unten oder oben zeigen lässt. Das Ganze im Gelsenkirchener Zoo, mitten in der Fußballzentrale der Republik. Die Löwen werden sich freuen. Dabei ist das Dschungel Camp oder Big Brother doch eine gute Alternative. Theoretisch, könnten wir doch wieder vernünftige Berichte zu derartig sensiblen Verfahren erwarten.

Damit alles einen tieferen Sinn erhält und auch die Bruderschaft der Frauen nicht zu kurz kommt, fraternisiert sich die Sprecherin aller Frauen mit dem bis dahin vermeintlichen Opfer. Über das größte deutsche Boulevardmagazin, erhält sie ein Megaphon, das bis an die Strände der Elfenbeinküste trötet. Nur dass sie mich richtig verstehen, da kommt jemand und benutzt zwei ganz traurige Gestalten für seine Zwecke. Wenn besagte Dame wirklich so enorm viel an der Klägerin gelegen hätte, eine weniger Aufsehen erregende Hilfestellung wäre jederzeit möglich gewesen. So gesehen konnte sich die Ärmste aber nichtmal der Hilfe entziehen. Der Druck der Öffentlichkeit und so, sie verstehen? Sie musste also, obwohl sie schon schwarz sah, noch Schwarzer sehen.

Der Druck der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit, wer ist das eigentlich? Das sind die Menschen, die jeden Tag an die Kioske fahren, neben Butter, Brötchen und Milch noch schnell die Nachrichten des Tages mitnehmen. Sie nennen es Nachrichten. Ich nenne es Manipulation und Aufruf zur Hetzjagd auf das, was gerade passt. Wo die Fahne steht, da wird noch mehr geblasen. Halali, fällt mir da nur ein. Wer ist der Fuchs, wer der Jäger? Erstmal keine Festlegung, dann aber immer voll drauf, sollte auch nur eine Seite eine ausschlachtungswürdige offene Flanke haben.

Angebliche Aktenmitschriften, Aussagen von bereits beeinflussten Zeitzeugen, Nahestehenden und Nachbarn, werden konspirativ erfasst, verändert und in das richtige Licht gesetzt. Und das Volk frisst es. Es frisst ja auch Dschungel Camp und den ganzen anderen Rotz. Freut euch, ihr seid ein freies Volk. Der Weg in die Freiheit, der ist ganz und gar beBILDert. Lesen ist überbewertet. Bunt, knallig, obszön und ein klein wenig pervers muss es sein. Die ungeschminkte, zurechtgerückte Wahrheit, in kleinen, leicht verdaulichen Scheiben.

Kommen wir zurück zum Thema und nennen es beim Namen. Jörg Kachelmann. Angeklagter, jetzt wieder freier Mensch. Auf der anderen Seite seine ehemalige Geliebte. Nebenklägerin, jetzt wieder freier Mensch. Ich werde hier weder für die eine noch die andere Seite Partei ergreifen. Es steht mir nicht zu, ich war nicht dabei, ich kenne keine Fakten, Beweise oder Aussagen. Ich kenne die beiden nur aus den Nachrichten. Ich halte mir zugute, dass ich nur ca. fünf Beiträge zum Verfahren gelesen habe. Danach stoppte ich die Lektüre und lebte aus den Bürogesprächen in der Teeküche. Im Nachhinein stellte sich dies als vollkommen ausreichend heraus.

Da steht er nun, angeklagt wegen einer Tat, die er bestreitet. Wie mag er sich fühlen, im vollen Bewusstsein seiner Unschuld? Und sie? Da steht sie, Opfer einer schweren Vergewaltigung. Wie mag sie sich fühlen, im vollen Bewusstsein der Schändung? Ich denke, wir wollen und können keine Antworten darauf finden. Das können die Beiden nur mit sich ganz alleine ausmachen. Aber einen von ihnen zu seinem Recht verhelfen, das kann nur ein faires Gerichtsverfahren.

Heute sprach das Gericht sein Urteil. Für die Trainer unter uns: Unentschieden. Für alle anderen ein denkwürdiger Tag. Nein! Nicht weil Herr Kachelmann frei gesprochen wurde. Ich sage es noch einmal – das war und ist einzig die Aufgabe der Gerichte. Hier wurde entschieden, Beweislage nicht ausreichend. Und dafür haben wir entsprechende Regelungen, denen heute Tribut gezollt wurde. Ich spreche von Medien, die nun einen Freispruch »zweiter Klasse« polarisieren. Bereits zerstörte Menschen, auf beiden Seiten, werden vor den Karren gespannt, gepeitscht und blutig durch die Druckerpressen getrieben.

Liebe Leute, das ist in meinen Augen die tatsächliche Vergewaltigung, unter dem Deckmantel der Pressefreiheit. Das wird unterstützt. Wir tragen die Mitschuld und gehören genauso auf die Anklagebank. Und Barbara Salesch wird über uns richten.

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